Das Energiequartier am Hohlen Südhang in Huttwil ist ein Pionierprojekt. Rund 50 Kilometer nordöstlich von Bern wird das erste Microgrid für eine Eigenverbrauchsgemeinschaft in der Schweiz gebaut. „Es stellen sich deshalb komplett neue Herausforderungen, die gelöst werden müssen“, weiß Tobias Stahel, Geschäftsführer von Smart Energy aus Bern. Es gilt unter anderem die Frage zu klären, wer das Microgrid bei Ausfällen weiter unterhält.
Weitere beteiligte Projektpartner sind der Bauträger Acama Immobilien und die Architekturfirma IGD Grüter, die als Totalunternehmen auftritt. Smart Energy Link kümmert sich unter anderem um das intelligente Energiemanagement. Das Quartier bekommt ein eigenes Netzwerk, damit die Gebäude untereinander kommunizieren können. Das Modell der Eigenverbrauchsgemeinschaft ermöglicht es, Solarstrom zu fairen Preisen an die Bewohner von Mehrparteiengebäuden oder Siedlungen abzugeben.
Verbraucher smart gesteuert
Seit 2014 ist der solare Eigenverbrauch bei den Eidgenossen erlaubt. Ab diesem Jahr dürfen sich nicht nur Wohnungen, sondern auch angrenzende Grundstücke zusammenschließen und einen zentralen Netzanschluss benutzen. Das löst eines der größten Hemmnisse von Investoren: Die Solarproduktion muss nicht mehr zu Preisen unter den Gehstehungskosten ins Netz eingespeist werden und wird somit rentabel.
Der Baustart für die sieben Mehrfamilienhäuser in Huttwil soll im Spätsommer dieses Jahres erfolgen. Der Bezug der Wohnungen ist voraussichtlich im Frühling 2020. Dank des neuen gemeinsamen Eigenverbrauchs ist das Projekt mit einem wirtschaftlichen Geschäftsmodell unterfüttert. „Durch das intelligente Steuern der 22 Wärmepumpen, des Batteriespeichers und der Ladestationen für Elektroautos wird der Eigenverbrauchsanteil um rund 25 Prozent gesteigert“, kalkuliert Stahel. Das führt zu einer Strompreissenkung für die Quartierbewohner von ein bis zwei Rappen pro Kilowattstunde. Die 22 Photovoltaikanlagen verfügen jeweils über einen separaten Zähler, um die Stromproduktion zu messen und anzurechnen. Die Zusammenarbeit mit dem Netzbetreiber verlaufe partnerschaftlich, berichtet Stahel. Derzeit werde geprüft, ob der Netzausbau durch die industriellen Betriebe Huttwil erbracht werden kann.
Pioniere des Eigenverbrauchs
Indem Investoren oder Eigentümer das Solarpotenzial ihrer Gebäude nutzen, ersetzen sie Graustrom und fördern die Schweizer Energiewende. Zudem ermöglicht die dezentrale Energieversorgung eine größere Unabhängigkeit von monopolistischen Versorgern – das steigert den Wettbewerb und fördert Innovationen in der eher traditionellen Branche.
„Eigenverbrauchsgemeinschaften, die in der neuen Energieverordnung Zusammenschlüsse zum Eigenverbrauch (ZEV) heißen, sehen wir als große Chance für den künftigen Photovoltaikausbau“, betont David Stickelberger, Geschäftsführer von Swissolar. Insbesondere im Segment zwischen 20 und 100 Kilowatt, in dem es in den letzten Jahren wenig Anlagen gab, dürften sie für einen Wachstumsschub sorgen. So könnte der jährliche Zubau wieder die Schwelle von 300 Megawatt überschreiten.
Neu in diesem Jahr ist auch der mögliche Zusammenschluss über Parzellengrenzen hinweg. So kann der Eigenverbrauch durch den Zusammenschluss von Wohn- und Gewerbenutzung weiter gesteigert werden. Ein wichtiges Plus: „Das Zählerwesen innerhalb der Gemeinschaft ist dieser überlassen, das spart Kosten“, sagt Stickelberger.
