Berlin Adlershof vor zehn Jahren. Zwischen alten und neuen Forschungseinrichtungen entstehen gerade die ersten zarten Triebe einer neuen Industrie. Mittendrin Klaus Thiessen, der bis dahin Vorsitzender der Gesellschaft zur Förderung der angewandten Optik, Optoelektronik, Quantenelektronik und Spektroskopie war. „Wir erheben ja den Anspruch, dass wir der bedeutendste Technologiepark Deutschlands sind, dann müssen wir auch mit gutem Beispiel vorangehen und Photovoltaik nutzen“, sagt er. Dass er sich erst nach seiner Pensionierung der Förderung der Solartechnik mit solch einer Energie verschreiben würde, die viele Berufstätige vor Neid erblassen lassen kann, war zu Anfang seiner Karriere nicht absehbar. Sie begann nach dem Krieg in sowjetischen Labors, in denen die Atombombe entwickelt wurde.
Nach dem Zweiten Weltkrieg ging sein Vater auf die Empfehlung von Manfred von Ardenne, Fernsehtechnikpionier und einer der großen Naturwissenschaftler, nach Suchumi am Schwarzen Meer, um sich an der sowjetischen Atombombenforschung zu beteiligen. Klaus Thiessen arbeitete dann als Laborant an der dazu notwendigen Isotopentrennung. Eigentlich hatte er daraufhin Kernphysik studieren wollen, „da ich jetzt auch etwas für die friedliche Nutzung der damals neuen Technik tun wollte“, was ihm aber als Ausländer in Moskau verweigert wurde. So kam er aufgrund eines Verbots zur Halbleiterphysik. „Darüber freue ich mich täglich“, sagt er. Dass er seine Karriere in einem Kernforschungslabor begann, macht ihn zu einem umso stärkeren Gegner der Kernkraft. „Die Gefahren werden schamlos bagatellisiert, ein zweites Tschernobyl ist jederzeit möglich.“ Ein Grund mehr, sich für seine neue Mission einzusetzen.
„Seit 1960 beschäftige ich mich mit Photovoltaik, damals war das reine Grundlagenforschung bei der Akademie der Wissenschaften“, erzählt er. Er und seine Berliner Kollegen fanden zeitgleich mit zwei anderen Gruppen heraus, dass Halbleiter auch Licht niedriger Wellenlänge verwerten können, von dem man dachte, dass es zu wenig Energie habe. Nutzbar ist der Effekt bisher nicht. Allerdings existiert seit kurzem ein EU-Forschungsprojekt, das der Sache noch einmal auf den Grund geht.
Siliziummangel in der DDR
Thiessen war Anfang der 70er Jahre der Meinung, dass sich die DDR Photovoltaik nicht leisten könne, da sie durch das in Freiberg gewonnene Silizium nicht einmal genug Rohstoff für die Mikroelektronik hatte. Gleichzeitig wollte er etwas machen, wo auch etwas herauskommt: Er wechselte konsequenterweise in die optoelektronische Industrie und entwickelte als Forschungsleiter im Werk für Fernsehelektronik Lichtemitterdioden, die nach dem umgedrehten Prinzip der Photovoltaikzellen funktionieren. Auch in dem Werk hielt es ihn nur zehn Jahre. Als sich abzeichnete, dass die Bildröhren gegenüber den optoelektronischen Bauelementen gewinnen würden, wechselte er zurück an die Akademie der Wissenschaften und war dort stellvertretender Direktor am Zentralinstitut für Optik und Spektroskopie der Akademie der Wissenschaften der DDR. Ab 1970 hielt der Professor Vorlesungen an der Technischen Hochschule in Chemnitz. Nach der Wende gründete er dann die Gesellschaft zur Förderung der angewandten Optik, Optoelektronik, Quantenelektronik und Spektroskopie.
Etwa seit er 1992 in den Ruhestand ging, widmet sich der Physiker intensiv seiner neuen Mission: Photovoltaik für Adlershofer Dächer, möglichst aus verschiedenen Materialien, um Erfahrungen zu sammeln.
