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Alpinsolar

Reiche Ernte überm Tal

Die Muttsee-Staumauer des Schweizer Pumpspeicherwerks Limmern in den Glarner Alpen ist seit ihrer Eröffnung 2016 die höchstgelegene in ganz Europa. 2021 kommt genau dort ein weiterer Rekord buchstäblich obendrauf: 2.500 Meter über dem Meeresspiegel soll ab Mitte Juni 2021 ein fast ein Kilometer breites Solarkraftwerk mit 2,2 Megawatt Leistung auf der Staumauer des Hydrokraftwerks entstehen.

Die anvisierten solaren Erträge werden die durchschnittlichen im Schweizer Mittelland um voraussichtlich 50 Prozent übertreffen. Die gesamte Anlage soll jährlich 3,3 Gigawattstunden Strom liefern, das entspräche 1.500 Kilowattstunden pro Kilowatt installierter Leistung.

In einer Studie, die im März 2019 von Swissolar und Meteotest im Auftrag des Bundesamts für Energie BFE erstellt wurde, ermittelten die Autoren für die alpinen Freiflächen der Schweiz ein Solarpotenzial von 16,4 Terawattstunden. Davon wären 3,3 Terawattstunden bereits kurz- bis mittelfristig nutzbar, rund 1,6 Terawattstunden ließen sich allein im Winterhalbjahr produzieren. Zum Vergleich: Der Stromverbrauch in der Schweiz lag 2019 bei rund 57 Terawattstunden.

Mindestens alle fünf Jahre muss ein Risskataster erstellt werden: Aus diesem Grund werden die Solarmodule mit einem Abstand von 1,5 Metern gebaut.

Foto: Axpo

Mindestens alle fünf Jahre muss ein Risskataster erstellt werden: Aus diesem Grund werden die Solarmodule mit einem Abstand von 1,5 Metern gebaut.

Höchste Erträge im Februar und März

Photovoltaik als Lieferant für Winterstrom – das klingt nicht nur charmant, es bringt auch handfeste Vorteile: Die hohe Lage in den Alpen sichert deutlich mehr direkte Einstrahlung, weil Nebel- oder Wolkenschichten den Sonnenschein seltener behindern. Der sogenannte Albedo-Effekt, also die Rückspiegelung des Lichts vom Boden, steigert die Stromausbeute noch einmal deutlich. Die steilere Neigung der Module begünstigt einen effektiveren Einfallswinkel. Hinzu kommt, dass die Stauseemauer bereits zweckmäßig nach Südsüdost und Südsüdwest ausgerichtet ist. Aufgrund der natürlichen Kühlung und Hinterlüftung wird der Wirkungsgrad der Module weiter erhöht.

Die höchsten Erträge der Anlage werden im Februar und März erwartet, insgesamt aber wird die Leistung über das gesamte Jahr relativ ausgeglichen sein – auch das ganz im Gegensatz zu konventionellen Dachanlagen im Schweizer Mittelland.

Staumauer unter Beobachtung

Bereits bei der Fertigstellung der oberen Seestufe des Pumpspeicherwerks Limmern hatte man deren Potenzial für Sonnenstrom erkannt. In den ersten fünf Jahren musste die Staumauer jedoch zunächst intensiv beobachtet werden, erst danach konnten die Planungen für ein Solarkraftwerk forciert werden.

In einem dreistufigen Verfahren von der Gemeinde über den Kanton bis zum Bund genehmigten die Schweizer Behörden das Projekt und im Januar 2021 verkündete der Energieversorger Axpo schließlich offiziell, das Pionierprojekt Alpinsolar umsetzen zu wollen. Mittlerweile beteiligt sich auch das Basler Stadtwerk IWB mit 49 Prozent an den Kosten. Zudem werden die Hochschule EPFL in Lausanne und das Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) in Davos das Projekt wissenschaftlich begleiten, um Strahlungs- und Ertragsmessungen aus den Bergen noch detaillierter zu ermitteln.

Nach den mehrjährigen Planungen geht es im kommenden Sommer endlich auch mit dem Bau los, und zwar mit einem äußerst straffen Zeitplan: Zwischen Mitte Juni und Mitte September 2021 soll die Anlage errichtet werden. Unter optimalen Bedingungen könnte das Solarkraftwerk innerhalb von 35 bis 40 Arbeitstagen installiert sein.

