Wie bewerten Sie die Marktentwicklung in der Photovoltaik im Jahr 2016?
Carsten Körnig: Endlich stehen die Zeichen auch in Deutschland wieder auf Wachstum. 2016 gelang der positive Trendwechsel im deutschen Binnenmarkt, auf den wir lange hingearbeitet haben.
Wie haben sich die verschiedenen Segmente des Photovoltaikmarktes entwickelt?
Das Segment der Eigenheime ist nur leicht gewachsen, um etwa fünf Prozent. Bei den Gewerbekunden war der Zuwachs sehr kräftig, mehr als 40 Prozent. Nach den schwierigen Jahren und den politischen Fehlentscheidungen waren das endlich wieder positive Zeichen, die man nicht allein durch Vorzieheffekte zum Jahresende erklären kann. Ab Januar traten die Ausschreibungen in Kraft. Nein, der Trendwechsel hat sich schon im zweiten und dritten Quartal bemerkbar gemacht.
Wie bewerten Sie die Nachfrage nach Batteriespeichern im vergangenen Jahr?
Die Nachfrage nach Batteriespeichern ist im letzten Jahr auf rund 20.000 Exemplare gestiegen. Das ist ein beachtlicher Wert, wenn man bedenkt, dass es vor fünf Jahren erst wenige Hundert waren. Beinahe jedes zweite neue Photovoltaiksystem im Eigenheimsegment wird inzwischen zusammen mit einem Speicher errichtet. Auch beginnen immer mehr Betriebe, sich angesichts der ausgereiften Technik und der stark gesunkenen Preise für die Speicher zu interessieren.
Welche Aussichten sehen Sie für 2017?
Der von uns regelmäßig erhobene Geschäftsklimaindex verzeichnet den besten Wert seit sieben Jahren. Die Chancen sind gut, 2017 zumindest die Marke von zwei Gigawatt zu erreichen. Gut gefüllte Auftragsbücher deuten darauf hin, dass mit etwas Glück auch noch etwas mehr drin sein könnte. Auch der Speichermarkt wird sicherlich weiterwachsen.
Welche politischen oder administrativen Hürden behindern den Markt?
Es ist überaus wichtig, dass sich die Politik zunächst ehrlich vor Augen führt, wie viel weiter und schneller die Photovoltaiknachfrage angekurbelt werden muss, um die Klimaschutzziele von Paris zu erreichen. Dafür brauchen wir einen deutlich höheren Zubau als bislang angenommen.
Warum reichen Zuwächse von 2,5 Gigawatt im Jahr nicht aus?
Das hat mit der sogenannten Sektorkopplung zu tun, die bereits in vollem Gange ist. Die Analysen aus der Wissenschaft sprechen hier eine klare Sprache: Der eigentliche Bedarf für Solarenergie im Strom-, Wärme- und Mobilitätssektor liegt um ein Vielfaches über dem derzeitigen Ausbautempo.
Was bedeutet das konkret?
Die Ausbauziele müssen spätestens zu Beginn der nächsten Legislaturperiode dringend angehoben werden. Ausbaudeckel wie der EEG-Förderdeckel in Höhe von 52 Gigawatt oder der jährliche EEG-Zielkorridor für die Photovoltaik von 2,5 Gigawatt stellen Investitionsbremsen dar. Sie müssen schnell beseitigt werden. So haben die Preise für Solarstrom aus neuen Photovoltaikkraftwerken inzwischen die Erzeugungskosten von Strom aus neuen konventionellen Kraftwerken erreicht. Es spricht deshalb nichts mehr dagegen, die jährlichen Auktionsvolumina für ebenerdige Solarparks in einem ersten Schritt mindestens zu verdreifachen.
Vielleicht brauchen unsere Politiker einfach nur mehr Mut, Mut zum Erfolg?
Also, Klartext gesprochen: Runter mit dem Fuß von der Bremse! Nicht minder wichtig: Zahlreiche Hindernisse für die lokale Eigen- und Direktversorgung mit Sonnenstrom müssen beseitigt werden. Ein Beispiel ist die Belastung von solarem Mieterstrom mit der vollen EEG-Umlage.
Der Gesetzentwurf der Regierung liegt auf dem Tisch, er wird nun im Bundestag behandelt. Statt weniger EEG-Umlage soll es eine neue Förderung geben. Wie kann sich das Thema Mieterstrom entwickeln?
