Auf den Nutzflächen der Hofgemeinde Heggelbach am Bodensee wurde im September 2016 die erste Testanlage für Agrophotovoltaik in Betrieb genommen. In fünf Metern Höhe wurden insgesamt 194 Kilowatt Solarmodule installiert. Zum Einsatz kamen bifaziale Module von Solarworld.
Die Unterkonstruktion stammt vom österreichischen Anbieter Hilber Solar. 95 Prozent der Bodenfläche unter den Modulen sind landwirtschaftlich nutzbar. Das Moduldach ist 25 Meter breit und 136 Meter lang. Die Projektierung erfolgte durch Baywa r.e., die auch die Betriebsüberwachung erledigen. So hat es 35 Jahre gedauert, bis eine alte Idee von Adolf Goetzberger umgesetzt wurde.
Eine Vision wurde zur Tat
Schon 1981 hatte Goetzberger in einem Vortrag die Vision propagiert, Ackerflächen zu nutzen, um Energie doppelt zu ernten: in Form von Sonnenstrom und in Form von Lebensmitteln. Nun wurde die Vision umgesetzt. Die Stützen der Tragkonstruktion in Heggelbach stehen weit genug auseinander, um landwirtschaftlichen Maschinen wie Traktoren oder Mähdreschern ausreichend Durchfahrt zu erlauben. „Auf diese Weise entschärfen wir den Nutzungskonflikt auf der Fläche“, erläutert Tabea Obergfell.
Seit fünf Jahren ist sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fraunhofer ISE in Freiburg beschäftigt, zuvor hat sie in Tübingen und Kassel studiert. Sie gehört zum Projektteam, das die Idee Goetzbergers aufgriff und in die Tat umsetzte. „So kann es gelingen, die Energiekosten der Landwirte zu senken. Sie können den Strom sogar an die Nachbarn verkaufen.“
Zwar steht die Pilotanlage am Bodensee, doch der eigentliche Zielmarkt liegt viel weiter im Süden. „Die Solarmodule verschatten den Boden teilweise“, erläutert die Forscherin. „Das macht Landwirtschaft in sehr trockenen und heißen Regionen überhaupt erst möglich.“
Rettung vor der Austrocknung
Weite Gebiete der Erde sind von Austrocknung und damit einhergehender Versalzung der Böden bedroht. Der Klimawandel verschärft diesen Effekt, die Wüsten breiten sich aus. Bei der grellen Sonne in den Breiten zwischen 35 Grad nördlich und 35 Grad südlich des Äquators gedeihen ertragreiche Pflanzen vielerorts nicht, nur karge Hirse wird angebaut. Ohne Wasser ist der Boden nahezu unfruchtbar, was die chronische Knappheit an Lebensmitteln in vielen Regionen der Erde erklärt. „Den Strom aus den Solarmodulen können wir nutzen, um Pumpen für die Bewässerung zu treiben“, fügt Tabea Obergfell hinzu.
In den heißen, trockenen Gebieten der Erde, auch als semiarid oder arid bezeichnet, bedeutet Strom vor allem eins: Wasser. Und Wasser bedeutet Landwirtschaft, sprich: Leben. Deshalb ist die Anlage in Heggelbach nicht der erste Versuch, Sonnenkraft und Landwirtschaft zu kombinieren. In Frankreich wurden bereits 50 Kilowatt versuchsweise installiert, in Italien sogar drei Megawatt. In China stehen schon 700 Megawatt solcher Anlagen, in Chile 15 Kilowatt und in Japan 50 Kilowatt. Einige der Systeme sind eher für Gewächshäuser gedacht oder Kulturen, die ohne Maschinen bearbeitet und geerntet werden. In China hat Huawei die Module in drei Metern Höhe angebracht. In Italien werden die Module teilweise nach der Sonne geführt.
Test im realen Betrieb
Was all diesen Anlagen jedoch fehlt, ist die wissenschaftliche Begleitforschung. „Die Anlage am Bodensee wird sowohl aus der Sicht des Landwirts als auch vonseiten der Solartechnik genau beobachtet und ausgewertet“, erklärt Obergfell. „Wir testen die Solaranlage im realen Betrieb des Demeter-Hofes.“
Der Installation vorausgegangen waren umfangreiche Simulationen, um die sinnvolle Verschattung des Bodens zu ermitteln. Dabei wurde ein Modulfeld von 100 mal 100 Metern angenommen. Die Wissenschaftler rechneten verschiedene Ausrichtungen der Module und verschiedene Aufbauten durch und variierten die Abstände der Modulreihen. „Bei Südausrichtung der Module ist die Sonnenstrahlung am Boden sehr ungleich verteilt“, erklärt Tabea Obergfell. „Bei Ausrichtung nach Südsüdwesten, also um 45 Grad gedreht, ist die Strahlung viel gleichmäßiger und besser für die Pflanzen.“
Kartoffeln lieben es schattig
Allerdings erzeugen die Module in diesem Fall rund fünf Prozent weniger Strom. „Das betrachten wir als eher vernachlässigbar.“ Es galt also, einen klugen Kompromiss zu finden, den goldenen Mittelweg zwischen Solarpark ohne Landwirtschaft oder Landwirtschaft ohne Photovoltaik.