Risikofaktor Alpenwetter

Allerdings ist das Wetter in den Alpen schwer vorhersagbar; es wird Tage geben, an denen nicht gearbeitet werden kann. Dafür muss ein ausreichender Puffer einkalkuliert werden.

Denn das Klima in 2.500 Meter Höhe ist rau und wechselhaft. Vor allem Schneelasten müssen selbst in den Sommermonaten mitgedacht werden. Aufwendige Windmessungen müssen die Projektierer aber nicht eigenständig erheben, da es in der Nähe der Staumauer zwei aktive Wetterstationen gibt, eine liegt nur knapp zwei Kilometer entfernt. Deren Wetterdaten konnten zusammen mit den Prognosen für die zu erwartenden Niederschläge bereits genutzt werden, um die Installation in einem Modell zu simulieren und eine wichtige Einschränkung von vornherein zu planen: Die unteren fünf Meter der Mauer bleiben nun für potenzielle Schneeablagerungen frei.

Bifaziale Glas-Glas-Module von Megasol

Selbstverständlich müssen auch die verwendeten Solarmodule dem Schnee trotzen können. Deshalb werden gezielt 4.872 bifaziale Glas-Glas-Module des Schweizer Herstellers Megasol installiert. Ihr breiter Rahmen von 40 Millimetern erfüllt die Auflagen an die zu erwartende Schneelast. In Modulbereichen, in denen die höchste Last erwartet wird, muss deshalb zentral von hinten an einem Punkt zusätzlich gestützt werden. Nur so hält das Glas stand und biegt sich nicht zu weit durch.

Um die zur Verfügung stehende Fläche möglichst optimal zu nutzen, verwendet Megasol zwei verschieden große Modultypen mit 460 Watt beziehungsweise 385 Watt Leistung. Installateure bereiten diese auf 14,5 Meter breiten Modultischen für die finale Platzierung an der Staumauer vor.

Das Montagesystem selbst wurde vom beauftragten Generalunternehmen Planeco und seinen Projektpartnern Megasol und Crestageo in sechs Monaten komplett neu entwickelt. Vereinfacht gesagt, handelt es sich um ein marktübliches Einlegesystem für Module, das in dieser Größenordnung allerdings nie zuvor gebaut wurde.

Die vertikale Primärunterkonstruktion besteht aus Stahlfachwerken, aber die Werkzeuge für die Aluminiumprofile mussten eigens für Alpinsolar angefertigt werden.

Die Module speisen insgesamt 23 Stringwechselrichter Kaco Blueplanet mit je 105 Kilowatt DC-Leistung. Mit einem Faktor 1,1 größer als die AC-Leistung sind diese bewusst überdimensioniert, weil die Betreiber mit höheren Wintererträgen durch den Albedo-Effekt und die Bifazialität rechnen. Die Ausgangsspannung von 400 Volt ermöglicht es, den Wechselrichter ohne zusätzliche Kosten direkt an den Transformator anzuschließen. Die aus Siliziumkarbid bestehenden Leistungsschalter des Stringwechselrichters zeichnen sich durch ihre hohe thermische Belastbarkeit aus und erlauben sogar eine Überbelegung um das 1,5-Fache der AC-Leistung.

Und immer wieder das Wetter: Auch wenn die Module nicht durch Bäume oder Gebäude verschattet werden, bleibt Schnee selbst bei der Planung der Strings ein bestimmendes Thema. Jene, bei denen Schneeablagerungen wahrscheinlich sind, wurden zusammengeschaltet. In Vielschneephasen wären so nur drei Wechselrichter betroffen, die möglicherweise keine Erträge liefern.

Auf den anderen Strings mit Modulen kann der Schnee relativ schnell abrutschen, da sie im steilen Winkel von 51 Grad beziehungsweise sogar 60 Grad geneigt sein werden. Der Schnee muss und kann bei solchen Mengen nicht aufwendig manuell entfernt werden, automatisierte Lösungen wird es schon aus Kostengründen nicht geben. Ein höherer Schneerückstau von unten als die in der Simulation bereits berücksichtigten fünf Meter bis zum Boden ist jedoch kaum wahrscheinlich.

Logistisch ist der Bau ein beinahe wagemutiges Unterfangen: Denn das Wärterhaus der Hydroanlage Limmern ist zwar das ganze Jahr durchgehend erreichbar, doch gibt es keine Straße, die für den An- und Abtransport von Material und Personal genutzt werden könnte. Die komplette Baustelle muss mit einem Transporthelikopter beliefert werden. Das ist einerseits anspruchsvoll, aber vor allem teuer. Drei Monate im Sommer müssen für die Installation ausreichen.

