Die Wünsche der Landbevölkerung in Entwicklungsländern sind meist elementar. Trinkwasser, Licht, medizinische Versorgung und die Möglichkeit zur Bewässerung von Feldern, wenn möglich gerne auch noch ein Telefon oder ein Internetzugang. Was für Menschen in Industrieländern selbstverständlich ist, stellt andere vor große Herausforderungen. Der Grund: es fehlt oft schon am nötigen Strom, um Pumpen, Lampen, Kühlschränke und Computer überhaupt betreiben zu können. Im Vergleich zu den Industrieländern hinkt der Ausbau von Stromnetzen in vielen Entwicklungsländern leider deutlich hinterher.
Eine Lösung für dieses Problem können Offgrid-Photovoltaikanlagen sein, also Solarstromsysteme, die nicht an ein Stromnetz angeschlossen sind und direkt vor Ort den nötigen Strom für die zum Teil lebenswichtigen Maschinen und Geräte liefern. Eine Firma, die sich auf solche Anwendungen spezialisiert hat, ist die Firma Phaesun aus dem bayerischen Memmingen. Am 5. Und 6. Oktober lud das Unternehmen Experten aus der ganzen Welt zum Offgrid Experts Workshop 2012 ein. Hier kamen Hersteller, Projektentwickler und Anwender zusammen, um in Vortragsveranstaltungen, Diskussionsrunden und in persönlichen Gesprächen an den Ständen der insgesamt 24 ausstellenden Firmen gemeinsam neue, kostengünstige und qualitativ hochwertige Offgrid-Lösungen zu entwickeln.
Trinken, Waschen, Bewässern
Eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Entwicklung ländlicher Gebiete ist die ausreichende Versorgung mit frischem Trinkwasser. Was die Menschen vor Ort dafür vor allem brauchen, sind solarbetriebene Wasserpumpen. Diese können auch zur Bewässerung von Feldern für den Anbau von Getreide, Obst und Gemüse verwendet werden. Auch Anbieter solcher Pumpsysteme waren auf dem Workshop als Aussteller vertreten. Dazu gehörte zum Beispiel die Firma GWE pumpenboese aus Deutschland und das dänische Unternehmen Grundfos. Man bemühe sich ungefähr alle zwei Jahre, ein neues verbessertes Pumpensystem auf den Markt zu bringen, sagt Christopher Filchner, Vertriebsrepräsentant Wasserwirtschaft bei Grundfos. Das sei allerdings nicht ganz einfach, bei einer Technik, die im Grunde schon seit den Zeiten von Archimedes weiterentwickelt wird. „Trotzdem finden wir immer wieder Verbesserungsmöglichkeiten die wir in unseren neuen Produkten umsetzen“, sagt Filchner. „Erst kürzlich haben wir in einem Offgrid-Projekt die alte Pumpe eines anderen Herstellers gegen eines unserer neuesten Pumpensysteme ausgetauscht und konnten damit die Effizienz des Systems um etwa 40 Prozent steigern.“
Ein weiteres wichtiges Grundbedürfnis in stromnetzfernen ländlichen Gebieten ist elektrisches Licht. Das ist zum Beispiel für Schulkinder von besonderer Bedeutung, damit sie auch nach Sonnenuntergang noch lesen und schreiben können. Die Auswahl des richtigen Systems und vor allem der richtigen Lichtquelle ist dabei allerdings nicht immer ganz einfach. Solar-LED-Lampen gelten als besonders sparsam, unter diesen Produkten gibt es allerdings zum Teil deutliche Qualitätsunterschiede. Das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) hat daher im Rahmen eines Weltbank Programms ein umfassendes Testverfahren entwickelt, um unter den LED-Lampen die Spreu vom Weizen zu trennen. Der Anforderungskatalog den die Wissenschaftler zu diesem Zweck zusammengestellt haben, umfasst zum Beispiel Richtwerte für die Helligkeit und deren Degradation im Verlauf der Betriebsstunden, die Haltbarkeit von Schaltern und Steckern oder die Anzahl der autonomen Betriebsstunden bei vollgeladener Batterie.
Es bleibe Licht
„Viele der LED-Lampen, die es am Markt zu kaufen gibt, entsprechen nicht den von uns gestellten Anforderungen für die besonderen Bedingungen zum Beispiel in ländlichen Gebieten Afrikas“, erklärt Norbert Pfanner, Senior Scientist für Autonome Systeme und Inselnetze, der auch für das LED-Lampen-Testprogramm „Lighting Africa“ am Fraunhofer ISE zuständig ist. „Es ist auch nicht unbedingt eine Frage des Preises. Es gibt auch viele teure Lampen die den Anforderungen nicht genügen.“ Umso wichtiger, dass sich die Wissenschaftler des Fraunhofer ISE dieses Themas annehmen, denn eine Investition in ein Solares Beleuchtungssystem mit LED, das schon nach kurzer Zeit nicht mehr zu gebrauchen ist, kann für einen afrikanischen Haushalt ohne große finanzielle Absicherung besonders ärgerlich sein.