Doch beide gehören zusammen, das deutet sich aus den Ergebnissen der Versuche am Bodensee bereits an. Definiert man beispielsweise die Reihenabstände über die absolute Lichtmenge, die am Boden ankommt, haben sich 2,8 Modulbreiten bewährt. „Dann kommen noch 60 Prozent des Lichts durch“, analysiert Obergfell.
In unseren Breiten eignet sich die kraftvolle Kombination aus Photovoltaik und Landwirtschaft vor allem für Kulturen, die es schattig mögen. Sehr gut geeignet sind Kartoffeln. Raps braucht eher mehr Sonne, ist nur mittelmäßig geeignet. Mais beispielsweise verträgt sich mit der Photovoltaik nicht, er braucht viel direktes Sonnenlicht, um auszureifen. „Die größte Herausforderung für die Landwirte besteht nun darin, die geeigneten Fruchtfolgen mit möglichst hohem Ertrag zu finden“, sagt Obergfell.
50 Gigawatt allein für Deutschland
Die Anlage in Heggelbach bedeckt rund ein drittel Hektar. Die Module schweben in einer Höhe von 5,5 Metern. Weil die Module über Kopf hängen, wurden Glas-Glas-Module verbaut. Glas-Folie-Module sind dafür nicht zugelassen.
Die Stützen haben einen Abstand von 19 Metern, breit genug, damit der Mähdrescher hindurchpasst. Insgesamt leistet die Anlage rund 250 Kilowatt. Freilich sind die Kosten für die aufwendige Unterkonstruktion deutlich höher als bei einem normal aufgeständerten Solarpark. Zudem brauchte die Anlage ein langes Kabel zum Netzanschlusspunkt. „Deshalb summierten sich die Kosten auf 3.400 Euro je Kilowatt“, wie Tabea Obergfell bestätigt.
3.400 Euro je Kilowatt. Als die Photovoltaik vor 20 Jahren aus den Startlöchern kam, kostete das Kilowatt mehr als 6.000 Euro. Dagegen winkt für die Agrophotovoltaik ein gigantischer Markt: Allein in Deutschland würde ein Prozent der Ackerfläche ausreichen, um 50 Gigawatt Solarleistung bereitzustellen. Anders als bei Solarparks wäre diese Fläche landwirtschaftlich nutzbar.
Momentan gibt es für die Solarerträge keine Einspeisevergütung, denn Ackerflächen fallen nicht unter das EEG. Auch fällt der Acker aus den Subventionen der EU heraus, wenn er durch Photovoltaik anderweitig genutzt wird. Doch ein schlagender Vorteil wird diese Schwierigkeiten schnell zunichtemachen: Ersetzt der Sonnenstrom beispielsweise aus Dieselaggregaten gewonnenen Strom, ist die Agrophotovoltaik bereits heute wirtschaftlich. Denn sie erlaubt die Elektrotankstelle überall auf dem Acker, so ausgedehnt die Schläge auch sein mögen.
Ladestelle für den elektrischen Traktor
Vollelektrisch betriebene Traktoren und Mähdrescher werden sehr bald auf den Markt kommen. John Deere beispielsweise hat solche Fahrzeuge bereits in der Entwicklung. Kombiniert mit großen Batterien lässt sich die Solarenergie quasi überall und zu jeder Zeit zapfen.
Und: Durch die Verschattung aufgrund der Module wird in vielen Regionen der Welt eine landwirtschaftliche Nutzung überhaupt erst möglich. Eine viel ältere Vision als Adolf Goetzbergers Vorschlag anno 1981 wird möglich: neues Leben für die Wüste.
Kurz nachgefragt
„Man könnte die Wüste zum Blühen bringen“
Die Idee der Nutzung von Photovoltaik auf landwirtschaftlich betriebenen Flächen haben Sie bereits 1981 formuliert. Warum hat es bis zur Pilotanlage am Bodensee so lange gedauert?
Adolf Goetzberger: Damals war es noch zu früh, das ist mir mit vielen Ideen so ergangen. Aber wissen Sie, besser zu früh dran als zu spät. Vor 35 Jahren war die Photovoltaik noch enorm teuer, deshalb suchten wir nach Möglichkeiten, sie doppelt zu nutzen, beispielsweise als Kombination von Stromerzeugung und Landwirtschaft.
Wie sind Sie damals an Ihre Idee herangegangen?
