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Beim Start abgestürzt

Strahlender Sonnenschein und milde 17 Grad Celsius bildeten den Rahmen für die letzte Solarmesse des Jahres, die Mitte Dezember in Montpellier im Süden Frankreichs stattfand. Doch während die äußeren Bedingungen geradezu optimal für Photovoltaik waren, wirkten die Messebesucher wie schockgefrostet. Denn kurz vor der Messe hatte Premierminister François Fillon für 2011 einen Deckel in Höhe von 500 Megawatt für die Installation von Photovoltaikanlagen in Aussicht gestellt. Konkret sollen auch nur noch Anlagen bis zu drei Kilowatt Leistung gefördert werden. Seine Begründung: Ähnlich wie in Deutschland und Spanien fürchtet auch die französische Regierung, dass „der heimische Solarmarkt zu schnell wächst, was den Steuerzahler in Zukunft zu viel Geld kosten würde“. Belegt wurde dies mit einem Gutachten, welches Jean-Michel Charpin (Inspecteur général des Finances) im Sommer über die Entwicklung des französischen Solarmarktes verfasst hatte. Nach Aussage von Jean-François Niveleau, Vertreter der französischen Umwelt- und Energie-Agentur ADEME, steigen die Strompreise 2011 durch die Förderung von Solarstrom weiter, was vom Stromversorger EDF auf die Endverbraucher umgelegt werde. „Allein in Languedoc-Roussillon sind 12.000 Photovoltaikprojekte in der Pipeline, was einem Gesamtvolumen von 3.500 Megawatt entspricht. Ziel der Regierung sind bis 2020 aber nur 5.400 installierte Megawatt. Kein Wunder also, dass die Restriktion kam“, erklärt Niveleau das Regierungsvorgehen.

Aber es sollte während der Messe Energaia noch schlimmer kommen. Um einen kurzfristigen Boom zu verhindern, wurde aus Paris zusätzlich ein bis Ende März 2011 befristetes Anschlussverbot für Anlagen mit einer Leistung über drei Kilowatt erlassen. Dieses umfasst alle Solarprojekte, die noch keine Genehmigung PTF (Proposition Technique et Financière) des Netzbetreibers ERDF haben. Damit bleibt in Frankreich nur noch das Marktsegment der kleinen dachintegrierten Solaranlagen offen. Aber auch hier ist es seit dem 1. Januar eng, denn auch die Vorschriften für dachintegrierte Lösungen (BIPV) wurden verschärft. Solarmodule müssen seither mit ihren entsprechenden Montagesystemen „vollintegriert“ sein, um den höchsten Fördersatz zu bekommen. Das bedeutet in der Praxis, dass sie in der Lage sein müssen, das Dach oder die Fassade komplett vor eindringendem Wasser abzudichten. „Hilfskonstruktionen wie Unterlegfolien sind dann nicht mehr erlaubt“, sagt Stefan Liedtke, Renusol-Geschäftsführer für Marketing und Vertrieb. Anlagen, die diese Kriterien nicht ganz erfüllen, gelten als „einfach integriert“ und erhalten einen deutlich geringeren Fördersatz. „In der Konsequenz bedeutet dies auch, dass jede Kombination aus Modul und Montagesystem zukünftig zertifiziert sein muss“, so Liedtke. Und genau hier hapert es. So klagen viele Modulunternehmen, dass sie noch kein gültiges Zertifikat „Eligible“ der CEIAB (Comité d‘Évaluation de l‘Intégration Au Bâti) für 2011 haben. „Eine Installation ohne ist aber nicht möglich, da der Installateur dann keine Versicherung abschließen kann, die für auftretende Schäden eintritt“, erklärt Richard Loyen, Geschäftsführer des französischen Solarverbandes Enerplan. Durch den hohen Andrang vieler neuer Modulhersteller komme es derzeit zu Engpässen bei den Zertifizierungsinstituten. In der Konsequenz aller Einschnitte bedeutet dies, dass der französische Photovoltaikmarkt damit Anfang 2011 fast gelähmt ist.

System vor dem Einsturz?

