Not macht bekanntlich erfinderisch. Weil in Spanien seit Anfang 2012 die Photovoltaik nicht mehr mit Einspeisetarifen gefördert wird, müssen die Solarfirmen einen anderen Weg finden, ihr Geschäft aufrechtzuerhalten. Da kommt ihnen der Preisverfall der letzten Jahre natürlich entgegen. Eine Reihe von Investoren hat den Bau von tariffreien Anlagen in Angriff genommen. Dank der intensiven Sonneneinstrahlung auf der Iberischen Halbinsel können auch kleinere Dachanlagen rentabel betrieben werden. Nach einer Untersuchung der Madrider Ingenieursvereinigung COAIN (Colegio y Asociación de Ingenieros Industriales) haben „einige regenerative Technologien wie die Photovoltaik ein Kostenniveau erreicht, das sie unmittelbar rentabel macht, ohne Subventionen und Hilfen“. Das gilt insbesondere für den Eigenverbrauch von Solarstrom.
Doch auch wenn ökonomisch alles dafür spricht: Politik und Bürokratie stehen bisher dem Eigenverbrauch von Solarstrom entgegen. Die konservative Zentralregierung in Madrid hat bis Mitte Februar noch keine umfassende Regelung für Eigenverbrauch und Net Metering beschlossen, auch wenn sie ein solches Gesetz bereits vor einem Jahr ankündigte.
Damit ist der von der Branche vehement geforderte Weg, Privathaushalte zu dezentralen solaren Energieerzeugern zu machen, rechtlich noch verbaut.
Auch ein Net Metering gibt es in Spanien bisher nicht. Doch die Branche hat eine Lücke im System entdeckt, die ausgerechnet die von ihr so heftig kritisierte Vorgängerregierung offenbar in voller Absicht hinterlassen hat. An seinem letzten Arbeitstag, zwei Tage vor den Parlamentswahlen Ende November 2011, bei der die regierende sozialistische Partei einer herben Niederlage entgegensah, unterzeichnete der damalige Industrieminister Miguel Sebastián das Real Decreto 1699/2011.
Die Verordnung schaffte erstmals in Spanien die grundsätzlichen Voraussetzungen, den Strom von regenerativen Stromerzeugungsanlagen mit geringer Leistung an das Verteilnetz anzuschließen und zugleich selbst zu verbrauchen. Wie sich schon bald zeigen sollte, hatte die scheidende Regierung damit der Branche eine Art Rettungsanker zugeworfen. Denn kurz nach seiner Wahl verfügte der neue konservative Ministerpräsident Mariano Rajoy den Förderstopp für alle neuen Kraftwerke aus regenerativen Energien in Spanien.
„Die Verordnung regelt den Netzanschluss von elektrischen Anlagen mit geringer Leistung“, erläutert Alberto Sanromán, Executive Director des spanischen Unternehmens Albasolar. Sie betrifft Photovoltaikanlagen bis 100 Kilowatt und ihren Anschluss an das Nieder- oder Hochspannungsnetz bis 36 Kilovolt. Dabei besteht sowohl die Möglichkeit, den Strom in das Netz einzuspeisen, als auch ihn direkt zu verbrauchen. Für die Netzeinspeisung gibt es keine Vergütung. Der Betreiber kann dafür maximal den Börsenpreis erzielen. Das Unternehmen, das diese Möglichkeiten nutzen will, muss dafür einen Netzanschluss seiner Solaranlage beim zuständigen Verteilnetzbetreiber beantragen. Für Anlagen bis zehn Kilowatt gilt ein vereinfachtes Antragsverfahren. Ab 10 bis 100 Kilowatt ist der Betreiber gewerbesteuerpflichtig.
