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Der Tunnelblick

Erneuerbare-Energien-Anlagen stellen mit knapp 80 Gigawatt Leistung fast die Hälfte der gesamten Erzeugungskapazitäten. Ihr Anteil am Strommix beträgt laut aktuellen Zahlen des Branchenverbands BDEW 23,4 Prozent – Tendenz steigend. Bis 2035 sollen Erneuerbare immerhin 55 bis 60 Prozent des Strommixes stellen. „Nun kommt erst die Herausforderung“, kommentiert Philipp Strauß. Er leitet den Bereich Anlagentechnik und Verteilungsnetze des Fraunhofer-Instituts IWES in Kassel. Bis 2020 werden 120 Gigawatt Ökostromanlagen am Netz erwartet. Bei einem Bedarf zwischen 40 und 80 Gigawatt gebe es dann immer öfter Überschussstrom. Mehr Flexibilität im Gesamtsystem wird künftig immer wichtiger. Die Bundesnetzagentur sollte nun in Abstimmung mit den beteiligten Branchen die richtigen Weichen stellen.

Systemdienstleistungen für das Stromnetz müssen schrittweise von den Erneuerbaren übernommen werden. Nur so könne die Mindest-Erzeugungsleistung aus fossilen Kraftwerken, die sogenannte Must-run-Kapazität, weiter gesenkt werden. „Um das zu erreichen, müssen wir in den Prognosen und in den Systemdienstleistungen sowie der Verwaltung dieser Dienstleistungen besser werden“, sagt Strauß. Momentan würden unnötig viele fossile Kraftstoffe verbrannt. Allerdings sei das ein Lernprozess. „Künftig müssen auch immer mehr neue steuerbare Lasten mit einbezogen werden“, erklärt Strauß. Hier liege ein großes Potenzial. „Die Last muss künftig stärker der Erzeugung folgen. Gleichzeitig sollten die Energiesektoren Strom, Wärme und Verkehr durch die Einführung zusätzlicher systemverträglicher Lasten wie Wärmepumpen, Elektromobilen und Elektrolyseuren gekoppelt werden“, fordert Strauß und ergänzt: „Darin liegt auch das zukünftig nötige Potenzial zur Flexibilisierung, welche die Abregelung überschüssiger Erzeugung aus erneuerbaren Stromerzeugern vermeidet.“

Fossile Kraftwerke seltener am Netz

Die Deutsche Energie-Agentur (Dena) hat Ende Februar 2014 eine Studie vorgelegt, die den Bedarf an Systemdienstleistungen bei einem hohen Anteil an Stromerzeugung aus Photovoltaik- und Windkraftwerken bis zum Jahr 2030 untersucht. Netzbetreiber sorgen mit Systemdienstleistungen für die Qualität, Sicherheit und Zuverlässigkeit in der Stromversorgung. Die Dena-Studie kommt zu dem Schluss, dass zukünftig erneuerbare Energien und neue Technologien wie Großbatterien deutlich mehr Verantwortung als bisher für die Sicherheit des Stromsystems übernehmen müssen – und dies auch können.

Mit Systemdienstleistungen halten Netzbetreiber unter anderem die Höhe und Frequenz der Spannung im Stromsystem im zulässigen Bereich oder stabilisieren sie nach einer Störung. Im Zuge des Ausbaus erneuerbarer Energien werden konventionelle Kraftwerke zukünftig immer seltener am Netz sein, um diese Systemdienstleistungen zu erbringen. Kraftwerksbetreiber planen nach Angaben der Bundesnetzagentur, bis zum Jahresende 41 fossile Anlagen vom Netz zu nehmen, da sie nicht wirtschaftlich betrieben werden können.

Batterien entlasten Netze

Unter anderem waren die Konzerne 50Hertz, ABB, Amprion sowie die Unternehmen Belectric Solarkraftwerke, Enercon und SMA Solar Technology an der Dena-Studie beteiligt. Die zeigt: Kurzzeitspeicher gleichen Schwankungen im Stromnetz deutlich schneller, genauer und insgesamt effizienter aus als konventionelle Erzeuger. Schon ab 2030 lassen sich demnach jährlich rund 242 Millionen Euro einsparen. Das ergibt sich aus einem Vergleich der Systemkosten mit und ohne Batterien.

Das Berliner Start-up Younicos war an der Studie beteiligt und baut derzeit einen großen Batteriespeicher mit fünf Megawatt installierter Leistung für den Schweriner Ökostromanbieter Wemag. „Die Dena-Zahlen ermöglichen uns endlich eine rationale technische Debatte über den besten Weg in ein erneuerbares Energiesystem“, sagt Clemens Triebel. Der Tüftler ist Gründer und technischer Vorstand bei Younicos. Die Untersuchung untermauert, dass leistungsfähige Speicher, die kurzzeitige Schwankungen im Stromnetz ausgleichen, ein entscheidender Hebel sind. „Jedes Megawatt an installierter Batterieleistung ersetzt das Zehnfache an sonst für die stabile Stromversorgung benötigter konventioneller Kraftwerksleistung. Das entlastet unsere Netze und spart Kosten“, erklärt Triebel.

