Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch

“Wir Türken wollen immer das Neuste haben“

Besser könnte die Stimmung im Messezentrum am Istanbuler Atatürk-Flughafen kaum sein. Die Istanbuler Güne? Enerjisi Teknolojileri Fuari, die einzige Solarmesse der Türkei, fand zwar 2009 erst zum zweiten Mal statt. Doch mit 80 Teilnehmern gegenüber 57 im Vorjahr ist das Interesse stark gestiegen, und man spürt förmlich: Hier tut sich etwas.

Mit Kyocera und seinem türkischen Partnerunternehmen Tuncmatik konnte der Veranstalter einen gewichtigen Hauptsponsor gewinnen. Hakan Kurt, zuständig für internationales Marketing beim Messeveranstalter Ihlas Fuarcilik, steht denn auch die Zufriedenheit ins Gesicht geschrieben. Er freut sich besonders über die Aussteller aus dem Ausland, von denen 18 direkt und viele weitere über ihre türkischen Vertriebspartner vertreten sind: „Viele ausländische Hersteller, vor allem deutsche, haben die Zeichen der Zeit erkannt. Sie knüpfen jetzt schon Kontakte und machen Werbung in eigener Sache.“ Damit sind sie dann – im Gegensatz zu manchem Hersteller, der erst einmal abwarten will, bis die Einspeisevergütung kommt – bestens vorbereitet. Denn, so Hakan Kurt: „Die Branche wird bald gewaltig boomen.“

So sehen das auch die Messeteilnehmer. Und die Bedeutung, die man dem türkischen Solarsektor beimisst, lässt sich auch daran ablesen, dass das baden-württembergische Wirtschaftsministerium zusammen mit der Deutsch-Türkischen Industrie- und Handelskammer in Istanbul anlässlich der Messe eine Delegationsreise mit Kontaktgesprächen organisiert hat.

Das Solarpotenzial der Türkei ist groß. Nach Angaben der zuständigen Forschungsbehörde für das Elektrizitätswesen (Elektrik Isleri Etüt Idaresi – EIE) genießt das Land eine mittlere Sonnenscheindauer von 2.640 Stunden im Jahr (7,2 Stunden im Tagesdurchschnitt) bei einer durchschnittlichen Einstrahlungsintensität von 1.311 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr (täglich 3,6 Kilowattstunden pro Quadratmeter). Daraus errechnet sich eine potenzielle Energiegewinnung von rund 380 Milliarden Kilowattstunden, also fast dem Doppelten des aktuellen Stromverbrauchs (2008: 202,7 Milliarden Kilowattstunden). Das Solarenergiepotenzial der Türkei wurde bisher auf insgesamt 1,3 Milliarden Tonnen Erdöläquivalent (EÄ) geschätzt; tatsächlich dürfte es aber noch um etwa ein Viertel höher liegen.

Die Solarthermie wird bereits vergleichsweise intensiv genutzt – vor allem an der Ägäis und am Mittelmeer sieht man überall Haus- und Hoteldächer, auf denen Sonnenkollektoren stehen. Immerhin rund 20 Prozent der Haushalte im Süden des Landes nutzen Solarkraft zur Wassererwärmung. Das EIE hat ermittelt, dass damit im Jahr 2007 ein Verbrauch von 420.000 Tonnen EÄ abgedeckt werden konnte, doppelt so viel wie noch 1998. Hingegen ist derzeit aber erst eine vernachlässigbar geringe Photovoltaikleistung in Klein- und Pilotanlagen installiert – nach Angaben des EIE ist es ein Megawatt, das staatliche Forschungsinstitut Tübitak spricht von drei Megawatt.

Starker politischer Wille

Das soll sich jetzt radikal ändern, und der politische Wille dazu scheint vorhanden zu sein. Hilmi Güler, Minister für Energie und Natürliche Ressourcen, versprach bei der Eröffnung der Solarmesse, man werde die Einspeisevergütung neu festlegen. Sobald dies erfolgt sei, werde ein heftiger Wettstreit im Solarbereich entbrennen. „Wir werden die Sonne auf die Erde herunterholen“, lautet der vielzitierte Wahlspruch des Politikers von der Regierungspartei AKP (Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung). Auch eine politische Motivation hält der Minister parat: „So wie wir damals mit unserem Befreiungskrieg zum Vorbild für die unterdrückten Länder geworden sind, werden wir auch im Energiebereich den benachteiligten Ländern zum Vorbild dienen, indem wir unser Wasser, unseren Wind, unsere Sonne und unsere Erdwärme nutzen und damit die Abhängigkeit vom Ausland verringern oder sogar unabhängig werden.“

