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Ein Viertel fürs gute Klima

Ob Heizung, Strom, Warmwasser oder Lüftung – im Herner Klimaviertel im Stadtteil Sodingen wird die benötigte Energie künftig weitestgehend selbst aus regenerativen Quellen erzeugt. Dafür verfügt jedes der sieben freistehenden Plusenergiehäuser über ein eigenes dezentrales Energiesystem in unterschiedlichen Versionen.

„Dieses Konzept ist deutschlandweit einmalig“, weiß Stephan Becker, der bei den Stadtwerken Herne für das Projekt verantwortlich ist. „Damit entlasten die künftigen Bewohner die Umwelt Jahr für Jahr um 24,5 Tonnen CO2-Emissionen.“

Aller guten Dinge sind drei

Eine große Photovoltaikanlage auf dem Dach, ein neuartiger Batteriespeicher im Keller und eine Wärmepumpe zum Heizen – aus diesen drei Komponenten setzt sich jedes der maßgeschneiderten energietechnischen Konzepte zusammen. Um die Effizienz der Systeme untereinander vergleichen und optimieren zu können, gibt es jedoch Unterschiede in den Details.

Herzstück der emissionsfreien Stromerzeugung ist jeweils eine Photovoltaikanlage auf dem zehn Grad geneigten Flachdach. Alle Anlagen auf den zweigeschossigen Häusern sind nach Süden ausgerichtet und haben jeweils eine Leistung von zehn Kilowatt. Eine Verschattung ist ausgeschlossen. Zum Einsatz kommen vier Photovoltaikanlagen mit monokristallinen Solarzellen. Die restlichen drei Anlagen bestehen aus polykristallinen Modulen. Bei einer Fläche von 57 Quadratmetern wird bei den monokristallinen Anlagen ein Jahresertrag von rund 7.500 Kilowattstunden erwartet. Die polykristallinen Module sollen bei zwei Quadratmetern mehr an Fläche etwa 7.250 Kilowattstunden produzieren.

Montiert auf Trapezblechen

Von der ursprünglich angedachten klassischen Eindeckung mit Dachpfannen wurde aus zwei Gründen Abstand genommen: Zum einen passte sie nicht so gut zu der modernen Ästhetik der Häuser. Zum anderen versprechen sich die Planer von der Dachfarbe Weiß des Trapezbleches die größtmögliche Reflexion des Sonnenlichtes. Das wiederum führt zu einer geringeren Aufheizung des Daches im Vergleich zu einer dunklen Eindeckung und somit zu bestmöglichen Werten bei Betriebstemperatur und Wirkungsgrad der Anlage. Tatsächlich sind diese Dächer auch kostengünstiger. Mit der entsprechenden Absicherung sind sie begehbar.

Redox-Flow-Batterie im Keller

Kombiniert werden die Solaranlagen mit einer Redox-Flow-Batterie des Projektpartners Volterion aus Dortmund. Sie verfügt über eine Kapazität von rund zehn Kilowattstunden. Die hochmodernen und sehr betriebssicheren Energiespeicher in Stackbauweise (engl. to stack: stapeln) sind kompakter, leichter und günstiger als bisherige Redox-Flow-Batterien. Denn die Stacks von Volterion werden geschweißt und kommen somit ohne Dichtungen aus. Aus diesem Grund ist auch der Montageaufwand geringer.

Durch die effiziente Speicherung lässt sich der Eigenstromverbrauch von 30 auf bis zu 75 Prozent unter günstigen Bedingungen steigern. Auch im Vergleich mit anderen Speicherlösungen wie Lithium-Ionen-Akkus überzeugt die neuartige Version der Flüssigbatterie: Sie verspricht eine Lebensdauer von 20 Jahren und einen hohen Wirkungsgrad. Zwar sind die Anschaffungskosten höher, der Preis pro nutzbarer Kilowattstunde ist jedoch deutlich günstiger.

Dank des nicht brennbaren Elektrolyts sind die Akkus besonders sicher. Der Elektrolyt kann zudem abgepumpt und wiederverwendet werden und ist dadurch deutlich umweltfreundlicher als die Konkurrenz der Lithium-Ionen-Akkus. Deren Leichtmetall Lithium lässt sich nur downcyceln, also in schlechterer Qualität rückgewinnen.

Wärme aus der Erde

Auch die Wärmepumpe für die Heizung läuft dank des selbst erzeugten Solarstroms CO2-frei. Sie transportiert Erdwärme über Erdsonden oder Grabenkollektoren mit Solarregeneration ins Haus. Variiert wird auch bei den verbauten Verdichtern und Warmwasserspeichern. Die Heizungsanlage liefert der Herner Wärmepumpen-Pionier Waterkotte.

Waterkotte ist einer der mittelständischen Systempartner von Smart-Tec, der Dienstleistungsmarke der Stadtwerke Herne. Unter diesem Namen installieren, betreiben und warten die Stadtwerke ein breites Spektrum von Heizungs- und Solaranlagen. Im Klimaviertel pachten die neuen Hauseigentümer die dreiteiligen Energieanlagen von Smart-Tec, um die anfänglichen Investitionskosten gering zu halten. Die Erwerber zahlen neben der Pacht nur für den zusätzlich zur Eigenproduktion aus dem Netz bezogenen Strom.

