„Die erste Milliarde ist die schwerste“, heißt das neue Buch von T. Boone Pickens. Der Ölmagnat ist seit Jahren für eine Schlagzeile gut, aber in letzter Zeit macht er vor allem mit einem Energieplan auf sich aufmerksam, der Amerika unabhängiger machen soll: einheimische Energieerzeugung statt Ölimporte. Da Amerika aber nicht mehr Öl produzieren kann, möchte Pickens das Erdgas nicht mehr für die Stromerzeugung, sondern als Treibstoff für Autos verwenden. Den dadurch fehlenden Strom sollen Windturbinen decken: Pickens spricht von einem „Windkorridor“, der vom texanischen Panhandle bis Kanada reicht – aber auch von einem „Solarkorridor“, der westlich von Texas durch Neumexiko und Arizona nach Kalifornien führt. Trotz dieses Solarkorridors spielt Sonnenenergie allerdings (noch) keine Rolle in Pickens’ Plan. Insgesamt ist seine Energievision also eher eine Teillösung als eine endgültige Antwort; schließlich ist Pickens nicht Forscher, sondern Geschäftsmann, und er sieht die Welt offensichtlich aus dieser Geschäftsperspektive. Damit ist er nicht allein: Die obersten Etagen der US-Geschäftswelt nehmen die erneuerbaren Energien zunehmend in ihr Portfolio auf. Dass Pickens die Solarenergie bisher nicht betont hat, liegt vermutlich an den relativ schlechten Rahmenbedingungen vor der sogenannten Bailout Bill, der Rettungsaktion für den Finanzsektor, die Anfang Oktober als Antwort auf die Finanzkrise beschlossen wurde.Die Bailout Bill hat nämlich einen unerwarteten Nebeneffekt: Die erneuerbaren Energien dürften in den nächsten Jahren insgesamt etwas besser abschneiden als die Gesamtwirtschaft, denn das Paket zurRettung des Finanzsektors erfüllt – ganz nebenbei – die Wünsche des alternativen Energiesektors. Eine wichtige Änderung bei der Solarenergie betrifft den Deckel auf Steuerabschreibemöglichkeiten für Haushalte (im Gegensatz zu Firmen). Bis dato konnten Privatleute 30 Prozent ihrer Investition von ihrer Einkommensteuer absetzen, doch nur bis höchstens 2.000 US-Dollar. Nimmt man an, dass eine typische Dachanlage fürs Eigenheim 25.000 Dollar kosten kann, dann sieht man, wie hemmend dieser Deckel wirkte: 30 Prozent von 25.000 sind 7.500 Dollar, ganze 5.500 Dollar konnten also nicht abgesetzt werden. Seit dem 1. Januar ist dieser Deckel Vergangenheit. Außerdem dürfen ab nächstem Jahr auch private Energieversorger den Steuernachlass für sich nutzen. Bis jetzt, erklärt Julia Hamm, Chefin von Solar Energy Power Association (SEPA), mussten diese Firmen „unabhängige Stromproduzenten zwischenschalten und den Strom durch langfristige Stromabnahmeverträge, sogenannte PPAs, abkaufen“. Andere Änderungen traten jedoch sofort in Kraft. So wurde Solarenergie von der „Alternative Minimum Tax“ ausgenommen. Diese AMT soll eigentlich dafür sorgen, dass Besserverdienende sich nicht in einen sehr niedrigen Steuersatz hinein investieren – nun können sie das aber: mit erneuerbaren Energien.