Loyen vergleicht die Situation beim Jahreswechsel deshalb auch mit kriegsähnlichen Zuständen. „Das ganze System wird zum Einsturz gebracht.“ Auch Marktteilnehmer reagieren betroffen. Nach Aussage von Maxime Verhaeghe, Direktor des französischen Installateurs Defi Energy, „wird es durch die aktuelle Blockade von Photovoltaikprojekten über drei Kilowatt bis März oder April scharfe Einschnitte in der noch jungen Branche geben“. Verhaeghe vergleicht die aktuelle Situation mit einem Flugzeugabsturz. „Kunden und Verbraucher werden sagen: drei Monate Pause, das war es mit der Photovoltaik“ – und das sei „desaströs“. Jesús M. Asiain Herrero, Key Account Manager PV Solar Energy beim Wechselrichterhersteller Ingeteam, hofft, dass Anfang 2011 doch noch etwas geht. Er setzt auf diejenigen Großprojekte, die noch laufen und bereits über eine PTF verfügen. „Diese sollten reichen, um bis April für ausreichende Einnahmen zu sorgen.“ Danach sieht Herrero eine Beruhigung des Marktes. Sorgen müsse man sich vielmehr um den Solarmarkt in Deutschland machen, den Herrero als Mastermarkt für alle anderen europäischen Solarmärkte bezeichnet.

Auch Richard Loyen zeigt sich für 2011 kämpferisch: „Wir haben jetzt Allianzen mit anderen Institutionen gebildet und werden versuchen, in Gesprächen mit der Regierung bis Ende Februar 2011 den Deckel abzumildern. Bei einem Marktvolumen von circa 500 bis 550 Megawatt im Jahr 2010 macht das Segment der Drei-Kilowatt-Anlagen rund 40 bis 50 Prozent des Marktes aus“, rechnet Loyen vor. Aber auch wenn dies gelingen sollte, sehen Loyen und viele andere Marktteilnehmer, dass die Branche durch die Handlungen der Regierung angezählt ist und mittelfristig Schäden bleiben. Bleibt es bei den geplanten Änderungen, würden rund 50 Prozent aller derzeit in Planung befindlichen Projekte im Sande verlaufen, da sie noch nicht über die notwendige PTF verfügen. „Da gehen Millionenbeträge und auch Arbeitsplätze verloren“, so Loyen. Nach Berechnungen von Enerplan gab es 2010 mehr als 25.000 Arbeitsplätze in der französischen Solarbranche, von diesen würden rund 5.000 bis 10.000 auf dem Spiel stehen. Gefährdet sind besonders Jobs auf der Installations- und Planungsebene, die den größten Anteil an der Gesamtbeschäftigtenzahl haben.

Wann die Marktteilnehmer Klarheit bekommen, wie es weitergeht, ist nach Aussage von Loyen noch nicht absehbar. „Die Diskussion wird maximal vier Monate dauern, aber vielleicht schaffen wir es ja auch schon in zwei Monaten, eine akzeptable Lösung zu finden“, betont Loyen. So mobilisiert der Solarverband vor allem außerhalb von Paris seine Kräfte. „Es gibt viele Regionen in Frankreich, die offen sind für Photovoltaik. Dies müssen wir nutzen und vor Ort mobilisieren. Es muss den Leuten klar werden, dass die Photovoltaik lokal zu einer tragenden Säule wirtschaftlichen Einkommens in Frankreich werden kann und welchen Schaden die Politik in Paris jetzt anrichtet“, erklärt Loyen die Strategie. Hierdurch sollen die beiden zuständigen Ministerien zum Umdenken gezwungen werden. Auf der einen Seite steht Nathalie Kosciusko-Morizet (Ministre de l’Écologie, du Développement durable, des Transports et du Logement), die als Befürworterin von Solarstrom gilt, während auf der anderen Seite Éric Besson (Ministre de l‘Industrie, de l‘Énergie et de l‘Économie numérique) als klarer Gegner zählt. Ob der angeschlagene Präsident Sarkozy schlichtend in die Verhandlungen eingreifen wird, nachdem er noch Anfang 2010 die Solarbranche bis 2012 verschonen wollte, bleibt fraglich. Auch auf Neuwahlen kann die Solarbranche derzeit nicht hoffen. Diese finden erst im Mai 2012 statt, „und bis dahin ist es für die Solarbranche in Frankreich zu spät“, resümiert Loyen.