Neben dem Technikkonzept gibt es auch Unterschiede in der Dämmung. So entstehen auf dem 2.500 Quadratmeter großen Areal vier KfW-55-Häuser. Drei weitere der Neubauten erfüllen sogar die strengeren Anforderungen nach dem KfW-Effizienzstandard 40+. Die Dämmung erfolgt fast vollständig styroporfrei mit natürlichen Dämmstoffen. Auch die Ständerbauweise mit Holz aus der Region leistet einen entscheidenden Beitrag zum ressourcenschonenden Bauen.

Forscher bewerten Konzepte

Das Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (UMSICHT) begleitet die Umsetzung des Klimaviertels in Herne.

Im Rahmen des Forschungsprojektes Redox-Herne steht dabei insbesondere die solare Stromproduktion und -speicherung im Blickpunkt, da die Eigenstromversorgung von Wohngebäuden durch erneuerbare Energien künftig einen wichtigen Beitrag zur Energiewende und Netzstabilität leisten wird. 18 Monate lang werden die Forscher sowohl das Zusammenspiel der verschiedenen Komponenten des jeweiligen Energiekonzeptes als auch den Einfluss des Verbraucherverhaltens auf den Grad der Energieautarkie analysieren. So soll das optimale Technikkonzept gefunden und gegebenenfalls noch optimiert werden.

Erfahrungen für andere Projekte

„Wir sind sehr gespannt auf die Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitforschung“, sagt Projektleiter Stephan Becker zu den Erwartungen des Bauherren Stadtwerke Herne. „Denn die optimierte Kombination mit den Smart-Tec-Komponenten lässt sich später auf Projekte anderer Bauträger übertragen. Möglich wäre auch, zusammen mit unseren Partnern ein Standardhaus zu entwickeln.“ So könnten die Stadtwerke weitere Geschäftsfelder für sich erschließen.

Das Klimaviertel in Herne ist die erste Wohnsiedlung deutschlandweit, die durch einen örtlichen Energieversorger errichtet wird. Auch den Vertrieb der architektonisch modernen Wohngebäude haben die Stadtwerke selbst übernommen. Voraussichtlich Ende 2018 sind die Häuser bezugsfertig.

Autos müssen draußen bleiben

Die Herner Neubausiedlung ist aber nicht nur dank der ressourcenschonenden Energiekonzepte besonders klimafreundlich. Auch in puncto umweltfreundliche Mobilität im Ballungsraum Ruhrgebiet setzt sie neue Maßstäbe. Denn das komplette Areal ist autofrei angelegt, was besonders junge Familien mit Kindern anspricht. Ihre Fahrzeuge lassen die Erwerber im Siedlungs-Carport vor dem Klimaviertel stehen. Für größere Transporte bis an die eigene Haustür steht ein Elektro-Caddy bereit. Sollten die Bewohner auf Elektromobilität setzen, wird das Fahrzeug mittels einer Direktleitung vom Haus zum Carport-Stellplatz mit Strom aus der Photovoltaikanlage auf dem Dach des eigenen Hauses oder der gespeicherten regenerativen Energie aus der Batterie im Keller aufgeladen. Dieses Angebot motiviert die Bewohner zur Anschaffung eines eigenen Elektroautos.

Für Pakete und Anlieferungen verfügt das Klimaviertel über eine Logistikstation. Dank der zentralen Lage der Neubausiedlung sind zudem zahlreiche Einkaufsmöglichkeiten sowie Schulen, Kindergärten, Ärzte, Sportvereine und Parks zu Fuß oder mit dem Fahrrad gut erreichbar. So kann das Auto auch mal stehen bleiben.

Ein Schritt in Sachen Klimaschutz

In Fachkreisen stößt das Bauprojekt von Beginn an auf großes Interesse. Sogar finnische Studenten und Experten haben sich das Konzept zeigen lassen.

Zum Spatenstich im April gab es die erste Auszeichnung für das Klimaviertel: Die Klima-Expo NRW hat das Projekt in die landesweite Leistungsschau für den Klimaschutz aufgenommen. Bis 2022 sollen 1.000 Schritte in Richtung Klimaschutz gegangen werden. Das Herner Vorzeige-Bauprojekt markiert den 286. Schritt.

www.klimaviertel.de

Die Autoren

Heinrich Dornbusch

hat Metallurgie und Werkstofftechnik an der RWTH studiert. Nach mehreren Tätigkeiten als Innovationsmanager und Unternehmensberater wurde er 2013 Geschäftsführer der Klima Expo NRW.

Tim Nowak

studierte Bauingenieurwesen an der Fachhochschule Münster. Seit 2003 arbeitete er als Projektingenieur bei diversen Firmen des Remondis-Konzerns. Seit 2018 betreut er das Klimaviertel als Immobilienmanager und Bauleiter für die Stadtwerke Herne AG.

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