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Aufbruch in die Wettbewerbsfähigkeit

Alfredo Rubalcaba führt einen fast aussichtslosen Kampf. Der sozialistische Kandidat für das Amt des spanischen Ministerpräsidenten muss bei den Neuwahlen am 20. November angesichts der Enttäuschung vieler Wähler mit der aktuellen Regierung seines Parteifreundes José Luis Zapatero mit einer herben Niederlage rechnen.

Viele Wähler werfen der seit 2004 amtierenden Regierung vor, in Spaniensgrößter Wirtschafts- und Finanzkrise seit Ende der Franco-Diktatur die Sozialpolitik vernachlässigt zu haben. Ähnlichen Verdruss ruft auch die aktuelle Energiepolitik der regierenden sozialistischen Partei PSOE hervor, obwohl sie sich bis zum Ausbruch der Krise als außerordentlich freundlich gegenüber regenerativen Quellen wie Sonne und Wind gezeigt hatte. Doch seit Madrid sparen muss, wurden die Förderungenvor allem für die Photovoltaik massiv beschnitten.

Da hilft Rubalcaba wenig, dass er in seinem Regierungsprogramm einen weiteren Ausbau regenerativer Energien fordert. Denn obwohl seinem Gegenkandidaten Mariano Rajoy von der konservativen PP Sonne und Wind keine Silbe wert sind und seine Partei eine weitere Senkung der Kohlendioxidemissionen strikt ablehnt, setzt mancherVertreter der spanischen Photovoltaikbranche trotzdem auf einen Wahlsieg der Konservativen. „Wann hat die PP je rückwirkende Änderungen in der Solarförderung beschlossen?“, fragt ein User der spanischen Solarinternetseite Suelo Solar unter Anspielung auf die von den Sozialisten Ende 2010 beschlossenen Kürzungen von Einspeisesätzen für bestehende Photovoltaikanlagen. „Die PP verspricht uns verlässliche gesetzliche Rahmenbedingungen“, sagt ein anderer Branchenvertreter hoffnungsvoll.

Kein finanzieller Spielraum

Ob die neue spanische Regierung, egal welcher Couleur, tatsächlich den Bedürfnissen der Branche entgegenkommen wird, ist dennoch mehr als fraglich. „Die finanziellen Spielräume des Staates zur Förderung der Solarenergie sind angesichts der Wirtschaftskrise sehr begrenzt“, sagt mit Christian Beltle, Vorstand der Solar Millennium AG, ein intimer Kenner der spanischen Solarpolitik insbesondere im Bereich Concentrated Solar Power (CSP). Noch erhalten sowohl CSP-Anlagen als auch Photovoltaiksysteme in Spanien einen durchaus attraktiven Einspeisetarif. Während der Strom aus solarthermischen Kraftwerken aktuell mit 27 bis 29 Cent je Kilowattstunde vergütet wird, sind es bei der Photovoltaik für Projekte, die bis Ende dieses Jahres gebaut werden, zwischen 26 und 32 Cent je Kilowattstunde.

Allerdings stammt die Entscheidung zur Gewährung dieser Tarife noch aus der Zeit vor Ausbruch der Schuldenkrise.Für neue solarthermische Kraftwerke gibt es neben den bereits genehmigten Projekten kein Budget mehr. Nach Auskunft des spanischen CSP-Verbandes Protermosolar sind neben den 22 Kraftwerken in Betrieb aktuell 27 Anlagen mit 1,3 Gigawatt Leistung in Bau sowie weitere zwölf Projekte mit 320 Megawatt in fortgeschrittener Planungsphase. Was nach der Realisierung der dann auf 2,5 Gigawatt angewachsenen Gesamtkapazitäten mit der CSP in Spanien passieren wird, ist laut Beltle „völlig offen“.

