Politisch gesehen war Macrons Aufstieg ein Erdrutsch. Er hat gezeigt, dass eine charismatische Persönlichkeit den Rechten – und den Linken – durchaus das Wasser abgraben kann. Die Kommunisten haben ihn unterstützt, die Sozialisten bekämpft. Es hat sich gezeigt, dass die Zeit der alten politischen Schemata abgelaufen ist. Eine moderne Welt braucht grüne, linke und konservative Elemente gleichermaßen.
Doch jetzt muss Macron Nägel mit Köpfen machen. Jetzt ist er dazu verdammt, seinen Job gut zu erledigen. Er muss Ergebnisse liefern. Den Marsch durch die Institutionen hat er bewältigt – en marche! Nun muss er die ganze Gesellschaft in Bewegung bringen, notfalls gegen den Protest auf der Straße – gegen die Gewerkschaften, gegen die alten Strukturen und Privilegien, gegen die Defätisten, die es ja vorher besser gewusst haben: Auch dieser Präsident kriegt die einstmals stolze Grande Nation nicht wieder auf die Beine.
Versagt Macron, könnte die französische Gesellschaft noch stärker als zuvor von Flügelkämpfen der Rechten und Linken zerrissen werden, würden Hoffnung und Aufbruch in Resignation und Frust umschlagen. So gesehen, sind die alten Kräfte nur vorläufig geschwächt. Sie liegen auf der Lauer, warten auf ihre Stunde: Konservative, Kommunisten, Sozialisten und Front National. In Frankreich sind die Beharrungskräfte mindestens ebenso groß wie bei uns.
Neue Jobs braucht das Land
Uns interessiert an dieser Stelle vor allem, welche Aufgaben die neue französische Regierung im Energiesektor zu bewältigen hat. Zwar hat Macron die Reform des Arbeitsmarktes zu seiner wichtigsten Aufgabe erkoren. Aber es wird nicht ausreichen, den Kündigungsschutz zu lockern oder den bürokratischen Staatsapparat abzuspecken. Damit ist kein Blumentopf zu gewinnen. Angesichts von 27 Prozent Jugendarbeitslosigkeit ist neoliberale Entfesselung allein kein Konzept. Es spielt nur den Ultrarechten in die Hände.
In erster Linie muss Macron neue Arbeitsplätze schaffen, muss den kreativen und modernen Kräften in der französischen Gesellschaft Luft verschaffen. Er muss den Zentralstaat abbauen, vor allem auf dem Energiesektor. Nur die Dezentralisierung und die Liberalisierung der Energieversorgung durch erneuerbare Energien kann den Arbeitsmarkt nachhaltig beleben.
Liberté, Egalité, Fraternité – da schimmern die unerfüllten Versprechen der französischen Revolution durch. Freiheit des Bürgers, gleiche Chancen für alle am Energiemarkt. Brüderlichkeit im Sinne von Nachbarschaftshilfe, bürgerlicher Verantwortung für das Gemeinwesen.
Schwer angeschlagenes Staatsschiff
In Frankreich läuft nichts ohne die EDF, den staatlichen Energieversorger Energie de France (EDF). Dieser Gigant ist faktisch Monopolist, beherrscht die Netze und die Stromversorgung von Millionen Franzosen. Doch die EDF ist schwer angeschlagen, ähnlich wie die deutschen RWE, Eon oder der schwedische Staatskonzern Vattenfall. In Frankreich herrscht der Konzern wie ein Krake, durchdringt das ganze Land. Auch dort hängen viele Kommunen mit ihren Haushalten an der Rendite aus Paris, ähnlich wie in Nordrhein-Westfalen an den Kohlekraftwerken der RWE. Doch in NRW haben wir gerade gelernt: Mit den alten Strukturen ist Politik nicht mehr möglich. Hannelore Kraft (SPD), selbsternannte Jeanne d’Arc der Kohlemeiler von RWE, musste den Hut nehmen. Der dramatische Absturz der Sozialdemokratie zu beiden Seiten des Rheins ist kein Zufall, und erst recht keine nationale Besonderheit.
Der französische Staat, Hauptanteilseigner der EDF, laviert: Im Auftrag des Elyseepalastes musste EDF bereits den angeschlagenen Atomkonzern Areva schlucken. Nun liegt der Gigant dem französischen Staat schwer auf der Tasche, würgt den finanzpolitischen Atem des Präsidenten. Die Bilanz ist tiefrot, so kann es nicht weitergehen. Andernfalls schlittert die Grande Nation in den Staatsbankrott.
Dagegen klammert sich die EDF an die guten alten Zeiten, als von Energiewende noch keine Rede war. Die nuklearen Schrottmeiler von Flamanville und Fessenheim bleiben trotz starker Proteste aus der Bevölkerung am Netz, dürfen weiter die Umgebung verstrahlen. Obwohl die altersschwachen Reaktoren ein erhebliches Sicherheitsrisiko bergen und die hohe Krebsrate besonders unter Kindern in der Nachbarschaft eindeutig auf Leckagen zurückzuführen sind, hatte Ex-Präsident Hollande seine schützende Hand über den Konzern gehalten.