80 Prozent Ökostrom

Damit die benötigten Systemdienstleistungen zuverlässig verfügbar sind, müssen heute die nötigen technischen und regulativen Voraussetzungen geschaffen werden. Immerhin hat die Bundesregierung das Ziel ausgegeben, dass im Jahr 2050 mindestens 80 Prozent des Strommixes aus Ökostromanlagen kommen sollen. „Der regulatorische Rahmen ist so anzupassen, dass künftige Stromerzeugungsanlagen aus erneuerbaren Energien, insbesondere Windkraftanlagen und Freiflächen-Solarkraftwerke, aber auch Großbatterien zur Erbringung von Momentanreserve ausgestattet werden, damit Deutschland seine Systemverantwortung im europäischen Stromverbundnetz jederzeit vollumfänglich wahrnimmt“, heißt es in der Zusammenfassung der Studie. Und weiter: „Die Netzanschlussbedingungen bzw. die technischen Fähigkeiten der Anlagen sind dahingehend weiterzuentwickeln, dass insbesondere größere dezentrale Energieanlagen zukünftig auch unabhängig von der Wirkleistungseinspeisung Blindleistung bereitstellen können.“

Nachtschicht am Netz

Einerseits müssen Netzanschlussbedingungen hin zu mehr Verantwortung der dezentralen Erzeugungsanlagen im Netz verbessert werden. Andererseits sollten Systemdienstleistungen wie Blindleistung in besonderen Fällen vergütet werden, fordert Professor Bernd Engel von der TU Braunschweig. Zudem ist er Vorstandsbeauftragter für Netzintegration beim Wechselrichterhersteller SMA. Wenn die fossilen Kraftwerke auf der Übertragungsebene nicht mehr laufen sollen, dann müssen entweder in den Übertragungsnetzen Kompensationsanlagen wie der Phasenschieber des Kernkraftwerks Biblis A installiert werden oder die Blindleistung aus den untergelagerten Verteilnetzen kommen. Dort muss entweder der Verteilnetzbetreiber Kompensationsanlagen betreiben oder die gewünschte Blindleistung von Wind- oder Solarparks beziehen. Dabei kann diese Leistung auch ohne Wirkleistungseinspeisung bereitgestellt werden. Das bedeutet, Solarparks speisen nachts Blindleistung ein. Ein Photovoltaikpark von Belectric hat in Süddeutschland schon nachgewiesen, dass auch nachts Blindstrom von einem Solarpark kommen kann. „Der aktuelle Rechtsrahmen sieht dafür allerdings keine Vergütung vor, obwohl der Anlagenbetreiber dann nachts zusätzliche Kosten hat“, sagt Engel. Der Zähler drehe dann rückwärts, um die Verluste zu decken. Der Verteilnetzbetreiber baut deshalb einfacher selbst eine Kompensationsanlage, resümiert er. Mit der Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes in diesem Jahr müsse etwas passieren, kommentiert Engel. „Durch den zusätzlichen Erlös könnte auch wieder eine Wirtschaftlichkeit für Betreiber von Freiflächenanlagen erreicht werden.“

Bisher gibt es allerdings nur einen rudimentären Markt für diese Systemdienstleistung. „Denn Blindleistung ist bisher nebenbei von den dafür geeignet platzierten Kraftwerken bereitgestellt worden“, erklärt Professor Jochen Kreusel vom Schweizer ABB-Konzern. Nun fehle diese aber immer öfter. „Dieser Aspekt zwingt uns nun dazu, konventionelle Kraftwerke an den Stellen in Betrieb zu halten, an denen die Netze Blindleistung benötigen“, folgert Kreusel. Ein neues Erneuerbare-Energien-Gesetz müsste einen Anreiz für die Betreiber der Ökostromanlagen schaffen, sich zu beteiligen, ohne „sie zu weich zu betten“. Zudem müsse der Markt für Regeldienstleistungen nachgebessert werden, damit Erneuerbare daran teilnehmen können.

Lasten vom Netz nehmen

Die dezentrale Photovoltaik hat zur Mittagszeit hohe Erzeugungsspitzen. Neben dem entsprechenden Netzausbau sei es eine Option, die relativ seltenen Spitzen zu kappen, sagt er. „Da lacht dem Anlagenbetreiber zwar nicht gerade das Herz, aber die Möglichkeit muss mit einbezogen werden.“ Eine Alternative wären Kurzzeitspeicher. Der Rahmen für einen neuen Energiemarkt müsse das berücksichtigen. Denn es sei wichtig, Netzkosten künftig ehrlich abzubilden. „Der Preis für die Netznutzung gibt heute keinen Anreiz, beim Bau neuer Anlagen die Netzsituation zu berücksichtigen. Dieses System kommt aus einer Zeit, als der Netzbedarf insgesamt wegen der überwiegend verbrauchsnah platzierten Kraftwerke gering war“, erklärt Kreusel.

