Am Anfang stand eine Wette. Drei gegen eine. Die drei Branchengrößen Alois Wobben von Enercon, Frank Asbeck von Solarworld und Ulrich Schmack vom gleichnamigen Unternehmen Schmack Biogas wollten Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) beweisen, dass eine Energieversorgung mit 100 Prozent Ökostrom zuverlässig möglich ist – und auch die Stromnetzstabilität und Systemdienstleistungen von den Erneuerbaren erbracht werden können. Die Kanzlerin und promovierte Physikerin hielt dagegen. Das war im Oktober 2007. Bald darauf startete die erste Phase des Pilotprojekts Kombikraftwerk. Im Dezember 2013, nach Ablauf der zweiten Phase, können die beteiligten Wissenschaftler und Unternehmen die Frage mit einem klaren Ja beantworten. Auch wenn es immer noch weiteren Forschungsbedarf gibt.
Drei Millionen Euro Budget
Systemleistungen für das Stromnetz können künftig auch von Ökostromquellen stammen – zumindest technisch ist das möglich. „Wenn in Zukunft erneuerbare Energien in Kombikraftwerken verknüpft und gesteuert werden, können sie zusammen mit Speichern jederzeit den Bedarf decken und für eine stabile Frequenz und Spannung im Netz sorgen“, resümiert Kurt Rohrig, stellvertretender Institutsleiter des Fraunhofer-Instituts für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES). Unter der Federführung des IWES arbeiteten unter anderem der Deutsche Wetterdienst, der Windanlagenbauer Enercon, Wechselrichterhersteller SMA, das Solarunternehmen Solarworld und der Siemens-Konzern an dem ambitionierten Vorhaben mit. Das Budget in den drei Jahren belief sich auf insgesamt rund drei Millionen Euro, wobei das Bundesumweltministerium das Projekt mit 1,8 Millionen Euro förderte. Die beteiligten Unternehmen gaben immerhin 1,2 Millionen Euro dazu.
Die Partner des Forschungsprojekts Kombikraftwerk 2 haben die Ergebnisse ihrer dreijährigen Arbeit im Dezember 2013 vorgestellt. Sie schlossen diverse Ökostromanlagen zu einem sogenannten virtuellen Kraftwerk zusammen und steuern diese nun zentral von einer Leitwarte in Kassel aus. Ein übertragener Feldtest zeigte unter Echtzeitbedingungen, dass Erneuerbare bereits heute Regelenergie und weitere Systemdienstleistungen wie Blindleistungen für das Stromnetz zur Verfügung stellen können.
Die Forscher schalteten für den Test verschiedene Erneuerbaren-Anlagen mit einer installierten Leistung von mehr als 80 Megawatt zusammen. Darunter zwei Windparks mit 18 beziehungsweise 19 Anlagen, zwölf Photovoltaikanlagen im Raum Kassel und vier Biogasanlagen in Rheinland-Pfalz und Hessen.
Ein Back-up ist nötig
Ein sehr geringer Windertrag von nur einem Achtel der installierten Leistung machte IWES-Projektleiter Kaspar Knorr kurzzeitig etwas Sorgen. Denn die 37 Windenergieanlagen liefern das Gros der Leistung und waren allem Anschein nach kurz davor, abgeregelt zu werden. Das zeigt die derzeitige Achillesferse: Ein Back-up-System von fossilen Kraftwerken ist weiter nötig. Was dem ein oder anderen beteiligten Industriekonzern, der auch Gasturbinen baut, durchaus gelegen kommen mag. Um die nötigen Leistungsreserven vorzuhalten, fahren die Wissenschaftler in dem Szenario Windkraftanlagen über die Rotorstellung gedrosselt und können die Photovoltaikanlagen über die Wechselrichter abregeln. Die Simulationen zeigen, dass ein Kombikraftwerk aus erneuerbarer Erzeugung, Gasturbinen und Speichern innerhalb von Sekunden die nötige Leistung liefern kann. Später könnte die Leistung von Gasturbinen auch von Bioenergie- und Methankraftwerken erbracht werden – und somit aus erneuerbaren Quellen kommen.
Ebenso werden Batterien und andere Speicher eine wichtige Rolle spielen. Gas- und Wärmespeicher oder auch die Möglichkeit, die Tanks von Autos und Nutzfahrzeugen mit einzubeziehen, ist künftig erforderlich – gerade weil im Mobilitätssektor kaum kohlendioxidarme Lösungen in Sicht sind. Beim IWES-Forschungsprojekt steht allerdings vorerst nur der Stromsektor im Fokus. Denn der Anteil von erneuerbaren Energien bezogen auf die Sektoren Strom, Wärme und Mobilität macht insgesamt erst zehn Prozent aus. Auch wenn der Ökostromanteil im Strommix bereits im vergangenen Jahr bei 22 Prozent lag.
