Deutschland redet über kleine, schnittige Elektroautos, etwa über den i3 von BMW. Auf die Frage, ob ein 18-Tonner nicht ein bisschen schwer für einen Lkw mit Elektroantrieb sei, erwidert Roger Miauton: „Das ist eine falsche Betrachtungsweise. Das Gewicht spielt eigentlich gar keine Rolle, weil ich die Energie beim Bremsen zurückhole.“ Miauton ist Inhaber der Batteriehandelsfirma Lithium Storage und auch in der Geschäftsleitung von E-Force One tätig. „Die Geschichte mit dem Lkw ist auf meinem Mist gewachsen“, erzählt er weiter. „Wir hatten die Idee, ein Elektrofahrzeug zu bauen, weil wir Batterien verkaufen. Unsere Berechnungen ergaben: Je höher das Gewicht des Fahrzeugs ist, desto eher rentiert sich das.“
Das liegt vor allem daran, dass Lastwagen viel höhere Kilometerleistungen im Jahr haben als Pkw. Hinzu kommt, dass die leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (LSVA) in der Schweiz für Elektro-Lkw nicht erhoben wird. Denn in der Alpenrepublik gilt: Je schwerer ein Laster ist, desto mehr Abgaben muss sein Betreiber berappen. Mit einer Batterie als Antrieb wird besagter 18-Tonner schon ab 32.000 Kilometer im Jahr wirtschaftlicher als ein gleich großer Diesel-Lkw. Bei 50.000 Kilometern Fahrleistung im Jahr kostet der Dieseltruck nach den Berechnungen von E-Force One bereits 1,30 Franken pro Kilometer, der Elektrolaster aber nur 0,94 Franken.
Diese Betrachtung ist ein gutes Argument, sich für E-Force One zu entscheiden. Die Schweizer Supermarktkette Coop hat sich zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2023 kohlendioxidneutral zu werden. „Ungefähr 40 Prozent unseres Ausstoßes kommen aus dem Warentransport, denn wir sind ein Großverteiler“, sagt Georg Weinhofer, Leiter der Fachstelle Logistik bei Coop. „Deshalb setzen wir auf vier groß angelegte Maßnahmen, um den Kohlendioxidausstoß beim Warentransport zu reduzieren. Das ist die Transportverlagerung von der Straße auf die Schiene. Das sind effizientere Lastwagen. Das ist der Einsatz von Bio-Diesel. Und das ist der Einsatz von Elektro-Lkw, die jetzt noch dazugekommen sind.“
Bisher betreibt das Unternehmen erst einen 18-Tonner von E-Force One, einen der ersten Prototypen. „Die E-Force One AG ist frühzeitig an uns herangetreten und hat uns gefragt, ob wir Interesse an dem Elektro-Lkw haben. Denn es ist in der Schweiz bekannt, dass Coop innovative Sachen gerne ausprobiert“, erinnert sich Weinhofer. „Dann sind wir eingestiegen und haben den Lastwagen gekauft, ohne Referenzen, auf eigenes Risiko.“
Doch Georg Weinhofer und seine Leute wollten noch mehr. Weil die Lieferwagen der Coop für die Lebensmitteltransporte gekühlt sind und die Kühlaggregate ihrerseits einiges an Energie verbrauchen, suchten sie nach Einsparmaßnahmen. „Das Kühlgerät zieht natürlich Strom aus der Batterie“, erläutert Weinhofer. „Somit haben wir weniger Reichweite. Um dem ein bisschen entgegenzuwirken, haben wir uns gesagt: Wir bauen eine Photovoltaikanlage aufs Dach.“
Module aus der Lausitz
Den Planungsauftrag gab Weinhofer an die Energiebüro AG in Zürich, in der Photovoltaikbranche für besonders ausgefeilte Ideen bekannt. „Aufgrund der Höhenbegrenzungen durch Brücken war von Anfang an klar, dass der Aufbau der Solarmodule nicht höher als vier Zentimeter sein durfte“, sagt Ingenieurin Brit Assmus vom Energiebüro. Durch die geforderte niedrige Aufbauhöhe und ein möglichst geringes Gewicht schieden Standardmodule aus.
Stattdessen griffen die Planer zu aufgeklebten Folienmodulen. „Ein weiterer begrenzender Faktor bei der Auslegung war die Fläche“, erklärt Assmus. „Aus diesem Grunde wurden die Solarmodule in der Größe angepasst und kundenspezifisch hergestellt, um die vollflächige Belegung und einfache Verkabelung zu ermöglichen.“ Gleichzeitig sollte der Ertrag möglichst hoch sein. Mit Hörmann Novo Solar in Sachsen fanden die Zürcher einen geeigneten Spezialisten für Leichtbaumodule.
