Im Grunde ist Willi Ernst heute in der gleichen Situation wie vor 25 Jahren: Wieder hat er einen dicken Batzen Geld auf dem Konto, wieder will er damit etwas für die Umwelt tun. Damals waren es 10.000 Mark, die er von seinem Onkel geerbt hatte. Ernst, ausgebildeter Sozialpädagoge, gründete mit dem Geld 1985 die Biohaus GmbH. Das Unternehmen startete als Händler von Ökofarben und -dämmstoffen. Später kamen Photovoltaikmodule dazu – und bald gehörte Biohaus zu den größten deutschen Anbietern von integrierten Solarsystemen.
Heute sind es mehrere Millionen Euro, die Ernst investieren kann. Das Geld stammt aus dem Verkauf seiner Biohaus-Anteile an Centrosolar. Der Photovoltaikboom hat Ernst zu einem reichen Mann gemacht. „Meine Familie und ich haben von Beginn an gesagt: Wir wollen keine Millionäre sein, das Vermögen wird vergesellschaftet“, erklärt der Paderborner. Dazu hat er Ende 2009 die gemeinnützige „Biohaus-Stiftung“ gegründet, die sich dem Klimaschutz und der nachhaltigen Entwicklung verschrieben hat. „Wir packen da unser gesamtes Privatvermögen rein. Wir selber behalten nur so viel, dass wir nicht zum Sozialamt gehen müssen“, sagt Ernst. Neben einem größeren Bargeldbetrag hat der Ostwestfale für seine Biohaus-Anteile 700.000 Centrosolar-Aktien bekommen, die heute circa 3,6 Millionen Euro wert sind.
Zerstörung als Chance
Kurz nachdem die Stiftung gegründet war, bebte in Haiti die Erde. Eine halbe Million Menschen verloren ihr Leben, mehr als eine Million ihr Zuhause. Für Ernst war schnell klar: Wo könnten seine Stiftungsgelder Besseres bewirken als in einem Land, in dem kaum noch ein Stein auf dem anderen steht? In dem der Wiederaufbau unvorstellbare Kraftanstrengungen erforderlich macht? So zynisch es klingen mag: Die totale Zerstörung des Landes bietet nämlich die Chance, eine neue Infrastruktur zu schaffen, die nachhaltiger ist und den Menschen langfristig mehr Lebensqualität verspricht.
„Wir haben Haiti auch aus energiepolitischen Gründen als Zielland gewählt“, erläutert Ernst. „Wir wollen dazu beitragen, dass Photovoltaik und Solarthermie zu einem wichtigen Pfeiler der Energieversorgung in Haiti werden.“ Es gelte, eine Alternative zu den schmutzigen und im Betrieb teuren Dieselgeneratoren zu etablieren, die vor dem Beben einen großen Teil der Energie lieferten.
Ernst hält jedoch nichts davon, wie der Weihnachtsmann mit einem Sack voller Solartechnik durch das Land zu ziehen: „Wir haben nichts zu verschenken“, sagt er. Stattdessen setzt er darauf, vor Ort Know-how in Photovoltaik und Solarthermie aufzubauen. Deshalb beteiligt sich die Biohaus-Stiftung in ihrem ersten großen Projekt am Aufbau des Berufsschulzentrums „Centre de Formation et de Production à Léogâne“ (CFPL), in dem Männer und Frauen zu Dachdeckern, Elektrikern, Sanitärexperten, Maurern oder Schreinern ausgebildet werden. Der Bedarf an qualifizierten Baufachkräften ist immens, wird der Wiederaufbau doch Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Die Planung des Zentrums liegt in den Händen des schwäbischen Vereins „Pro Haiti e. V.“, zu dem sich erfahrene Entwicklungshelfer zusammengeschlossen haben; bei der Realisierung arbeitet die Gruppe mit dem Caritas-Verband zusammen. Mittelfristig soll die Ausbildungseinrichtung von einem einheimischen Partner getragen werden.
Die Biohaus-Stiftung kümmert sich innerhalb des Projekts vor allem darum, die Handwerker für die Installation, Wartung und den Betrieb von Solaranlagen fit zu machen. „Wir bilden Ausbilder aus“, beschreibt Ernst den Ansatz der Stiftung. Die „Ausbilderausbilder“ sind Fachleute aus Deutschland, die ehrenamtlich für einige Wochen nach Haiti reisen werden, um dort ihre Kenntnisse und ihre Erfahrungen zu teilen. Sie schulen die Lehrer, erarbeiten Curricula und stellen französischsprachige Lehrmaterialien zusammen. Ernst profitiert dabei von seinem großen Netzwerk in der Solarbranche: „Ich kenne einige Leute, die sagen: Ich will nicht nur Geschäfte machen, sondern mich auch nachhaltig engagieren und dafür etwas Urlaub opfern. Ich würde mich freuen, wenn sich auf diesen photovoltaik-Artikel jemand meldet und sagt: Ich gehe für einige Wochen mit nach Haiti!“, sagt Ernst.
