Denn wer baggert noch so spät dort am Baggerloch?
Das ist Bodo mit dem Bagger, und der baggert noch.
Na, noch diesen Ohrwurm im Hinterkopf? Ulknudel Mike Krüger beglückte uns damit vor nunmehr 35 Jahren, Schlagerparade rauf und runter. Nun avancierte der launische Gesang zum Spottlied der Bundeshauptstadt, das die Berliner Spatzen von den Dächern pfeifen. Man möchte mitpfeifen, wenn es nicht so ernst wäre.
110-Kilovolt-Ader gekappt
Denn ein Bagger kappte Anfang voriger Woche die 110-Kilovolt-Ader an der Salvador-Allende-Brücke im Südosten der Stadt. In rund 32.000 Haushalten sowie 2.000 Firmen gingen das Licht, die Motoren und sämtliche Kommunikationskanäle aus. Alles tot: Wohnungen, Treppenhäuser, Supermärkte, Ampeln, Schranken, Schulen, Rathäuser, Ämter … Nur die Krankenhäuser hatten Notstrom, Gott sei Dank.
Er baggert sehr weit, und er baggert sehr tief,
wo Bodo baggert, da geht nie was schief.
Doch, ging es. Der Blackout kam faktisch aus heiterem Himmel, am Mittag. Und dann hat’s Zoom gemacht! Totenstille überm Südosten der Bundeshauptstadt, fast 30 Stunden lang. Man kann das als Zeichen der Entschleunigung werten. Oder als Zeichen für die Energiewende. Oder als weiteres Zeichen für die Schlamperei in Berlin. Denn der Blackout war durchaus vermeidbar.
Jedes Haus eine solare Insel
Wie jeder Blackout künftig vermeidbar ist. Denn stellen wir uns einmal vor, die Stadtteile Lichtenberg, Köpenick, Treptow und Müggelheim hängen fortan nicht mehr nur an einer armdickten Kupferseele. Sondern jedes Gebäude trägt ein eigenes Solardach, auch die Fassaden werden mit Photovoltaik genutzt. In den Kellern oder in den Quartieren laufen leistungsstarke BHKW oder Brennstoffzellen. Stromspeicher sammeln die Energie, damit wird Notstrom faktisch überall zum Standard.
Als das Netz zusammenbrach, hätten diese Solargeneratoren und BHKW die Notversorgung der Quartiere durchaus übernommen. Technisch kein Problem, und Sonne gab es in der vergangenen Woche genug über Berlin: Es waren kalte, klare Tage des Vorfrühlings. Doch Berlin ist bislang ein nahezu weißer Fleck, was die Photovoltaik betrifft.
Die verschiedenen Senatsressorts streiten seit Jahren über einen Masterplan zur Solarisierung der Hauptstadt, passiert ist faktisch nichts. Das unsägliche Mieterstromgesetz des Bundes tat ein Übriges, um in der Planung befindliche Projekte auszubremsen. Das rächt sich nun: Faktisch ist die Metropole bei der Stromversorgung des 19. Jahrhunderts stehen geblieben.
Wer ist schuld?
Als im Südosten der Stadt plötzlich die Lichter ausgingen, zeigten Medien und Politiker aufgeregt auf den Verteilnetzbetreiber, die Stromnetz Berlin GmbH. Die Tochtergesellschaft des schwedischen Vattenfall-Konzerns ist für das Berliner Verteilnetz verantwortlich. Es besteht aus den Spannungsebenen Hochspannung (110 Kilovolt), Mittelspannung (zehn Kilovolt) und Niederspannung (400 Volt) und ist über Umspannwerke an das vorgelagerte Übertragungsnetz gekoppelt.
Stromnetz Berlin wiederum zeigte auf die Baufirma, deren Bagger das Kabel durchtrennt hatte. Diese wiederum zeigte auf Stromnetz Berlin: Die Pläne haben nicht gestimmt. So wird die Sache vermutlich vor Gericht landen.
Mitschuld von Vattenfall und Senat
Wie das Urteil ausfallen wird, ist eigentlich egal. Denn Vattenfall und die Berliner Politik trifft eine nicht unbeträchtliche Mitschuld. Nach dem Stand der Technik wäre ein Totalausfall der Stromversorgung in diesem Ausmaß vermeidbar.
Es gehört nun einmal zu den Aufgaben des Staates, solche Katastrophen zu verhindern. Da wir nicht mehr im Zeitalter der Großkraftwerke und Kupferadern leben, hätte der zügige Ausbau der dezentralen Stromversorgung mit Photovoltaik ein solches Szenario überflüssig gemacht.
Denn die Quartiersversorgung mit Sonnenstrom macht die Versorgung generell sicherer – gegen Kraftwerksausfälle, defekte Überlandtrassen oder Bodo, den Baggerfahrer. Bisher haben Vattenfall und die Berliner Politik stets versucht, die Uhren anzuhalten. Als ob im Stromgeschäft noch die Zeiten von Werner Siemens und der guten, alten AEG herrschten.
Was gelernt?
So dürfen wir Bodo eigentlich dankbar sein, dass er das Problem öffentlich gemacht hat. Wenn der gesamte Südosten einer Metropole wie Berlin an einem einzigen 110-kV-Kabel hängt, dann ist das grob fahrlässig.
Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass Stromnetz Berlin seinen Kunden nun zwanzig Euro (!) zahlen will, verbrämt als „Kulanz“. In einer Pressemitteilung bezeichnet sich der Netzbetreiber „selbst als Geschädigter der verursachenden Baufirma“.
Hier kündigt sich schon an, dass sich Vattenfall aus der Verantwortung stehlen will. Denn wird die Baufirma tatsächlich zum Schadenersatz verknackt, macht sie dicht und die Betroffenen gehen leer aus.
Warum wurde das Risiko nicht minimiert?
Weder der Konzern noch die Aufsichtsbehörden in Berlin haben Maßnahmen ergriffen, um das Risiko des Blackouts mit Hilfe der Solartechnik zu minimieren. Das ist gemeint, wenn Versicherer und Gerichte vom „Stand der Technik“ sprechen. Wir leben nicht mehr im 19. Jahrhundert, als sich die Elektrotechnik in gigantischen Dampfturbinen und dicken Kupferbündeln erschöpfte. Stromversorgung im 21. Jahrhundert ist dezentral, intelligent und inselfähig.
Jedes Haus eine Energieinsel. Damit könnte man den Kabelsalat verschmerzen. Zumindest ließen sich die Folgekosten deutlich reduzieren. Allein die Supermärkte machten enorme Verluste, weil die Kühltruhen ausfielen. Nicht zu sprechen von den fehlenden Einnahmen, denn alle Geschäfte blieben geschlossen, das öffentliche Leben lag brach.
Gute Nacht, Berlin!
Man darf gespannt sein, ob der Berliner Senat nun endlich seine Hausaufgaben macht. Derzeit versucht er, sich den Netzbetrieb unter den Nagel zu reißen. Stichwort: Rekommunalisierung.
Das hat aber nur Sinn, wenn auch in der Bundeshauptstadt endlich moderne Zeiten anbrechen. Wenn Berlin die Chancen der solaren Energiewende erkennt und nutzt. Denn sonst haftet das Land beim nächsten Mal selbst für die Folgen des Blackouts. Dann gute Nacht, Berlin, und zwar flächendeckend.