P eter Altmaier mag pathetische Worte. Als die Arbeitsgruppe Energie von CDU/CSU und SPD Mitte November ein erstes Arbeitspapier vorstellte, sprach der Bundesumweltminister (CDU) von der „größten Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) seit meiner Amtseinführung vor etwas über einem Jahr“. Der bibelfeste Altmaier leitete das Papier wie folgt ein: „Die Energiewende war und ist ein richtiger Schritt auf dem Weg in eine Industriegesellschaft, die dem Gedanken der Nachhaltigkeit und der Bewahrung der Schöpfung verpflichtet ist.“ Doch bislang hat Merkels Allzweckwaffe wenig geliefert, sondern meist nur geredet. Ob er im Falle einer Regierungsbildung weiter das Umweltministerium leiten darf, ist noch unklar.
Netzkosten und Umlage aufschlagen
Altmaiers heimliche Vorliebe gilt der Deckelung von Ökostromanlagen. Er nennt das im Behördensprech „einen verbindlichen Ausbaukorridor“. Den hat er schon auf die Photovoltaik angewendet – mit drastischer Absenkung der Einspeisevergütung in den Jahren 2012 und 2013. Die Branche reagierte mit einem neuen Geschäftsmodell, das den Zubau von der politischen Debatte um die Förderung abkoppelt. Inzwischen werden die Solarstromanlagen unabhängig vom EEG gebaut und auf den individuellen Eigenverbrauch zugeschnitten.
Die Große Koalition plant nun, den Eigenverbrauch mit Netzkosten und EEG-Umlage zu belasten. „Diese Maßnahme stellt das Verursacherprinzip auf den Kopf und bestraft die maßgeblichen Treiber der Energiewende“, kritisiert Carsten Körnig, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Solarwirtschaft (BSW-Solar). „Sie erschwert Bürgern und Unternehmern den Weg in die Förderunabhängigkeit und bremst die Investitionsbereitschaft in die Solarenergie massiv aus.“ Nicht nur, dass die Amortisation einer Investition in Photovoltaik erschwert wird. Auch der Einbau eines zusätzlichen Stromzählers verschlechtert die Wirtschaftlichkeit. Eigenverbrauch ist kaum noch attraktiv.
Für den Ausbau der Netze hingegen ist der Eigenverbrauch von Vorteil. „In den vergangenen Jahren mussten mit dem Ausbau der Photovoltaik oft auch die Netze verstärkt werden“, erklärt Klaus-Dieter Maubach, ehemaliger Technologievorstand bei Eon und heute Professor an der TU Clausthal. „Das hat viel Geld gekostet. Das kann mit einem anderen Geschäftsmodell aufhören. Man muss zulassen, dass die Anlagenbetreiber ihren Strom selbst verbrauchen.“
Wenn der Eigenverbrauch von Solarstrom mit der EEG-Umlage belastet wird, ist dieses Geschäftsmodell obsolet. Um wirtschaftlich zu sein, müssten die Anlagen wieder ins Netz einspeisen – mit den entsprechenden Kosten für den Ausbau der Stromtrassen.
Auf diese Weise koaliert die neue Bundesregierung am eigentlichen Ziel vorbei: der Senkung der Stromkosten für die Wirtschaft und die privaten Haushalte. Denn in Zukunft ist es nicht die EEG-Umlage, die die Strompreise treibt, sondern der Aufwand für den Netzausbau. Laut Prognosen der Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) könnte die Umlage 2015 erstmals unter den Wert des Vorjahres fallen. Für 2014 beträgt sie 6,24 Cent pro Kilowattstunde.
Der weitere Ausbau der Photovoltaik verursacht in den Stromnetzen kaum Investitionen. Das bestätigt Bernd Engel, Professor an der Technischen Universität in Braunschweig und Netzexperte bei SMA. „Ich bin der festen Überzeugung, dass in der augenblicklichen Situation die von der Bundesregierung für die Förderung festgesetzten 52 Gigawatt Leistung ohne größere Investitionen ins Niederspannungsnetz aufgenommen werden können“, sagt er.