Ein benötigter Hebekran wird beispielsweise unten im Tal erst zerlegt, dann in Einzelteilen hochgeflogen und oben auf der Mauer wieder neu montiert. Die vorkonfektionierten und bereits verkabelten Modultische werden vom Kran in die Mauer gehoben und nur noch fixiert. Gebaut werden darf ohnehin nur bei Flugwetter für die Helikopter, um nicht nur alle Materialien sicher transportieren, sondern auch mögliche Verletzte gefahrlos ausfliegen zu können. Immerhin wird der zwangsläufig größere CO₂-Fußabdruck, der durch den Einsatz des Helikopters entsteht, innerhalb von drei Monaten Anlagenbetrieb wieder ausgeglichen sein.

Wartungsarbeiten an der Mauer gewährleisten

Auch nach erfolgreicher Inbetriebnahme wird Alpinsolar ein Projekt mit speziellen Herausforderungen bleiben: Die Muttsee-Staumauer lässt es zwar zu, dass die Solaranlage auf stabilem Untergrund errichtet wird. Doch verlangt die Sicherheit einer Talsperre auch weiterhin eine kontinuierliche ­visuelle Sicherheitsüberprüfung. Mindestens alle fünf Jahre wird ein Risskataster erstellt. Die Mauer muss für Techniker gut erreichbar sein, auch für Notfälle wie bei einem Erdbeben. Aus diesem Grund werden die Solarmodule mit einem Abstand von 1,5 Metern zur Mauer gebaut.

Um die Solaranlage ihrerseits für Wartungsarbeiten zugänglich zu halten, entsteht im oberen Bereich zwischen den Modulen und der Staumauer ein Wartungsgang mit Geländer.

Das bereits angeschlossene Wasserkraftwerk speist in ein 16-Kilovolt-Netz für die Eigenversorgung des Wasserkraftwerks ein. Das neu installierte Solarkraftwerk wird 900 Meter entfernt von der Technikzentrale in einem Kraftwerkstollen angeschlossen.

Die Schweizer Vorgaben erlauben es bislang nur, Ökostromanlagen auf einer bestehenden Infrastruktur wie dem Hydrokraftwerk am Muttsee aufzubauen. Das beschränkt das solare Potenzial, das Swissolar und Meteotest in ihrer Studie ermittelt haben, gewaltig. Ein ergänzendes Ausschreibungsprogramm könnte den Solarausbau in der Schweiz vervielfachen, doch fehlt es dafür derzeit an der politischen Unterstützung.

Größere Dachanlagen rentieren sich deshalb meist nur in Kombination von garantierter Einmalvergütung mit einem entsprechend hohen Eigenverbrauch bei großen Stromverbrauchern.

Auch deshalb ist ein innovatives Projekt wie Alpinsolar unter den aktuellen Rahmenbedingungen noch nicht wirtschaftlich. Große Freiflächenanlagen, die nicht direkt dem Eigenverbrauch dienen, fallen beim bisherigen Schweizer Förderregime schlicht durchs Raster.

Die derzeitige Einmalvergütung von 300 Franken pro Kilowatt sind zugesagt, etwa 600.000 Schweizer Franken. Die Mehrkosten für die aufwendige Installation und Absicherung sind dadurch keineswegs abgedeckt. Auch aus diesem Grund ist Alpinsolar zugleich ein finanzieller Coup. Mit Denner, der größten Discounterkette der Schweiz, wurde ein langfristiger Stromabnahmevertrag (PPA: Power Purchase Agreement) abgeschlossen.

Erstes PPA-Projekt in der Schweiz

Dabei handelt es sich um das erste PPA für eine große Solaranlage in der Schweiz überhaupt. Da in den nächsten Jahrzehnten die Schweizer Kernkraftwerke schrittweise vom Netz gehen, muss die CO₂-neutrale Stromerzeugung über Ausschreibungen für Photovoltaikanlagen auf der Freifläche forciert werden. Der Solarstromanteil in der Schweiz lag 2019 landesweit bei nur 3,8 Prozent, wäre aber stark ausbaufähig. Wenn die Schweizer Politik ihre eigenen Klimaziele ernst nimmt und erreichen möchte, muss sie zügig nachjustieren.

