Ladepunkte für Elektroautos vor dem Hauptsitz eines Energieversorgers sind keine herausragende Sache mehr. Doch die beiden neuen Ladesäulen neben dem Eingang der Dependance von Energie Steiermark in Graz sind dann doch einen genaueren Blick wert. Denn hier ist die Stromtankstelle nicht einfach nur ans Netz angeschlossen und es wird geladen, komme was wolle.
Zusammen mit dem Speicheranbieter Ads-Tec hat sich das Unternehmen Gedanken gemacht, wie die Ladesäulen in das Stromnetz der Zukunft passen können. Denn neben intelligenten Ladestrategien ist gerade an solchen Standorten ein schnelles Laden wichtig, damit die Kunden nach ihrem Besuch mit einem vollen Auto weiterfahren können. Doch solche Schnelllader belasten das Netz ungemein.
Am Verteilnetz mit 800 Volt laden
Deshalb haben die beiden Projektpartner die Ladesäulen mit einem Speicher kombiniert. Die Idee dahinter: Die Autos laden mit der maximalen vom Hersteller zulässigen Leistung. Die beiden Ultraschnellladestationen schaffen es bis auf eine Leistung von 320 Kilowatt. Wenn diese Leistung tatsächlich abgefordert wird, springt der Speicher ein und liefert den Rest an Leistung, die der Netzanschluss – in der Steiermark sind das in der Regel 50 Kilowatt – nicht hergibt. Während diese Maximalleistung nicht abgefordert wird, lädt der Speicher nach und nach auf, damit er genügend Energie zur Verfügung hat, wenn er als Booster gebraucht wird. Dann können die Autos auch am Verteilnetz mit moderner 800-Volt-Technik tanken.
Unterstützung aus dem Schwungrad
Dies ist ein erstes Pilotprojekt, um zu testen, wie das Zusammenspiel zwischen Speicher, Ladesäule und Elektroauto funktioniert. Derzeit erkundet der Versorger, welche Standorte günstig für weitere dieser Ultraschnellladesäulen sind.
Denn diese sollen vor allem nah am Kunden errichtet werden. Die Besitzer der Elektroautos sollen nicht wie sonst üblich zu einem Ladepark an einer Autobahn fahren müssen, sondern auch mitten in Wohngebieten ihre Autos innerhalb von wenigen Minuten aufladen können.
Dafür ist die Speicherunterstützung wichtig. „Denn in einer Stadt kann man nicht einfach ein Trafohäuschen irgendwo hinstellen, vor allem nicht, wenn da 500 Kilowatt Leistung durchfließen“, weiß Kevin Bohla. Er ist für die Geschäftsentwicklung bei Adaptive Balancing Power (ABP) zuständig. Das Unternehmen aus Darmstadt hat einen mechatronischen Schwungradspeicher entwickelt, der vor allem für die Unterstützung von Ladesäulen für Elektroautos konzipiert ist.
Viel Leistung in kurzer Zeit
Der Speicher nutzt den vorhandenen Stromanschluss und schiebt nach und nach Energie in den Speicher. Dieser besteht nicht aus Lithium-Ionen-Akkus. Vielmehr ist das Herz des Systems ein hohler Zylinder, der mit dem gesammelten Strom auf immer höhere Drehzahlen beschleunigt wird. „Solch ein Schwungradspeicher ist im Grunde nichts anderes als ein Kreisel, der beschleunigt wird“, erklärt Bohla. „Da die Energie des Kreisels aber vor allem im äußeren Bereich speichert und die Masse in der Mitte eigentlich nur stört, nutzen wir eine hohle Schwungmasse.“
Der Vorteil: In den Hohlraum innerhalb der Schwungmasse hat ABP eine Motor-Generator-Einheit integriert, um die der Zylinder rotiert. Der Motor schiebt diesen während des Ladens an und wenn die angeschlossenen Ladesäulen Leistung abfordern, nutzt der Generator die Rotationsenergie wie ein Dynamo und wandelt sie in elektrische Energie um. Diese kann der Speicher je nach Auslegung mit einer Leistung von bis zu 350 Kilowatt zur Verfügung stellen.