Undurchschaubare Förderpolitik
Die Bailout Bill hat außerdem die sogenannten Clean Renewable Energy Bonds (CREBs) verlängert. Diese Papiere sind ein genauso kompliziertes Konstrukt wie manch anderes Finanzinstrument, das die Verbraucher in den vergangenen Jahren nicht richtig verstanden haben. Sie erlauben es Stadtwerken und privaten Energieversorgern, die bis jetzt etwaige Investitionen in erneuerbare Projekte nicht direkt steuerlich abschreiben konnten, es doch noch zu tun: Die CREB-Emittenten leihen sich das Geld mit einer Zinsrate von null Prozent, die Zeichner setzen das Geld steuerlich ab. Im Energy Policy Act von 2005 wurden 800 Millionen US-Dollar für CREBs in den Folgejahren 2006 und 2007 zur Verfügung gestellt. 2008 wurden die CREBs jedoch nur für ein Jahr verlängert, und zwar für die gleiche jährliche Summe von 400 Millionen Dollar. Nur ein Bruchteil der CREBs wird für Solarenergie aufgewendet, weil sie für alle erneuerbaren Energien benutzt werden können, aber immerhin stehen nun weitere 800 Millionen Dollar zur Verfügung.Man beginnt zu ahnen, wie kompliziert die Förderpolitik in den USA ist. Die Ablehnung der Steuern an den englischen Staat waren ein Hauptgrund für die Unabhängigkeitserklärung des Landes im Jahre 1776, und seitdem haben die Amerikaner keine Liebe zu Steuern entwickelt. So ist die Förderung der erneuerbaren Energien an das eigene Einkommen (oder den eigenen Gewinn) durch Steuererleichterungen gekoppelt; im Gegensatz zum deutschen EEG hat sie nicht direkt mit der wirklich benötigten Unterstützung des Energieträgers zu tun, und so fällt die Kalkulation für die Investition entsprechend komplizierter aus. Schlecht ist die Bindung an Steuereinnahmen auch deswegen, weil eine neu gewählte Regierung leicht auf die Idee kommen könnte, die Förderung der Erneuerbaren zu streichen, um die eigenen Steuereinnahmen zu erhöhen – das kann die Bundesregierung mit dem EEG nicht.Von den 700 Milliarden US-Dollar an Steuergeldern in der Bailout Bill sind rund 18,5 Milliarden für die erneuerbaren Energien vorgesehen. Die Zahl mag hoch klingen, aber sie ist immer noch niedriger als die 25 Milliarden Dollar in Garantien an die US-Autohersteller, über die in den USA diskutiert wird. Auch eine 30-prozentige Abschreibung klingt gut, doch die Ölfirmen dürfen 50 Prozent ihrer Investitionen in Raffinerien für Schieferöl und Ölsande gleich steuerlich ansetzen. Außerdem wurden 2,5 Milliarden Dollar für die CO2-Ablagerung und „saubere Kohlekraft“ vorgesehen, und Flugkerosin aus verflüssigter Kohle genießt eine besondere Förderung als „alternativer Brennstoff“. Zu guter Letzt gibt es Steuernachlässe, wenn Kohlendioxid in Ölfelder zurückgepumpt wird, um den unterirdischen Druck hochzuhalten – obwohl dadurch nur mehr Öl gefördert und wiederum mehr Kohlendioxid emittiert wird.Zurzeit entsteht im texanischen Panhandle ein Windpark mit rund vier Gigawatt installierter Leistung, der von Ölmagnat T.Boone Pickens finanziert wird. Damit liegt Pickens' Windpark, der 2014 fertig gestellt werden soll, allerdings erst an dritter Stelle, denn das Tehachapi Renewable Project in Südkalifornien wird bis 2013 ganze 4,5 Gigawatt groß sein – und das Titan Wind Project in South Dakota sogar mehr als fünf Gigawatt. Paul Gipe, US-Windexperte der ersten Stunden und Begleiter des Tehachapi-Areals seit Mitte der 1980er Jahre, zeigte sich gegenüber photovoltaik zwar skeptisch: „Wir haben den Ausbau des Netzes schon vor mehr als 20 Jahren beantragt.“ Dennoch ist Gipe optimistisch, dass diesmal alles klappen wird: „Noch ist hier nichts geschehen, aber unglaublich viele Leute sind mit dem Projekt beschäftigt. Es wird wohl kommen.“
Großprojekte im Bau