Das hängt maßgeblich davon ab, ob Mietern der Zugang zu preiswerter Solarenergie weiterhin von der Bundesregierung durch die Belastung mit der EEG-Umlage verwehrt wird. Es besteht die Chance, die solare Vor-Ort-Versorgung künftig vielmehr als ausgezeichneten Beitrag zur Energiewende zu erkennen und zu nutzen. Denn ganz wichtig erscheint mir, dass die Solarenergie – anders als viele andere Klimaschutzmaßnahmen im Gebäudebestand – die Mieten nicht weiter erhöht. Das sind Gründe, warum sich Mieter wie Vermieter, aber auch Stadtwerke zunehmend für die Nutzung innerstädtischer Dachflächen zur Energieversorgung interessieren.
Zudem wird bei der Eigenversorgung der Mietwohnungen das öffentliche Netz geschont …
Dadurch senkt der solare Mieterstrom die Gesamtkosten der Energiewende, weil er den Netzausbaubedarf verringert. Das kommt letztendlich der Allgemeinheit zugute.
Mieter sind auch Wähler. Wie groß ist dieses Wahlvolk Ihrer Schätzung nach?
Wenn die Politik einige Hürden beseitigt und das vorgelegte Mieterstromgesetz an wesentlichen Punkten nachbessert, könnten mittelfristig bis langfristig rund drei Millionen Mietparteien in deutschen Ballungsräumen preiswert mit Solarstrom vom Dach des Vermieters versorgt werden. Auch immer mehr Unternehmen der alten Energiewirtschaft erkennen darin inzwischen neue und zukunftsfähige Geschäftsmodelle.
Welche politischen Entscheidungen sind notwendig, damit die Bürger und Unternehmen in Deutschland endlich von der Energiewende profitieren können, die sie letztlich finanziert haben?
Eine konsequente Energiewende ist für die Zukunftsfähigkeit unserer Wirtschaft alternativlos. Längst ist ein harter internationaler Wettbewerb um die Technologieführerschaft im Stromsektor, im Wärmesektor und im Mobilitätssektor entbrannt. Die Bundesregierung ist deshalb gut beraten, die Ausbauziele für die Solarenergie deutlich ambitionierter zu setzen. Nicht kleckern, sondern klotzen!
Brauchen wir dazu unbedingt staatliche Förderung? Oder gibt es andere Wege?
Inzwischen geht es eigentlich weniger darum, die Macher der Energiewende mit hohen Fördermitteln zu ködern. Es geht vielmehr darum, einen fairen und planbaren Übergangsprozess zu selbsttragenden Geschäftsmodellen einzuleiten. Die Herstellung fairer Marktbedingungen wird in den nächsten Jahren unsere volle Aufmerksamkeit fordern.
Also Förderung oder nicht?
Förderprogramme wären weitestgehend verzichtbar, wenn Abgaben, Steuern und bürokratische Hürden beseitigt werden und wenn den Ökoenergien endlich faire Marktchancen eingeräumt werden. Es ist längst überfällig, dass bei der Preisbildung fossiler Energien auch die Umwelt- und Gesundheitsfolgekosten vollständig eingepreist werden. Es kann nicht sein, dass jeder noch immer kostenlos Klimagase in die Atmosphäre ausstoßen kann. Wir zahlen auch selbstverständlich für die Müllabfuhr!
Sie spielen damit auf den Emissionshandel an, der aber bisher nicht bei den Strompreisen ankommt …
Stimmt, denn auch diese Chance wird bisher nicht wirklich effektiv genutzt. Wird die Emission von Klimagasen verteuert, kommt man ohne hohe Zuschüsse aus. Denn wichtiger ist es, verlässliche Rahmenbedingungen für den Ausbau der erneuerbaren Energien zu setzen. Bürokratische und finanzielle Hindernisse für Solarinvestoren muss man systematisch beseitigen.
Welche Erwartungen haben Sie an die neue Regierung, die im Herbst gewählt wird?
Dass sie dem Bürgerwillen endlich Rechnung trägt. Die Menschen in unserem Land wünschen klar den verstärkten Ausbau der Solarenergie – noch vor allen anderen Energiequellen. Ich wünsche mir auch, dass sie die Weichen im Strom-, Wärme- und Mobilitätssektor ohne Wenn und Aber in Richtung Energiewende stellt. Damit Deutschland in der Solarenergie wirtschaftlich wieder auf die Überholspur kommt. Dazu braucht man die richtigen Leitplanken.