Peter Barth bringt es auf den Punkt: „Die Auslastung der Transportkapazität und eine gesicherte Versorgungssicherheit sind keine Kriterien, die Kraftwerksbetreiber für einen wirtschaftlichen Betrieb einbeziehen.“ Barth leitet den Bereich Netzbetrieb bei Amprion. Es fehlen Anreize, die aktuelle Netzsituation einzupreisen. Liberalisierte Märkte haben es heute alle schwer, die Mittel zur Erhaltung der Netzinfrastruktur und für die Kraftwerksreserve zu verdienen, um die Versorgung zu sichern. Auch Frankreich hat heute bereits einen Kapazitätsmarkt, den sie allerdings nicht für die Erneuerbaren geschaffen haben. Künftig müsse es einen Markt für gesicherte Leistung geben. „Der kann auch auf der Verbrauchsseite entstehen, wenn das Abschalten der Lasten eine billigere Option ist“, erklärt ABB-Mann Kreusel.

Akzeptanz fürs Stromnetz schaffen

Wie ein System mit 100 Prozent erneuerbaren Energien technisch genau aussieht und funktioniert, daran müssen Wissenschaftler noch tüfteln. Aber eines steht fest: Akzeptanz in der Bevölkerung ist für den Netzausbau unabdingbar. „Denn die Energiewende wird es ohne sichtbare Technik nicht geben“, sagt Kreusel. „Das müssen wir den Menschen auch klar sagen.“

Plan N 2.0

Empfehlungen zum Netzausbau

Das Forum Netzintegration hat seine neuen Empfehlungen für die Weiterentwicklung der Stromnetze an die Bundesregierung übergeben. „Die Akteure des Forums Netzintegration haben bewiesen, dass Konsens und praktische Empfehlungen für die Energiewende auch bei widerstreitenden Interessen kein Widerspruch sein müssen“, sagte Peter Ahmels, der die Abteilung Energie und Klimaschutz bei der Deutschen Umwelthilfe (DUH) leitet. Der lange, schwierige Diskussionsprozess habe sich gelohnt. Allerdings müsse das Ziel klar sein: Stromnetzausbau für den Export von Braunkohlestrom würden viele Bürger vor Ort nicht akzeptieren. Und: „Zudem sind bessere Regelungen für den Wohnumfeldschutz zu entwickeln, um Anwohner von Stromtrassen so gering wie möglich zu belasten“, sagte Ahmels.

Immer wieder werden dabei Erdkabel als eine Lösung ins Spiel gebracht, um die Akzeptanz zu erhöhen. Unter Höchstspannungstrassen beträgt ihr Anteil nach Daten des Branchenverbands BDEW aber derzeit nur 0,5 Prozent aller Kabelkilometer auf dieser Spannungsebene (siehe Tabelle aus der Studie). Laut Übertragungsnetzbetreiber gibt es dort „technische Einschränkungen“ für den Einsatz. Plan N 2.0 ist das Ergebnis eines zweijährigen Diskussionsprozesses zwischen Fachleuten aus Industrie- und Umweltverbänden, Unternehmen der Energiewirtschaft, Bürgerinitiativen, Netzbetreibern, Naturschützern sowie Vertretern von Kommunen und Wissenschaftlern. Fast 60 am Prozess beteiligte Institutionen, Unternehmen, Organisationen und Verbände haben Plan N 2.0 unterzeichnet.

https://www.duh.de/

Netzausbau

Stromautobahn für Offshore-Windenergie umstritten

Die Gleichstromverbindung Südlink soll ab 2022 Windstrom über 800 Kilometer von Schleswig-Holstein bis in den Süden nach Bayern und Baden-Württemberg transportieren. Die beiden Übertragungsnetzbetreiber Tennet und TransnetBW planen die sogenannte HGÜ-Trasse gemeinsam. Das Kürzel steht für Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung. „Die Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg und Hessen werden im Jahr 2023 rund 30 Prozent ihres Jahresverbrauchs an Strom importieren müssen“, sagte Rainer Joswig, Geschäftsführer der TransnetBW. Die Windenergie, die den Strom aus Kernkraftwerken ersetzen soll, wird aber vor allem an den Küsten im Norden produziert. Sie müsse deshalb über Hunderte Kilometer nach Süden transportiert werden. „Südlink bildet damit das Rückgrat für eine sichere Stromversorgung im Süden Deutschlands“, erklärt Joswig. Der genaue Verlauf der Trasse stehe allerdings noch nicht fest.

Für die Akzeptanz der Stromautobahn müssen die Unternehmen, aber auch die Politiker auf Landes- und Bundesebene noch werben, wie die Netzbetreiber fordern. Bis dahin werden Tennet und TransnetBW die bereits geplanten Informationsveranstaltungen für Bürger und Gemeinden entlang des vorgeschlagenen Trassenkorridors aufschieben, teilen die Unternehmen mit. An vorderster Front wettert Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) gegen die Trasse, obwohl er selbst dem Gesetz für Stromautobahnen im Bundesrat zustimmte. Südlink besteht aus zwei Abschnitten, die Teil des Bundesbedarfsplangesetzes sind. Ab 2018 soll der Bau planmäßig beginnen.

http://www.netztransparenz.de

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