Hörmann Novo nahm die Herausforderung an und baute seine Apollo-Flex-Module entsprechend um. „Für die Module gab es relativ konkrete Vorstellungen“, sagt Martin Fließ von Hörmann Novo Solar in Laubusch in der Lausitz. „Sie mussten angepasst werden in der Größe, sollten eine maximale Leistung haben und auf das 400-Volt-System des Lkw aufgeschaltet werden.“
Hotspots und Zellbrüche
Verfügen die regulären Apollo-Flex-Module über höchstens 107 Watt, so fertigte Hörmann Novo für den Coop-Lkw größere Module mit 215 Watt und Rückkontaktzellen von Sunpower. Die gesamte Anlage hat eine Leistung von 3.000 Watt, verteilt auf zwei Strings mit jeweils 280 Volt.
Doch ein halbes Jahr später traten Probleme auf. „Wir hatten Hotspots und Zellbrüche in den Modulen“, räumt Fließ ein. Die Ursache können sich die Modulexperten immer noch nicht erklären. Eigentlich sollten die Module sogar begehbar sein. Denn die Apollo-Flex-Module werden vor allem im Bootsbau eingesetzt und sind für solche Anforderungen ausgelegt. Auch Vibrationen scheiden als Ursache für Zellbruch und Hotspots eigentlich aus. Denn sie treten bei Sportbooten viel stärker auf, wenn sie auf Anhängern transportiert werden. Die Module auf dem Container des Coop-Lkw sind dagegen bestens gefedert. Vibrationen durch einen Dieselmotor fallen bei dem Elektro-Lkw auch weg.
Erfahrungen sammeln
Hatte Hörmann Novo Solar die ersten Module noch über einen Vertriebspartner an Coop geliefert, sprang man den Schweizern jetzt direkt zur Seite. „Weil das ein schönes Projekt ist, haben wir selbst neue Module aufs Dach gebracht“, sagt Martin Fließ.
Zur Sicherheit verwendeten die Sachsen jetzt gängige kristalline Zellen mit Frontkontakt, die allerdings nicht den hohen Wirkungsgrad von Sunpower erreichen. Auch waren die Module beim zweiten Mal kleiner. „Wir wollten ausschließen, dass es an der Lamination liegt“, erklärt der Experte aus Laubusch.
Die zweite Anlage kommt auf gut 2.000 Watt. Sie soll rund fünf Prozent des Gesamtenergieverbrauchs des Elektro-Lkw decken, Verschattungen durch Stadtfahren eingerechnet.
Egal ob 2.000 oder 3.000 Watt auf dem Dach: Bei einem Test fürs Schweizer Fernsehen ließ der Elektro-Lkw einen vergleichbaren Diesellaster regelrecht stehen. Zu überlegen ist das Anzugsmoment der Elektromotoren, die über den vollen Drehzahlbereich das maximale Drehmoment liefern. Entsprechend begeistert waren die Fahrer. „Am Anfang haben die Chauffeure so ein bisschen gelächelt und gesagt: Jetzt kommen sie mit einem Spielzeugauto“, erinnert sich Georg Weinhofer von Coop. „Als sie einmal damit gefahren sind, wollten sie nicht mehr aussteigen. Weil es ein ganz anderes Fahrgefühl ist, gerade von der Beschleunigung und dem Lärm her. Die Chauffeure hatten eine Riesenfreude daran.“
Schneller und sparsamer
Und sparsamer ist der E-Force-Lkw obendrein. Der Stromverbrauch liegt bei rund 100 Kilowattstunden pro 100 Kilometer. Das entspricht etwa zehn Litern Kraftstoff. Ein vergleichbarer Diesel-Lkw braucht um die 40 Liter. Der Grund ist einfach: Ein Dieselmotor hat im günstigsten Fall einen Wirkungsgrad von 45 Prozent. Elektromotoren liegen bei 95 bis 97 Prozent.
Ein weiterer wichtiger Vorteil des Elektromotors ist, dass er die Bremsenergie in elektrische Energie zurückverwandeln kann. Dieser Vorgang nennt sich Rekuperation. Daher hat der elektrische 18-Tonner in der alpinen Schweiz auch kein Problem. Denn der Mehrverbrauch an Energie beim Bergauffahren wird bei der Abfahrt zum größten Teil wieder in die Batterie zurückgespeist.
Das gilt allerdings nicht für Verluste aus dem Luftwiderstand, der mit höheren Geschwindigkeiten zunimmt. Daher hat der E-Force-Lkw auf der Autobahn nur eine Reichweite von 250 Kilometern. In der Stadt schafft der Stromer dagegen bis zu 400 Kilometer.
