Stadtwerke stellen sich auf die Hinterbeine
Richtig gelesen: ein Kapazitätsmarkt für Hochspannungsleitungen. Denn letztlich ist es nichts anderes, wenn Stromtrassen geplant und durchgepeitscht werden, die letztlich niemand braucht. Sogar die Stadtwerke stellen sich zunehmend auf die Hinterbeine, um die geplanten Trassen (380 Kilovolt oder HGÜ) abzuwehren. Aktuell geht es um die Nord-Süd-Trasse, die Windstrom von den Offshore-Parks vor der Nordseeküste nach Bayern bringen soll.
Generell muss man verstehen: Am Anfang der Elektrifizierung in Deutschland gab es weder Großkraftwerke noch Hochspannungsleitungen. Als der Kaiser und Werner von Siemens die Stromversorgung auswürfelten, gab es nur kleine Generatoren. Große Kraftwerke konnte man seinerzeit noch nicht bauen, diese Technologie entwickelte sich erst nach dem Ersten Weltkrieg, als der Stromhunger der Industrie, der Städte und der Privathaushalte dramatisch anstieg. Am Anfang stand das kleine oder mittelgroße Stadtwerk, das seine Region mit Mittelspannung (bis 20 Kilovolt) versorgte. Entsprechende Versorgungsleitungen reichten völlig aus, um die regionale Stromversorgung zu sichern. Das ist der Grund, warum man auf alten Fotos so wenige Gittermasten sieht.
Kinder des Wirtschaftswunders
Erst mit dem Wirtschaftswunder nach dem Zweiten Weltkrieg kamen die großen Generatoren in die Welt. Kohlekraftwerke mit 800 Megawatt Leistung oder Atommeiler mit mehreren Reaktoren und Gigawatt sind Kinder der Nachkriegszeit. Die Technik der Gasturbinen ist noch jünger. Erst die großen Kraftwerke erforderten starke Hochspannungskabel, um die Energie über weite Strecken zu transportieren. Je höher die Spannung im Kabel, desto geringer kann die Stromstärke sein, umso geringer sind die Transportverluste.
Dass sich die Trassen mittlerweile zu einem regelrechten Netz ausgeweitet haben, ist der Sicherheitsphilosophie dieser Zeit geschuldet: Der Ausfall eines Großkraftwerks kann nur kompensiert werden, wenn das Stromnetz binnen Sekunden eine vergleichbare Leistung neu verteilt. Damals waren die Stromtrassen ab 110 Kilovolt aufwärts ein Gebot der Energieeffizienz und des effizienten Materialeinsatzes. Um ein Gigawatt vom Ruhrgebiet nach Frankfurt am Main zu übertragen, wären die Verluste in der Mittelspannung viel zu hoch gewesen.
Metallpreise heben ab
Kupfer war schon damals teuer. Nun heben die Metallpreise ab, eine Folge der weltweiten Aufholjagd in den Schwellenländern. In Deutschland stellt sich die Frage, wer die Starkstromtrassen noch braucht. Die jüngst fertiggestellte Leitung von Ost nach West (von Thüringen nach Hessen) ist zu gerade mal zehn Prozent ausgelastet. Die Betreiber bekommen ihre Investition jedoch mit einer garantierten Rendite von der Bundesnetzagentur versilbert. Das ist ein klassisches Kapazitätsmodell.
Die regionalen Stadtwerke brauchen keine Stromtrassen, die Energiewende erst recht nicht. Denn Tausende dezentrale Generatoren (Sonne, Wind, Biogas, Wasserkraft und so weiter) sind statistisch viel sicherer gegen Systemausfall als ein Versorgungssystem, das aus wenigen Großgeneratoren besteht. Mit den Großkraftwerken wird das Hochspannungsnetz verschwinden, auf regionaler Ebene hat es keine Funktion. Dafür genügt die Mittelspannung völlig, um örtliche oder zeitliche Spitzen in den Regionalnetzen auszugleichen.
Rückbau der Stromtrassen einleiten!
Die geplanten Stromtrassen dienen lediglich den großen Energiekonzernen, die Strom über Deutschlands Grenzen hinaus exportieren. Das lohnt sich nur, wenn sehr schnell sehr hohe Leistungen in die Nachbarländer gepumpt werden können. In Tschechien oder Polen wird dadurch eine regenerative Energiewende erschwert, weil es keine nationalen Märkte mehr gibt. Und die Franzosen bleiben auf ihren Atommeilern hocken, weil bei kritischen Engpässen in der Versorgung billiger Kohlestrom von der anderen Seite des Rheins fließt. Alles schon vorgekommen.
Gleiches gilt für die Regionen in Deutschland, Österreich oder der Schweiz. Bringt die geplante Nord-Süd-Trasse beispielsweise den hochsubventionierten Windstrom von der Küste bis nach Nürnberg und München, haben die dortigen Stadtwerke kaum eine Chance, regionale Versorgungsmodelle zu entwickeln – nach wirtschaftlichen Kriterien. Doch nur ein wirtschaftlicher Markt garantiert, dass die Strompreise sinken – nachhaltig und ohne Subventionen durch den Steuerzahler. Stellt sich die Frage: Wer braucht eigentlich die Trasse? Wer braucht die Offshore-Windparks?
Viel sinnvoller wäre es, die Stromtrassen zurückzubauen. Die erneuerbaren Energien haben mehrfach bewiesen, dass sie die Netze stützen können – viel schneller und genauer, als die trägen Generatoren in den Meilern. Auf diese Weise sind intelligente Sicherheitskonzepte möglich, die bestehende Leitungen viel besser ausnutzen. Weniger (Kupfer) ist mehr (Sicherheit). Da muss sich die Politik entscheiden: Will sie noch mehr Kupferschrott auf der grüne Wiese, oder tatsächliche Sicherheit in der Energieversorgung? Wirklich Sinn machen eigentlich nur noch die regionalen Netze, sprich: Mittelspannung.