Kaum Netzausbau erforderlich
Einige Studien haben einen hohen Investitionsbedarf für die untere Spannungsebene ermittelt, beispielsweise die Verteilnetzstudie der Deutschen Energieagentur (Dena). Diese Zahlen hält Engel für „schlicht übertrieben“. Denn die Dena nimmt an, dass zum derzeitigen Ausbaustand die gleiche Leistung hinzukommt. In ländlichen Regionen würde dies einen erheblichen Netzausbau erfordern. „An dieses Szenario glaube ich nicht“, meint Engel. Solarstrom wird dezentral erzeugt, die Anlagen hängen überwiegend am 400-Volt-Niederspannungsnetz. Sie können auch Dienstleistungen für das Netz erbringen. Größere Solarparks hängen an der Mittelspannung oder an den 110-Kilovolt-Trassen. Ein Beispiel ist der 128-Megawatt-Park bei Templin, der nachts Blindleistung für den Netzbetreiber liefert. Auf diese Weise macht er Netzreserven frei, schildert Bernd Engel. „Die Parks ersetzen dann statische Anlagen zur Kompensation der Blindleistung.“ Der Clou: „Der Netzbetreiber spart dadurch sogar, weil er weniger Infrastruktur benötigt. Dieses Argument sollte Umweltminister Altmaier überzeugen, wenn er nochmals über den Ausbaudeckel für Solaranlagen nachdenkt.“
Wer sinkende Netzkosten will, braucht mehr Photovoltaik. Faire Kostenverteilung: Mit dieser Floskel begründen die angehenden Koalitionäre neben der Belastung des Eigenverbrauchs mit der EEG-Umlage auch die Einführung einer „Leistungskomponente G“ im Netzentgelt. Damit sollen die ins Netz einspeisenden Anlagenbetreiber an den Netzkosten beteiligt werden.
Beides sind zwar nur Vorschläge und Pläne. Allein die Debatte ist verheerend. Denn bei der deutschen Wirtschaft geht der Trend klar hin zur eigenen Stromerzeugung: Zwei von fünf Betrieben erzeugen bereits ihren Strom selbst oder planen entsprechende Investitionen in die Eigenversorgung. In der Industrie ist es sogar jedes zweite Unternehmen. Das ist das Ergebnis einer Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) zur Energiewende.
Koalition brüskiert die Wirtschaft
Daran haben sich 2.400 Betriebe aller Branchen und Regionen beteiligt. „Kostenvorteile durch geringere Abgaben, höhere Versorgungssicherheit sowie die langfristige Planbarkeit der eigenen Strompreise sind die Treiber dieser Entwicklung“, erklärt DIHK-Präsident Eric Schweitzer. Erneuerbare Energien stehen höher im Kurs als fossile Energieträger. Spitzenreiter bei den Technologien zur Eigenversorgung ist die Solartechnik, gefolgt von fossilen KWK-Anlagen sowie Biogas und Windkraft.
Noch im Sommer hatte sich Schweitzer negativ über Solarstrom geäußert. Aufgrund der Umfrage rudert er nun zurück. „Unternehmen, die den erzeugten Strom aus erneuerbaren Quellen lieber selber nutzen, als in das öffentliche Netz einzuspeisen, entlasten die EEG-Umlage und damit die übrigen Stromkunden“, argumentiert der oberste Lobbyist des deutschen Mittelstandes.
SPD und Unionsparteien bemühen gern die Sicherung der deutschen Arbeitsplätze, um ihre Politik zu begründen. Im Falle der Energiewende setzen sie Tausende Jobs aufs Spiel. Denn kalkulierbare und niedrige Strompreise sind im weltweiten Konkurrenzkampf ein wichtiger, wenn nicht sogar ein entscheidender Vorteil. Dass der geplante Kahlschlag flächendeckend ist, beweisen die geplanten Kürzungen in der Windkraft. Auch in dieser Branche will die künftige Koalition „die Fördersätze senken, um Überförderungen abzubauen, und gleichzeitig durch eine Weiterentwicklung des Referenzertragsmodells dafür sorgen, dass bundesweit die guten Standorte auch zukünftig wirtschaftlich genutzt werden können“.