Rückblick: Seit 2008 verspürte die Solarwelt in Frankreich einen deutlichen Aufschwung. Das seinerzeit verabschiedete Umweltprogramm „Grenelle de l‘environnement“ sieht für den Zeitraum von 2009 bis 2020 Investitionen in Höhe von 440 Milliarden Euro vor, von denen allein 115 Milliarden Euro in den Bereich der erneuerbaren Energien fließen sollen. Hierdurch soll der Anteil der erneuerbaren Energien am verbrauchten Strom bis 2020 auf 23 Prozent ansteigen. Damit erhoffte sich die französische Regierung eine Verringerung der Abhängigkeit von Energieeinfuhren. Zwar liefern die 21 Kernkraftwerke mit 59 Reaktoren heute 78 Prozent des französischen Stroms, der Rest muss aber teuer durch Importe fossiler Brennstoffe ergänzt werden. Konkret soll das Solarenergievolumen 2012 bei 1.100 Megawatt liegen und bei 5.400 Megawatt im Jahr 2020. Nach Aussage von Loyen rechnet die Regierung aufgrund der Marktdynamik alleine für 2011 damit, dass mehr als ein Gigawatt ans Netz gehen könnte. Dies käme einer Übererfüllung der Ziele gleich.

Atomlobby als Strippenzieher

Aber auch die Atomlobby wird hinter den geplanten Förderungskürzungen als Strippenzieher vermutet. „Die Verantwortlichen haben Angst, dass Frankreich der deutschen Erfolgsgeschichte folgt. Sie wollen nicht 2020 vor dem Problem stehen, dass im Sommer kein Atomstrom mehr gebraucht wird“, erklärt Loyen. Auch Installateur Verhaeghe ist sauer auf die Sarkozy-Regierung, die Atomlobby-Politik betreibe. Seiner Meinung nach gibt es derzeit keine eindeutige Linie mehr für die Entwicklung der Photovoltaik in Frankreich, was den Markt total verunsichere.

Dass sich Frankreich zu einem der attraktivsten Märkte für Solaranlagen mauserte, liegt nicht zuletzt an den Fördersätzen. Zwar wurden diese im September für Anlagen mit einer Leistung über drei Kilowatt um zwölf Prozent gesenkt. Der Satz für vollintegrierte Dachanlagen bis drei Kilowatt blieb aber bei 58 Cent pro Kilowattstunde bestehen. Daneben können Eigenheimbesitzer weitere staatliche Unterstützung beantragen: Betreiber von BIPV-Anlagen unter drei Kilowatt auf Privathäusern können eine Steuergutschrift in Höhe von bis zu 8.000 Euro bekommen – ein Betrag, der zu 50 Prozent der Investitionssumme entspricht. Diese Regelung ist gültig bis zum 31. Dezember 2012. Auch ein reduzierter Mehrwertsteuersatz in Höhe von 5,5 anstelle von 19,6 Prozent sowie projektbezogene Einmalzuschüsse von Gemeinden und Regionen sind möglich. Deswegen macht das Segment der kleinen BIPV-Privatanlagen, gemessen an der Zahl der installierten Anlagen, mit 38.000 rund 91 Prozent am Gesamtmarkt aus. Dabei profitieren auch französische Kunden von sinkenden Preisen. So ergibt sich aus dem „European PV Modul Price Monitor“, der quartalsmäßig von dem Marktforscher EuPD Research in Frankreich erhoben wird, dass die Preise für monokristalline Module 2010 um rund 18 Prozent, bei polykristallinen Modulen um 16 Prozent gefallen sind. Bei den Systempreisen pro Kilowatt für Aufdachanlagen bis drei Kilowatt Leistung ermittelt EuPD Research Werte zwischen 4.340 und 6.000 Euro in der Spitze. Das ist recht viel im Vergleich zu Märkten wie Deutschland.