Ein interessantes Pico-PV-System für die ländliche Elektrifizierung stellte das Unternehmen Fosera vor. Das System besteht aus einem Pico-Batteriesystem, das mit Pico-Solarmodulen gespeist wird. Das Wort Pico steht hier für besonders kleine PV-Systeme, die so klein sind, dass sie mit einem Home-PV-System, wie wir es aus unseren Breiten kennen, kaum mehr zu vergleichen ist. Die Basisvariante umfasst ein Speichersystem mit einem Sechs-Amperestunden-Speicher und ein Miniatur-Solarmodul, das die Batterie speist. Diese Bauteile können dann mit einer Reihe weiterer auf das System abgestimmter Komponenten kombiniert werden. Dazu zählen zum Beispiel mehrere unterschiedliche LED-Lampen, ein Ladegerät für Mobiltelefone, ein Radio sowie ein besonders energieeffizientes TV-Gerät. Alle Komponenten lassen sich gut miteinander verbinden, da alles auf der gleichen Spannungsebene funktioniert, sagt Catherine Adelmann von Fosera. Dadurch sei kein DC-DC-Wandler notwendig, was Kosten und Wirkungsgradverluste minimiere. Das Unternehmen bietet außerdem eine Piko-LED-Straßenlaterne für 500 Euro pro Stück an. Als weitere Projekte sind ein Pico-Cinema, ein Pico-Internetcafé und ein Pico-Barbershop (Friseurladen) geplant, sagt Adelmann.
Medikamente lagern
Auch der Betrieb von solaren Kühlsystemen kann für viele Bewohner ländlicher Gebiete in Entwicklungsländern sehr wichtig sein. Das Institut für Luft- und Kältetechnik (ILK) Dresden beschäftigt sich mit der Entwicklung solcher Systeme. Diese bestehen in der Regel aus einem Container, auf dem eine Solargeneratorfläche befestigt wird. Im Inneren des Containers wird entweder Eis hergestellt, Milch gekühlt oder temperaturempfindliche Medizin gelagert. Die Bedeutung von Solarenergie für die medizinische Versorgung der Bevölkerung stellte auch Larba Nadieba von der Coalition SIRHCA in seinem Vortrag "Solar for Rural Healthcare in Western Africa" in den Vordergrund. Wenn man Menschen helfen will sich selbst zu helfen, sollte man zuerst dafür sorgen, dass sie gesund sind, sagte er. Solarstrom kann zum Beispiel Krankenhäuser mit Strom für Licht und medizinische Geräte versorgen. Zusammen mit Phaesun bietet die Coalition SIRHCA ein sogenanntes „Hospital Kit“ an, das die nötigsten elektrischen Einrichtungen für eine medizinische Versorgung in ländlichen Gebieten Afrikas umfasst und sich unter anderem über Spenden finanziert.
Besucher des Phaesun Offgrid Experts Workshops konnten sich auch über viele weitere interessante Themen und Projekte informieren. Dies nicht nur in Vorträgen und an den Ständen der Aussteller sondern auch in etwas unkonventionelleren Diskursformaten. So gab es zum Beispiel das World-Café, bei dem acht Tische mit jeweils unterschiedlichen Themen angeboten wurden. An jedem Tisch konnten sich Besucher und Experten frei zum jeweiligen Thema miteinander austauschen. Eine andere Plattform war die sogenannte „Running Discussion“, eine gelungene Alternative zur herkömmlichen Podiumsdiskussion. Hier konnten alle Workshop-Teilnehmer zunächst das Thema bestimmen, dass sie gerne diskutieren würden und sich anschließend an einem offenen Mikrofon als Vertreter der Pro- oder Contra-Seite äußern.
Keine Pyramiden mehr
Ein weiteres Highlight war das Electric Moto-Cross Race, bei dem sich die Besucher des Workshops auf elektrisch betriebene Motoräder schwingen und über einen Motorcrossparkour jagen konnten. Besonders heiß diskutiert wurde außerdem ein Vortrag von Niels Pflaeging vom BetaCodex Network über völlig neue Ansätze der Betriebsführung. Pyramidenförmige Machtstrukturen, wie sie in fast allen Unternehmen der Welt zu finden sind, seien nicht mehr in der Lage, auf die Anforderungen einer immer komplexer werdenden Welt angemessen zu reagieren, so seine These. Entscheidungskompetenz solle daher nicht mehr nur an Chefs oder Abteilungsleiter gegeben werden, sondern an Teams, die die Entscheidungen in der Gruppe mehr oder weniger demokratisch treffen. „Das macht dem Chef den Kopf frei für andere Dinge“, sagt auch Tobias Zwirner, Geschäftsführer von Phaesun, der das neue Konzept in seiner Firma aktiv umsetzt. „Ich kann jedem nur empfehlen sich einmal mit diesen neuen Ansätzen für die Betriebsführung zu beschäftigen.“ (Mirco Sieg)