Konkret äußerte der Minister zu der geplanten Solarstrom-Initiative, man werde die Abnahme des Stroms auf zehn Jahre garantieren. Außerdem könnten nun Anlagen bis zu einer installierten Leistung von bis zu 500 Kilowatt errichtet werden, ohne dass es einer Lizenz der Behörde zur Regulierung des Energiemarkts bedarf. Ein praktisches Beispiel lieferte der Minister gleich mit: „Eine Wohnanlage mit 150 Wohnungen kann ihren eigenen Strom erzeugen und den Überschuss an uns verkaufen.“ Seine kühne Vision: „Es wird hier dazu kommen, dass die Ziegel aller Dächer gegen Solarmodule ausgetauscht und die Südwände der Gebäude mit Solarpaneelen verkleidet werden.“

Einspeisevergütung erhöht

Im Juli 2008 wurde bereits das im Mai 2005 in Kraft getretene EE-Gesetz (Gesetz Nr. 5346 über die Nutzung erneuerbarer Energiequellen zur Erzeugung von elektrischer Energie) revidiert, das bisher hauptsächlich Investitionen im Wind- und Wasserkraftbereich ausgelöst hatte. Die technischen und finanziellen Einzelheiten sollen nun in einer Verordnung festgelegt werden. Dass die bisher vorgesehene Einspeisevergütung von umgerechnet 5,5 bis 6 Euro-Cent pro Kilowattstunde deutlich angehoben wird, gilt als beschlossene Sache. Alle Augen schauen nun nach Ankara – und hinter den Kulissen wird letzte Hand angelegt.

„Wir erwarten eine Einspeisevergütung zwischen 23 und 25 Cent pro Kilowattstunde“, sagt Burcin Karagöz, Generalkoordinator von EnerPak Enerji Sistemleri in Istanbul. Deren Mutterunternehmen, die Anel-Gruppe, hat gerade zwei Millionen Euro in ein neues Werk investiert, in dem es Solarmodule mit mono- und polykristallinen Zellen und 80 bis 210 Watt Leistung herstellen will. Die Jahreskapazität der Produktionsanlage soll 13,5 Megawatt betragen, von denen 80 Prozent für den Export bestimmt sind. Niedrige Lohnkosten, hohe Qualitätsstandards, die Nähe zum europäischen Markt und nicht zuletzt eine hohe Mitarbeitermotivation machen die Türkei zu einem attraktiven Standort für die Herstellung von Modulen, berichtet Erol Barendregt, Geschäftsführer der türkischen Vertretung des niederländischen Herstellers Girasolar. Die Produktion von Zellen sei jedoch angesichts der bestehenden Überkapazitäten in absehbarer Zeit unwahrscheinlich.

Die Anel-Gruppe, so Burcin Karagöz, zählt zu den kapitalstarken türkischen Unternehmen, bei denen bereits mit konkreten Planungen für Solarkraftwerke begonnen wurde. Mindestens eines davon soll im Nordteil von Zypern entstehen, der politisch wie wirtschaftlich eng mit dem großen Bruder Türkei verbunden ist. Dort ist trotz optimaler Sonnenverhältnisse die Stromversorgung noch von einem antiquierten und überlasteten Diesel-Kraftwerk abhängig. Allerdings versuche man jetzt noch Einfluss zu nehmen, um möglichst auf eine Kilowattvergütung von 30 Cent zu kommen. Der Kapitaleinsatz soll sich schließlich lohnen. Mit unverhohlenem Neid blickt man auf den Nachbarn Griechenland, wo bei einer Abnahmegarantie von zehn plus zehn Jahren eine Vergütung von durchschnittlich 45,82 Cent bezahlt wird.