Uneindeutige Verordnung
Doch so ganz eindeutig ist der Text der Verordnung hinsichtlich der Eigenverbrauchsnutzung nicht, heißt es doch im zweiten Zusatzvermerk des Rechtstextes: „Der Industrieminister wird in einem Zeitraum von vier Monaten (…) der Regierung einen Vorschlag unterbreiten, dessen Ziel die Regulierung der administrativen, technischen und ökonomischen Bedingungen (…) für den Eigenverbrauch ist.“ Da das bisher nicht geschehen ist, lehnen manche Netzbetreiber einen Zugang zu ihrer Infrastruktur, um Photovoltaikanlagen für den Eigenbedarf anzuschließen, als illegal ab. Sanromán empfiehlt Kunden deshalb, bei der Antragstellung nicht den „Eigenverbrauch“ zu deklarieren, sondern von „Anlagen mit geringer Leistung“ zu sprechen.
Die Erfolgschancen hängen dabei nicht zuletzt vom Wohl und Wehe der regionalen Verwaltungen ab. Manchen Comunidades Autónomas – das sind die föderalen Gebietskörperschaften Spaniens – ist die Rechtsunsicherheit ein Dorn im Auge. Sie haben eigene Regelungen erlassen, um den Eigenverbrauch auf ihrem Territorium zu legalisieren.
Das gilt für die Balearen und die Regionen Kastilien und León, Extremadura und Murcia. „Wir treiben die Entwicklung des Sektors regenerativer Energien in zwei Richtungen voran“, erläutert Murcias Energieminister José Ballesta, „sowohl durch den Bau von Großinstallationen als auch mit der Anregung des Eigenverbrauchs.“ Das Land, erklärte er, habe neue Vorschriften entworfen, um die umfangreiche und komplexe Regulierung des Eigenverbrauchs, „die aus mehr als zehn verschiedenen Gesetzen, Verordnungen und Normen besteht, (…) zu vereinfachen und zu vereinheitlichen“.
Nicht nur die Länder haben begriffen, welche Chancen der Eigenverbrauch für die Zukunft der Photovoltaik bietet und dass dies auch in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit und wirtschaftlichen Niedergangs einen gewissen Hoffnungsschimmer verbreiten könnte. Für die Unternehmen, sagt Albasolar-Chef Sanromán, hat dieMöglichkeit zur Selbstversorgung „einen direkten ökonomischen Nutzen, da sie die Energiekosten senkt und sich die Investitionen innerhalb von sieben bis acht Jahren amortisieren“.
So hat der katalanische Verpackungshersteller Bopla als eines der ersten spanischen Industrieunternehmen Ende 2012 von den Möglichkeiten des letzten sozialistischen Dekrets Gebrauch gemacht. Eine 100-Kilowatt-Anlage auf dem Dach einer Fabrik für Plastikverpackungen in Les Franqueses del Vallès in der Region Barcelona sorgt nach Auskunft des Unternehmens künftig dafür, die Produktionskosten um zehn Prozent zu reduzieren. Die 200.000 Euro teure Anlage soll jährlich 162.800 Kilowattstunden Strom erzeugen und sich innerhalb von sieben Jahren bezahlt machen. Das Gros des Stroms wird die Fabrik selbst nutzen, sie hat aber die Möglichkeit, die Überschussproduktion zum Börsenpreis ins Netz einzuspeisen. Unternehmenschef Santi Puig bedauert angesichts der steigenden Industriestrompreise, dass die derzeitige Rechtslage „in Sachen Eigenverbrauch die Kapazitäten auf 100 Kilowatt limitiert“.
Doch diese Grenze gilt in der Tat nur, wenn die Anlagen nach dem besagten Dekret netzgekoppelt betrieben werden. Mittlerweile ist der Solarstrom in Spanien aber so günstig, dass er auch für Industrieunternehmen interessant wird, die ihn ohne die Möglichkeit, Überschüsse einzuspeisen, nutzen wollen.
