Es ist schon eine kleine Reise von Berlins Mitte nach Adlershof. Mit dem öffentlichen Nahverkehr dauert es etwa eine Stunde. Aber in Berlin sind die Wege sowieso etwas länger. Kurz vor der Ankunft geht es noch rund einen Kilometer mit der Straßenbahn weiter. Dann tut sich ein Weite voller Neubauten auf. Die einen sind architektonisch interessant und innovativ, andere wiederum wie ein Großteil der Neubauten Berlins eher schnöde Zweckbauten. Zu den spannenden der neuen Bauten gehört sicherlich das Zentrum für Photovoltaik und Erneuerbare Energien (ZPV) in der Johann-Hittorf-Straße. Es ist ein Bau des Stararchitekten Gunter Henn und seines international agierenden Architekturbüros. Henn und seine 13 Partner in Berlin, München, Peking und Schanghai führen insgesamt 350 Mitarbeiter aus 25 Nationen.
Signifikant für das Gebäude ist die Eingangsfront mit ihrer großzügigen Glasfassade. Davor sind vom Dachgiebel bis herunter zur ersten Etage semitransparente Solarmodule neben- und übereinander aufgereiht, sodass sie die Glasfront dominieren. Ihre wichtigste Funktion ist jedoch nicht die Stromerzeugung. Die 119 rahmenlosen Generatoren aus monokristallinen Siliziumzellen in Glas-Glas-Modulen des Herstellers PV Products im österreichischen Wies verschatten das Foyer und zeigen die Thematik des Zentrums. Wobei die sich allerdings gewandelt hat.
Wechselbad der Gefühle
Als das neue Zentrum 2009 geplant wurde, waren die Zeiten für die Solarenergie noch rosig und alle waren optimistisch. Damals war die Solarbranche ein Motor in Adlershof. Schließlich entwickelte und produzierte Solon hier qualitativ hochwertige Module für die Welt. Dazu kam Sulfurcell, später in Soltecture umbenannt, und Global Solar Energy Deutschland mit ihren Dünnschichttechnologien. Am 30. März 2011 legten die Bauherren den Grundstein für das Zentrum für Photovoltaik und Erneuerbare Energien. „Um diese Zeit knirschte es schon im Gebälk“, erinnert sich Peter Strunk, Bereichsleiter Kommunikation bei Wista-Management.
Es folgte ein Wechselbad der Gefühle. Kurz nach der Reaktorkatastrophe vom März 2011 schien die Zukunft der Photovoltaik durch den Ausstieg aus der Atomkraft wieder besser. Bei der angeschlagenen Photovoltaikindustrie keimte Hoffnung auf. „Nach einem Jahr Bauzeit mussten wir allerdings feststellen, dass die Sache doch gegen die Wand läuft“, erzählt Bernd Ludwig, Leiter der Zentren für Photonik und Optik sowie für Photovoltaik und Erneuerbare Energien. Die Pläne für die Nutzung des entstehenden Photovoltaikzentrums mussten neu überdacht werden. „Wir mussten einen Schwenk machen und haben dann das Konzept verbreitert.“ Das hieß, sich für mehr Unternehmen zu öffnen, die mit erneuerbaren Energien zu tun haben. Der Aufbau des Zentrums macht es möglich. Die 8.000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche bieten Raum für Produktion, Labore und Büros. 18 Einheiten verteilen sich auf neun gleichartige Einheiten mit identischen Standards zur Forschung, zum Ausbau neuer Verfahren sowie zur Produktentwicklung. Die chemischen Labore sind mit Luftabzugssystemen beziehungsweise Wasser- und Druckluftzuführungen ausgestattet. Ein ebenerdiges Lager versorgt Mieter mit benötigten Gasen. Daneben liefert eine Ladestation Strom für Elektroautos, E-Scooter oder Pedelecs. Auf dem Dach des Foyers befinden sich großflächige photovoltaische Versuchsflächen. Im Erdgeschoss liegen eine Werkstatt mit Laufkran sowie eine gemeinsam nutzbare Technikhalle.
Erdsonden für Wärme und Kälte
Ein Zentrum für erneuerbare Energien sollte aber auch als Modell für verschiedene regenerative Energien und deren effiziente Nutzung sein. Diese Funktion erfüllt der neue Gebäudekomplex. Zur weiteren Energieerzeugung sollen demnächst zusätzliche Photovoltaikmodule in die technischen Dachaufbauten integriert werden. Wärmeaustauscher sorgen dafür, dass kaum Heizenergie nach außen verpufft. Erdsonden gewinnen darüber hinaus Wärme und bei Bedarf Kälte für den Gebäudekomplex. Die begrünten Dächer sogen für ein angenehmes Mikroklima. Eine Regenzisterne nutzt das Grauwasser.
„Sie müssen das Haus so bauen, dass sich die Leute über den Weg laufen“, lautete der Auftrag des Bauherren Wista an den Architekten Gunter Henn und sein Team. Das ist gelungen. Das gebäudehohe, helle Atrium verbindet alle Geschosse. Eine Wendeltreppe mit geschlossener Brüstung vermittelt den Eindruck von Galerie oder Theater. Und überall in dem Atrium ist die Photovoltaikanlage vor der Glasfassade allgegenwärtig.