Das geht zum Beispiel so: Er bekommt mit, dass das Gebäude des Photonik-Zentrums saniert wird und die Dacharbeiten ausgeschrieben sind. Er stellt den Kontakt zu einem Handwerksbetrieb her und denkt gleichzeitig an einen Freund, den er 1970 auf einer Tagung in den USA kennen gelernt hat. Klaus Thiessen durfte nämlich auch zu Zeiten des eisernen Vorhangs reisen. Der Freund heißt Stan Oshinsky und ist inzwischen bekannt und mächtig. Er hat die Firma Energy Conversion Devices in Chicago mit gegründet, die die bekannten Unisolarmodule herstellt. Heute produziert eine 46-Kilowatt-Anlage mit den Unisolarmodulen auf dem Dach Strom zum Nutzen aller. So ging es immer weiter. Thiessen hält Augen und Ohren offen, um neue Flächen für Photovoltaik auszumachen, er überzeugt Eigentümer und Verwaltungen, und er lässt seine Kontakte spielen, um günstige Lösungen zu ermögliche
Seine Kontakte reichen dabei um die ganze Welt. Als er vergangenes Jahr seinen 80. Geburtstag feierte, hielt der russische Nobelpreisträger Zhores Alferov einen Vortrag auf dem Festkolloquium. Am renommierten Joffe-Institut für Energietechnik in Sankt-Petersburg, wo Alferov forscht, ist Klaus Thiessen ein guter Bekannter. Auch eine Anlage mit so genannten Konzentratorzellen aus dem Joffe-Institut hat er nach Adlershof gebracht. Ihr Wirkungsgrad liegt deutlich über 30 Prozent. Zusammen mit der Münchner Firma Solartec ist das Joffe-Institut an der Entwicklung eines marktfähigen Produkts beteiligt. Klaus Thiessen hat auch dabei seine Finger im Spiel: Er sitzt im Aufsichtsrat der Firma.
Die Konzentratoranlage in Adlershof wird den Erwartungen allerdings bisher nicht gerecht. „Sobald die Sonne nicht richtig scheint, kommt gar nichts raus“, sagt Klaus Thiessen. Er will das Modul daher demnächst zum Test an einen günstigeren Sonnenstandort, etwa ans Schwarze Meer, schicken. Man müsse sich das vorstellen wie bei einem Brennglas, meint Thiessen, da sei ohne direkte Sonneneinstrahlung auch nichts zu machen.
Seine Kontakte nutzt er nicht nur für Adlershof, sondern auch in umgekehrte Richtung. Kaum war das Gesetz zur Förderung der erneuerbaren Energien in Deutschland verabschiedet, schickte er eine russische Übersetzung an Alferov, der das Gesetz der Duma vorstellte. „Aber der Vorschlag ist dann leider in den Schubladen der Administration verschwunden“, sagt Thiessen. Dort fehlten entsprechende politische Weichenstellungen, Russland vertraue darauf, mit heimischem Erdöl und Erdgas gut versorgt zu sein.
Dabei gab es in Russland frühzeitig marktreife Produkte auch für den terrestrischen Gebrauch, da dort Zellen für die Raumfahrt entwickelt wurden, während die Entwicklung in Deutschland noch in den Kinderschuhen steckte. Heute seien russische Solarmodule keine kostengünstigere Alternative, daher seien sie in Deutschland eher unbekannt. „Es gibt aber zwei Hersteller, die man ernst nehmen muss“, sagt Thiessen. Das ist die Firma Solarwind aus Krasnodar und die Firma Kvant aus Moskau. Beide haben ihren Ursprung in der Produktion von Solarmodulen für die Raumfahrt. Der Firmenname Kvant kann sowohl als russisch für „Quant“ als auch als Anspielung auf die gleichnamigen Forschungsmodule gelesen werden, die an die Raumstation Mir andockten. Solarwind wirbt damit, dass seine Wissenschaftler und Ingenieure Solarsysteme für das Weltall entwickelt haben. Heute produziert das Unternehmen monokristalline Zellen, ein Schwerpunkt liegt auf bifacialen Modulen. Zusammen mit Norak Data aus Spanien bildet es die Unternehmensgruppe Solar Wind Europe, die sich am europäischen und speziell am spanischen Markt orientiert. Auch auf seinem eigenen Haus hat der Physikprofessor etwa zehn Quadratmeter russische bifaciale Module installiert. „Ich bin mit dem Hersteller gut befreundet, und die russischen Module waren damals billiger“, erklärt er die ungewöhnliche Herkunft.
15 Anlagen in Adlershof
In Adlershof zeigen Thiessens Bemühungen inzwischen deutliche Erfolge. Etwa 15 Solaranlagen mit rund 450 Kilowatt wurden dort in den vergangenen Jahren installiert, zu einem großen Teil dank seiner Initiative. Zufrieden ist er damit noch nicht. Es wäre spielend die doppelte Menge möglich. Doch an einige Flächen kommt er nicht heran, da es auch in der Wissenschaftlergemeinde Skeptiker des Solarstroms gibt. Hier wie anderswo leistet er weiter Überzeugungsarbeit. Erst im April organisierte der 80-Jährige eine Photovoltaikkonferenz in Sankt Petersburg, und kurz darauf hielt er einen Vortrag an einem Photovoltaik-Forschungszentrum in China, das gerade aufgebaut wird. Es geht ihm natürlich nicht nur um die Dächer, sondern um die Entwicklung der Solarbranche im Allgemeinen und in Adlershof im Besonderen. Der Ruhestand ist für ihn noch lange kein Grund, kürzerzutreten, im Gegenteil, er habe noch nie so viel gearbeitet wie jetzt.