Selbstverbrauch rechnet sich
Prädestiniert für diesen 100-prozentigen Eigenverbrauch sind laut Fernando Romero, Chef des Solarinstallateurs EDF Solar aus Pontevedra im nordwestspanischen Galizien, Firmen, die einen dauerhaft hohen Mindeststrombedarf am Tag aufweisen. Er nennt als Beispiele Fleisch- und Konservenfabriken, wie sie im Norden Spaniens häufig angesiedelt sind, die permanent Wärme- und/oder Kühlmaschinen in Betrieb haben. Da damit die Notwendigkeit, Strom einzuspeisen, entfalle, sind auch größere Anlagen möglich, wie Romero berichtet. „Wir realisieren Anlagen größer als 100 Kilowatt, die an das interne Netz der Verbraucher angeschlossen werden. Sie zählen quasi zum internen Anlagevermögen der Firma.“ Damit muss für sie kein Netzanschluss beantragt werden, weshalb auch die Grenze von 100 Kilowatt obsolet wird.
EDF Solar – nicht verwandt oder gesellschaftlich verbunden mit dem französischen Energiekonzern EDF – hat neulich für die galizische Geflügelfirma Lago 1.095 Module mit insgesamt 263 Kilowatt Leistung auf die Dächer der Produktionsgebäude montiert. „Damit lässt sich eine Reduzierung von 35 Prozent des Energieverbrauchs erreichen – eine signifikante ökonomische Ersparnis des Unternehmens in der Stromrechnung“, sagt Romero.
Die gesamte Kostenrechnung für den Eigenverbrauch basiert auf zwei Faktoren, erklärt Romero. Zum einen seien die Kosten für große Photovoltaiksysteme auf mittlerweile 1,20 bis 1,30 Euro pro Wattpeak gefallen. Zum anderen haben sich die über Jahre subventionierten Industriestrompreise in Spanien zuletzt beträchtlich verteuert. Nach Angaben der europäischen Statistikbehörde Eurostat legten die Netto-Strompreise für mittlere Industrieverbraucher (500 bis 2.000 Megawattstunden pro Jahr) in Spanien von 2006 bis 2012 um 60 Prozent auf 11,5 Cent je Kilowattstunde zu. Zum Vergleich: Im EU-Durchschnitt betrug die Verteuerung im gleichen Zeitraum nur 30 Prozent. Dieser erhebliche Anstieg, so der galizische Solarmanager, zusammen mit der Kostensenkung bei der Photovoltaik habe zur Folge, dass sich die Anlage für die Geflügelfarm Lago innerhalb von fünfeinhalb Jahren amortisiere. Entsprechend habe das unabhängige solare Installations- und Ingenieurshaus weitere Aufträge für Anlagen über 100 Kilowatt erhalten. Zu beachten sei dabei aber, sagt Romero, dass jeder Einzelfall geprüft werden müsse, weil die Stromtarife je nach Branche und Verbraucher erheblich voneinander abweichen.
Beispiele für kommerzielle Photovoltaikanlagen, die den Strom selbst nutzen und sich ohne jede Förderung rechnen, gibt es mittlerweile in Spanien zuhauf. Anbieter wie Albasolar und Solgironès aus dem katalanischen Celrà berichten von einer Vielzahl von Anlagen, die in den letzten Wochen und Monaten auf spanischen Supermärkten, Campingplätzen und Restaurants montiert wurden. Die Madrider Gehrlicher Solar España hat nach eigenen Angaben im Januar ein Mini-Stromnetz mit Photovoltaik-Inselanlage für eine ländliche Wohnsiedlung bei Caravaca de la Cruz im spanischen Murcia installiert.
Um die spanische Erfolgsgeschichte in Sachen Selbstverbrauch abzurunden, fehlt nun noch, dass das Industrieministerium unter José Manuel Soria die flexible Eigenverbrauchssteuerung für Haushalte legalisiert. Die Unternehmen stehen bereit und erwarten kurzfristig eine Regelung zum Net Metering. Der Optimismus scheint begründet zu sein: José Ballesta, Forschungsminister der Region Murcia und ein Parteifreund Sorias, erklärte jüngst, dass Soria gegenüber dem Ministerpräsidenten der Region Murcia, Ramón Luis Valcárcel, versichert habe, eine entsprechende Verordnung in Kürze vorlegen zu wollen.