Nach 13 Jahren Leerstand sollte der ehemalige Supermarkt im Mainzer Stadtteil Gonsenheim zu neuem Leben erwachen. Ideen, was man mit dem Grundstück machen könnte, gab es genügend. Die einfachste: den alten Laden abreißen und an seiner Stelle eine Spielhalle bauen: Als Alexander Maier den heruntergekommenen Zweckbau sah, wusste er sofort: „Das wäre ein toller Standort für unser Büro.“
Maier ist Architekt und Gonsenheim eher ein Viertel des gehobenen Anspruchs. Da passen weder eine Ruine noch eine Spielhalle. Für Maier war es wie Liebe auf den ersten Blick, doch dauerte es zehn Jahre, bis er die erforderlichen Genehmigungen für die Nutzungsänderung und den Umbau in der Tasche hatte.
Neues Leben für den Konsumtempel
So wurde aus dem ehemaligen Konsumtempel ein modernes Wohnhaus, in dem Maier seit Sommer 2016 mit seinem Architekturbüro Zeit + Raum residiert. Die drei Mietwohnungen, die er zusätzlich eingebaut hat, waren schnell unter die Leute gebracht.
Was von außen nicht sichtbar ist: Das Gebäude, das in seiner Struktur nicht verändert wurde, ist ein Musterbeispiel für energetische Sanierung und saubere Energieversorgung. Basis sind 76 Solarmodule (HIT-Technologie) von Panasonic, die auf dem Flachdach montiert wurden und von unten nicht zu sehen sind. Zusammen mit dem Batteriespeicher von Tesla wird ein sehr hoher Autarkiegrad in der Stromversorgung des Büros erreicht.
Unbedingt mit Elektroauto
Alexander Maier stammt aus einer Architektenfamilie. In der nunmehr dritten Generation plant und baut er Häuser. Moderne Technik ist sein Steckenpferd.
So war ihm bei dieser Immobilie gleich klar, dass er viel Innovatives ausprobieren will. „Altes, traditionelles Denken erschreckt mich“, sagt der 53-Jährige. „Wenn es heute möglich ist, dass Häuser Energie produzieren, dann sollte man das auch tun.“ Dass die Elektromobilität dazugehört, war für ihn eine Selbstverständlichkeit.
Bei der Planung kristallisierten sich die Ziele schnell heraus. Zunächst einmal wollte Maier das Gebäude in seiner Form belassen, wie es war. Zudem wollte er KfW-Standard erreichen, jedoch ohne Lüftungstechnik. Und das Gebäude sollte mehr Strom produzieren, als er mit seinem Büro verbraucht. Der Clou: Von all der Technik sollte außen nichts zu sehen sein. „Unsichtbare Energieerzeugung“ nennt das der Architekt.
Am Anfang war die Dämmung
So sahen die einzelnen Schritte aus. Um den KfW-Effizienzhaus-Standard 85 zu erreichen, musste die Gebäudehülle sehr gut gedämmt werden. Der Boden bekam neuen Estrich und wurde mit 16 Zentimetern Dämmplatten versehen.
Die Wände bekamen ebenfalls 16 Zentimeter Dämmung, das Dach 30 Zentimeter mit Mineralwolle. Die dreifach verglasten Fenster haben einen U-Wert von 0,9 Watt je Quadratmeter und Kelvin Temperaturdifferenz. Innen entkernte er den früheren Supermarkt und plante zusätzlich zum Büro drei Wohnungen ein. Zwei befinden sich im Erdgeschoss, eine im Obergeschoss über dem Büro. Zusammen haben sie eine Wohnfläche von 400 Quadratmetern. Das Architekturbüro hat eine Nutzfläche von rund 300 Quadratmetern, 200 davon im Erdgeschoss und 100 im Untergeschoss.
Bei dem Energiekonzept lautete das Ziel, möglichst wenig Energie aus dem Netz zu beziehen, dafür möglichst viel regenerative Energie zu nutzen. Deshalb ließ Maier auf dem Flachdach von dem Fachinstallateur Sonnenkönig aus Nieder-Olm eine Photovoltaikanlage mit 18,62 Kilowatt montieren. Die 76 Module sind in Ost-West-Ausrichtung und mit einem Neigungswinkel von zehn Grad aufgeständert. „Für die HIT-Module habe ich mich entschieden, weil sie den höchsten Wirkungsgrad haben“, begründet Maier seine Wahl.