133 Gigawatt Photovoltaikleistung
Der virtuelle Energiemix des Forschungsprojekts sieht etwas anders aus: 60 Prozent Windenergie, ein Fünftel Photovoltaik, je ein Zehntel Bioenergie und Geothermie. Angenommen werden 87 Gigawatt Onshore- und 40 Gigawatt Offshore-Windleistung. Bei Photovoltaik sind es sogar 133 Gigawatt installierte Solarpower. Zum Vergleich: Derzeit sind in Deutschland 35 Gigawatt Photovoltaik am Netz. Zudem unterstellten die Forscher den heutigen Stromverbrauch von 532 Terawattstunden, hinzu kommen allerdings Speicherverluste von 69 Terawattstunden.
Im Stromnetz müssen Erzeugung und Verbrauch in jeder Sekunde aufeinander abgestimmt sein. Das ist im Jahr 2050 die Aufgabe der Erneuerbaren. Denn laut Zielen der Bundesregierung sollen dann mindestens 80 Prozent des Energiemixes aus erneuerbaren Stromquellen stammen. Die Stromfrequenz bei 50 Hertz zu halten, spiegelt genau diese Balance von Erzeugung und Verbrauch im Netz wider. Der Ausgleich ist dabei Aufgabe von allen Kraftwerken in Europa zusammen. Die Spannung hingegen ist von der Situation im Netz abhängig, also von der konkreten regionalen Lasterzeugung. Ungleichgewichte müssen durch räumlich nah verfügbare Blindleistung behoben werden, weil diese Systemleistung nicht über längere Entfernungen zu transportieren ist.
Plötzlich fehlen 600 Megawatt
Eine Herausforderung bei der Simulation: Ein plötzlicher Ausfall von 600 Megawatt Leistung, der allerdings ohne Probleme kompensiert werden konnte. Das entspricht in etwa der Leistung eines mittelgroßen Gaskraftwerks. „Die kritische Frequenz von 49,2 Hertz wurde dabei nie unterschritten“, erklärt IWES-Vize Röhrig. Die Erneuerbaren können also genug primäre Regelenergie liefern, um die Spannung im Netz stabil zu halten. Das ist umso wichtiger, da spätestens 2050 die fossilen Kraftwerke nur noch wenige Stunden im Jahr laufen werden.
Dass die Vollversorgung mit Ökostrom technisch möglich ist, freut alle Beteiligten. Doch rechnet sich das auch? Peter Ritter von der Firma Cube Engineering aus Kassel hat sich deshalb im Rahmen des Projekts mit ökonomischen Modellen beschäftigt.
Im Prinzip sieht Ritter unseren Nachbarn im Norden als ein mögliches Beispiel. In Dänemark gibt es bei dem Regelenergiemarkt einen zusätzlichen innertägigen Markt für die Arbeit, also die produzierten Kilowattstunden, ergänzend zu dem für Leistung. Auch ein hoher Anteil von flexiblen Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen (KWK) mit großen Wärmespeichern wie in Dänemark sei hilfreich, so Ritter. „Daher ist das von der Bundesregierung ausgegebene Ziel von 25 Prozent KWK-Strom schon sinnvoll, um entsprechend über Wärmespeicher zu verfügen.“
Eine 14-tägige Windflaute im Winter mit bewölktem Himmel sei allerdings nicht mehr durch kurzfristige Speicher zu decken. Power to Gas, also die Speicherung von Ökostrom in Form von erneuerbarem Wasserstoff oder auch die anschließende Reaktion von Wasserstoff mit Kohlendioxid zu Methan, könnte dafür eine Lösung bieten. Das Erdgasnetz in Deutschland besitzt eine gut ausgebaute Infrastruktur und kann eine enorme Menge an Ökostrom von bis zu 120 elektrischen Terawattstunden aufnehmen. „Besser wäre es dann natürlich, das erneuerbare Gas nicht nur zurückzuverstromen, sondern als Kraftstoff in Fahrzeugen oder zum Heizen in KWK oder Gaskesseln einzusetzen“, erklärt Ritter. Wenig Sinn mache auch die regionale Optimierung für einzelne Städte oder Kommunen oder gar jedes Haus und Unternehmen, sagt Ingenieur Ritter. Ein besserer Ausgleich der Erzeugung und des Verbrauchs ergebe sich automatisch, wenn ein System über ein größeres Gebiet wie Deutschland oder sogar Europa optimiert werde.
Schwierige Prognose
Damit Erneuerbare künftig am Regelenergiemarkt teilnehmen können, müssten die aktuellen Rahmenbedingungen noch angepasst werden, sagt Ritter. Derzeit wird die Regelleistung für ein Vierteljahr vorab bestimmt, und Angebote sind je nach Produkt schon in einem längeren Zeitraum im Voraus abzugeben. Die verfügbare Leistung ist für fluktuierende Erzeuger wegen der kurzfristigen Prognostizierbarkeit kaum berechenbar. Deshalb unterstellt das Kombikraftwerk eine dynamische Bereitstellung von Regelleistung. Diese berechnet sich einen Tag vorher anhand von Einspeiseprognosen. Durch das andere Verfahren ergab sich im Schnitt der gleiche Bedarf an Sekundärregelleistung und Minutenreserve (siehe Glossar) wie heute.