Nabelt sich die Solarbranche langsam von der Politik und der Förderung ab?
Schon jetzt ist klar: Auch in der nächsten Legislaturperiode werden wir stark von politischen Rahmenbedingungen abhängen. Im Augenblick läuft der Markt gut, aber darüber sollte man nicht vergessen: Von der Politik wird uns nichts geschenkt!
Wie kann der Umschwung gelingen?
Die dringend erforderliche Vervielfachung des Photovoltaikzubaus bei uns wird nur gelingen, wenn wir mit vereinten Kräften entscheidende politische Weichen in Berlin und Brüssel stellen. Dabei ist jeder gefragt, ob aus der Solarindustrie, aus den Installationsbetrieben, den Stadtwerken, aus Parteien, Behörden oder anderen Organisationen. Noch sind die Photovoltaik und die solare Energiewende keine Selbstläufer.
Das Interview führte Heiko Schwarzburger.
PV Financing
Wegweiser für förderfreie Geschäftsmodelle in Europa
In vielen europäischen Ländern haben sich in den letzten Jahren neue Solarstromgeschäftsmodelle entwickelt. Anlagenpacht, Solarstromeigenverbrauch und Direktlieferung funktionieren teils unabhängig von staatlicher Förderung und versprechen attraktive Renditen.
Jedoch werden gesetzliche Rahmenbedingungen benötigt, die derartige Formen der Stromerzeugung, des Stromverbrauchs und des Handels ermöglichen. Für die erfolgreiche Umsetzung dieser Geschäftsmodelle hat das von der Europäischen Kommission geförderte Forschungsprojekt PV Financing jetzt in sieben Ländern eine Reihe von kostenlosen Leitfäden, Musterverträgen und Positionspapieren veröffentlicht. „Investoren sind immer wieder überrascht, in wie vielen Fällen sich Stromlieferung, Eigenverbrauch und Anlagenpacht bereits wirtschaftlich darstellen lassen“, sagt Jörg Mayer, Geschäftsführer des Bundesverbandes Solarwirtschaft (BSW-Solar), der das Projekt koordiniert und in Deutschland betreut. „Die für die jeweiligen Märkte maßgeschneiderten Publikationen zeigen anhand konkreter Beispiele, worauf man bei der Finanzierung und Umsetzung neuer Solarstromgeschäftsmodelle achten sollte und wie man mögliche Risiken minimieren kann.“
Anwendungsnahe Ratgeber und Leitfäden mit einem Fokus auf den örtlichen Besonderheiten wurden in den wichtigen Solarmärkten Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien, Österreich und Türkei in den Landessprachen veröffentlicht. In Deutschland ist dies beispielsweise der mehr als 40 Seiten umfassende Leitfaden „Geschäftsmodelle mit PV-Mieterstrom“.
Einen EU-weiten Überblick bietet die englischsprachige „European Implementation Guideline“ (PDF), die die verschiedenen Geschäftsmodelle und deren Finanzierung behandelt. Sämtliche Leitfäden, Finanzierungstipps und Musterverträge sowie Excel-basierte Renditerechner sind auf der folgenden Website zu finden:
Carsten Körnig
Der 47-Jährige ist seit Anfang 2006 Geschäftsführer des Bundesverbandes Solarwirtschaft e. V. (BSW-Solar) mit Sitz in Berlin. Der BSW-Solar vertritt die Interessen von rund 800 Unternehmen aus der Solar- und Speicherbranche in Deutschland und in wichtigen Auslandsmärkten. Zuvor hatte Carsten Körnig neun Jahre die Geschäftsführung der Unternehmensvereinigung Solarwirtschaft (UVS) inne, an deren Gründung er 1997 in Berlin maßgeblich beteiligt war und die 2006 mit dem Schwesterverband BSi zum BSW-Solar fusionierte. In dieser Rolle hat er unter anderem seit dem Jahr 2000 am Zustandekommen und der erfolgreichen Weiterentwicklung des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG) und der Markteinführung von Batteriespeichern mitgewirkt. Seit 2006 ist Carsten Körnig zugleich Vizepräsident im Bundesverband Erneuerbare Energie e. V. (BEE) und im Vorstand des Trägervereins der Agentur für Erneuerbare Energien (AEE).