Die Photovoltaikanlage soll vom Stromnetz, obwohl keine kritische Situation vorliegt – und das ganz ohne Entschädigung. So steht es im Koalitionsvertrag der Bundesregierung. Experten rügen diesen Ansatz als Gift für Investoren.
Photovoltaikanlagen können den Netzausbau auf der Ebene der Nieder- und Mittelspannung reduzieren, wenn sie im Fall von Netzengpässen einen geringen Teil des Stroms nicht ins Netz abgeben. Voraussetzung für die Betreiber und künftigen Investoren dieser Anlagen sollten „faire Rahmenbedingungen und eine Entschädigung für die abgeregelte Energie“ sein, fordert die Expertengruppe des EU-Projektes PV GRID aus 16 EU-Staaten. Eingriffe sollen demnach nur bei drohender Netzinstabilität möglich sein. Ziel des bis Oktober 2014 laufenden Projekts ist es, Hindernisse abzubauen, um größere Mengen Solarstrom besser in die europäischen Stromnetze zu integieren.
Negative Strompreise vermeiden
Die Bundesregierung hat hingegen im Koalitionsvertrag angekündigt, Ökostromanlagen bei negativen Strompreisen herunterregeln zu wollen, selbst wenn keine Netzengpässe drohen und fossile Kraftwerke weiter am Netz bleiben können. „Spitzenlast kann bei neuen Anlagen im begrenzten Umfang (weniger als fünf Prozent der Jahresarbeit) unentgeltlich abgeregelt werden, soweit dies die Kosten für den Netzausbau senkt und dazu beiträgt, negative Börsenstrompreise zu vermeiden“, heißt es wörtlich im Koalitionsvertrag der rot-schwarzen Bundesregierung.
Zudem müssen Neuanlagen vom Netzbetreiber und von Direktvermarktern künftig ansteuerbar sein. „Das ist ein weiterer Versuch, die Wirtschaftlichkeit von Solarstromanlagen zu verschlechtern“, sagt Carsten Körnig, Hauptgeschäftsführer des BSW-Solar. Die Umsetzung dieses Vorhabens sei eine teilweise Enteignung der Anlagenbetreiber durch die Hintertür, sagt er weiter. „Wenn künftig Ökostrom einfach entschädigungsfrei abgedreht werden kann, nimmt der Druck ab, Stromnetze zügig dem tatsächlichen Bedarf entsprechend auszubauen.“ Die Rechnung dafür sollen die Bürger, Landwirte und mittelständischen Unternehmen bezahlen, die drei Viertel der bundesweit installierten Solarstromleistung stellen, erklärt Körnig.
Abregelungsquote unter einem Prozent
Netzengpässe treten bei Solarstrom-Anlagen bislang nur sehr punktuell auf. Anders als andere Kraftwerke werden sie größtenteils ans Niederspannungsnetz angeschlossen, der Strom werde meist in der Nähe verbraucht. Daher müssen die Anlagen aufgrund des gut ausgebauten Verteilnetzes bisher nur in sehr seltenen Ausnahmefällen abgeregelt werden. Selbst große Photovoltaikkraftwerke, die an höhere Spannungsebenen angeschlossen werden, verzeichnen bislang eine Abregelungsquote von deutlich unter einem Prozent.
„Ich bin der festen Überzeugung, dass in der augenblicklichen Situation die von der Bundesregierung für die Förderung festgesetzten 52 Gigawatt Leistung ohne größere Investitionen ins Niederspannungsnetz aufgenommen werden können“, sagt Professor Bernd Engel von der TU Braunschweig. Die Zahlen in einigen aktuellen Studien wie der Verteilnetzstudie der Deutschen Energieagentur hält er schlicht für übertrieben. Diese nimmt an, dass zum derzeitigen Ausbau die gleiche Leistung hinzukommt. Für die ländlichen Regionen würde dies einen erheblichen Netzausbau bedeuten. „An dieses Szenario glaube ich allerdings nicht“, resümiert Engel. (Niels Hendrik Petersen)