Viele Trassen überflüssig
Nur in einem Punkt gehen die Vorschläge der Berliner Koalitionäre in die richtige Richtung: Bei den großen Windparks vor den Küsten soll der geplante Ausbau bis 2020 von 10 auf 6,5 Gigawatt abgesenkt werden. Experten zweifeln seit Längerem, dass das ursprüngliche Ziel erreicht werden kann, aus technischen und ökonomischen Gründen. Eigentlich wollen die Energiekonzerne bis 2023 rund 14 Gigawatt in maritimen Windparks errichten. Doch die Sache wird viel zu teuer. Windrotoren an Land und die Photovoltaik erlauben viel geringere Gestehungskosten bei geringerem finanziellem Risiko und vor allem bei deutlich reduziertem Ausbau der Stromnetze.
Sollte die Bundesregierung den Ausbau der Offshore-Windkraft deckeln, braucht man weniger Stromleitungen – sowohl von den Windparks zum Land als auch weiter nach Süden. Die bereits genehmigten Stromtrassen würden größtenteils überflüssig. Netzbetreiber Tennet warnt vor hohen Überkapazitäten im Offshore-Geschäft.
Reservate für fossile Anbieter
Die Energieversorger haben ihre Netzentwicklungspläne aufgebläht, weil ihnen jede neue Trasse eine Rendite von neun Prozent garantiert. Zwischenzeitlich hat die Bundesnetzagentur einen Teil der eingereichten Vorhaben abgeschmettert. Das betrifft nicht nur neue Hochspannungskabel für Offshore-Turbinen. Von beantragten 2.100 Kilometern hat die Bundesnetzagentur nur 1.600 Kilometer genehmigt. Auch einen Teil der geplanten Verstärkungen bestehender Trassen hält die Bundesnetzagentur für überflüssig. Insgesamt konnte die Regulierungsbehörde den Nutzen gut jedes sechsten Kilometers der beantragten Ausbauvorhaben nicht nachvollziehen – und lehnte sie ab.
Statt den Wettbewerb der verschiedenen Energieerzeuger zu stärken und die Netze zu entlasten, soll es für fossile Kraftwerke, zögerliche Stadtwerke und industrielle Großverbraucher spezielle Schutzklauseln geben, ähnlich der Befreiung von der EEG-Umlage für energieintensive Unternehmen. Die Netzbetreiber sollen ihre garantierte Eigenkapitalrendite für jede neue Trasse noch schneller erhalten. Das sind fette neun Prozent, egal, ob das Kabel wirklich benötigt wird.
Planwirtschaft statt Strommarkt
Für die erneuerbaren Energien sieht die angehende Große Koalition dagegen vor, den Strom nach staatlichen Vorgaben zu vermarkten und das Grünstromprivileg abzuschaffen. Künftig sollen erneuerbare Generatoren einen Teil ihres Stroms über eine „virtuelle Grundlastfähigkeit“ garantieren, heißt es im Koalitionspapier. Beispielsweise sollten Betreiber von Photovoltaikanlagen mit Betreibern von Speichern oder fossilen Kraftwerken zusammenarbeiten, um eine stetige Versorgung zu garantieren. Hinzu kommt: Fünf Prozent der Spitzenlast von Neuanlagen können künftig unentgeltlich abgeregelt werden.
Mit solchen Szenarien kommt der Strommarkt nicht in Schwung. Die Energiewende wird vertagt, und die Preise klettern weiter.