Klar scheint indes, dass die Photovoltaik durch den kräftigen Preisrutsch im laufenden Jahr im direkten Vergleich mit der thermischen Solarvariante deutlich an Konkurrenzfähigkeit gewonnen hat. Beltle räumt ein, dass die Entscheidung des Erlanger Unternehmens, im Südwesten der USA ein bereits für die CSP genehmigtes Großprojekt kurzfristig auf Photovoltaik umzurüsten, rein ökonomische Gründe habe. Mit der Photovoltaik seien „deutlich günstigere“ Strompreise zu erzielen als jene 16 US-Cent je Kilowattstunde, mit denen die Firma bis dato für die CSP am gleichen Standort rechnete. „Auf die genehmigten Projekte in Spanien lässt sich dieser Vergleich aber nicht übertragen“, sagt der Solar-Millennium-Vorstand. „Solarthermische Kraftwerke müssen in Spanien auch als solche realisiert werden, sonst gibt es keine Vergütung. Bei dem US-Projekt war das anders.“ Dort, wo wie in Kalifornien lediglich nach der günstigsten Variante für Solarstrom gefragt werde, stehe die Entscheidung rein unter Wettbewerbsaspekten. Die Waage neigt sich im Moment der Photovoltaik zu.

„Die Photovoltaik ist in den letzten zwei Jahren deutlich günstiger geworden als CSP“, sagt auch Hans Bünting, Chief Financial Offficer von RWE Innogy, der Grünstromsparte des deutschen Energiekonzerns RWE. RWE Innogy hat sich in Spanien mit dem Ende September 2011 eingeweihten 50-Megawatt-Parabolrinnenprojekt „Andasol 3“ erstmals an einem CSP-Kraftwerk beteiligt. „Die Solarthermie hat die Kostensenkung noch vor sich.“ Dennoch werde der Energieriese aus Essen künftig im freien Wettbewerb künftig nicht automatisch auf die Photovoltaik setzen. Bünting verweist auf die fehlende Grundlastfähigkeit der Photovoltaik, die durch den Kostenvorsprung allein nicht aufgewogen werden könne.

Auch ohne Vergütung lohnend?

Noch leidet die solarthermische Stromerzeugung unter fehlender Industrialisierung und dem Mangel an internationalen Projekten. „Die CSP braucht Skaleneffekte durch größere Produktion und Kraftwerkseinheiten. Kraftwerke, die über 250 Megawatt statt bisher nur 50 Megawatt verfügen, wären ein wichtiger Schritt“, sagt Joachim Ludwig, Chief Operating Officer des Kraftwerkentwicklers Ferrostaal AG, der als Generalunternehmer für Andasol 3 fungiert. In Spanien sind sämtliche geförderten Projekte auf ein Maximum von 50 Megawatt beschränkt. Industrievertreter wie Enrique Sendagorta, Chef des spanischen CSP-Projektentwicklers Sener, rechnen damit, dass die Technologie in Spanien nicht vor 2020 ohne staatliche Unterstützung wettbewerbsfähig sein wird.