Auf 16.000 Umdrehungen beschleunigt
Diese kann er mit einer C-Rate von 10C abgeben. Das bedeutet, dass die gespeicherte Energie mit der maximalen Leistung schnell über einen kurzen Zeitraum zur Verfügung steht. Das reicht für einen Schnellladevorgang aus. „Denn bei einem durchschnittlichen Schnellladevorgang fließen etwa 22 bis 25 Kilowattstunden in die Akkus der Autos“, berichtet Kevin Bohla mit Blick auf die Erfahrungen der Betreiber von Ladeparks. „Danach flacht die Ladekurve ohnehin wieder ab und die Akkus werden langsamer geladen. Die meisten Besitzer von Elektroautos fahren dann gleich wieder weiter.“
Die Energiemenge, die der Speicher zwischengelagert hat, hängt davon ab, auf welche Umdrehungszahl die Schwungmasse vorher beschleunigt wurde. Das Maximum liegt derzeit bei stattlichen 16.000 Umdrehungen pro Minute. Die Energie für die Beschleunigung der Schwungmasse zieht sich der Speicher sukzessive aus dem Netz. „Wenn er an einem Netzanschluss mit einer Leistung von 200 Kilowatt angeschlossen ist, nutzt er auch diese gesamte Leistung. Doch wirtschaftlich wird das System ab einer Anschlussleistung von 43 Kilowatt beziehungsweise 63 Ampere“, sagt Bohla. „Mit dieser Leistung beschleunigt die Schwungmasse und akkumuliert die Energie und der Speicher gibt diese mit hoher Leistung wieder ab, wenn sie angefordert wird.“
Einfacher Kommunikationsstandard
Die verbaute Leistungselektronik ist aber in der Lage, auch variierende Leistungen zu nutzen. Damit kann der Speicher auch in Kombination mit solaren Carports genutzt werden. In diesem Falle lagert er den Sonnenstrom zwischen, bis er von einer der Ladesäulen abgerufen wird. Wenn er ans Netz angeschlossen ist, setzt ein integrierter AC-DC-Wandler den Wechselstrom zunächst in Gleichstrom um, mit dem der Motor in der Schwungmasse betrieben wird. Alternativ kann das System auch mit einem DC-Bus-Anschluss direkt DC-seitig integriert werden.
Für eine hohe Effizienz sorgt auch das Design des Systems. Denn die hohle Schwungmasse rotiert kontaktlos auf Magnetlagern in einem Hochvakuum, das von einer Pumpe aufrechterhalten wird. Damit minimiert ABP die Reibung und die Verluste im Stand-by auf ein Minimum, die Kevin Bohla auf etwa ein Prozent der Bruttoleistung beziffert. „Das bedeutet, dass der Betreiber eines Speichers mit 200 Kilowatt zwei Kilowatt Energie nachladen muss, um die Rotation aufrechtzuerhalten“, präzisiert er die Angabe.
Der Speicher kommuniziert mit einem ganz normalen Modbus-Standard über ein Ethernetkabel mit den Ladesäulen. Der Ladevorgang selbst wird über ein ebenfalls gängiges Open Charge Point Protocol (OCPP 1.6) gesteuert. „Das sind etablierte Standards, unabhängig vom Speicher. Auf diese Weise ist er mit allen gängigen AC-Ladelösungen kompatibel“, begründet Kevin Bohla die Entscheidung, auf die gleichen Standards zu setzen wie die Anbieter von Lithium-Ionen-Speichern.
Hohe Zyklenzahl ist wichtig
Der große Vorteil ist, neben der Vermeidung von seltenen und kritischen Materialien wie Kobalt, Lithium, Nickel oder seltenen Erden, die hohe Zyklenzahl, die vor allem für die langfristige Verwendung als Booster für die Ladeinfrastruktur wichtig ist. Der Schwungradspeicher sei hier nicht limitiert, erklärt Bohla. Defekte Einzelkomponenten können einfach ausgetauscht werden. Die Schwungmasse kann, wenn sie nicht mehr rundläuft, wieder gewuchtet oder ebenfalls getauscht werden.
Selbst die rotierenden Teile sind kein Problem, da die Magnetlager praktisch ohne Abnutzung laufen und keinerlei Schmiermittel brauchen, die im Vakuum verdampfen könnten. „Das Einzige, was regelmäßig getauscht werden muss, sind die Luftfilter und das Kühlmittel“, sagt Kevin Bohla. „Zudem haben wir eine Fernüberwachung für das System, sodass schnell auffällt, wenn eine Komponente defekt ist.“
Die nagelneue Technologie testet ABP derzeit in Kombination mit Ladesäulen auf dem eigenen Firmenparkplatz in Darmstadt. Demnächst startet ein erstes Projekt im südhessischen Bentheim, wo der ÖPNV auf Elektrobusse umgestellt werden soll. Hierfür wird ABP zur Unterstützung der einzelnen Ladepunkte Speicher installieren.
