Die Lage in Spanien ist ernst. Das Einzige, was wächst, ist die Arbeitslosig- keit. Die Lage ist so prekär, dass Spanien Mitte Juli die sogenannte Gemeinsame Absichtserklärung (Memorandum of Understanding on Financial-Sector Policy Conditionality) unterzeichnen musste, um Finanzhilfen in Höhe von bis zu 100 Milliarden Euro aus dem europäischen Rettungsschirm zur Rettung seiner Banken zu erhalten. Doch seitdem spricht Brüssel auch in energiepolitischen Fragen ein gehöriges Wörtchen mit. Zwar enthält die Gemeinsame Absichtserklärung nur Auflagen zur Restrukturierung des spanischen Finanzsektors. Allerdings kann ein Land nach deren Unterzeichnung „mit Sicherheit nicht die Empfehlungen der EU ignorieren, wie mit der Krise umzugehen ist“, so eine EU-Sprecherin. Und in Sachen Energiepolitik fordert die EU-Kommission Spanien auf, bis 2013 vor allem zwei Aufgaben anzugehen: den Ausbau der Strom- und Gasverbindungen zu den Nachbarländern sowie eine umfassende Lösung für die Kluft zwischen Strompreis und Erzeugungskosten und das daraus folgende Tarifdefizit.
Dieses auf 24 Milliarden Euro angewachsene Defizit ist ein historisches Vermächtnis aus der Zeit, als Spanien Strom noch großzügig subventionierte. Erst mit Ausbruch der Immobilien- und Schuldenkrise 2008 begann die damalige sozialistische Regierung, die Politik des billigen Stroms zu beenden. In der Folge sind die Netto-Strompreise für spanische Haushalte bis 5.000 Kilowattstunden Jahresverbrauch laut EU-Statistikbehörde Eurostat bis Ende 2011 um 50 Prozent angestiegen. Mittlerweile ist Elektrizität für Endverbraucher mit 16,8 Cent netto nur noch in Zypern und Irland teurer.
Doch auch eine Reihe weiterer Kosten fließen in das Tarifdefizit ein, etwa für die Stromversorgung auf den spanischen Inseln und die Förderung regenerativer Energien über die Einspeisevergütungen. Obwohl die Erneuerbaren wie die Photovoltaik erst seit 2007 dazu beitragen, sollen ausgerechnet sie nach dem Willen der konservativen Regierung nun zur Kasse gebeten werden, um die Löcher zu stopfen. So ist im Gespräch, den Betreibern von Photovoltaikanlagen, die in den vergangenen Jahren bereits durch die rückwirkende Änderung ihrer einst zugesagten Vergütungssätze belastet wurden, für jede Kilowattstunde Solarstrom künftig eine Sondersteuer von 19 Prozent aufzubrummen. Damit flössen dem Staat rund 550 Millionen Euro zusätzlich zu. Windstrom würde nach diesen Plänen mit elf Prozent (400 Millionen Euro) besteuert. Die übrigen regenerativen Quellen sollen zusammen 230 Millionen Euro erwirtschaften.
Die konventionelle Stromwirtschaft profitiert
Damit käme auf die regenerativen Energien zusammen fast der gleiche finanzielle Beitrag zu wie auf Spaniens konventionelle Quellen, deren Extra-Besteuerung dem Staat rund 1,4 Milliarden Euro bescheren soll. Dabei haben Solar- und Windenergie bei weitem nicht den gleichen Anteil am spanischen Elektrizitäts-Mix. So sorgte die Photovoltaik laut den Daten des staatlichen Übertragungsnetzbetreibers Red Eléctrica de España (REE) von Januar bis Juli 2012 für 3,6 Prozent des in Spanien erzeugten Stroms. Kernkraft, Kohle, Gas und große Wasserkraft erbrachten dagegen mehr als 60 Prozent. Den konventionellen Quellen könnte die Regierung zudem mit einer Verlängerung der Laufzeiten entgegenkommen. Demnach dürften die Kernkraftwerksbetreiber ihre Meiler 50 statt bisher 40 Jahre betreiben. Auch die Konzessionen für bestehende Großwasserkraftwerke sollen um 20 Jahre verlängert werden. Das würde der konventionellen Stromwirtschaft trotz der Sonderbelastungen erhebliche Windfall-Profits bringen, errechnete die von kritischen Wirtschaftswissenschaftlern und Politikern ins Leben gerufene Organisation Economistas Frente a la Crisis (Ökonomen gegen die Krise). „Während die konventionelle Stromwirtschaft die Belastungen an den Verbraucher weitergeben kann, ist das etwa für die Photovoltaikbetreiber, die ja eine feste Vergütung erhalten, nicht möglich”, beschwert sich Mischa Bechberger, ein Sprecher der spanischen Vereinigung für erneuerbare Energien APPA (Asociación de Productores de Energías Renovables), über die Ungleichbehandlung. „Nach den rückwirkenden Kürzungen der letzten Jahre würde das für viele Betreiber das wirtschaftliche Aus bedeuten.” Die Regierung ficht das nicht an. So warnte der für die Energiepolitik verantwortliche Minister José Manuel Soria im spanischen Fernsehen davor, dass die in den vergangenen Jahren angeschlossenen Regenerativkraftwerke zwischen 2012 und 2020 „Kosten für die Vergütungen von zusammen 70 Milliarden Euro mit sich bringen werden”.