Solche Riesenprojekte kennen die USA auch im Bereich Solarenergie. PG&E hat angekündigt, den Strom aus Optisolars Dünnschichtkraftwerk mit 550 Megawatt Leistung ab 2011 abzunehmen, wenn das Projekt ans Netz angeschlossen wird. Ein anderes Solarkraftwerk, High Plains Ranch II von Sunpower, wird 2010 fertig – mit einer Leistung von 250 Megawatt. Auch dort ist PG&E der Annehmer. Und das sind nur die Photovoltaikprojekte – nicht zu verwechseln mit Solarthermie-Projekten wie zum Beispiel ein Kraftwerk mit rund 550 Megawatt sowie diversen kleineren Projekten.Allein bei PG&E ergeben sich so schnell etwa zwei Gigawatt Solarkapazität, die in den kommenden drei bis vier Jahren installiert werden. Dabei steht PG&E nicht selbst als Investor hinter den Großprojekten, sondern nur als Stromabnehmer über Power Purchase Agreements. Ab 2009 kann die Firma aber direkt investieren – dank der Bailout Bill. Und dann wären noch die anderen Solarprojekte in den Vereinigten Staaten zu nennen, wie zum Beispiel das Dächerprogramm von Southern California Edison (SCE) mit 250 Megawatt, das 2010 fertig sein soll, oder SCEs Solarprojekt mit 500 Megawatt von Stirlingmotoren auf nachgeführten Spiegelschüsseln.Während dezentrale Solardächer auf das Netz eher den gleichen Effekt wie Einsparmaßnahmen haben, wird bei solchen Großprojekten die Einspeisung problematisch. Gleichzeitig ist unklar, ob und wie genau die Netze ausgebaut und intelligent gemacht werden sollen. Mike Sloan, Geschäftsführer bei Virtus Energy aus Austin/Texas und Mitglied der Wind Coalition seit Gründung im Jahre 1999, glaubt, dass Netzanschlüsse einer der Schlüssel zum Erfolg in Texas sind.„Texas hat das Unbundling bei seinem Netz schon durchgeführt. Deshalb haben wir die nötige Flexibilität, um Projekte fertig zu stellen.“ Während man fast überall in den USA einen Netzanschluss erst beantragen und dann warten, warten, warten muss, kann man – so Sloan – in Texas jederzeit den Anschluss erzwingen, wenn man bereit ist, die Qualität der Leitungen in Kauf zu nehmen. Oder man wartet, bis das Netz ausgebaut worden ist – man kann jedenfalls nicht gänzlich vom Netzanschluss ferngehalten werden.
Startschuss für Netzausbau
Wenn jetzt die Netzbetreiber selbst in erneuerbare Großprojekte einsteigen dürfen (statt wie bisher nur über PPAs), dürfte der Ausbau des Netzes vorankommen. Es liegen aber auch Pläne für ganz neue Netze auf dem Tisch. Kein Geringerer als Al Gore plädiert seit neuestem für ein Hochspannungsgleichstromnetz, um die erneuerbaren Energien besser aufzunehmen.„Wir haben seit Jahren auf diese Veränderungen hingearbeitet, und jetzt sind sie endlich da“, sagte Monique Hanis. Solche Projekte wie bei PG&E waren nämlich schon lange geplant, viele von ihnen waren aber angesichts unsicherer Rahmenbedingungen in der Schwebe – schließlich hatte das Abgeordnetenhaus sei 2007 mehrfach vergeblich versucht, die Steueranreize nach 2008 zu verlängern, was erst am 3. Oktober gelang. Die SEIA beziffert das Volumen an Projekten mit Photovoltaik und CSP, die bundesweit in der Pipeline sind, auf ganze 5,4 Gigawatt. Die durchschnittliche Größe beträgt offenbar 200 Megawatt. Zum Vergleich: Das derzeit größte Photovoltaik-Projekt der Welt wird gerade bei Leipzig von Juwi Solar fertig gestellt und hat eine Kapazität von 40Megawatt. Während der Wahlkampagne sei der PV-Sektor besorgt gewesen, so Hanis, dass die bestehenden Förderinstrumente eventuell erst nächstes Jahr verlängert werden – auch die, die Ende dieses Jahres ablaufen. Doch dann kam alles anders, weil die Energiepolitik mit in die Rettung des Finanzsektors floss. „H.R. 1424 ist die wichtigste Maßnahme, die jemals für den Solarsektor erlassen wurde“, resümiert der EuPD-Bericht „Photovoltaics in the USA“, der nach der Bailout Bill am 3. Oktober aktualisiert wurde, aber noch nicht seit den Wahlen am 4. November. Allerdings wird sich nach den Wahlen vorerst nichts ändern – außer dass die Hoffnung steigt, weil Obama gewonnen hat. Der EuPD wertet Obama als positiv für die Solarenergie, nicht nur wegen seines Wahlprogramms, sondern auch aufgrund seiner Geschichte als Senator: „Die Stimmabgaben der letzten zwei Jahre zeigen, dass Obama anscheinend die Entwicklung der erneuerbaren Energien stärker unterstützt als McCain.“
Alte und neue Prognose
Am deutlichsten wird der Fortschritt in den letzten Monaten, wenn man die alte Prognose vom EuPD vor der Bailout Bill mit der Prognose danach vergleicht: Bereits 2009 sollen ganze 19 Prozent mehr installiert werden, als ursprünglich angenommen; „die neue Förderpolitik wird viele Projekte, die auf Eis liegen, wieder in Schwung bringen“, formuliert es der EuPD-Bericht. Doch erst danach schlage sich die neue Politik richtig nieder. So könnten alleine im Jahr 2012 60 Prozent mehr installiert werden als im September angenommen.
