Hoch oben im 24. Stock befindet sich der Besprechungsraum der AHK Argentinien, der Deutsch-Argentinischen Industrie- und Handelskammer. Die Büros der Mitarbeiter liegen eine Etage darunter. Der Blick durch die Glasfassade geht runter auf die Avenida Corrientes, eine Hauptstraße im Finanz- und Businessbezirk der Landeshauptstadt Buenos Aires.
Das gelblich-braune Wasser des Río de la Plata schimmert in der Sonne. Der Ausblick ist gut. Auch für Argentinien. Das Land verfügt über ein großes Potenzial für die Nutzung erneuerbarer Energien. Es beheimatet mit Patagonien die windreichste Region der Welt, verfügt vor allem im Norden über hervorragende Globalstrahlungswerte und über eine breite landwirtschaftliche Basis, um Biodiesel oder -gas herzustellen.
Sonne und Wind sind reichlich da
Dennoch spielen erneuerbare Energien – von großen Wasserkraftwerken abgesehen – bis heute kaum eine Rolle. Bis Ende 2016 betrug die ans Stromnetz angeschlossene Photovoltaikleistung acht Megawatt. Solaranlagen erzeugten 2016 an die 14 Gigawattstunden, was rund zwei Prozent des erzeugten Ökostroms entsprach, die wiederum zwei Prozent am gesamten Energiemix ausmachten.
„Diese überraschend geringen Zahlen lassen sich auf fehlende politische Rahmenbedingungen und mangelnden Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten zurückführen, doch dies ändert sich derzeit”, berichtet Theresa Behm. Sie leitet die Abteilungen Außenwirtschaft sowie Umwelt & Energie bei der AHK. Denn bis Ende 2025 soll Ökostrom ein Fünftel am Energiemix ausmachen. Windkraft- und Photovoltaikanlagen sollen das Gros davon stellen.
1,7 Gigawatt sind vergeben und im Bau
Zunehmend soll der Ausbau auch durch kleine, dezentrale Anlagen gestaltet werden. Die Diversifizierung des Energiemix durch Erneuerbare wurde noch vor dem Regierungswechsel Ende 2015 parteiübergreifend beschlossen. Von der Weltbank gestützte Sonderfonds zur Finanzierung (FODER) wurden eingerichtet, um die Entwicklung zu forcieren. Im Rahmen des Renovar-Ausschreibungsprogramms wurden 1,7 Gigawatt vergeben, die sich derzeit im Bau befinden und in den nächsten zwei Jahren ans Netz gehen, wenn alles nach Plan läuft.
Der Photovoltaikmarkt erwacht gerade. Neben den Gesetzen auf nationaler Ebene fördern zahlreiche Provinzen seit Längerem den Solarausbau mit eigenen Initiativen, wie beispielsweise Córdoba, Santa Fe, Salta, Jujuy oder Mendoza.
Es fehlt das Know-how
Teils sei die nationale Industrie aber noch nicht weit genug entwickelt, um die Expansion der erneuerbaren Energien zu begleiten. Bei privaten Kunden mangelt es oftmals an Kenntnissen zu geeigneter Produktauswahl und Wirtschaftlichkeitsberechnungen sowie Themen der Wartung und Instandhaltung. Für deutsche Unternehmen könnte das eine Chance bedeuten, ihr Know-how einzusetzen.
„Es mangelt an Installateuren und Fachkräften, die über Erfahrungen in der Installation und Instandhaltung verfügen”, berichtet Behm. Aus- und Weiterbildung ist demnach vor allem auf der Fachkräfteebene dringend nötig. Die AHK Argentinien bietet deshalb eine Fortbildung im Bereich Energieeffizienz in der Industrie (kurz EUREM) an, die auch ein Modul zu Photovoltaik enthält.
Ausbildung vorantreiben
Im Rahmen einer öffentlich-privaten Entwicklungspartnerschaft setze die AHK gemeinsam mit dem Berliner Unternehmen Eclareon in den nächsten zwei Jahren Aufbaumaßnahmen für Fachkräfte und Ausbilder um, sowohl im Bereich Photovoltaik als auch für Finanzierung, berichtet Behm.
Vor allem Beratung zur geeigneten Produktauswahl für landesspezifische Bedingungen wie extreme UV-Radiation in Andengebieten, besondere Bodengegebenheiten, Hagel und Starkregen in der Provinz Buenos Aires und Wirtschaftlichkeitsrechnungen stellten eine große Chance dar, Zweifeln und Unkenntnis entgegenzuwirken. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz beinhaltet vor allem nationale Ziele, um Mindestziele für Ökostromanteile zu erreichen.
Großverbraucher in der Pflicht
Es nimmt vor allem Großverbraucher mit einer Anschlussleistung von mehr als 300 Kilowatt in die Verantwortung. Sie müssen bis Ende 2018 mindestens acht Prozent des Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energien decken. 2025 soll es dann ein Fünftel sein.
Die Achillesferse des jungen Marktes sei die Finanzierung, erklärt Behm. Sie stelle aufgrund des schwachen lokalen Kapitalmarktes eine der größten Herausforderungen dar. „Hinzu kommt, dass bei Großprojekten mit einer langfristigen Ausrichtung häufig Kreditangebote zu wettbewerbsfähigen Konditionen fehlen”, weiß die AHK-Frau. Die Zinssätze seien einfach zu hoch. Die Situation habe sich allerdings mit der Einrichtung von Sonderfonds und Weltbank-Garantien im Zuge der Ausschreibungsrunden von Renovar verbessert.
