Das Hochwasser im Westen Europas bedroht auch die Atomkraftwerke an der Maas, die den Meilern das Kühlwasser bringt. Das Umweltinstitut in München fordert eine sofortige Abschaltung der gefährdeten Reaktoren.
Aktuell ist die Lage am AKW Tihange in Belgien kritisch: Die Maas führte bis vor kurzem ein Hochwasser bis 2.140 Kubikmeter pro Sekunde. Für den Hochwasserschutz wurde ein historisches Bemessungshochwasser aus dem Jahre 1926 mit 1.862 Kubikmeter pro Sekunde herangezogen und ein Sicherheitspuffer von 20 Prozent auf 2.234 Kubikmeter pro Sekunde angesetzt.
Maas könnte Reaktoren fluten
Das aktuelle Hochwasser übersteigt das „Jahrtausendhochwasser“ von 1926 damit deutlich. Mit dieser Auslegung wäre die Anlage nur knapp an einer Überflutung des Geländes vorbeigeschrammt. Bei einer Flutung eines AKW-Geländes sind unerwartete Ausfälle, insbesondere an elektrischen Einrichtungen, nicht auszuschließen. Zudem würde im Störfall der Zugang durch Rettungskräfte durch das Hochwasser stark behindert oder unmöglich.
In Reaktion auf die Atomkatastrophe im japanischen Fukushima Daichi im Jahr 2011, das von einem Tsunami geflutet wurde, wurde die Flutmauer in Tihange zwar erhöht. Dies reicht für künftig erwartbare Hochwasser jedoch nicht aus.
Auch in Doel reichen die Reserven nicht
Die in den Stresstests nach Fukushima geforderte Auslegung auf bis zu 3.500 Kubikmeter pro Sekunde Durchfluss der Maas wurde aus unbekannten Gründen zurückgefahren. Somit besteht die Gefahr durch Hochwasser am AKW Tihange fort. Aktuell scheint der Zenit des Maas-Hochwassers überschritten. Nach Auskunft der belgischen Aufsichtsbehörde FANC auf Twitter ist dennoch weiterhin erhöhte Wachsamkeit nötig.
Auch der zweite AKW-Standort in Belgien, das AKW Doel, ist unzureichend gegen extreme Regenfälle geschützt: In der Vergangenheit hat das Drainagesystem bereits versagt. Auf diesen Umstand hat das Umweltinstitut erst kürzlich im Rahmen einer Umweltverträglichkeitsprüfung zur Laufzeitverlängerung der AKW Doel 1 & 2 hingewiesen.
Deutsche AKW akut gefährdet
Auch in Deutschland ist der Hochwasserschutz an vielen Atomkraftwerken unzureichend: Laut der Sicherheitsüberprüfung der Reaktorsicherheitskommission von 2011 haben lediglich die AKW Emsland und Isar-2 das Robustheitslevel 1 erreicht – alle übrigen Standorte nicht.
Insbesondere das AKW Grohnde wäre bereits beim Erreichen des Bemessungshochwassers um 80 Zentimeter überflutet. Beim AKW Gundremmingen beträgt der Spielraum zwischen dem angesetzten Bemessungshochwasser und der Anlagenauslegung nur acht Zentimeter.
Diese Sicherheitsreserve ist unzureichend. Eine Flutung des AKW-Geländes erschwert den Zugang zur Anlage im Störfall. Unerwartete Ausfälle, insbesondere von elektrischen Einrichtungen, wären auch in deutschen AKW nicht auszuschließen. „Die aktuellen Extremwetter führen zu menschlichen Tragödien, wenn Betroffene Ihr Hab und Gut, Ihr Leben oder Ihre Angehörigen verlieren. Wir sind mit unseren Gedanken bei den Betroffenen“, sagt Hauke Doerk, Referent für Radioaktivität am Umweltinstitut. „Unerwartet starke Hochwasser könnten zu einem zweiten Fukushima in Europa führen. Die Klimakrise verschärft das nukleare Risiko weiter. Wir fordern, die hochwassergefährdeten Atomkraftwerke sofort vom Netz zu nehmen und verstärkt in ein erneuerbares Energiesystem zu investieren, welches sowohl die Folgen der Klimakrise abmildert als auch sicher zu betreiben ist.“ (HS)
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