Platz für Solarkraftwerke

Flächen für die Errichtung von Solarkraftwerken sind in der Türkei ausreichend vorhanden. Vor allem der dünn besiedelte Südosten des Landes, in dem die stärkste Sonneneinstrahlung herrscht, bietet sich an. In der Branche hegt man jedoch Zweifel, ob bei 25 Cent bereits ein wirtschaftlicher Betrieb von Kraftwerken möglich ist. Erol Barendregt sieht das anders: „Selbst bei 22 Cent rechnet es sich in der Türkei schon. Durch die gute Ausbeute an den hiesigen Standorten amortisiert sich die Investition schon nach fünf bis sechs Jahren, ohne Subventionen wären es 20 Jahre.“ Voraussetzung sei jedoch – neben der Sanierung des gegenüber Spitzenlasten anfälligen Verteilungsnetzes – ein gutes Engineering.

An den Universitäten des Landes wird die Nutzung von Solarenergie unter Federführung des Tübitak schon seit Jahren intensiv erforscht. So wurde bereits 1978 ein Institut für Sonnenenergie an der Ägäis-Universität in Izmir eingerichtet. Viele Hochschulen betreiben Pilotprojekte im Bereich Erneuerbare Energien, oft in Kooperation mit ausländischen Herstellern, und fungieren als Anlaufstellen für umweltbewusste Bürger. Besonderer Popularität bei der jungen Bevölkerung erfreuen sich die Solarmobile, mit denen türkische Jungforscher zum Beispiel von der Sakarya-Universität an Energiesparrennen in aller Welt teilnehmen. Neben Know-how ist auch der nötige Enthusiasmus vorhanden. Hakan Kurt schwärmt förmlich von den Messebesuchern, die sich für die noch weitgehend unbekannte Technologie begeistern: „Wir Türken wollen immer das Neueste haben, koste es, was es wolle. Und am liebsten ist es uns, wenn ‚Made in Germany‘ draufsteht.“

Mit führend bei der Solarforschung ist die Universität von Mugla in der Südägäis. Dort wurde auch im Februar 2008 die erste PV-Fassadenanlage der Türkei in Betrieb genommen. Mit 40,5 Kilowatt ist sie gleichzeitig die derzeit leistungsstärkste Solaranwendung mit Netzeinspeisung. Das Rektoratsgebäude wurde auf insgesamt 677 Quadratmetern mit amorphen Silizium-Modulen verkleidet. Realisiert wurde die Anlage von der fränkischen Sunset Energietechnik GmbH mit ihrem türkischen Montageteam; die Finanzierung wurde durch EU-Mittel ermöglicht.

Auch im staatlich geförderten Wohnungsbau sollen vermehrt „Sonnenbatterien“ (günes pili), so das eingängige türkische Wort für Solarzellen, zum Einsatz kommen. Das Energieministerium will demnächst eine Vereinbarung mit der Behörde für sozialen Wohnungsbau (TOKI) unterzeichnen, wonach deren Neubauten sämtlich mit PV-Anlagen ausgestattet werden sollen. Die gegenwärtige Situation der Türkei vergleicht Barendregt mit dem Stand in Deutschland vor dem 1.000-Dächer-Programm. Da es in der stark verstädterten Türkei keine Einfamilienhauskultur gibt wie in Mitteleuropa, ist aber zu erwarten, dass PV-Anlagen eher auf den Dächern großer Wohnanlagen, öffentlicher Einrichtungen oder Fabrikgebäude errichtet werden.

Ein weites Feld für die Anwendung der Photovoltaik in der Türkei ist die autonome Stromerzeugung in Inselanlagen. Zwar ist die Elektrifizierung des Landes so weit fortgeschritten, dass sie offiziell als abgeschlossen gilt. Doch entlegene Weiler und Einzelgehöfte sind nach wie vor nicht an die Stromversorgung angeschlossen und müssen sich mit Dieselgeneratoren behelfen.

Lücken in der Stromversorgung

Auch dort, wo es einen Netzanschluss gibt, ist die Versorgung aufgrund unzureichender oder überalterter Infrastruktur nicht immer voll gewährleistet. Speziell in den Wintermonaten kommt es durch Schneelast und Wind öfter zu Totalausfällen. Hakan Kurt berichtet von einem Hühnermastbetrieb in Anatolien, dessen Inhaber sich eine PV-Anlage aufs Dach setzte, weil er seinen Betrieb durch ständige Stromausfälle gefährdet sah. Als ihm das E-Werk anbot, den ins Netz eingespeisten Überschuss zu vergüten, soll er dankend abgelehnt haben: Der Staat wolle doch nur Steuern von ihm kassieren. Mangelndes Vertrauen in die Bürokratie und die Frustration über ständige Strompreiserhöhungen können eine Motivation für den Einsatz von Solaranlagen darstellen. Nicht umsonst wirbt die Sunset Energietechnik in der Türkei mit dem Slogan „Die Sonne schickt keine Rechnung“.

