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Auf der Sonnenbahn

Okay, wir haben das Oktoberfest. Franz Beckenbauer. Die Loreley. Doch so richtig grün vor Neid werden die Menschen im Ausland erst, wenn sie an unsere 12.500 Kilometer lange Autobahn denken, große Teile davon ohne Tempolimit: Mit 190 durch die norddeutsche Tiefebene brettern – das ist toll, davon schwärmen Neil aus Nashville und Liam aus Leeds, wenn sie am heimischen Tresen von ihren Deutschlandreisen erzählen. Da kann Ludwigs Märchengrotte im Schloss Neuschwanstein einpacken.

Doch seit einigen Jahren haben unsere Autobahnen in Sachen Auslandsattraktivität Konkurrenz bekommen: Erneuerbare Energien made in Germany sind cool jenseits unserer Grenzen. Zumindest überall dort, wo es um Klimawandel, nachhaltiges Wirtschaften und die Zukunft der Energieversorgung geht.

Warum also nicht einfach die – neben unserer Wurstvielfalt – wichtigsten „Assets“ des Landes kombinieren? Etwa indem wir über den Autobahnen Photovoltaikmodule montieren? Wenn wir es hinkriegen, die libysche Wüste zwischen Marzuq und Tmassah mit Solarthermiekraftwerken zu pflastern, dann sollte es doch ein Kinderspiel sein, die A3 zwischen Schlüsselfeld und Geiselwind (und auch die restlichen 12.480 Autobahnkilometer) mit PV zu überdachen! Was wäre das für eine Attraktion im Ausland. Und um das Touristenglück perfekt zu machen, könnte die Autobahnraststätte Steigerwald den High-Speed-Freaks und Solarinteressierten dann Bratwürste servieren.

Neu ist die Idee der Solarautobahn nicht: Schon 1984 hatte der heute 82-jährige Karlheinz Schulz ein solches Konzept zum Patent angemeldet. Der Dresdner Auto(sic!)-Didakt Frank Lessing hat diesen Ansatz jetzt aufgegriffen und konkretisiert: Er schlägt vor, im Laufe von 20 Jahren die Hälfte aller deutschen Autobahnen sowie der Bundes- und Fernstraßen mit Photovoltaikmodulen zu versehen, die mittels eines sechs Meter hohen Tragesystems aufgeständert werden. Auf dieser Fläche, die der Größe Berlins entspricht, könnten jährlich 76 Terawattstunden Strom produziert werden, was den Bedarf von 60 Millionen Menschen decken würde. Lessing hat ausgerechnet, dass dazu jedes Jahr 18 Milliarden Euro investiert werden müssten. Um dies zu finanzieren, schlägt der 59-Jährige eine Art „Volksaktienmodell“ vor, das bei einem Strompreis von 25 Cent pro Kilowattstunde eine Rendite von sechs Prozent abwerfen soll.

Auch für die Verteilung der Energie hat Lessing eine Lösung gefunden: In einer frühen Ausbaustufe kann das bestehende Netz die produzierte Energie aufnehmen. Später könnten dezentrale Speicher Asymmetrien zwischen Stromangebot und -nachfrage ausgleichen. Zudem sollen Elektroautos den Strom nutzen; Lessing denkt hier an eine induktive Energieübertragung, bei der Sendspulen in der Dachkonstruktion die Energie berührungslos an die Autos übertragen. „Die Sonnenbahn ist Ölfeld, Pipeline, Raffinerie und Tankstelle – alles in einem“, sagt Frank Lessing.

Scott Brusaw aus dem US-Bundesstaat Idaho will sogar noch einen Schritt weitergehen. Bei ihm kommt die Photovoltaik unter die Räder: Er arbeitet mit seiner Firma Solarroadways an Modulen, die als Straßenbelag verwendet werden können. Eine schützende Glasschicht soll dem Gewicht von LKWs standhalten und auch bei Regen genug Griff geben. Der Strom könnte dann direkt in die Gebäude fließen, die entlang der Straße liegen. Wenn alle asphaltierten Straßen und Parkplätze der USA mit diesen Modulen gepflastert werden, sei es möglich, drei Mal so viel Energie zu produzieren, wie landesweit verbraucht wird.

Nun gut. Auch James Watt stieß auf Unglauben und Ablehnung, als er damals erklärte, er habe da so eine Idee – es gehe um Dampf und Baumwollspinnereien. Und Desertec galt jahrzehntelang als Träumerei grüner Idealisten. Vielleicht werden unsere Enkel Frank Lessing und Scott Brusaw ja einst als Energie-Helden feiern.

Ralph Diermann

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