Fazit: Experiment geglückt; Systemdienstleistungen können auch von erneuerbaren Energiequellen kommen. Zur Optimierung des Systems sollten Ökostromanlagen dabei in möglichst hohen Spannungsebenen angeschlossen werden. In unteren Ebenen können stufbare Transformatoren helfen, mehr Blindleistung bereitzustellen. Dies verbessert auch die Spannungshaltung in den Verteilnetzen. Zudem sollte es neben den dezentralen Anlagen auch einige zentrale Kraftwerke wie Solarparks geben. Damit bleibt neben der Erarbeitung von ökonomischen Modellen genügend Forschungsbedarf für das Kombikraftwerk 3 und fortfolgende. Auch für die ein oder andere diesbezügliche Wette reicht es noch. Die Kanzlerin dürfte sich indes scheuen, noch einmal gegen die Erneuerbaren zu setzen.
Kombikraftwerk 2
Zahlen und Beteiligte
- Projektvolumen: 3.053 Millionen Euro
- Fördersumme: 1.810 Millionen Euro
- Private Mittel: 1.243 Millionen Euro
- Laufzeit: drei Jahre
- Projektende: Dezember 2013
- Beteiligt: Deutscher Wetterdienst, Enercon, Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES), Ökobit, Leibniz Universität Hannover, Siemens, SMA Solar Technology, Solarworld, Agentur für Erneuerbare Energien
Aus der Forschung
Kombikraftwerk I
Das nun abgeschlossene Projekt Kombikraftwerk 2 baut auf dem schon 2007 begonnenen Projekt Kombikraftwerk 1 auf. Beide Forschungsvorhaben liefen über drei Jahre. Bei ersterem untersuchten die Wissenschaftler die Machbarkeit einer vollständig auf erneuerbaren Quellen aufbauenden Stromversorgung. Mit Erfolg: „Der Strombedarf konnte komplett gedeckt werden“, sagt Kurt Rohrig, Leiter beider Projekte am Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES). Offen blieben die Systemdienstleistungen für Regelleistung und Blindleistung. Die Frage, in welchem Umfang Erneuerbare Systemdienstleistungen bereitstellen können, stand im Mittelpunkt des Nachfolgeprojekts.
Das erste Kombikraftwerk vernetzte 36 über ganz Deutschland verteilte Ökostromkraftwerke: 11 Windanlagen, 4 Biogas- und 20 Solaranlagen sowie ein Pumpspeicherkraftwerk wurden durch eine zentrale Steuerungseinheit miteinander verbunden. Diese Kraftwerke deckten ein Zehntausendstel des deutschen Strombedarfs ab – dies entspricht dem Strombedarf von 12.000 Haushalten oder einer Stadt so groß wie Schwäbisch Hall.
Das Kombikraftwerk zeigt so im Kleinen, was auch im Großen möglich werden muss: eine Vollversorgung durch erneuerbare Energien – zu jeder Zeit.
Glossar
Termini der Netzreserven
Um die Normalfrequenz von 50 Hertz im bundesdeutschen Stromnetz jederzeit halten zu können, benötigen die vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber Amprion, 50 Hertz, Tennet und Transnet BW ein Werkzeug, das unvorhergesehene Schwankungen in Sekundenschnelle ausgleichen kann. Dieses Werkzeug ist die Primärreserve, die innerhalb von 30 Sekunden verfügbar sein muss, um einen Stromausfall zu verhindern.
Die Sekundärreserve muss innerhalb von fünf Minuten bereitgestellt werden. Sie wird bisher zumeist von gut regelbaren und vollautomatisch schaltbaren Kraftwerken, wie Pumpspeicherkraftwerken oder Gasturbinen, bereitgestellt. Neuerdings kommt die Leistung allerdings auch aus virtuellen Kraftwerken von Biogasanlagen oder Blockheizkraftwerken.
Bei länger andauernden Netzschwankungen von mehr als 15 Minuten wird die Sekundärreserve von der Minutenreverse abgelöst. Mit dem Einsatz der Minutenreserveleistung wird die Netzfrequenz gestützt, wenn sie signifikant unter 50 Hertz sinkt oder über 50 Hertz steigt. Die Minutenreserve wird in positive und negative unterteilt. Die positive Minutenreserve ist die Reservekapazität, die im Notfall eine Unterproduktion auf dem deutschen Strommarkt abfedert und Strom einspeist. Bei einer negativen Minutenreserve ist zu viel Strom bei zu wenig Nachfrage im Netz vorhanden.