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Zukünftige Stromnetze 2024: Netzstabilität als Wettbewerbsvorteil

Die gute Nachricht vorweg: Der Bahnstreik in dieser Woche konnte der Tagung Zukünftige Stromnetze in Berlin nichts anhaben. Die meisten der 160 Teilnehmer waren vor Ort präsent und füllten den Saal des Novotels am Tiergarten gut aus. Rund ein Viertel der Teilnehmer sowie der ein oder andere Referent waren online zugeschaltet. Nur einige Reisende, meist aus dem Südwesten der Republik , mussten auf eine Online-Teilnahme ausweichen. Das hat der Veranstalter Conexio-PSE technisch gut gelöst.

Ein Wettbewerbsvorteil für Deutschland

Philipp Nimmermann, der neue Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), eröffnete und zog Bilanz. Er folgte im Sommer 2023 auf Patrick Graichen, der seinen Posten räumen musste. Industrie und auch Verbraucher erfahren hierzulande eine sehr hohe Stromqualität bei sehr geringen Ausfallzeiten. Für Nimmermann ist das ein absolut unterschätzter Wettbewerbsvorteil für Deutschland im Vergleich mit anderen Ländern. Einer, über den noch zu wenig gesprochen wird.

Denn die Dezentralisierung der Stromversorgung erhöht die Resilienz. Das beweist die Statistik der Netzausfälle, die von der Bundesnetzagentur jährlich ausgewertet werden. In 2022 sind die Netzausfälle bundesweit zurückgegangen. Nur 12,2 Minuten war das Stromnetz im Schnitt für die Letztverbraucher nicht verfügbar. Ein Jahr zuvor waren es noch 12,7 Minuten. Trotz dieser guten Nachrichten müsse der Netzausbau weiter beschleunigt werden.

Notfallverordnung beschleunigt 7.000 Kilometer Netzausbau

Immer mehr Solaranlagen werden in den Verteilnetzen angeschlossen – wie hier bei Eon-Tochter Westnetz.

nhp

Immer mehr Solaranlagen werden in den Verteilnetzen angeschlossen – wie hier bei Eon-Tochter Westnetz.

Durch die sogenannte EU-Notfallverordnung kann befristet auf eine Umweltverträglichkeits- und Artenschutzprüfung verzichtet werden. Dies sorge schon jetzt für eine Beschleunigung beim Netzausbau. Momentan wurden rund 7.000 Kilometer Stromleitungen dafür identifiziert. „Dadurch lassen sich zwei bis drei Jahre im Genehmigungsverfahren sowie auch Kosten für Planung, Genehmigung und für den Redispatch einsparen“, betont Nimmermann. Auch der Ausbau der Windkraft werde davon enorm profitieren. Allerdings findet die Energiewende größtenteils in den Verteilnetzen statt, wo Wärmepumpen und Photovoltaikanlagen angeschlossen werden.  

Das Hochschnellen der Netzanschlussbegehren von Photovoltaikbetreibern und Projektierern überfordert schon heute viele Verteilnetzbetreiber. Gegenüber 2021 ist die Anzahl der Netzanschlussanfragen für Solaranlagen im Verteilnetz um 240 Prozent auf rund 800.000 gestiegen. Immer mehr Anfragen für Netzanschlüsse treffen so auf immer engere Kapazitäten der Netzbetreiber. Viele der aktuellen Prozesse sind noch ineffizient, wenig digitalisiert und uneinheitlich. Die Konsequenzen werden sowohl im physischen Netz spürbar als auch bei bearbeitenden Prozessen und Strukturen. Fristüberschreitungen bei Anträgen und Planungsunsicherheiten sind die Folge und die Regel, heißt es in einer aktuellen Studie des PV Think Tank

Der Plan: Roadmap Systemstabilität

Die Zubaupläne der Bundesregierung sind ehrgeizig. Das Stromsystem muss in Deutschland etwa 2035 weitgehend klimaneutral sein, damit alle übrigen Sektoren bis 2045 klimaneutral werden können. Bis 2030 sollen 360 Gigawatt an Ökostromanlagen am Netz sein, 215 Gigawatt davon sollen Photovoltaikanlagen bereitstellen, die meist auf Verteilnetzebene angeschlossen werden.

Diese Veränderung in der Erzeugungsstruktur hat auch Einfluss auf den Betrieb des Stromnetzes. Die Ökostromanlagen sind im Vergleich zu konventionellen Kraftwerken in der Regel im Verteilnetz und über Wechselrichter ans Stromnetz angeschlossen. „Daraus ergeben sich andere Anforderungen, aber auch neue Möglichkeiten, um einen sicheren und robusten Netzbetrieb zu gewährleisten“, betont Alexander Folz, Regierungsdirektor im BMWK. Er hat zusammen mit 80 Institutionen und in rund 70 Sitzungen die Roadmap Systemstabilität erarbeitet – und Ende 2023 veröffentlicht.

Feste Vergütung für Momentanreserve geplant

Für einen sicheren Betrieb des Stromnetzes spielen die sogenannten Systemdienstleistungen eine zentrale Rolle. Dazu zählen die Regelung von Frequenz und Spannung des Wechselstroms durch Bereitstellung von Blindleistung. Zudem stellen die Synchrongeneratoren konventioneller Kraftwerke neben dem erzeugten Strom auch eine Trägheitskomponente bereit, die stabilisierend auf Frequenzänderungen im Stromsystem wirkt. Fachleute sprechen von der Momentanreserve, die nicht zur Regelenergie gehört. Das Ausscheiden konventioneller Kohle- und Gaskraftwerke hat somit zur Folge, dass deren stabilisierende Eigenschaften zukünftig alternativ erbracht werden müssen.

Erneuerbare Stromerzeugungsanlagen sowie andere Anlagen wie Speicher und Ladeeinrichtungen für E-Autos oder Anlagen der Netzbetreiber müssen hierfür weiterentwickelt werden und diese Aufgaben übernehmen. Schon im nächsten Jahr soll es voraussichtlich Ausschreibungen für Blindleistung geben. Für die Momentanreserve solle es hingehen eine feste Vergütung geben – ähnlich wie bei der Einspeisevergütung nach dem EEG 1.0, sagt Folz. Die Teilnehmer zeigen sich sehr zufrieden mit dieser Aussicht. Neue Businessmodelle für Systemstabilität stehen nun jedenfalls in den Startlöchern. (nhp)

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