Der Speichermarkt entwickelt sich gut, zumindest in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Wie bewerten Sie die Dynamik im Jahr 2016?
Herbert Schein: Bis 2015 hatten wir die beiden Speichersysteme Varta Home und Varta Family im Markt, beide im Premiumsegment angesiedelt. Mit unserem neuen Varta Element kommen nun die Stückzahlen, weil er preislich attraktiver und besser als Einstiegsmodell geeignet ist. Seit der Intersolar im Juni zieht der Markt auch für uns deutlich an. Unser Ziel ist es, in Europa zu den drei wichtigsten Anbietern zu gehören.
Welche Märkte außerhalb des DACH-Raumes sehen Sie als besonders interessant an?
Australien entwickelt sich sehr gut, und Italien kommt in Bewegung. In diesen beiden Märkten wollen wir kurzfristig einsteigen und unsere Umsätze ausbauen. Chancen sehen wir auch im US-Markt.
Im November hat die Varta AG einen Börsengang angekündigt, der später verschoben wurde. Was hat es damit auf sich?
Die Varta AG ist die Dachgesellschaft der Varta Microbattery GmbH und der Varta Storage GmbH. Das Geschäftsfeld und das Werk für die Mikrobatterien befindet sich in Ellwangen. Varta Storage fertigt die Heimspeicher in Nördlingen. Wir wollen frisches Geld einwerben. Denn wir erwarten in beiden Märkten enorme Zuwächse.
Auf den ersten Blick passt das nur schwer zusammen: Mikrobatterien und große Stromspeicher für Gebäude. Erläutern Sie uns bitte Ihre Strategie?
Zunächst einmal: Wir produzieren weltweit rund 900 Millionen Mikrobatterien im Jahr, vor allem für Hörgeräte, schnurlose Kopfhörer, Uhren oder Heizkostenverteiler. Dieses Geschäft ist global sehr stark gewachsen, weil die Menschen beispielsweise immer älter werden. Bei den Microbatteries sind wir Weltmarktführer, das Ebitda lag 2015 bei mehr als 18 Prozent. Wir fertigen die Lithiumzellen und Zink-Luft-Zellen auf vollautomatisierten Linien. Das bedeutet, wir vereinen eine hohe Kompetenz in der Elektrochemie der Batterie mit einzigartiger Kompetenz in der Fertigungstechnik. Denn die wichtigsten Maschinen konstruieren und bauen wir selbst.
Wie wichtig ist die Kompetenz in der Chemie?
Die Elektrochemie der Lithiumzellen ist sehr komplex, rund 150 Parameter fließen ein. Das ist unser Vorteil, neben der Erfahrung aus mehr als 125 Jahren Firmengeschichte als Batteriehersteller. Etwa 50 Millionen Euro wollen wir in eine neue, vollautomatisierte Fabrik für Mikrobatterien investieren.
Und wie schlagen Sie die Brücke ins Geschäft der Heimspeicher?
Varta Storage ist das zweite Standbein der Varta AG. Dort fertigen und vertreiben wir die Heimspeicher, mit den drei Produkten Element, Home und Family. Die Zellen kaufen wir in Asien ein. In diesem Tochterunternehmen bündeln wir auch alle Aktivitäten bei den sogenannten Power Packs.
Was versteht man unter Power Packs?
Das sind autonome Energiezellen, wie sie für humanoide Roboter, schnurlose Geräte in der Kommunikationstechnik oder in der Medizintechnik benötigt werden. Die Energieversorgung der Roboter und Geräte wird künftig schnurlos erfolgen, deshalb erwarten wir bei den Power Packs deutliche Zuwächse. Man braucht sie bei Oktokoptern, für die Heckenschere im Garten oder für viele, viele andere Anwendungen.
Und bei den stationären Heimspeichern?