Kandidaten müssen passen
Eröffnet wurde das Zentrum für Photovoltaik und Erneuerbare Energien am 18. November 2013. Derzeit ist es etwa zur Hälfte vermietet. „Unser Technologiefeld erneuerbare Energien und Photovoltaik erstreckt sich über die gesamte Wertschöpfungskette, von der Forschung und Entwicklung über Produktion bis zum Vertrieb“, sagt Ludwig. „Schwerpunkte sind unter anderem die Dünnschichtphotovoltaik, die Analytik, die Weiterentwicklung von Brennstoffzellen, die Herstellung von Wasserstoff, die Netzintegration und die Energiespeichertechnologie.“
Der Leiter des Zentrums ist guter Dinge. Immerhin ist das Zentrum erst ein knappes Jahr lang eröffnet. Dafür sei die Vermietungsquote bestens. Und jeder Interessent werde auch nicht genommen. Die Kandidaten sollten schon ins Profil des Zentrums passen. Und zwar so, dass eins plus eins auch künftig nicht zwei, sondern drei ergibt. Und dem architektonischen Umfeld des Technologieparks hat das Zentrum für Photovoltaik und Erneuerbare Energien mit seinen markanten Modulen einen unverwechselbaren Baustein hinzugefügt.
Das ZPV
In guter Gesellschaft
Der Wissenschafts- und Technologiepark Berlin Adlershof zählt zu den der erfolgreichsten Standorten für Hochtechnologie in Deutschland und zu den 15 größten Technologieparks der Welt. Auf 4,2 Quadratkilometern befinden sich moderne Fach- und Gründerzentren, elf außeruniversitäre Forschungsinstitute, sechs naturwissenschaftliche Institute der Humboldt-Universität und fast 1.000 Unternehmen und Einrichtungen. Mehr als 16.000 Menschen arbeiten und studieren in Adlershof. Hier bietet das Zentrum für Photovoltaik und Erneuerbare Energien (ZPV) jungen Unternehmen bedarfsgerechte Labor-, Technik- und Büroflächen. Es hat eine Bruttogebäudefläche von 13.650 Quadratmetern, Bauherr ist die Wista-Management GmbH.
Technologie und Umwelt
Modellregion für die Energiewende
Seit 2005 wuchsen die Unternehmen und wissenschaftlichen Einrichtungen der Photovoltaik in Berlin Adlershof überdurchschnittlich. Im Jahr 2010, auf dem Höhepunkt der Entwicklung, waren auf diesem Gebiet neben zwei Instituten (Helmholtz-Zentrum Berlin, Institut für Kristallzüchtung) rund 40 Unternehmen mit 1.500 Beschäftigten und einem Umsatz von rund einer Milliarde Euro tätig. Ein Jahr später folgte ein jäher Einbruch. Drei große Hersteller am Standort, Soltecture, Global Solar Energy Deutschland und Solon, gingen in die Insolvenz, andere Unternehmen erlitten Umsatzeinbrüche. Dessen ungeachtet hatte die Photovoltaikbranche in Adlershof bereits starke Signale für die Energiewende gesetzt. Ihre rasante Entwicklung forciert das lokale Cluster rund um die erneuerbaren Energien. Zu vorhandenem Know-how kamen neue Kompetenzen wie Energiespeicherung und Effizienztechnologien hinzu.
Heute arbeiten neben den beiden wissenschaftlichen Einrichtungen rund 40 Unternehmen mit 1.200 Mitarbeitern an innovativen Lösungen für die Energiewende. Beispielsweise entwickelt das Kompetenzzentrum Dünnschicht- und Nanotechnologie für Photovoltaik Berlin (PVcomB) gemeinsam mit der Industrie Dünnschicht-Photovoltaiktechnologien und -produkte. Auf dem Gebiet der Netzintegration entwerfen Unternehmen bis zu 100 Prozent erneuerbare Energiesysteme, die heute schon in vielen Teilen der Welt wirtschaftlicher als fossile Systeme sind. Darüber hinaus hat der Hochtechnologiestandort Berlin Adlershof beste Voraussetzungen, ein Modellprojekt für eine Energiewende in Deutschland zu werden. Sein gegenwärtiger Energiebedarf wird sich durch Flächenerweiterung, Bebauung sowie Neuansiedlung von Unternehmen und wissenschaftlichen Einrichtungen bis 2020 voraussichtlich nahezu verdoppeln. Trotzdem soll der Verbrauch von Primärenergie bis dahin um 30 Prozent sinken. Dies soll unter anderem durch energetische Verbesserung und Vernetzung von Gebäuden, Nutzung von Abwärme, eine effiziente Strom- und Wärmeversorgung, durch Integration unterschiedlicher Energiegewinnungskomponenten sowie dezentrale Versorgungslösungen erreicht werden.
Bereits 2011 wurde unter Leitung von Wista das Projekt „High Tech – Low Ex: Energieeffizienz Berlin Adlershof 2020“ aufgesetzt. Anfang September 2013 ging die „Energiestrategie Berlin Adlershof 2020“ als Folgeprojekt an den Start. Bis August 2016 werden drei Vorhaben umgesetzt: Die BTB übernimmt das Teilprojekt „Wärmeverbundnetz Wohnen am Campus“. Die TU Berlin befasst sich mit „Effizienztechnologien am Wissenschafts-Campus Adlershof“. Wista-Management bearbeitet das Vorhaben „Planungsinstrumente, Partizipation und Umsetzungsszenarien“. Aus den Ergebnissen soll schließlich ein realisierbares und energiesparendes Versorgungskonzept erarbeitet werden.
Solararchitektur
Glasfront mit Blendschutz
Die 119 Module über dem Eingangsbereich des Zentrums für Photovoltaik und Erneuerbare Energien ZPV haben monokristaline Zellen und sind Glas-Glas-Module. Wegen der Sicherheit mussten sie besondere baurechtliche Anforderungen erfüllen. Die Generatoren haben jeweils 180 Watt Leistung und wurden von dem steirischen Unternehmen PV Products GmbH im österreichischen Wies gefertigt.