In allen Meinungsäußerungen wird impliziert, dass die Energiewende zum Nulltarif passieren müsste. Die Energiewende wird für Deutschland oft „das größte Projekt seit der Wiedervereinigung“ genannt. Hat Deutschland die Wiedervereinigung zum Nulltarif bekommen? Wurde diese Forderung denn jemals diskutiert? Hat einer unserer damaligen Politiker, heute würdevoll und anerkennend „Architekten der Wiedervereinigung“ genannt, 1989 ein Megaphon in die Hand genommen und zu den Leuten an der Berliner Mauer gesagt „Moment, Jungs, langsam, langsam, legt die Pickel weg, lasst mal die Mauer noch stehen und klettert nicht rüber! Wir müssen erst kalkulieren, was das kostet?“ Oder bekamen die deutschen Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb standen, oder ihre Mitarbeiter damals Ausnahmen vom „Soli“?
Wir akzeptieren ohne jedes Murren ein stetiges Ansteigen der Preise fossiler Energieträger (fast 350 Prozent für Heizöl in den letzten 20 Jahren). Wir akzeptieren einen ständigen Abfluss der Wertschöpfung aus unserer Volkswirtschaft für Energieimporte (300 Milliarden Euro für die EU in 2011 allein für Öl). Wir akzeptieren stetige Subventionen für konventionelle Energieträger aus Steuergeldern (177 Milliarden Euro für Steinkohle, 65 Milliarden Euro für Braunkohle, 187 Milliarden Euro für Atomenergie). Und wir investieren beständig öffentliche Gelder in die Behebung von Schäden des beginnenden Klimawandels oder die Vorbeugung dagegen. Und während wir seit Jahrzehnten noch die Frage diskutieren, wer die Kosten der Sanierung von Atommüll-Endlagern übernehmen könnte, die zwar für Jahrtausende geplant waren, aber dann doch schon nach 20 Jahren alle brisanten Inhalte an die Umwelt und das Grundwasser abgeben, während inzwischen jeder weiß, dass jeder Bürger sein Auto haftpflichtversichern muss, nicht aber der Atomkraftbetreiber sein Kraftwerk, während also diese Widersprüche langst nicht aufgeklärt sind, kommt nun eine ganz neue Idee auf: Wir bieten Atomkraftwerken innerhalb der EU, die ja laut den Aussagen aller Politiker eigentlich den günstigsten Strom produzieren sollten, noch einen erhöhten Einspeisetarif für 35 Jahre plus Inflationsausgleich!
Aber wir meinen, auf der anderen Seite, dass ein kompletter Umbau unseres Energiesystems für unsere Zukunft und die unserer Kinder umsonst sein müsste. Und um das eine nicht ständig diskutieren zu müssen, wird es stillschweigend aus Steuergeldern beglichen. Um das andere stets und ständig öffentlich anprangern zu können, stellen wir die Umlage für Erneuerbare Energien jeden Tag transparent für alle sichtbar in der EEG-Umlage dar. Sogar die FDP entdeckte ihr Herz für die sozial schwachen Haushalte! Damit nicht genug - wir belegen die Mehrkosten auch noch mit der Mehrwertsteuer. Aber das ist letztendlich nur konsequent, denn so schließt sich der Kreislauf!
Nun gut, wir haben eine Demokratie und wir wollen nicht vergessen, dass uns viele Länder der Erde um unser geordnetes Staatssystem beneiden! In einer Demokratie werden Mehrheitsentscheidungen umgesetzt und das ist gut! Ob der aktuelle faktische Ausstieg aus der Energiewende wirklich der Wille des Volkes (also des eigentlichen Souveräns der Demokratie) ist, es wäre sicherlich sinnvoll, das zu ergründen.
Aber eine dringliche Bitte wäre doch an die Politik zu richten: Wenn wir das Ziel aus den Augen verloren haben, wenn uns jeder Cent in der Umlage wichtiger ist als die Risiken der Atomkraft für unsere Bevölkerung, die nicht geklärten Endlagerung und auch wichtiger als der stetig steigende Kohlendioxidausstoß und die Folgen des Klimawandels. Wenn das so ist, dann sagt es bitte ehrlich und auch öffentlich!
Bitte redet nicht mehr über eine Energiewende, die faktisch nicht mehr stattfindet. Bitte macht keine Klimakonferenzen mehr und spart das CO2 und die Kosten der Flüge, sowie den kostbaren Schlaf statt nächtelanger ergebnisloser Sitzungen! Bitte sagt es der Bevölkerung deutlich, dass wir spätestens in zwei oder drei Jahren den Ausstieg aus dem Ausstieg des Ausstieges wieder umwerfen und die Atomkraftwerke weiterlaufen lassen werden. Und bitte sagt der Bevölkerung, dass wir die Kohlekraft weiter für die Versorgungssicherheit und den billigen Strom brauchen werden und uns und unsere Kinder deshalb auf die Folgen des Klimawandels vorbereiten müssen!
In der aktuellen Diskussion geht es längst nicht mehr darum, was richtig ist und was falsch. Unser Land leidet an schlechter Wahlbeteiligung und Politikverdrossenheit. Wir sollten deshalb aufhören, täglich öffentlich von Energiewende zu reden und genau das Gegenteil umzusetzen!
Zur Person: Hans Urban leitet die Solarsparte von Schletter in Kirchdorf/Haag.