Ökostrom in die Mobilität bringen
Ads-Tec hat mit seinem Speicher schon mehrere solcher Projekte umgesetzt. So hat der Thüringer Versorger TEAG schon vor Jahresfrist damit begonnen, Stromtankstellen im Land mit Speicherunterstützung auszustatten, um den Elektromobilisten die Reichweitenangst und vor allem das Argument zu nehmen, die Autos müssten ewig lange an Ladesäulen herumstehen, bevor sie weiterfahren können.
Denn für den flächendeckenden Umstieg auf Elektroautos wollen die potenziellen Besitzer vor allem keine Komfortverluste in Kauf nehmen. Zudem können die Energieversorger so mit den Schnellladesystemen die Lücke an leistungsbegrenzten Standorten schließen, erklärt Thomas Speidel, geschäftsführender Gesellschafter von Ads-Tec. „Ganz im Sinne der künftigen Kunden, die nicht immer zu großen Ladeparks fahren können, sondern auch dezentral schnell wieder nachladen wollen.“ Die Speicher an den Ladestationen können zudem volatil eingespeisten Ökostrom aufnehmen, der andernfalls keinen Abnehmer findet, und diesen dann direkt in die Mobilität bringen – ein doppelter Nutzen.
https://www.adaptive-balancing.de/
Intilion
Gewerbliche Ladestation mit Speicher aufgebaut
Der Speicherhersteller Intilion baut die Ladeinfrastruktur an den Autohäusern des Thüringer Fahrzeughändlers Erhardt auf. Zunächst hat Intilion eine komplette Ladeinfrastruktur am Hauptstandort in Hildburghausen errichtet. Dazu gehören zwei DC-Schnellladesysteme mit einer Leistung von 150 Kilowatt. Hier können auch insgesamt vier Fahrzeuge mit einer Leistung von 75 Kilowatt geladen werden. Dazu kommen noch sechs AC-Ladesäulen mit einer Leistung von jeweils 22 Kilowatt.
Um Lastspitzen zu vermeiden, hat Intilion das System mit sechs seiner Gewerbespeicher Scalebloc kombiniert. Diese leisten satte 360 Kilowatt und sind mit einem Batterie- und Energiemanagementsystem ausgestattet. Letzteres passt Intilion individuell auf die Bedürfnisse der Ladeinfrastruktur an. Wichtig ist dabei die Nutzung von Solarstrom. Denn das Autohaus bekommt eine Photovoltaikanlage mit einer Leistung von 200 Kilowatt. Damit will die Ehrhardt dem notwendigen Ausbau des Netzanschlusses aufgrund der Ladeinfrastruktur an den Standorten vorbeugen.
Dadurch spart das Unternehmen Bau- und Folgekosten, die durch Lastspitzen für den erhöhten Netzbezug anfallen würden. „Dank unseres Speichersystems hat das Autohaus Ehrhardt die Energiekosten an seinem Hauptsitz um rund 75 Prozent im Vergleich zu einem herkömmlichen Netzausbau reduziert“, rechnet Matthias Büter von Intilion vor.
ZVEI
Leitfaden zur Ladeinfrastruktur für Wohnungswirtschaft veröffentlicht
Der Bau von Ladestationen in großen Wohn- und Mietsgebäuden ist ein wichtiger Baustein, um die Elektromobilität in Städten voranzubringen. Denn nur wenn die Bewohner auch zu Hause laden können, werden sie sich für ein Elektroauto entscheiden. Zudem können durch Einbindung der Elektrofahrzeuge ins Hausnetz Spitzen beim Stromangebot und bei der Stromnachfrage ausgeglichen werden.
Um dieses Potenzial zu heben, hat der Verband der Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI) einen Leitfaden für den Aufbau von Ladelösungen in Mehrfamilienhäusern veröffentlicht. An der Erstellung waren auch der Zentralverband der Deutschen Elektro- und Informationstechnischen Handwerke (ZVEH), der Verband der Immobilienwirtschaft GdW und der Verband der Automobilindustrie (VDA) beteiligt.
Der Leitfaden führt den Immobilienbesitzer durch alle Schritte, die beim Aufbau einer Ladeinfrastruktur zu beachten sind. Das beginnt bei der Prüfung der vorhandenen Hausanschlussleistung auch für ein dynamisches Lastmanagement über die Ermittlung der notwendigen Leistungsbereitstellung bis hin zur Entscheidung über den Ort der Installation der Ladesäulen und der Abrechnung des geladenen Stroms. Die Autoren des Leitfadens haben auch den Kostenrahmen betrachtet und die rechtlichen Aspekte umrissen. Bei Letzterem geht es nicht nur um Regelungen im Wohneigentums- und im Gebäudeinfrastrukturrecht, sondern auch um Vorgaben zur Errichtung von elektrischen Anlagen wie Ladestationen.