Gut versteckte Solarmodule
Bei diesen japanischen Modulen ist ein monokristalliner Wafer von einer amorphen Siliziumschicht umhüllt. Deshalb weisen die Module einen sehr hohen Wirkungsgrad auf. Hinter der Attika versteckt, kann man sie nur von der gegenüberliegenden Straßenseite sehen, und das auch nur, wenn man genau hinsieht.
Die Photovoltaikanlage ging im April 2016 in Betrieb. Sie erzeugt rund 20.000 Kilowattstunden Sonnenstrom im Jahr. Der Stromverbrauch im Architekturbüro liegt bei rund 12.000 Kilowattstunden.
Darin sind die Vollklimatisierung, LED-Beleuchtung und IT-Systeme enthalten. Die Anlage erzielt somit einen Überschuss von jährlich rund 8.000 Kilowattstunden. Da Maier möglichst viel Solarstrom selber nutzen wollte, hat er zusätzlich eine Powerwall von Tesla (6,4 Kilowattstunden Speicherkapazität) einbauen lassen. Mit dieser Kombination aus Photovoltaik und Solarbatterie konnte er in den zwölf Monaten bis Mai dieses Jahres 55 Prozent des Stroms vom eigenen Dach im Büro nutzen. Damit erzielte er eine Autarkiequote von 57 Prozent. Der Direktverbrauch lag bei 43 Prozent.
57 Prozent Autarkie
Für die Wärmeversorgung wurde ein Stirling-BHKW mit 25 Kilowatt thermischer Leistung und einem Kilowatt elektrischer Leistung eingebaut. Außerdem ließ der Architekt eine Wärmepumpe installieren. „Die Wärmepumpe schalte ich im Sommer ein, wenn wir damit kühlen können“, erklärt Maier. So kann er in der heißen Jahreszeit, wenn die Photovoltaik viel Energie erzeugt, den Solarstrom besser nutzen.
Der gesamte Stromverbrauch liegt bei rund 14.000 Kilowattstunden im Jahr, da Maier zudem ein Elektroauto von Tesla fährt. Längst hat ihn die innovative Technik, die den Verbrennungsmotor ablöst, überzeugt. Das untermauert er mit dem Vergleich der Kosten für den Sprit. Bei seinem Elektroauto kosten ihn 100 Kilometer nur 2,20 Euro. Für die gleiche Strecke würde er etwa 10,40 Euro fürs Benzin bezahlen. Zwei Ladestationen hat er vor dem Gebäude aufstellen lassen, davon eine für Mitarbeiter und Gäste.
Von Smart Home fasziniert
Als Fan der Technik hat Maier in seinem Büro auch smarte Haussteuerungen (Smart Home) einbauen lassen. Damit kann er die LED-Leuchten steuern, ebenso die Musik, die Haustechnik und das Energiemonitoring. Alle Einzelsysteme sind über eine Benutzeroberfläche miteinander verbunden.
Nach dem ersten Jahr im neuen Heim zieht Maier eine rundum positive Bilanz. Aus diesem Grund will sich der Architekt nun an die Erweiterungen wagen, die er schon vorab im Hinterkopf hatte. Die Photovoltaikanlage will er auf 50 Kilowatt Leistung erweitern. Auf dem hinteren Teil des Daches, über den beiden Wohnungen, gibt es noch Platz. Zwei weitere Solarspeicher will er anschaffen, sodass er eine dreiphasige Speicherkapazität von 38,70 Kilowattstunden erreicht.
Zu den zwei Ladestationen sollen vier hinzukommen. Denn Maier plant, seinen Fuhrpark komplett auf vollelektrische Fahrzeuge umzustellen. Ende 2018 will er drei elektrisch betriebene Firmenwagen haben. Und das Nachbargebäude, das ihm ebenfalls gehört, will er über eine Fernwärmeleitung mit Wärme versorgen. „Der sparsame Umgang mit sauberer Energie ist für mich zur Lebensphilosophie geworden“, sagt Alexander Maier.
Die anspruchsvolle Technik so zu integrieren, dass sie unsichtbar bleibt, bereitet ihm doppelte Freude.