Gerüchte und Verwirrung
Die aus Wissenschaftlern und Politikern besetzte Pro-Erneuerbare-Allianz Fundación Renovables (Stiftung der Erneuerbaren) wehrt sich gegen die immer wieder ins Feld geführte Behauptung, die grünen Energien seien für das Milliardenloch im Stromsektor hauptverantwortlich. „Alles, was seit 2008 an gesetzgeberischen Maßnahmen gegen die Erneuerbaren durchgeführt wurde, hat nicht verhindern können, dass die Stromrechnung und das Tarifdefizit weiter gestiegen sind”, heißt es in einem Strategiepapier der Stiftung. Allein seit die neue Regierung Anfang 2012 den Förderstopp für alle Photovoltaik-Neuanlagen beschlossen habe, seien die Stromtarife für die Verbraucher zwei Mal angehoben worden.
Doch noch ist gar nicht sicher, ob die Sondersteuern überhaupt Realität werden. Auf offiziellen Regierungspapieren jedenfalls fehlen die Vorschläge bisher. „Die Regierung hat bislang keine Maßnahmen für den Energiesektor beschlossen. Alles was bis dato darüber publiziert wurde, ist nicht offiziell”, sagt ein Sprecher des Industrieministeriums. Er empfiehlt außerdem, den Diskussionen „nicht zu viel Bedeutung beizumessen”. Denn offenbar sind die Zahlen, die im öffentlichen Raum kursieren und von allen Beteiligten – politische Opposition, Wirtschaftsorganisationen und Medien – in gleicher Größenordnung ventiliert werden, gezielt aus dem Amtssitz des spanischen Ministerpräsidenten lanciert worden, um die Reaktionen im Vorfeld abschätzen zu können.
In Brüssel jedenfalls treffen die erneuten Steuerpläne auf Skepsis. Das von Günther Oettinger geführte Energiekommissariat wiederholt seine bereits in Vergangenheit gegenüber Spanien mehrfach ausgesprochene Warnung: „Spanien sollte rückwirkende Maßnahmen und plötzliche Stopp-Start-Ansätze vermeiden und Störungen und Verwirrung von Investoren und Marktteilnehmern vermeiden, die die Arbeitsplätze und das Wachstum schaffen, das Europa braucht.” Rückwirkende Maßnahmen würden die Glaubwürdigkeit der erneuerbaren Energien als eine solide Investitionsmöglichkeit untergraben.
Auch in den USA wird die Entwicklung der spanischen Energiepolitik mit Sorge gesehen. Spanische Firmen, so die Befürchtung, seien für zahlreiche Photovoltaikprojekte in den USA verantwortlich. Eine etwaige Pleite dieser Unternehmen könnte auch den Fortschritt der US-Vorhaben hemmen. APPA-Sprecher Bechberger bestätigt, dass die Erneuerbaren-Verbände bei verschiedenen Botschaften Alarm geschlagen hätten.
Widerstand von innen
Das Pokerspiel um die Energiesteuern in Spanien ist offen. Denn auch innerhalb der Regierung gibt es Widerstand. Im Wirtschafts- und Finanzministerium werden die unterschiedlichen Steuersätze auf die einzelnen Energieträger wegen ihrer Willkürlichkeit kritisch gesehen. Außerdem wehrt sich der mächtige Verband der konventionellen Stromerzeuger UNESA nach Kräften gegen die seiner Ansicht nach ruinösen Steuerpläne für die konventionellen Quellen.
Die Solarbranche hofft nicht zuletzt wegen der internationalen Rückendeckung auf eine „neutrale” Lösung. So forderte die Vereinigung der Solarstromproduzenten und -investoren ANPIER (Asociación Nacional de Productores e Inversores de Energías Renovables) die Regierung auf, im Zuge der Energiereform zur Lösung des Tarifdefizits die rückwirkende Anpassung der Einspeisevergütungen wieder aufzuheben. Das versteckte Angebot von ANPIER: eine Steuer könne akzeptiert werden, wenn es wieder für die volle Solarstromproduktion eines Jahres eine Einspeisevergütung gebe, und nicht wie seit den Änderungen nur für eine begrenzte Stundenzahl pro Jahr. Bei der Partnerorganisation APPA kursiert eine andere Idee: eine Besteuerung sei denkbar, wenn dafür der Zeitraum der Vergütungszahlung von aktuell 30 Jahren verlängert werde.
Bald ohne Einspeisevergütung?
Sollten die Steuerpläne Realität werden, könnte das für geplante Photovoltaikprojekte, die sich ohne Einspeisetarif am Markt bewähren wollen, sogar ein Vorteil sein. Denn die Belastungen sollen nach bisherigem Diskussionsstand nur die erneuerbaren Energien treffen, die mit einer solchen Vergütung gefördert werden. Noch sind die Firmen vorsichtig: „Sollte es zu den Steuerplänen kommen, muss man genau untersuchen, wie sie die Wirtschaftlichkeit unserer Projekte beeinflussen”, erklärt Modulhersteller und Projektentwickler Solaria. Die Firma aus Madrid hatte im Juni angekündigt, bis 2015 ein Photovoltaik-Kraftwerk mit einer Leistung von 60 Megawatt in der Provinz Toledo ohne öffentliche Förderung realisieren zu wollen.
Sollten Kernkraft, Kohle, Gas und Wasserkraft also tatsächlich mit den kolportierten Sätzen von bis zu 1,5 Cent je Kilowattstunde besteuert werden und die erneuerbaren Energien am Markt davon verschont bleiben, würde das die Wirtschaftlichkeit der in Spanien geplanten förderungsfreien Photovoltaikvorhaben sogar verbessern.
Das wäre für die Branche eine gute Nachricht, denn das Photovoltaik-Neugeschäft ist in Spanien nach dem Fördermoratorium weitgehend zum Erliegen gekommen. Und eine Wiederaufnahme der Einspeisevergütung für neue Anlagen ist nicht in Sicht. Die Zukunft der Photovoltaik in Spanien dürfte damit mehr denn je im freien Markt zu finden sein.