Hohe Marge für Installateure

„Dank der Preise liegt die EBIT-Marge der Installateure zwischen 15 und 30 Prozent“, meint Benjamin Cros, Senior Manager von Pricewaterhouse Coopers (PwC), der den französischen Solarmarkt regelmäßig untersucht. Bei rund 81 Prozent der Installateursunternehmen handle es sich laut Cros um kleine Familienbetriebe. Neben der guten Marge wirkt sich aber auch der höhere Aufwand, der durch die Vollintegration entsteht, nachteilig auf die Preise aus. „Aber auch die administrativen Kosten, die bei jedem Projekt entstehen, bremsen“, sagt Loyen. Diese machen in Frankreich inzwischen rund 20 Prozent der Investitionssumme aus und müssten im Rahmen der Regierungsverhandlungen erörtert werden. Auch Jean-Philippe Bondy, ehemaliger Chefredakteur des Fachmagazins Environnement Magazine, ist unzufrieden mit der Praxis des Netzbetreibers ERDF. „Es gibt eine gesetzliche Verpflichtung, dass drei Monate nach Antragstellung eines Anlagenbetreibers die PTF auszustellen ist“, so Bondy. Effektiv verlängere sich die Wartezeit aber in der Mehrzahl der Fälle so weit, dass ein Jahr überschritten werde, weshalb die Anträge neu gestellt werden müssten. „Somit werden Antragsprozesse künstlich auf bis zu zwei Jahre verlängert“, so Bondy. Aber obwohl die ERDF für die Verlängerung von Antragswartezeiten nach Aussage von Bondy schon mehrfach gerichtlich belangt wurde, nimmt das Prozedere kein Ende. Seine Vermutung ist, dass gerade jetzt die Restriktionen beschlossen wurden, damit die ERDF zukünftig nicht so viele Strafgelder zahlen muss.

Andere Marktteilnehmer sehen auch in der wachsenden Zahl ausländischer Unternehmen einen Grund für den Förderstopp. Rund 80 Prozent der auf dem französischen Markt tätigen Photovoltaikfirmen stammen aus dem Ausland, bestätigt Cros. „Von denen kommen 60 Prozent aus China.“ Die wichtigsten französischen Marktteilnehmer sind der Modulhersteller Tenesol, der zu jeweils 50 Prozent dem Stromanbieter EDF und dem französischen Ölkonzern Total gehört. Das Unternehmen hat 2010 die Produktionskapazitäten seiner Modulfabriken in Toulouse und Kapstadt auf jeweils 85 Megawatt erhöht. Auch Photowatt aus der Nähe von Lyon kündigte eine Erweiterung seiner Produktion an. Der Silizium-, Zellen- und Modulhersteller will seine Leistung von derzeit 70 auf 200 Megawatt im Jahr 2012 steigern. Der französische Modulhersteller Fonroche verfügt nach eigenen Angaben über eine Produktion mit einer Leistung von 90 Megawatt, die noch gesteigert werden soll. Neu im Markt sind seit September 2009 Voltec Solar, die im Elsass poly- und monokristalline Module herstellen. Bis 2012 soll eine Kapazität von 100 Megawatt errichtet werden. Auch Solarezo baut in Les Landes im Südwesten Frankreichs eine Modulfabrik mit einer Kapazität von 60 Megawatt. Insgesamt wären also alleine die französischen Hersteller in der Lage, die heimische Nachfrage zu befriedigen.

In den nächsten Monaten wird sich zeigen, wohin die Reise im französischen Solarmarkt führt. Zwei Dinge scheinen jedoch heute bereits absehbar: Für Unternehmen, die auf Großprojekte angewiesen sind, wird es in Zukunft deutlich schwieriger werden, sagt Michel Mathé von der Firma Bugeaud. Zweitens hat die Regierung mit ihrer Konzentration auf das BIPV-Geschäft nicht den erwünschten abschottenden Effekt erzielt. „Heute bieten fast alle großen Hersteller entsprechende BIPV-Lösungen an, womit die französische Regierung mit ihrer Idee gescheitert ist“, fasst Loyen zusammen.

Michael Forst

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