Preistreiber Bürokratie
Interessanterweise findet der EuPD, dass sich die Preise für Module – egal ob mono- oder multikristallin – in den USA und Europa nur minimal unterscheiden (in den USA sind sie etwas teurer), aber die Preise für Systeme in den USA klaffen weiter auseinander. Während die Briten und Amerikaner gerne argumentieren, dass ihre Förderinstrumente für erneuerbare Energien billiger seien als die deutsche Einspeisevergütung, ist die Bürokratie in der US-Solarförderung für den EuPD einer der zwei größten Preistreiber. Der andere ist die größere Marge, die Solarinstallateure in den Vereinigten Staaten offenbar angesichts des kleineren Markts durchsetzen können.Die Situation wird sich aber wohl ändern, denn die Privathaushalte bekommen mit den neuen Rahmenbedingungen einen größeren Ansporn, Solarmodule aufs Dach zu bauen. So wird sich – und das muss man sich angesichts der obigen Zahlen von PG&E auf der Zunge zergehen lassen – der Anteil der Haushalte am Gesamtmarkt für Photovoltaik laut EuPD um drei Prozentpunkte vergrößern, und zwar von 39,2 im Jahre 2008 auf 42,2 Prozent im Jahre 2012. Noch größer wächst allerdings der Anteil der Energieversorger in den nächsten vier Jahren: von 15,7 auf 22,6 Prozent. Der EuPD glaubt auch, dass die Stromabnahmeverträge in den Hintergrund treten werden, weil die neuen Rahmenbedingungen es lukrativer machen, wenn die Energieversorger alles selbst in die Hand nehmen.Natürlich könnte die bestehende Finanzkrise den Ausbau der erneuerbaren Energien immer noch in Mitleidenschaft ziehen, aber eigentlich nur, wenn die gesamte Wirtschaft erlahmt. Laut einem Bericht im Wall Street Journal von Ende Oktober wurde das Pickens-Projekt bereits von der Krise tangiert; ein Pressesprecher der Firma BP Capital, die einen Teil von Pickens' Vermögen verwaltet und alleine 2008 eine Milliarde Dollar Verlust melden musste, sagte, das Projekt sei zwar nicht abgebrochen, aber man lasse sich jetzt Zeit mit dem Antrag für die 170 Kilometer lange Trasse für Übertragungsleitungen.Doch wer glaubt, die Amerikaner hätten die Vorteile der erneuerbaren Energien entdeckt, wird über das Zustandekommen der Bailout Bill staunen. Die Hintergründe zeigen eher, wie die Politik in den USA funktioniert. Zunächst werden komplett getrennte Themen oft aus rein politischen Gründen in den USA in einen einzigen Gesetzentwurf zusammengeworfen. Wenn ein bestimmter Senator verlauten lässt, er werde einen Entwurfnicht unterstützen, dann kann man versuchen, ihn umzustimmen, indem man sein Steckenpferd mit reinpackt – selbst wenn das Thema in einem völlig anderen Zusammenhang steht. Macht man das mit jedem, bläst sich das Gesetz stark auf; die Amerikaner reden dann resigniert von „pork“ (Schweinefleisch), wenn es um dieses Geschachere geht. Allerdings drehte Wired.com den Spieß um und berichtete von „tasty green pork“ (leckerem grünen Schweinefleisch) in der Bailout Bill.
Rennsport und Wollforschung
Die Zusätze zu sauberer Energie waren also nur ein Teil des „pork“, das den ursprünglich dreiseitigen Gesetzentwurf auf knapp 450 Seiten wachsen ließ. Die Liste der anderen nicht verwandten Themen ist lang: etwa eine Steuer auf Rum aus Puerto Rico, eine siebenjährige Gnadenfrist für den Rennsport (Nascar), die Aufhebung des Zolls auf Wollprodukte und Wollforschung und die Steuerfreiheit für hölzerne Pfeile als Spielzeuge. Im Prinzip ist der Rettungspakt für den Finanzsektor selbst nur ein Anhängsel – der Gesetzentwurf hieß am Anfang der „Paul Wellstone Mental Health and Addiction Equity Act of 2008“. Die Rettung des Finanzsektors wurde also selbst eilig an ein anderes Gesetz angehängt, das kurz vor der Verabschiedung stand.