Das dürfte der Photovoltaik schon deutlich früher gelingen. „Angesichts des Preisverfalls für Photovoltaiksysteme könnten sich Projekte in einstrahlungsreichen Regionen Spaniens sehr bald auch ohne Einspeisetarif rechnen“, blickt Stefan Roth voraus, Projektleiter von ITS Power aus Zürich, der für die Photovoltaik-Projektentwicklung zuständigen Tochter des norwegischen Photovoltaikspezialisten Innotech Solar. „Für im Idealfall elf bis zwölf Cent je Kilowattstunde kann Solarstrom in Spanien bereits heute produziert werden.“ Es sei denkbar, diesen Strom als Spitzenlaststrom zu vermarkten und außerdem noch Emissionszertifikate zu erzeugen, die für geförderten Photovoltaikstrom nicht zuerhalten seien. „Ein weiterer Vorteil bestünde darin, die Bereitstellung hoher Sicherheiten von 500 Euro je Kilowatt, wie sie für geförderte Photovoltaikanlagen notwendig sind, zu vermeiden.“ Denn nach spanischem Recht müssen die Antragsteller eines Einspeisetarifs für Photovoltaik diese Summe als Bankgarantie bei den Regulierungsbehörden zur Sicherung des Netzanschlusspunktes hinterlegen. Für eine Dachanlage mit 100 Kilowatt kommen so 500.000 Euro zusammen. Das Risiko: Wird das Projekt nicht spätestens 16 Monate nach Erhalt des Genehmigungsbescheids auch realisiert, fällt die Bürgschaft komplett an den Staat. Bei Projekten, die keinen Anspruch auf Förderung stellen, muss zwar zur Sicherung des Netzanschlusses auch Kapital hinterlegt werden. „Das liegt aber nur im Bereich von zehn Prozent der für die geförderten Photovoltaikprojekte notwendigen Summe“, berichtet Francisco Gonzalez vom spanischen ITS-Projektpartner Navitacum aus Murcia.

Photovoltaik für Gewächshäuser

Noch ist das Zukunftsmusik. Aktuell konzentriert sich ITS in Spanien vor allem auf die Realisierung von Photovoltaikanlagen auf Gewächshäusern und anderen Dächern, für die es noch eine Einspeisevergütung geben wird. Dabei handelt es sich um drei Gewächshaus-Projekte in der Nähe der südspanischen Stadt Granada, die nach Fertigstellung Ende 2011 über eine installierte Leistung von je 1,43 Megawatt verfügen werden. Bisher gibt es laut Gonzales in ganz Spanien erst fünf solcher Projekte. Dabei ersetzen die Solarmodule in Richtung Süden die sonst bei den Treibhäusern übliche Folie. Für die Nordausrichtung werden engmaschige Spezialnetze verwendet, die den Treibhauseffekt unterstützen. „Lediglich die Außenwände werden mit klassischer Folie ausgekleidet“, erklärt ITS-Manager Roth. Künftig könnten unter den solaren Gewächshausdächern in der von Olivenbäumen dominierten südspanischen Region alternative Forstpflanzen, Obst und Gemüse gedeihen.

Auch wenn solche Vorhaben aufgrund der garantierten Vergütung für Investoren eine sichere Wertanlage versprechen, ist eine Fremdfinanzierung über einheimische Banken derzeit so gut wie kaum zu erhalten. „Der spanische Bankenmarkt ist ausgetrocknet“, sagt Roth. „Projekte können entweder nur mit ausländischen Kreditinstituten oder komplett über Eigenkapital finanziert werden.“ Der Züricher Projektentwickler arbeitet entsprechend mit kommunalen Stromversorgern aus der Schweiz wie der „Energie Wasser Bern“ als Kunden zusammen. Der Schweizer Versorger hat bereits drei Megawatt an solaren Gewächshäusern und weiteren Photovoltaikanlagen in Spanien im eigenen Portfolio.

Netzdienstleistung jetzt Pflicht

Immerhin muss sich ITS bei all diesen Herausforderungen nicht auch noch der jüngsten Neuerung im spanischen Solarmarkt stellen, die seit 1. Oktober 2011 gilt. Alle Betreiber von Kraftwerken größer als zwei Megawatt sind ab diesem Zeitpunkt verpflichtet, ähnlich wie in Deutschland bei Anlagen, die in das Mittelspannungsnetz einspeisen, verstärkt zur Stabilität des Stromnetzes beizutragen.

Das entsprechende Gesetz, das Real Decreto (RD) 1565/2010 vom 23. November 2010, schreibt vor, dass Photovoltaikanlagen ab zwei Megawatt die technischen Voraussetzungen zu erfüllen haben, bei Spannungseinbrüchen am Netz zu bleiben und sich nicht wie bisher einfach abzuschalten. „Das verbessert die allgemeine Netzstabilität und reduziert die Gefahr einer unkontrollierten Ausweitung einzelner Netzfehler zu einem kaskadenartigen Zusammenbruch des Stromnetzes“, sagt Maurizio Colombo, Sales Manager Europe des spanischen Systemdienstleisters W2PS.