Atommeiler sind unmodern - und riskant
En marche! bedeutet, die zentralistische Energieversorgung aus den verrotteten Atommeilern zu beenden. Neue zu bauen, macht ökonomisch ohnehin keinen Sinn mehr. Frankreich, das einst einen Sonnenkönig hatte, braucht nun einen solaren Präsidenten.
Die ersten Zeichen einer modernen Energiepolitik sind bereits sichtbar. So berief Macron den bekannten Umweltschützer Nicolas Hulot zum neuen Minister für das Ressort Umwelt und Energie. Als Donald Trump aus dem Klimaabkommen von Paris ausstieg, reagierte Macron sofort. Den Kampf gegen den Klimawandel erklärte er zur wichtigsten Aufgabe überhaupt, fordert mehr Selbstbewusstsein der Europäer. Ihm nahm man diese Aussagen ab. Aus dem Munde der deutschen Kanzlerin Angela Merkel wirkten sie eher wie Staub, wie die üblichen Phrasen in der deutschen Energiepolitik. Macron hat ihr die Schau gestohlen, weil er mehr Biss hat. Und weil er es vermutlich ernst meint.
Sonnenstrom für die Nachbarschaft
Derweil baut die EDF ihr Engagement in der Photovoltaik aus. In erster Linie wollen die Franzosen im weltweiten Geschäft der großen Solarparks mitmischen. Großes Geld sucht große Projekte: Die Finanzierung für ein 800-Megawatt-Projekt der EDF in Dubai steht. Auch in Spanien, Brasilien oder Kanada ist EDF aktiv. In Frankreich selbst wurden einige große Anlagen gebaut und ans Netz gebracht. Im März hatte die Regierung in Paris die Prozeduren zur Genehmigung vereinfacht, um den Zubau anzukurbeln.
Viel wichtiger wird jedoch sein, Geschäftsmodelle für den Eigenverbrauch zu entwickeln. Bisher hat EDF über die Firmentochter EDF ENR den Tarif „Mon Soleil et Moi“ („Meine Sonne und Ich“) angeboten, speziell für Privatkunden mit Photovoltaik. Rund 1.700 Kunden sind darauf angesprungen. EDF beziffert ihren Marktanteil im Segment des solaren Eigenverbrauchs in Frankreich auf zwölf Prozent.
Im Juni hat EDF ENR ein Gruppenmodell aufgelegt: „Notre Soleil et Nous“ („Unsere Sonne und Wir“). Dieses Konzept erlaubt die Versorgung von Siedlungen durch einzelne Solardächer in der Nachbarschaft. Was der deutsche Gesetzgeber zu scheuen scheint (siehe Entwurf zum Mieterstromgesetz), ist in Frankreich problemlos möglich. Warum auch nicht? EDF ENR bietet darüber hinaus Geschäftskunden und kommunalen Trägern spezielle Eigenverbrauchslösungen an. Denn seit Mai gilt in Frankreich ein Investitionsbonus für Eigenverbrauchssysteme, der dieses Geschäft zu beflügeln scheint. Im März hatte der Konzern eine neue Geschäftseinheit für Solaranlagen bis 30 Megawatt gegründet – für den französischen Markt.
Das Ende der Lethargie
Macron soll Frankreich aus der Lethargie führen, die Grande Nation modernisieren. Nun geht also auch bei unserem westlichen Nachbarn das Atomzeitalter zu Ende. Wer hätte das gedacht? So setzt sich langsam die Erkenntnis durch: Dezentrale, erneuerbare Energien schonen den Geldbeutel des Staates und der Kommunen. Sie bringen Arbeit in die Regionen, geben den jungen Leute eine Aufgabe fürs Leben. Es gibt keine moderne Gesellschaft, keinen Wohlstand mehr ohne erneuerbare Energien. Um es klar zu sagen: ohne dezentralen Eigenverbrauch von Sonnenstrom.
Das setzt jedoch voraus, die ökonomischen und politischen Strukturen zu dezentralisieren. Eigenverbrauch von Sonnenstrom kann einen Konzern wie EDF nicht retten. Das passt einfach nicht zusammen. Auch große Solarparks bieten keinen Ausweg, weil sie längst nicht solche Renditen erzielen wie abgeschriebene AKW oder Kohlemeiler, die ihren Dreck ungestraft in die Atmosphäre blasen dürfen.
Macrons Aufgabe ist simpel und gigantisch zugleich: Abschied vom Zentralstaat, Abschied von der Zentralgewalt in Paris, die sich auf vergleichbare Strukturen in der Wirtschaft stützt. Die Große Nation, geprägt durch Kaiser Napoleon Bonaparte, muss den großartigen, selbstbewussten Regionen weichen. Das gilt zuerst für die Energiewirtschaft: Nachhaltig und ökonomisch sinnvoll werden die französischen Regionen ihre Energieversorgung selbst gestalten, wird der Bürger selber zum Erzeuger von sauberem Strom.
Wir wussten es längst: Denn warum machen die Franzosen so wunderbare Weine? Weil sie unendlich Sonne haben. Nicht nur an der Cote d’Azur.