Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg hat die Klage von Greenpeace Energy gegen die EU-Beihilfen für das geplante Atomkraftwerk in Hinkley Point aus formalen Gründen abgelehnt. Der Ökostromanbieter hatte 2015 Klage gegen die Europäische Kommission eingereicht, weil die Brüsseler Beamten Hilfszahlungen in Milliardenhöhe genehmigt hatten. Diese Subventionen verzerren den Wettbewerb auf dem Strommarkt in Europa. Denn der Neubau von Atommeilern geht zu Lasten der erneuerbaren Energien.
Das Gericht hatte die Klage jedoch im September als unzulässig eingestuft. Die Richter in Luxemburg argumentierten, dass alle Wettbewerber auf dem europäischen Energiemarkt gleichermaßen von den Subventionen für Hinkley Point C benachteiligt seien – und Greenpeace Energy hier keine herausgehobene Stellung zufalle. Damit dürfe Greenpeace Energy nicht klagen. Diese Argumentation ist eine klare Rechtsbeugung. Demnach wären künftig keinerlei Rechtsmittel gegen solche Beihilfen möglich. Dagegen hat Greenpeace Energy nun Widerspruch eingelegt. Der Streit geht in die nächste Runde.
Schafft sich die EU selber ab?
Die Beihilfen für Hinkley Point gelten als Blaupause für weitere Atomprojekte in Europa. Diesen Umstand hat das Gericht ignoriert. Unter anderem planen Ungarn, Polen, Tschechien und die Slowakei neue Reaktoren. Die vier Staaten sind sowohl in diesem als auch im parallelen Klageverfahren Österreichs vor dem EuGH als Streithelfer der Kommission beigetreten. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: Unverblümt macht die EU-Kommission nun mit einigen Mitgliedsstaaten gemeinsame Sache, obwohl es um übergeordnetes Beihilferecht geht!
Die Frage, ob Beihilfen den Markt verzerren, ist für die EU – und uns alle – von grundsätzlicher Bedeutung. Das hat mit dem konkreten Streitfall (AKW) nur wenig zu tun. Denn die EU kam zunächst als Montanunion in die Welt, als Wächter für Märkte, die aufgrund der internationalen Verflechtung stärker reguliert werden müssen, als es nationale Regierungen vermögen. Wenn der EuGH einem Marktteilnehmer den Rechtsweg verweigert und diese Beihilfen in einem europäischen Energiemarkt genehmigt, dann sind solche Beihilfen faktisch überall und jederzeit möglich – und niemand darf sie mehr in Frage stellen.
Das Ende der europäischen Märkte
Dann macht es überhaupt keinen Sinn mehr, von Marktregulierung zu sprechen. Dann ist das Geburtsrecht der EU derart verbogen und gebeugt, dass die ganze EU auf den Schrottplatz gehört – zusammen mit den Atommeilern, für die sie sich derart in die Bresche wirft. Dann ist die Idee der europäischen Märkte obsolet, dann gibt es erst recht keinen Grund mehr, das Brüsseler Marionettentheater aufrechtzuerhalten. Wir könnten den Laden in Brüssel getrost dichtmachen.
Die Beihilfen für die Atomindustrie – und nur darum geht hier – stellen die Basis des Brüsseler Konstrukts in Frage – so zweifelhaft seine demokratische Legitimation ohnehin ist. Denn dann wird die Idee eines freien, europäischen Binnenmarktes endgültig verramscht. Energiemärkte sind national verankert, das ist eine historische Tatsache. Aber genau das muss sich ändern, genau dafür gibt es die EU. Genehmigt Brüssel nun nationale Beihilfen für neue Atommeiler, wird dieser Markt eher noch stärker an die Staaten und ihre politischen Seilschaften gebunden, als von politischen Fesseln befreit.
Insgesamt sollen in Europa in den nächsten Jahren neue AKW mit einer Gesamtleistung von rund 34 Gigawatt entstehen. So ist das in Ungarn geplante AKW Paks II mit einer Kapazität von 2,4 Gigawatt offenbar als Exportkraftwerk vorgesehen, das insbesondere Deutschland beliefern soll. Erst vor wenigen Wochen hat die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn wegen fehlender Ausschreibung für das AKW-Projekt eingestellt. Das ist ein Skandal! Auch das Ausschreibungsrecht ist ein Grundpfeiler der europäischen Idee, die in Brüssel eigentlich ihre stärksten Wächter haben sollte.
Berlin steckt den Kopf in den Sand
Beobachter vermuten, dass die Kommission – ähnlich wie zuvor für Hinkley Point C – in einem zweiten Verfahren auch das für Paks II vorgesehene staatliche Subventionspaket genehmigen könnte. Die deutsche Bundesregierung in Berlin steckt den Kopf in den Sand, meint: Deutschland wäre von der drohenden Wiederkehr des Atomstroms nicht betroffen. Dabei dürfte billiger, da hochsubventionierter Atomstrom auch die Preise in Deutschland unter Druck setzen. Wir schalten unsere Atommeiler ab, um Atomstrom aus dem Ausland zu importieren. Das ist Irrsinn! Und wenn einer der ausländischen Meiler in die Luft fliegt, ist Deutschland so weit entfernt, wie Pripjat von Tschernobyl.
Wie armselig die EU agiert, erkennen wir auch an der Klage, die das Land Rheinland-Pfalz gegen das Kraftwerk von Tihange in Belgien eingereicht hat. Nach dem Skandal um gefälschte Bauunterlagen bei der Areva müssten alle französischen und belgischen AKW stillgelegt werden – und zwar sofort! Denn eigentlich müsste man sie genauestens überprüfen, ob die falsch verbauten Teile und Werkstoffe die Systemsicherheit überhaupt noch gewährleisten. Bislang ist nichts passiert, gar nichts. Ungerührt laufen die Schrottmeiler weiter, bedrohen Millionen Menschen. Wir fragen: Wie lange will die Europäische Kommission so weiterlaufen?