In die neue Vergabe des Stromnetzbetriebes in Berlin ab 2015 bekommt immer mehr Brisanz. Das Ausschreibungsverfahren gleiche dem einer Kleinstadt und müsse gestoppt werden, fordern Aktivisten. Sie sehen eine Diskriminierung anderer Wettbewerber neben dem Platzhirschen Vattenfall und wenden sich in einem Brandbrief an das Bundeskartellamt.
Die Genossenschaft Bürgerenergie Berlin geht gegen das Stromnetz-Konzessionsverfahren in Berlin vor. „Der Senat will die Berliner Energienetze mit einem 08/15-Verfahren nach dem Muster einer Kleinstadt vergeben. Er ignoriert dabei die besondere Situation der Großstadt Berlins und gefährdet ein erfolgreiches Vergabeverfahren“, sagt Hartmut Gaßner, Experte für Energierecht und Aufsichtsratsvorsitzender der Bürgerenergie. Dass der Netzbetrieb in Berlin nicht mit einer Kleinstadt nicht vergleichbar sei, zeige allein der Personalbedarf: „Während beispielsweise in Iserlohn 47 Mitarbeiter am Stromnetzbetrieb arbeiten, sind es in der Großstadt Berlin mit 1.400 Mitarbeitern fast dreißig Mal soviel“, rechnet Gaßner vor. Die Bürgergenossenschaft ist selbst Bieter im Konzessionsverfahren um das bundesweit größte Stromnetz in Berlin. Daneben bewerben sich Vattenfall, der niederländischen Konzern Alliander und die Thüga darum, das Berliner Stromnetz ab 2015 zu betreiben – gemeinsam mit dem Land oder auch alleine.
Vergabekonzept einer Kleinstadt
Die Genossenschaft wendet sich nun mit einem 46-seitigen Brandbrief an das Bundeskartellamt. „In seiner jetzigen Struktur gleicht das Vergabekonzept dem typischen Konzessionsverfahren in einer Kleinstadt. Es geht davon aus, dass der Bieter große Teile der für den Netzbetrieb nötigen Ressourcen vor Ort neu aufbauen muss“, heißt es in dem Papier. Diese Konzeption verkenne allerdings die besondere Situation Berlins. „Da mit der derzeitigen Verfahrenskonzeption insgesamt ein faires, diskriminierungsfreies und transparentes Verfahren nicht gewährleistet werden kann, muss diese neu ausgerichtet werden“, so die Forderung. Andernfalls müsse das Land Berlin mit dem juristischen Vorgehen einzelner Bieter aufgrund der begangenen Rechtsverstöße rechnen.
Ein anderer Punkt ist demnach zentral: die Managementkompetenz des neuen Betreibers. „Kann er die Mannschaft von Vattenfall motivieren und anleiten? Hat er Ideen für einen innovativen Netzbetrieb, kann er Berlins Netz fit machen für den Energiemarkt der Zukunft, fragt Gaßner. Diese Fragen müsse das Konzessionsverfahren stellen.
Als Beispiel führt die Bürgerenergie den Verkauf des Hamburger Netzes an. Nach dem Verkauf des Vattenfall-Netzes an die Stadt Hamburg findet dort derzeit ein vollständiger Betriebsübergang statt. Alle der rund 1.000 Netz-Mitarbeiter und die zugehörigen Betriebsmittel würden auf das Hamburger Unternehmen übertragen. Anders wäre der Netzbetrieb für mehrere Millionen Menschen auch nicht zu gewährleisten, argumentiert Gaßner.
Was ist nun zu tun?
„Wir haben die Koalition aufgefordert, das Verfahren zunächst zu stoppen. Als erstes brauchen wir jetzt eine öffentliche Debatte darüber, welche Kriterien für Berlin sinnvoll sind – und zwar bevor es zu spät ist“, erklärt Luise Neumann-Cosel, Vorstand der Bürgerenergie Berlin. Zusätzlich brauche es faire Wettbewerbsbedingungen. „Als jetziger Netzbetreiber kann Vattenfall in seiner Bewerbung schlicht angeben, seine Mitarbeiter weiter zu beschäftigen. Alle Konkurrenten hingegen sind gezwungen, teure redundante Modelle aufzubauen, wie der Netzbetrieb alternativ organisiert werden könnte“, sagt Neumann-Cosel. Damit habe Vattenfall gegenüber allen Konkurrenten einen gewaltigen Vorteil. (Niels H. Petersen)