Finanzkrise wirkt bis heute nach
2001 erlebte das Land die schlimmste Finanzkrise seiner Geschichte. Argentinien stand vor dem Staatsbankrott, der Internationale Währungsfonds brach die Verhandlungen mit der damaligen Regierung ab. In den folgenden Jahren verfügte das Land über keinen Zugang zum internationalen Kapitalmarkt. Keine Bank wollte der Regierung Geld leihen. Die linkspopulistischen Regierungen unter den Kirchners – erst unter Néstor, später unter seiner Ehefrau Cristina – haben viele Jahre die Energiepreise eingefroren.
Die aktuelle Regierung des marktliberalen Mauricio Macri hat eine Roadmap veröffentlicht, wie man dieser Falle entkommt. „Intellektuell verstehen das die Leute. Wenn am Monatsende aber die höhere Stromrechnung kommt, tut das vielen sehr weh“, berichtet Santiago Senn beim Gespräch im Café Tortoni, dem ältesten klassischen Kaffeehaus der Metropole. In Wahlzeiten sei der steigende Strompreis deshalb ein unpopuläres Thema.
Ein US-Cent pro Kilowattstunde
Der gebürtige Argentinier hat in Deutschland studiert und hatte mehrere Managementpositionen inne, unter anderem bei Panasonic Europe, bei Gehrlicher Solar und beim Modulhersteller Sunpower. Im Juni 2015 wechselte er zu LG Chem nach Sulzbach im Taunus. Dort war er als Direktor für das Geschäft mit Speicherzellen und Batterien in Europa zuständig.
In Zeiten, in denen Strom nur einen US-Cent gekostet habe, hätten viele Poolbesitzer einfach das Wasser mit Strom aus dem öffentlichen Netz beheizt. Auch die Effizienzklasse der Geräte wie A+ oder eben E oder F hätte lange keine Rolle gespielt. Das ändert sich nun langsam. „Die jetzige Regierung unter Macri versucht unter anderem die Strompreise für private Haushalte peu à peu nach oben anzupassen. Denn die Mehrkosten werden immer noch über Steuergeld bezahlt“, betont Senn. Ein mentaler Wandel sei aber zu erwarten, meint er. „Müssten die Argentinier die echten Gestehungskosten zahlen, würden sie sich mehr Gedanken machen, wie Energie gespart werden kann oder ob eine Photovoltaikanlage rentabel wäre.“
Chinesen bringen das Geld mit
Je nach Provinz unterscheiden sich die Preise für einzelne Haushalte enorm. „Meine Familie kommt aus Córdoba, dort zahlen die Menschen zwischen 10 und 15 US-Cent pro Kilowattstunde“, berichtet Senn. In Buenos Aires seien es nur fünf oder sechs US-Cent, im Großraum sieben US-Cent. Die Strompreise sind demnach unterschiedlich stark subventioniert.
Vor zwei Jahren verschlug es ihn wieder nach Buenos Aires, um das Thema Photovoltaik auch in seiner Heimat und in ganz Südamerika voranzutreiben. Ausländische Banken verlangen immer noch sehr hohe Zinsen, das macht Projekte meist unrentabel.
„Das größte Problem in Argentinien ist immer noch die Finanzierung“, weiß auch der studierte Volkswirt Senn. Sein neuer Arbeitgeber ist der chinesische Konzern GLC New Energy. Die Chinesen bringen das Geld für Projekte in der Regel selbst mit. Das macht die Umsetzung deutlich einfacher.
AHK Argentinien
Märkte in Südamerika
Es gibt laut AHK vier Hersteller von Photovoltaikmodulen in Argentinien, die größtenteils importierte Module zusammenbauen: LV Energy Lummins und Coradir, beide aus der Region San Luis, sowie Solartec und Ledlar, beide aus La Rioja. Auch zahlreiche deutsche Unternehmen sind auf dem Markt aktiv, beispielsweise Sowitec oder Sunset.
Wer sich ein Bild von der Entwicklung und den Möglichkeiten in Argentinien machen will, den lädt die AHK Argentinien vom 29. Oktober bis zum 2. November 2018 zu einer Geschäftsreise zum Thema „Dezentrale Energieversorgung“ nach Argentinien, Paraguay und Uruguay ein. Diese findet in Kooperation mit der Renewables Academy (RENAC) im Rahmen der Exportinitiative German Energy Solutions des Bundeswirtschaftsministeriums statt.
Auf einer Veranstaltung in Buenos Aires werden die deutschen Technologien vor Entscheidungsträgern aus Politik und Wirtschaft präsentiert. Danach können die Teilnehmer individuelle Gespräche mit potenziellen Geschäftspartnern führen.
Wer trägt die Kosten? Die Teilnahme wird für kleine und mittelständische Unternehmen vom Bundeswirtschaftsministerium gefördert. Firmen tragen nur die Reise-, Unterbringungs- und Verpflegungskosten sowie einen von der Unternehmensgröße abhängigen Eigenbetrag.