Gut gerechnet haben sicher die Türk Telekom und die verschiedenen Mobilfunkanbieter, die schon jetzt in größerem Umfang PV-Anlagen für ihre Sendemasten nutzen. Denn angesichts der hohen Erschließungskosten eines Netzanschlusses in schwer zugänglichen Gegenden rechnet sich die autarke Stromversorgung sehr schnell. Die Liste der weiteren Anwendungsmöglichkeiten ist schier unerschöpflich: Feuerwachtürme, Wetterstationen, Leuchttürme, Verkehrsregelung, Bewässerungspumpen, Beleuchtung im öffentlichen Raum. Herauszuheben ist eine Anwendung der türkischen Niederlassung des schwedischen Herstellers Sunstrip in Konya, der Heimat der tanzenden Derwische. In Anlehnung an den

Sema-Tanz, bei dem die Mevlevi in ihren langen weißen Gewändern und hohen Hüten um die eigene Achse wirbeln, wurde eine mobile Solarleuchte entwickelt.

Darüber hinaus gilt es in der Türkei generell, ein Umweltbewusstsein zu schaffen und das Energiesparpotenzial zu nutzen. 90 Prozent der Gebäude verfügen noch über keinerlei Wärmedämmung – kein Zufall, dass parallel zur Solarmesse auch eine Messe für Isoliermaterialien stattfindet.

Ministerien, Institutionen, verbände

Enerji ve Tabii Kaynaklar Bakanl??? – Ministerium für Energie und Natürliche Ressourcen http://www.enerji.gov.tr
Elektrik ?sleri Etüt ?daresi Genel Müdürlü?ü (E?E) – Generaldirektorat der Forschungsbehörde für das Elektrizitätswesen http://www.eie.gov.tr Elektrik Üretim Anonim ?irketi (EÜA?) – Staatliches Energieerzeugungsunternehmen http://www.euas.gov.tr Enerji Piyasas? Düzenleme Kurulu (EPDK) – Behörde zur Regulierung des Energiemarkts http://www.epdk.gov.tr Türkiye Bilimsel ve Teknolojik Ara?t?rma Kurumu, Marmara Ara?t?rma Merkezi (TÜB?TAK-MAM), Enerji Enstitüsü – Türkische Anstalt für Wissenschaftliche und Technologische Forschung, Forschungszentrum Marmara, Energie-Institut http://www.mam.gov.tr/EE/index.html Ege Üniversitesi Güne? Enerjisi Enstitüsü – Institut für Sonnenenergie der Ägäis-Universität http://eusolar.ege.edu.tr Ulusal Fotovoltaik (PV) Teknoloji Platformu – Nationale Technologie-Plattform für Photovoltaik http://www.trpvplatform.org Güne?ten Elektrik Üreticileri Fotovoltaik Sanayicileri ve ?? Adamlar? Derne?i – Verband der Solarstromerzeuger, Photovoltaik-Industriellen und -Unternehmer http://www.gunese.org Çevre Koruma ve Ara?t?ma Vakf? (ÇEVKOR) – Stiftung für Umweltschutz und -forschung http://www.cev-kor.org.tr Türkiye Erozyonla Mücadele, A?açland?rma ve Do?al Varl?klar? Koruma (TEMA) Vakf? – Türkische Stiftung für den Kampf gegen Erosion, für Bewaldung und für Naturschutz http://www.tema.org.tr (deutsche Sektion: http://www.temastiftung.de/index.html)

Bernd Neidlein

Jetzt weiterlesen und profitieren.

+ PV E-Paper-Ausgabe – jeden Monat neu
+ Kostenfreien Zugang zu unserem Online-Archiv
+ Fokus PV: Sonderhefte (PDF)
+ Webinare und Veranstaltungen mit Rabatten
+ Adresseintrag im jährlichen Ratgeber
uvm.

Premium Mitgliedschaft

2 Monate kostenlos testen