Energiemanagement
Rückerstattung der Strom- und Energiesteuer
Steigende Energiepreise machen nicht nur Haushalten zu schaffen, gerade für kleinere und mittlere Unternehmen wird der Energiepreis zunehmend zu einem Kostenfaktor. Kleine wie große Unternehmen haben mit dem Inkrafttreten der Spitzenausgleich-Effizienzsystemverordnung (SpaEfV) die Möglichkeit, Steuerentlastungen nach dem Energie- und Stromsteuergesetz in Anspruch zu nehmen. Durch die Einführung eines Energiemanagementsystems, wie beispielsweise nach DIN EN ISO 50001, oder durch ein Energieaudit nach DIN EN 16247-1 erfüllen die Unternehmen die Anforderungen für die steuerliche Rückvergütung und profitieren somit nicht nur von den Möglichkeiten der Energieeinsparung, sondern gleich doppelt. Unternehmen des produzierenden Gewerbes, die den sogenannten Spitzenausgleich in Anspruch nehmen wollen, müssen dafür ein Energiemanagementsystem einführen und betreiben. Für 2013 und 2014 genügt die Einführung eines entsprechenden Systems. Ab 2015 gilt das Regelverfahren, bei dem die Systeme vollständig umgesetzt sein müssen. Unternehmen wird der Spitzenausgleich auch gewährt, wenn sie ein alternatives Verfahren, beispielsweise ein Energieaudit nach DIN EN 16247-1 oder ein alternatives System nach Anlage 2 SpaEfV, durchführen. Interessant ist diese Bestandsaufnahme auch für Unternehmen, die erst später ein vollständiges Energiemanagement einführen.
Strompreise
Netzentgelte sind höher als die EEG-Umlage
Im Jahr 2014 bezahlen die nicht privilegierten Stromverbraucher 6,24 Cent pro Kilowattstunde für die Förderung regenerativen Stroms. Für 2015 prognostizieren die Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) eine Senkung dieser Umlage. Die erneuerbaren Energien sind längst nicht mehr der Kostentreiber. Anders als die Netze. Eine aktuelle Analyse der 26 größten Verteilnetzbetreiber durch den Hamburger Stromversorger Lichtblick zeigt, dass die privaten Stromkunden im kommenden Jahr zwischen 6,5 und 6,9 Cent pro Kilowattstunde bezahlen – mehr als durch die EEG-Umlage. Die Netzentgelte steigen dabei mit zunehmendem Ausbau. Der ist wiederum notwendig. Denn in den vergangenen Jahren haben die Netzbetreiber zu wenig in die Infrastruktur investiert. Das bedeutet aber: Die Netzentgelte steigen, je mehr die Betreiber investieren. Denn neben Systemdienstleistungen zur Sicherung der Stabilität des Netzes, neben der Deckung der Netzverluste, der Förderung von Energie aus Kraft-Wärme-Kopplung, dem eventuellen Vorhalten von Reservekapazitäten, der Messung und Abrechnung des Verbrauchs, neben der Konzessionsabgabe und der Umsatzsteuer zahlen die Verbraucher vor allem für die Nutzung der Netzinfrastruktur. Ein erheblicher Teil davon ist wiederum für den Bau und die Instandhaltung der Leitungen vorgesehen. Dazu kommen noch weitere Sonderabgaben zur Finanzierung des Netzes. Die sogenannte Offshore-Haftungsumlage – die Haftpflichtversicherung für die Stromleitungen zu den Windkraftanlagen in der Nord- und Ostsee – schlägt seit Anfang 2013 mit jährlich 0,25 Cent pro Kilowattstunde zu Buche. Mit der „Sonderkundenumlage“ zahlen Haushalte und Mittelstand für die Entlastung der Industrie bei den Netzentgelten. Immerhin sinkt diese Abgabe 2014 von bisher 0,329 Cent auf 0,092 Cent pro Kilowattstunde. Grund dafür ist eine von Gerichten erzwungene Rückerstattung bisher überzogener Befreiungen der Industrie von den Netzentgelten, die mit der Umlage 2014 verrechnet wird.