Foto: ZHAW Wädenswil

Axpo

Schweizer Versorger vermarktet Großspeicher für Rhiienergie

Axpo baut das Geschäft mit Batteriespeichern weiter aus: Der Schweizer Versorger übernimmt die Bewirtschaftung und Vermarktung eines Batteriespeichers mit 1,25 Megawatt Leistung im Auftrag der Rhiienergie. Sobald die Präqualifikation bei Swissgrid bestanden wurde, wird Axpo im Auftrag von Rhiienergie einen neu gebauten 1,25-Megawatt-Speicher von Ads-Tec Energy auf dem Markt für Regelenergie anbieten.

Aufgrund der sehr kurzen Reaktionszeiten ist die Anlage in Graubünden ideal geeignet, primäre und sekundäre Regelenergie zum Ausgleich und zur Stützung des Stromnetzes anzubieten. Der Batteriespeicher, der sich auf dem Gelände des Unterwerks Vial in Domat/Ems befindet, wird auch für das sogenannte Peak-Shaving eingesetzt: Dank des Senkens und Glättens von Lastspitzen kann das Verteilnetz mithilfe der Batterie im Bedarfsfall entlastet und effizienter genutzt werden.

Die Axpo Gruppe ist schon seit Längerem im Bau, Betrieb sowie in der Bewirtschaftung und Vermarktung von Großbatterien tätig. International vermarktet das Unternehmen seit 2020 unter anderem die Flexibilitätsoptionen eines 30-­Megawatt-Speichers im finnischen ­Yllikkälä. Und das ist noch nicht alles: Erst kürzlich hat Axpo für das Geschäft mit Batterien und Wasserstoff innerhalb der Division Renewables je eine neue Abteilung geschaffen.

Foto: Rhiienergie

DHP Technology

Solares Faltdach für die Kläranlage von Davos

Über der Kläranlage (ARA) von Davos wurde das erste alpine Solarfaltdach errichtet – auf mehr als 1.500 Metern Höhe. Die Solarmodule liefern auch im Winter sauberen Sonnenstrom, unterstützt durch den Albedo-Effekt des Schnees.

Damit steht im Schweizer Kanton Graubünden – nach Chur – nun das zweite Solarfaltdach. Die Anlage in Davos hat eine Solarleistung von 252 Kilowatt und wird im Schnitt jährlich 255.000 Kilowattstunden Strom produzieren.

Davon wird die ARA Davos rund 93 Prozent selbst verbrauchen. „Die Gemeinde Davos prüft laufend den Einsatz von lokalen erneuerbaren Energiequellen“, sagt Landammann Tarzisius Caviezel. „Da Photovoltaik gerade in alpinen Berggebieten besonders effizient ist, fördern wir deren Ausbau in Davos.“

Bedingt durch die Lage auf 1.560 Metern Höhe und durch die generell tiefen Temperaturen stromen Solaranlagen hier besonders effizient. Weil der Schnee das Sonnenlicht reflektiert, sind die Voraussetzungen für die Photovoltaik im Landwassertal außerordentlich günstig.

Das Solarfaltdach Horizon bietet einen weiteren Vorteil. Während konventionelle Solaranlagen im Winter vom Schnee bedeckt bleiben und keinen Strom produzieren, punktet das Solarfaltdach mit seinem einzigartigen, patentierten Faltmechanismus. „Durch einen Meteo-Algorithmus wird das Solarfaltdach bei Schneefall, Sturm und Hagel vollautomatisch eingefahren“, erläutert Betriebsleiter Markus Wendler. „So werden die Module geschützt und bleiben schneefrei. Zusätzlich reduziert der Schatten der Anlage die Algenbildung in den Klärbecken.“ Und das schützende Dach erleichtert den Mitarbeitern die Wartung in den heißen Sommern.

Foto: DHP

Die Autoren

Christian Heierli
ist Projektleiter Alpinsolar bei Axpo, der größten Produzentin von erneuerbaren Energien in der Schweiz. Heierli arbeitet seit 13 Jahren für Axpo, zunächst im Risk Management, später für verschiedene Projekte im Bereich erneuerbare Energien.

Foto: Axpo

Claudius Bösiger
ist Geschäftsführer von Planeco, Generalauftragnehmer des Projekts. Der Umweltwissenschaftler gründete Planeco vor zehn Jahren zusammen mit Roman Brunner. Das Unternehmen pflegt eine strategische Partnerschaft mit den Basler Stadtwerken IWB.

Foto: Planeco