Für die Windkraft gelten diese Vorgaben schon länger. Der Photovoltaik hat der spanische Gesetzgeber eine großzügigere Übergangszeit bis zum 1. Oktober 2011 eingeräumt. Anders als etwa in Deutschland betrifft die Verpflichtung zur Netzkompatibilität nicht nur neue Solarstromproduzenten, sondern auch alle alten Anlagen. „Wer nicht umrüstet, verliert den Anspruch auf den Einspeisetarif“, verweist Colombo auf die Bestimmungen des RD 1565/2010.

Jede einzelne Anlage muss zertifiziert werden, wobei allerdings Übergangsfristen gelten. „Der Prüfer wird sich alle Anlagen sukzessive vornehmen. Erst mit dem Tage der Prüfung entfällt im Falle der Nichterfüllung der Tarifanspruch“, sagt Colombo. Bis der Zertifizierer klingelt, können also noch Wochen oder Monate vergehen.Nach Erkenntnissen von Wechselrichter-Weltmarktführer SMA steht bisher noch gar nicht fest, wer zur Prüfung berechtigt ist. „Die Wechselrichter müssen bei einem akkreditierten Prüfinstitut getestet werden, und danach muss jede einzelne Anlage bei einem akkreditierten Zertifizierungsinstitut zertifiziert werden. Zurzeit gibt es weder ein akkreditiertes Prüfinstitut noch ein akkreditiertes Zertifizierungsinstitut“, erläutert SMA-Sprecherin Susanne Henkel. Grundsätzlich stehe den Betreibern offen, „den Wechselrichter nachzurüsten oder eine externe Lösung zu installieren“.

Bei der Umrüstung geht es nach Auskunft von W2PS-Sales-Manager Colombo vor allem darum, dass sich der Wechselrichter nicht vom Netz trennt und das Netz während des Spannungseinbruchs durch Einspeisen eines Blindstroms gestützt wird. Dafür bietet der Systemdienstleister ein Produkt mit dem Namen CoverGrid PV an. „Wenn ein Spannungsabfall im Netz auftritt, sorgen wir mit unserer Anlage für den Blindstrom“, erklärt Colombo. Unter Blindleistung ist eine in Wechselstromsystemen auftretende Eigenschaft zu verstehen, die darin besteht, dass zum Beispiel Transformatoren Energie aus dem Netz beziehen, ohne sie zu verbrauchen, und sie eine 100stel Sekunde darauf wieder einspeisen. Umgerüstete Photovoltaikanlagen haben Anspruch auf eine Bonifikation von vier Prozent auf den Einspeisetarif. Das lohnt sich also. Bei Missachtung der vorgegebenen Grenzwerte muss der Anlagenbetreiber dagegen eine Kürzung von drei Prozent in Kauf nehmen.

Die Einführung der Netzkompatibiltät ist für die Photovoltaik ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Konkurrenzfähigkeit mit konventionellen Energien. „Mit der Zunahme regenerativer Stromerzeugung wird es immer wichtiger, dass die einzelnen dezentralen Kraftwerke ihrer wachsenden Bedeutung entsprechend auch ihre Verantwortung im Netz wahrnehmen“, sagt Colombo. Denn am spanischen Horizont wird immer deutlicher, dass die Photovoltaik in Zukunft ohne die Politik auskommen muss. Das ist für viele Branchenvertreter nach den Erfahrungen der letzten beiden Jahre kein Schreckgespenst mehr und gilt wohl umso mehr, je wahrscheinlicher ein Sieg des konservativen Kernkraftfreunds Mariano Rajoy bei den Parlamentswahlen im November wird.

Oliver Ristau

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