Wenn um 18.30 Uhr die Sonne hinter den Hügeln versinkt, ist es für viele Adivasi-Gemeinden im südindischen Kerala Zeit, die Kerosin-Lampen anzuzünden oder ein Feuer, das auch wilde Tiere vom Dorf fernhält. So war es auch in der kleinen Gemeinschaft von Poolakkunnu im Distrikt Wayanad – bis vor etwa zehn Jahren. Dann brachte Photovoltaik die Moderne zu den zwölf Kattunayakar-Familien. Mit finanzieller Unterstützung der indischen Regierung wurde in ihrem Dorf ein kleines Gemeindezentrum mit einer Solaranlage errichtet.
Was damals ein Vorzeigeprojekt war, könnte nun in großem Stil Schule machen. Premierminister Manmohan Singh hat im Januar die „Jawaharlal Nehru National Solar Mission“ auf den Weg gebracht. Sie ist eines von acht Handlungsfeldern im Nationalen Aktionsplan zum Klimaschutz. Neben der Energieeffizienz werden alternative Energiequellen außerdem als Möglichkeit gesehen, um Entwicklungshemmnisse zu überwinden und gleichzeitig zu verhindern, dass die CO2-Emissionen parallel zum wirtschaftlichen Wachstum rasant ansteigen. Mit bis zu 300 Sonnentagen im Jahr lohnt es sich für das riesige Land, besonders auf die Sonne zu setzen.
Die Auswirkung auch nur einer kleinen Solaranlage kann dabei gar nicht überschätzt werden. „Wir haben zwei Siemens-Module mit je 75 Watt installiert“, sagt Danesh Kumar von der Rural Agency for Social and Technological Advancement (RASTA), der lokalen Nichtregierungsorganisation, die Poolakkunnu zu dieser Innovation verholfen hat. Von da an gab es nicht nur Licht, sondern sogar genug Strom, um einen Dorffernseher anzuschließen. „Alle hingen wie gebannt vor der Mattscheibe“, erinnert sich die heute 20-jährige Kavitha an das Gemeinschaftserlebnis. Dank der Beleuchtung konnten die Kinder am Abend im Gemeindezentrum ihre Hausaufgaben machen. Es wurden Alphabetisierungskampagnen durchgeführt, und Selbsthilfegruppen nutzten das Gebäude für ihre Treffen. Handys hielten Einzug, und der Kontakt zur Außenwelt nahm deutlich zu.
Noch immer gibt es Zehntausende von indischen Dörfern, die auf diese kleinen Segnungen der modernen Welt verzichten müssen. Entweder weil sie gar keinen Strom haben oder mit ständigen Unterbrechungen der Stromversorgung leben müssen. 70 Prozent der mittlerweile rund 1,15 Milliarden Inderinnen und Inder leben auf dem Land. Auch in den Städten sind Stromausfälle an der Tagesordnung. Indien hat mit einem riesigen Stromdefizit zu kämpfen. In den vergangenen zehn Jahren ist der Energiebedarf der Bevölkerung um fast vier Prozent jährlich gestiegen. Doch gegenüber einem durchschnittlichen Pro-Kopf-Verbrauch von 2.568 Kilowattstunden weltweit verbrauchen die Inder nur 509 Kilowattstunden pro Kopf. Laut dem Bericht der Unternehmensberatung KPMG „Think BRIC!“ könnte der Pro-Kopf-Verbrauch in Indien bis 2020 auf 841 Kilowattstunden zunehmen, während der globale Durchschnittsverbrauch auf bis zu 3.163 Kilowattstunden steigen könnte. Gleichzeitig wird das vorausberechnete Bevölkerungswachstum pro Jahr bei etwa 1,7 Prozent liegen, so dass die indische Bevölkerung in den kommenden zehn Jahren auf etwa 1,4 Milliarden anwachsen könnte.
22.000 Megawatt bis 2022
Deshalb ist nicht ganz überraschend, wenn die Regierung auch die erneuerbaren Energien stärken will. Zwar verzeichnen sie hohe Wachstumsraten, doch tragen sie bislang nur unwesentlich zum indischen Energie-Mix bei. „Die ver stärkte Nutzung der Solarenergie ist eine zentrale Komponente unserer Strategie, von den fossilen Brennstoffen wegzukommen und zu einem nachhaltigen Wachstumsmuster zu gelangen, das auf erneuerbaren und sauberen Energiequellen basiert“, sagte Premierminister Singh in seiner Ansprache. Die „National Solar Mission“ ist eine Initiative der indischen Zentralregierung sowie der Regierungen der einzelnen Bundesstaaten. Sie sieht vor, die Kapazitäten zur Erzeugung von Solarstrom bis 2022 auf 22.000 Megawatt zu erhöhen. Derzeit betragen die Kapazitäten etwa drei Megawatt. Finanziert wird das Förderprogramm hauptsächlich von der Regierung. Allerdings sollen zusätzlich auch Gelder aus internationalen Klimaschutzprogrammen fließen.