Zu den heiklen Punkten in der neuen Gesetzgebung gehört die Frage, zu welchen Kosten der Solarstrom den Mietern verrechnet werden darf. Er darf nicht teurer sein als der extern bezogene Strom.
Großverbraucher zahlen weniger
In der Schweiz zahlt ein Haushalt laut Swissolar im Durchschnitt 20 Rappen pro Kilowattstunde, Gewerbebetriebe haben noch niedrigere Stromtarife. Ebenso die Eigenverbrauchsgemeinschaften, die zusammen mehr als 100 Gigawattstunden pro Jahr verbrauchen und damit auf dem freien Strommarkt einkaufen können. Denn in der Schweiz ist der Strommarkt bisher nicht vollständig liberalisiert. Zudem kommt der mietrechtliche Leitzins von zwei Prozent, was insbesondere bei Contracting-Anlagen sehr wenig sei, berichtet Stickelberger. Diese zwei Faktoren beeinflussen die Kalkulation für die Solarstromanlage.
Bedauerlich sei auch, dass das öffentliche Stromnetz im Rahmen eines ZEV nicht genutzt werden dürfe, sogar wenn der Verteilnetzbetreiber damit einverstanden wäre. „Es müssen also immer Privatleitungen gebaut werden.“ Zudem sei der Rückspeisetarif für den überschüssigen Solarstrom erst auszuhandeln. Einige der Verteilnetzbetreiber erschwerten den wirtschaftlichen Betrieb von Solaranlagen durch sehr niedrige Rückspeisetarife, weil diese nicht klar im Gesetz geregelt seien, moniert Stickelberger.
Neuer Solarschub
Es befinden sich verschiedene Projekte von ZEV in Planung, einige sind schon seit Kurzem in Betrieb: In der Siedlung Sentmatt in Obfelden liefern Hybridkollektoren den Strom für die Wärmepumpe und den Allgemeinstrom. Künftig werden auch die Mieter den Strom vom Dach beziehen können. Gebaut wurde die Anlage von Enpuls, einer Tochterfirma des Versorgers EKZ, zusammen mit Halter Immobilien. Daneben gibt es bereits verschiedene bestehende Eigenverbrauchsgemeinschaften, die nach altem Recht gebaut wurden. Dadurch besteht weiter eine direkte Kundenbeziehung zwischen Energieversorger und den einzelnen Stromkunden.
Bei der Wohnüberbauung Ecoviva in Niederlenz wird die Anlage vom Versorger Energie 360 Grad betrieben. Sie liefert den Strom für die Haushalte samt Wärmepumpen und Elektroautos. Es wird ein Eigenverbrauchsgrad von 60 Prozent prognostiziert. Auch in Niederlenz stammt die intelligente Steuerung von der Berner Firma Smart Energy Link.
Swissolar
Branchentagung im April in Bern
Experten diskutieren auf der 16. Nationalen Photovoltaiktagung am 19. und 20. April 2018 im Kursaal der Hauptstadt Bern. Die Tagung wird von Swissolar, vom Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen und Energie Schweiz veranstaltet. Einen Schwerpunkt bildet die Energiestrategie 2050, deren Auswirkungen auf den Markt und die neuen Regelungen, die 2018 in Kraft getreten sind. Dabei stehen Fallbeispiele mit Eigenverbrauch im Fokus. Zudem zeigt die Tagung, welche Forschungstrends derzeit in der Photovoltaik laufen und wie Solarenergie in Gebäude und in digitale Bauprozesse integriert wird.
Zu der zweitägigen Veranstaltung werden rund 500 Experten aus der Schweiz und dem Ausland erwartet. Trotz der alpinen Verhältnisse sind die Einstrahlungsbedingungen in der Schweiz sehr gut, ebenso steigt die Nachfrage. Zwar stagnierte der Markt 2017 mit 250 bis 250 Megawatt, wie der Branchenverband Swissolar schätzt. Doch in diesem Jahr dürfte das Geschäft deutlich anziehen, weil die neuen Regelungen aus der Energiestrategie im Markt wirksam werden.