Der Medienhype um die Strafzölle ist ein postkolonialer Reflex: Mit der Angst vor den Schlitzaugen, vor Mao Zedongs Erben und dem grollenden Tiger im fernen Osten lässt sich Auflage machen. Angesichts der wenig profunden Berichte und Kommentare ist es wohl an der Zeit, einiges ins rechte Licht zu rücken. Denn die gelbe Gefahr droht aus einer ganz anderen Ecke.
Zunächst einmal: Karel De Gucht hat mit Augenmaß entschieden. Die für zwei Monate geltenden Importaufschläge von 11,8 Prozent sind das Gambit für Verhandlungen mit den Bossen in Peking. Der EU-Handelskommissar weiß: Bestrafung ersetzt keine politische Lösung, sie führt nur in den Handelskrieg. Und da sitzt Europa am kürzeren Hebel. Also hat De Gucht pragmatisch gehandelt und ein Zeichen gesetzt. Mehr nicht, auch nicht weniger. Am Preisgefüge des Photovoltaikmarktes wird sich dadurch nichts ändern. Bis August ist eine Frist gewonnen, das Problem der Billigimporte handelspolitisch zu lösen.
Denn fest steht: Der Chinese verkauft seine Module unter ihren Produktionskosten, wie übrigens auch viele europäische Hersteller. Das hat aber weniger mit den gigantischen Fabriken in Fernost zu tun, sondern mit dem deutschen Solarmarkt. Als er brummte, waren es deutsche Modulproduzenten, die sich Partner in China gezüchtet haben, so genannte „verlängerte Werkbänke“. Das ist in anderen Branchen längst üblich. Zwischen 2006 und 2011 schien das Marktwachstum endlos und exponentiell, sonnige Aussichten für die Hersteller und ihre Aktionäre. So wurden die deutschen Firmen reihenweise in global agierende Aktiengesellschaften umgewandelt, die den Weltmarkt – der erst noch entstehen sollte – aufrollen wollten.
Deutsche Maschinenbauer haben tatkräftig geholfen, den chinesischen Modulherstellern genau die Fabriken hinzusetzen, die sie brauchten. Damals, als es noch keine Wolken am Himmel überm Solarmarkt gab, regte sich niemand über die Bedrohung aus Japan oder China auf. Im Gegenteil, die enormen Zuwächse im deutschen Photovoltaikmarkt zwischen 2009 und 2012 wären ohne die asiatischen Hersteller nicht möglich gewesen. Durch ihre gigantischen Produktionskapazitäten haben sie das Wettrennen um die besten Preise maßgeblich angefeuert. Der Zubau war eine Folge der sinkenden Systempreise.
Doch dann rächten sich zwei Versäumnisse: Zum einen haben es die chinesischen Hersteller verschlafen, ihren Heimatmarkt zu entwickeln. Zwar erhielten sie Milliardenkredite aus Peking und den regionalen Provinzen. Aber die Abhängigkeit vom entfernten europäischen Markt blieb bestehen. Erst in diesem Jahr wird China so stark zubauen, dass es für die Mehrzahl der chinesischen Hersteller überhaupt nicht mehr interessant sein dürfte, ihre Module für drei Monate auf See nach Rotterdam zu schicken. Das ist nämlich ein handfester Wettbewerbsnachteil gegenüber den europäischen Modulproduzenten, die viel kürzere Wege zu ihren Kunden haben, und ihr Kapital zwischen Auslieferung und Zahlung nur sehr kurz binden.
Zum anderen hat die Solarbranche unterschätzt, welche Widerstände die großen Energiekonzerne im weltgrößten Photovoltaikmarkt aufbauen. Der mächtige Zubau von fast acht Gigawatt weckte die Bosse von RWE, Vattenfall und Eon, denen schlicht und ergreifend das Geschäftsmodell abhanden kommt. Unterschätzt wurde auch, wie willfährig sich bestimmte Teile der Regierungskoalition von den Karren der Stromlobby spannen lassen. Denn nach wie vor wird der Photovoltaikmarkt vom Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) dominiert, ist also eigentlich noch überhaupt kein richtiger Markt. Denn die Systempreise richten sich vor allem nach der Einspeisevergütung, sind also Staatspreise. Erst in jüngster Zeit entfalten Direktvermarktung und Eigenverbrauch eine gewisse Dynamik.
Das Problem der Billigexporte aus Fernost hat seine Ursache in Berlin, auch wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) nun beflissen gegen „Sanktionen aus Brüssel“ wettern. Das ist scheinheilig. Denn die völlig unsinnige und überhastete Reduktion der Einspeisetarife für Solarstrom seit Mitte 2012 hat erst den Preisdruck im Markt aufgebaut. Ohne chinesische Billigmodule ist es für viele Installateure mittlerweile fast unmöglich, Solargeneratoren trotz der knappen Einspeisetarife zu planen und aufzubauen. Die Margen liegen bereits deutlich niedriger als im klassischen Elektrohandwerk oder bei den Heizungsbauern. Viele Betriebe verlassen das Geschäftsfeld, oder stellen sich breiter auf. Die viel beschworene Energiewende wurde von der schwarz-gelben Regierung in den Sand gesetzt. In den Sand, aus dem nun Schiefergas gewonnen werden soll. Schon vergessen, wann die Krise begann?
Die gelbe Gefahr: Das ist das Geschrei der so genannten Liberalen in der Bundesregierung und ihrer Handlanger in den Unionsparteien. Sie wollen das Monopol der großen Stromversorger retten. Sie wollen nicht, dass die Menschen und Kommunen in Deutschland sich vom Würgegriff der Großkonzerne befreien und ihre Energieversorgung selbst in die Hand nehmen. Wer nun die gelbe Gefahr aus Fernost beschwört, lenkt von der gelben Gefahr in unserem eigenen Land ab. Nicht Peking ist an der Misere schuld, sondern Berlin. Sondern die Bundesregierung, die sich nicht vom Gängelband der Liberalen befreien kann und will. Im September werden die Karten neu gemischt. Peking ist weit weg, Brüssel auch. Viel wichtiger für eine echte Sonnenwende im Energiesektor wären stabile politische Rahmenbedingungen und ein kluges Konzept, wie das fossil-nukleare Zeitalter zu Ende gehen kann.