Dieser Markt wächst sehr stark, das wissen Sie. Wir haben uns die Entwicklung sehr genau angesehen und wollen auch in diesem Segment deutlich wachsen. Das könnten wir durch Zukäufe von Kapazitäten machen. Auch werden wir Geld in voll automatisierte Batteriefabriken für Heimspeicher und Power Packs investieren. Daran erkennen Sie, dass wir auch in diesem Wachstumsfeld unsere beiden wichtigsten Stärken ausspielen wollen: Kompetenz in der Chemie und in der Fertigung. Das ist bei uns eng verbunden. Und vergessen Sie nicht: Varta ist bereits in 75 Ländern aktiv.
Also wollen Sie ganz große Brötchen backen?
Wir wollen die Speicherprodukte automatisiert fertigen, mit höchster Präzision und Qualität, aber zu geringen Kosten. Nur dann können wir die Märkte weiter öffnen, mit sinkenden Preisen. Es geht darum, unsere Werke in Nördlingen, Shanghai, Rumänien und Indonesien auf weitgehend automatisierte Prozesse umzustellen. Um solche Skaleneffekte zu erreichen, müssen wir unsere Marktanteile steigern. Deshalb planen wir Zukäufe, dafür brauchen wir das Geld aus dem Börsengang. In den vergangenen drei Jahren ist die Varta AG pro Jahr um zehn Prozent gewachsen, beim Ebitda um rund 20 Prozent.
Das Interview führte Heiko Schwarzburger.
Herbert Schein
ist Geschäftsführer der weltweit operierenden Varta Microbattery GmbH und der Varta Storage GmbH. Schein blickt auf ein Vierteljahrhundert in der Batterietechnik zurück. Zunächst begann er als Elektroingenieur bei Philips, wo er sich mit elektronischen Speichern beschäftigte. Bei Varta widmete er sich elektrochemischen Energiespeichern, ihren Applikationen und dem Marketing. Danach war er als Produktmanager für Akkupacks tätig, die seinerzeit noch sehr unhandlichen Batteriepakete für Funktelefone. Durch seine Tätigkeiten in Hongkong kennt er auch den asiatischen Markt sehr gut. Seit fast zehn Jahren ist er für die gesamte weltweite Unternehmensgruppe verantwortlich.
Varta AG
1.000 Millionen Batteriezellen im Jahr
Zur Unternehmensgruppe der Varta AG gehört die Varta Microbattery GmbH mit Sitz in Ellwangen. Auf rund 40.000 Quadratmetern Produktionsfläche werden alle Batterien, außer stationären Speichern, hergestellt, zum Beispiel die Mikrobatterien für Hörgeräte. In Ellwangen befindet sich zudem die Forschung und Entwicklung sowie eine kleine Ausstellung zur Firmengeschichte. Am Hauptstandort sind rund 760 Mitarbeiter beschäftigt. Varta gehört zur Montana Tech Components AG.
Mittlerweile kann Varta auf mehr als 125 Jahre Erfahrung in der Batterietechnik zurückblicken. Das Unternehmen begann mit Blei-Säure-Batterien, später kamen andere Bautypen hinzu. Die Firma lieferte Batterien für Flugzeuge, U-Boote, Ozeanliner, für Kliniken und andere Notstromanwendungen. Eine Batterie von Varta steckte in der Kamera, die Neil Armstrong bei seinem Besuch auf dem Mond begleitete. Bei Varta wurde auch die erste wiederaufladbare Batterie für Hörgeräte entwickelt. Derzeit stellt das Unternehmen jedes Jahr rund 1.000 Millionen Batteriezellen her, über alle Leistungsgrößen hinweg.
Die jüngste Tochterfirma der Gruppe ist die Varta Storage GmbH, deren Werk sich in Nördlingen befindet. In dieser Fabrik werden die stationären Heimspeicher Family, Home, Element und die kommerziellen Speicher der Bauserie Varta Flex Storage gefertigt. Dort sind etwa 100 Mitarbeiter beschäftigt.