Zunächst rein theoretisch. Ich habe Überlegungen angestellt, wie man die Strahlungsverhältnisse unter den Solarzellen darstellen könnte. Damals waren die Abstände zwischen den Solarmodulen groß und die Aufständerung steiler, sodass viel Licht auf den darunterliegenden Ackerboden fiel. Dafür habe ich die notwendigen Gleichungen ausgearbeitet. Das waren ziemlich komplizierte Gleichungen.
Und danach haben Sie damit den Computer gefüttert?
Nein, damals hatten wir noch keine Computer. Auch stand das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme noch ganz am Anfang. Ich habe einen Mitautor ins Boot geholt, Herrn Zastrow. Er hat die Gleichungen auf einem programmierbaren Taschenrechner ausgerechnet. Sie können sich vorstellen, wie mühselig das war. Schließlich erschien 1981 die erste Publikation, seinerzeit beispielsweise in der Zeitschrift Sonnenenergie. Der Titel lautete: Kartoffeln unterm Kollektor. Das passt sogar ganz gut, weil Kartoffeln tatsächlich besser gedeihen, wenn sie ein bisschen Schatten bekommen.
Wann gingen Sie mit Ihren Erkenntnissen in die praktische Erprobung?
Das hat bis zum Herbst 2016 gedauert. Im Laufe der Jahre und Jahrzehnte haben wir mehrfach Projektanträge eingereicht, um die Mittel für eine Pilotanlage einzuwerben. Ich erinnere mich daran, dass wir damit vier oder fünf Mal abgelehnt wurden. Bis in die jüngste Zeit. Nun hat es endlich geklappt.
Das Pilotprojekt in Heggelbach am Bodensee ist im September 2016 gestartet. Wie lange wird es dauern, bis die Ergebnisse vorliegen?
Das Projekt läuft zunächst bis 2019, denn wir müssen ja einige Ernten abwarten. Erst dann wissen wir mehr darüber, wie sich die Photovoltaik auf die Kulturen auswirkt. Natürlich wird man auch danach Erfahrungen sammeln. Denn die Anlage steht sicher etliche Jahre.
Welche Potenziale sehen Sie in der Agrophotovoltaik, also der Kombination von Photovoltaik und landwirtschaftlicher Nutzung der Flächen?
Für Deutschland haben wir eine sehr konservative Schätzung aufgestellt, das waren etwa 50 Gigawatt. Das tatsächliche Potenzial dürfte viel höher liegen, und es dürfte sehr lange dauern, bis es ausgeschöpft ist. Nach den Veröffentlichungen zum Start des Projekts am Bodensee bekamen wir schon einige Anfragen von Bauern, die sich dafür interessierten. Aber wir wollen die Anwendung erst empfehlen, wenn wichtige Fragen beantwortet sind.
Wo sehen Sie die wichtigste Anwendung für solche Photovoltaiksysteme in der Landwirtschaft?
Ich sehe sie vor allem in den südlichen Ländern, wo die Sonne oftmals viel zu stark scheint. Dort kann man viele Pflanzen nicht anbauen, weil es zu heiß und zu trocken ist. Nutzt man die Anbaufläche auch für Photovoltaik, steht ausreichend Energie zur Verfügung, um beispielsweise Meerwasser zu entsalzen und damit die Felder zu bewässern. Man könnte die Wüste zum Blühen bringen, im wahrsten Sinne dieses Sprichworts.
Welche Ideen haben Sie noch auf Lager, an denen Sie arbeiten wollen?
Das war mein letztes Projekt. Ich bin nun 88 Jahre alt, nun höre ich aus Altersgründen auf. Ich gebe auch mein Büro am Institut auf, beschränke mich auf die Beobachtung der Photovoltaik und gelegentliche Beratungen im Projekt. Die Agrophotovoltaik liegt schon länger in den Händen von Herrn Schindele, einem sehr kompetenten Projektleiter mit viel Erfahrung.
Die Fragen stellte Heiko Schwarzburger.
Prof. Dr. Adolf Goetzberger
war zunächst in der Halbleiterphysik tätig. 1955 promovierte er in München. Später arbeitete er mit dem Nobelpreisträger und Miterfinder des Transistors William Shockley in Palo Alto, Kalifornien, und in den Bell Laboratories in Murray Hill, New Jersey. 1968 kehrte er nach Deutschland zurück und leitete das Fraunhofer-Institut für Angewandte Festkörperphysik in Freiburg. 1981 gründete er das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg. Die Vorbereitungen dazu begannen bereits 1976 mit der Erfindung und Patentierung des Fluoreszenzkollektors. Seine Idee der Agrophotovoltaik (Agrovoltaik) stand erst 30 Jahre später zu Patentierung an. 1989 erhielt er die Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg und 1992 das Bundesverdienstkreuz erster Klasse. 1995 wurde er Ehrendoktor der Universität Uppsala. Im Jahre 2009 wurde er vom Europäischen Patentamt für sein Lebenswerk mit dem Europäischen Erfinderpreis ausgezeichnet.