Und die Ziele sind sehr ehrgeizig. Die netzgekoppelte Solartechnik steckt in Indien noch in den Kinderschuhen, soll aber durch die „Solar Mission“ wesentlich vorangebracht werden. Durch Skaleneffekte, die sich durch Massenproduktion erzielen lassen, sollen die Preise für indische Solartechnik deutlich sinken.
Große Chancen für die Entwicklung Indiens liegen auch in Insellösungen zur dezentralen Versorgung ländlicher Gebiete. In abgelegenen Gegenden, wo das Stromnetz nicht kosteneffizient ausgebaut werden kann, können Solaranlagen eine Alternative darstellen. Eine wesentliche Herausforderung besteht darin, die hohen notwendigen Investitionskosten aufzubringen. Im Rahmen eines laufenden Elektrifizierungsprogramms des Ministeriums für neue und erneuerbare Energien sollen durch die „National Solar Mission“ Beleuchtungssysteme für 10.000 Dörfer installiert werden. Die Förderungsmodalitäten werden derzeit konkretisiert. In diesem Rahmen sollen Photovoltaikanlagen mit einer Leistung von bis zu 100 Kilowattpeak gefördert werden. Es wird davon ausgegangen, dass leistungsfähigere Anlagen in der Regel netzgekoppelt sein werden.
Das Ministerium für neue und erneuerbare Energien sieht es als Herausforderung, geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen und die Wirtschaft bei der Entwicklung tragfähiger Geschäftsmodelle zu unterstützen. Dazu wird eine Reihe von Anreizen geschaffen, die die jeweiligen Akteure nach Bedarf nutzen können. Damit auch Einzelpersonen oder kleine Gruppen in den Genuss der Finanzierung gelangen können, soll das Pro gramm auf verschiedenen Wegen umgesetzt werden. Unternehmen, die zum Beispiel Solaranlagen installieren und betreiben, können mit Kreditinstituten zusammenarbeiten, um Zuschüsse oder Kredite zu erhalten. Die Kreditinstitute haben dann Zugang zur Refinanzierungsfazilität der Indischen Entwicklungsagentur für erneuerbare Energien (IREDA), um ihren Kunden zinsgünstige Kredite anbieten zu können. Zu diesen Kreditinstituten gehören auch Mikrofinanzinstitutionen, die Kleinkredite anbieten und eine breiten Kundenstamm in ländlichen Regionen haben. Sie arbeiten häufig mit Selbsthilfeorganisationen zusammen.
Die Finanzierung erfolgt auf Projektbasis. Die Gesamtkosten eines Projektes werden aus einer Kombination von Krediten und Subventionen finanziert. Da es sich – wie in Poolakkunnu – bei vielen Dörfern ohne Stromversorgung um abgelegene Siedlungen indigener Bevölkerungsgruppen (Adivasis) handelt, werden in solchen Fällen sogar bis zu 90 Prozent Zuschüsse bereitgestellt. Dies gilt für einige Bundesstaaten, zum Beispiel im Nordosten des Landes, die als weniger entwickelt gelten. Auch in schwierig an das Stromnetz anzuschließenden Gebieten wie Inselgruppen oder auch Hochgebirgsregionen soll es besondere Unterstützung geben. Für die Vergabe der Mittel wird die Indische Entwicklungsagentur für erneuerbare Energien (IREDA) die zentrale Anlaufstelle sein.
Knackpunkt Folgekosten
Allerdings zeigt auch das Beispiel der Anlage, die die Bewohner von Poolakkunnu vor zehn Jahren gebaut haben, dass es mit der Anfangsfinanzierung allein nicht getan ist. Die Bewohner schafften es zwar, die Akkus so gut zu pflegen, dass sie sechs statt fünf Jahre durchhielten. Doch dann war Schluss. Die umgerechnet 214 Euro für den nötigen Ersatz konnte die Gemeinde nicht mehr aufbringen. Die Solaranlage wurde eingemottet. Inzwischen versorgt sich die Gemeinde mit Netzstrom.
Die neuen Projekte werden sich daran messen lassen müssen, ob sie auch organisieren können, dass die Gemeinschaften vor Ort die laufenden Kosten langfristig tragen können. Und es müssen Einheimische geschult werden, um die Anlagen zu warten und instand zu halten.