Um die Ausbildung praxisnah zu gestalten, errichtet die Stiftung zudem vor Ort eine netzunabhängige 50-Kilowatt-Photovoltaikanlage, die Strom für das Schulungszentrum erzeugt. Die Module wurden von Centrosolar, Soleg und Masdar PV gestiftet. Der Ertrag der Anlage wird ausreichen, um die gesamte Ausbildungsstätte samt Maschinen und Werkstätten vollständig mit Strom zu versorgen. Überschüssiger Strom wird in einer Batterie gespeichert, die nachts Energie für Kühlschränke oder Beleuchtung liefert. Sollte der Himmel mehrere Tage lang bedeckt sein – was in Haiti nur sehr selten vorkommt –, steht ein kleines Diesel-Notstromaggregat bereit. Die Maschinen in den Werkstätten bleiben an solchen Tagen jedoch ausgeschaltet: „Dann gibt es eben mal nur Theorie-Unterricht“, sagt Ernst.
Zudem werden die angehenden Handwerker im Schulungszentrum auch mit der Erzeugung solarer Wärme vertraut gemacht: Die Stiftung wird ebenfalls einige Solarthermie-Kollektoren auf dem Dach installieren, deren Energie für die Warmwasserbereitung genutzt wird.
Ein Kreis schließt sich
Die Ausbildungsstätte wird nahe der 150.000-Einwohner-Stadt Léogâne, 35 Kilometer von der Hauptstadt Port-au-Prince entfernt, entstehen. Hier lag das Epizentrum des Bebens; 90 Prozent der Gebäude sind völlig zerstört oder so stark beschädigt, dass sie abgerissen werden müssen. Im September beginnt der Bau der drei Gebäude mit den Werk-, Unterrichts- und Sozialräumen auf einer Brachfläche am Rande von Léogâne – natürlich gleich mit umfassender Beteiligung des etwa 125 Personen starken ersten Ausbildungsjahrgangs, der zunächst in Zelten unterrichtet wird. Im März nächsten Jahres werden dann die Solaranlagen auf den Dächern installiert. Von da an wird die Solarenergie fester Bestandteil der Lehrpläne sein.
Läuft der Ausbildungsbetrieb, möchte Ernst das Zentrum zu einem „Solarstützpunkt“ für Haiti machen: Es soll als Anlaufstelle für Hilfsorganisationen oder lokale Initiativen dienen, die ihre Einrichtungen mit Photovoltaik oder Solarthermie ausstatten wollen. So ist der Paderborner bereits mit der Hilfsorganisation Medico international im Gespräch, die in Haiti Sanitätsstationen aufbaut. Die Baufachleute des CFPL übernehmen dann die Montage; die Biohaus-Stiftung finanziert die Anlage oder wirbt Sachspenden ein. Später würde Ernst gern nach dem Vorbild in Bangladesh ein Mikrokredit-System aufbauen, das die Anlagen finanziert.
Auch die Versorgung von Privathaushalten mit Solarstrom hat Ernst bereits im Visier: Er denkt hier mittelfristig an den Aufbau von netzunabhängigen Solar-Kiosken, an denen die Haitianer Batterien tauschen, Handys aufladen oder Getreidemühlen betreiben können. Da sie dafür bislang noch Aggregate benutzen, die mit teurem Diesel betrieben werden, würden sie mit Solarstrom sogar noch Geld sparen. Zugleich entsteht ein neues Geschäftsmodell, denn die Kioske sollen von Pächtern betrieben werden. Diese Kioske könnten mit Mikrokrediten finanziert werden, die der Betreiber durch seine Stromeinnahmen bedient. Der übernächste Schritt wäre der Aufbau eines Mini-Grid auf Wechselstrombasis mit dem Kiosk als Knotenpunkt. So könnte die Nachbarschaft direkt mit Solarenergie versorgt werden. Auf lange Sicht plant Ernst sogar den Aufbau einer kleinen, lokalen Modulfabrik, die einfache, robuste und günstige Module für den heimischen Markt produziert.
Für Willi Ernst schließt sich mit dem Engagement seiner Stiftung in Haiti ein Kreis. Ein Kreis, der seinen Ausgang ebenfalls in Mittelamerika hat, einige Jahre vor Gründung seines Unternehmens Biohaus: 1979 stürzte die sandinistische Freiheitsbewegung in Nicaragua die Somoza-Diktatur. Ernst ging für ein Jahr über den Atlantik, um beim Aufbau des Landes zu helfen, unter anderem indem er Städtepartnerschaften mit europäischen Kommunen koordinierte. „Seit dieser Zeit habe ich einen sehr engen Bezug zu Mittelamerika“, sagt Ernst. Sprach’s und beendet das Interview, weil er zu einem dringenden Termin muss: ein Treffen mit dem Bürgermeister von Estelí im Norden Nicaraguas, der gerade die Partnerstadt Bielefeld besucht – eine Partnerschaft, die Ernst vor 30 Jahren aufbauen half.