Bis zu 600 Kilometer Reichweite
Die Wirtschaftlichkeit des Elektro-Lkw verbessert sich mit zunehmendem Gewicht und höherer Zuladung. Denn durch die Rückgewinnung der beim Anfahren eingesetzten Energie wird der Vorteil gegenüber einem Diesel-Lkw immer größer. Aus diesem Grund will die E-Force One AG schon bald einen 26-Tonner anbieten. „Der ist ab 27.000 Kilometer pro Jahr wirtschaftlich“, rechnet Roger Miauton vor.
Beim 26-Tonner denken die Elektropioniere vor allem an Fahrzeuge für die Müllabfuhr. Sie bremsen und beschleunigen deutlich mehr als andere Lkw im Stadtverkehr. Der durchschnittliche Verbrauch liegt daher bei üppigen 60 Litern Diesel auf 100 Kilometern.
Der 26-Tonnen-Stromer soll zudem eine neue Batterie erhalten. Denn die beiden Batterieblöcke mit einer Kapazität von je 120 Kilowattstunden wiegen zusammen im 18-Tonner rund 2,6 Tonnen. Sie nehmen dem Lkw eine Tonne Zuladung weg. Die neue Batterie hat zweimal 160 Kilowattstunden und ist dennoch leichter. Der 18-Tonner kommt mit dem neuen Stromspeicher auf 500 Kilometer Reichweite. In der Stadt sind sogar bis zu 600 Kilometer drin. Lidl Schweiz hat die neue Batterie für seine beiden 18-Tonner bereits geordert.
Die neuen Batteriezellen hat Lithium Storage zusammen mit seinem chinesischen Zelllieferanten entwickelt. Im Detail will sich Roger Miauton nicht zu den Innovationen bei der Batterie äußern. Der Geschäftsführer von Lithium Storage und Vater des E-Force One ist sich aber sicher, dass die Energiedichte von Lithium-Ionen-Batterien von den derzeitigen 100 Wattstunden pro Kilogramm in den nächsten Jahren auf 400 Wattstunden pro Kilogramm steigt.
Auch der deutsche Markt ist fest im Blick der Schweizer. Hierzulande fahren bereits zwei E-Force One bei der Ludwig Meier AG in Berlin. Einer fährt für Lidl, der andere für Rewe – beides Lebensmittelmärkte. In Deutschland rechnet sich der Einsatz der Stromer allerdings noch nicht. Der Diesel ist billig, auch gibt es keine flächendeckende Maut, von der ein Elektro-Lkw befreit werden könnte. Dennoch ist das Interesse groß, die Anfragen aus Deutschland zahlreich.
Ehrgeizige Pläne
In diesem Jahr soll die Produktion richtig hochfahren. Bisher hat E-Force One neun Elektro-Lkw ausgeliefert. In diesem Jahr sollen es 50 werden, 2016 schon 100 Fahrzeuge. Durch die gute Zusammenarbeit mit Iveco, dem Zulieferer des Chassis, ist der Kundendienst gesichert.
Sämtliche mechanischen Arbeiten an den Fahrzeugen übernehmen die Iveco-Werkstätten. Bei Reparaturen am Antriebsstrang schickt E-Force einen eigenen Techniker.
Fehlerhafte Batterien werden ausgetauscht, in den ersten zwei Jahren auf Garantie. Für die Batterien rechnen die Schweizer mit einer Lebensdauer von 500.000 Kilometern. Die Kapazität liegt danach nur noch bei 70 bis 80 Prozent.
Ein erster Prototyp
Von der Batterie hängt maßgeblich der Erfolg des Elektro-Lkw ab. Denn sie macht knapp die Hälfte des Preises aus. Nicht ganz so gut sieht die Bilanz bisher für die Photovoltaikanlage auf dem Container des Coop-Frachters aus. Denn auch die Module der zweiten Anlage sind inzwischen ausgefallen. Offenbar gab es Materialprobleme zwischen einer Folie und der EVA-Folie. Dennoch kann sich Martin Fließ vorstellen, dass Solaranlagen auf Lkw ein interessanter Markt werden: „Es ist erst einmal nur ein Experiment“, meint er. „Aber wir wollen in diesen Markt als Modulhersteller rein. Die Anlage auf dem Lkw von Coop kann ein Multiplikator sein.“
Da ist sich auch Georg Weinhofer von Coop sicher. Denn der E-Force One ist äußerlich vom Diesel-Lkw kaum zu unterscheiden. Erst die viel beachtete Solaranlage auf dem Dach macht den Unterschied. Allein aus PR-Gründen haben sich die 50.000 Franken für die Solaranlage gelohnt. Insgesamt kostet ein elektrischer Lkw (ohne Solarzellen) rund 390.000 Franken, ein 18-Tonnen-Diesel 160.000 Franken. Innerhalb von zehn Jahren hat sich der Elektrobrummi amortisiert.