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Von unten aufgerollt

Lebe deine Träume: Mit diesem Slogan warb die türkische Tourismusindustrie vor wenigen Jahren um deutsche Urlauber. Sonne satt, Meer und Wind – doch die erneuerbaren Energien kommen in der 80-Millionen-Republik am Bosporus nicht voran. „Bis Ende dieses Jahres wird die Gesamtleistung der installierten Photovoltaikgeneratoren rund 100 Megawatt erreichen“, sagt Murat Catakli. Der 42-Jährige ist in Heidelberg aufgewachsen. Er hat in Deutschland Abitur gemacht, eine Lehre als Betriebswirt absolviert. Seit Jahren unterstützt er deutsche Firmen in der Türkei, vornehmlich beim Aufbau von Vertriebsstrukturen. Seit 2010 ist er in der Photovoltaikbranche tätig, mit einer Firma in Istanbul.

Lizenzfreie Anlagen treiben den Markt

Murat Catakli bildet Solarteure aus. Er baut keine Anlagen, sondern er zeigt jungen Leuten und gestandenen Handwerkern, wie man Photovoltaikanlagen professionell baut und vermarktet. Gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Sonnenenergie in Berlin gibt er den DGS-Leitfaden „Fotovoltaik Sistemler“ heraus, der Ende des Jahres in der zweiten, aktualisierten Ausgabe erscheint. „Innerhalb von zwei Jahren sind die ersten 1.000 Exemplare bereits vergriffen“, erzählt er. „Die Nachfrage nach fundierten Kenntnissen über die Photovoltaik wächst in der Türkei stetig an.“

Seit Sommer 2012 laufen die Kurse, mittlerweile wurden 570 Fachkräfte ausgebildet. Der mehrtägige Lehrgang beinhaltet die Grundlagen der Photovoltaik, die Technik und Montage, spezielle Fragen zu Offgridsystemen und den Umgang mit dem Projektordner.

Dozenten aus der Türkei

Alle Dozenten stammen aus der Türkei, sind aber in Deutschland groß geworden. Wenn Catakli die Zubauzahlen schätzt, dann meint er die sogenannten lizenzfreien Anlagen, die maximal ein Megawatt Leistung haben. Für 2015 schätzt er dieses Marktsegment auf rund 400 Megawatt. „In der Türkei wird fleißig gebaut“, sagt er. „Die neuen Rahmenbedingungen der Regierung werden effektiv umgesetzt. Und sie werden in den kommenden Jahren stabil bleiben.“ Er resümiert: „Wir werden in der Türkei keine Überhitzung wie in Spanien, Italien oder Griechenland bekommen, mit drei, vier oder mehr Gigawatt Zubau im Jahr. Ein Gigawatt pro Jahr, das ist realistisch.“

Die zuständige Behörde hat für die Abnahme der Generatoren einen Stab aus fünf oder sechs Fachleuten gebildet. Sie geben den Takt des Marktes vor, denn jede Anlage braucht umfangreiche Planung und eine Freigabe.

Zudem neigen sich die Ausschreibungen von rund 600 Megawatt für Anlagen mit mehr als einem Megawatt dem Ende zu. Seit dem Sommer wurde diese Kapazität für Großprojektierer ausgeschrieben. Aber die Ergebnisse werden erst im Dezember erwartet. „So kamen beispielsweise Angebote mit 400.000 Euro je Megawatt“, berichtet der Insider. „Das kann niemand bauen, auch nicht unter türkischen Sonnenverhältnissen.“ Ein simpler Trick: Um möglichst geringe Preise zu bieten, haben die Anbieter mit einer Standzeit der Anlage von 49 Jahren gerechnet.

Mit solchen Verwerfungen schlägt sich die zuständige Vergabebehörde nun herum. Auch üben sich die Beamten in Vorsicht, weil bei früheren Ausschreibungen von Windkraftrotoren etliches schiefging. Damals hatte die Regierung ein ähnliches Ausschreibungssystem benutzt – und war gescheitert. Um den Zuschlag zu bekommen, unterboten sich die Kombattanten gnadenlos. Zwar erhielten sie die Lizenz, doch die angebotenen Windparks wurden nie gebaut: weil das Geld zur Refinanzierung nicht reichte.

Zudem hat die Behörde den Netzanschluss vorgegeben, weil das Stromnetz in der Türkei veraltet ist. Es stehen kaum genug Transformatoren zur Verfügung, um die zusätzliche Solarleistung aufzunehmen. „Aber bis Jahresende wird klar, wer bauen darf“, erläutert Murat Catakli. „Dann werden die 600 Megawatt im kommenden Jahr tatsächlich gebaut. Mit den 400 Megawatt aus lizenzfreien, kleineren Anlagen kommen wir also auf ein Gigawatt.“ Wichtig für ihn ist: Die türkische Regierung sieht in der Photovoltaik eine wichtige Säule der Stromversorgung. „Sie soll kontinuierlich und langfristig zugebaut werden. Das geht eben nicht so schnell, von heute auf morgen.“

Aufwendige Genehmigungen

Murat Catakli vertreibt in der Türkei die Planungssoftware PV Sol von Valentin Energiesoftware aus Berlin. Er kennt das Land, er weiß, wo sich Anlagen lohnen. Dringend warnt er vor Spekulationen: „Schon werden deutschen Anlegern lizenzierte Großprojekte schmackhaft gemacht“, nennt er ein aktuelles Beispiel. „Das ist nicht seriös. Denn bisher wurde noch nicht eine einzige Lizenz vergeben.“

Auch bei unlizenzierten Projekten mahlen die Mühlen langsam, ist der Aufwand zur Planung und Genehmigung nicht zu unterschätzen.

Zwar sind Solarerträge von 1.600 Kilowattstunden je Kilowatt machbar, vor allem im Süden des Landes. „Aber viele Projektierer aus dem Ausland legen die Wechselrichter falsch aus“, sagt er. „Die Geräte werden bei uns viel heißer als in Deutschland, deshalb fallen sie schneller aus. Man braucht andere Konzepte zur Auslegung.“ Freilandparks entstehen in der Regel auf kargem, trockenem Boden. Die Türkei ist windig, also sind Module und Umrichter erheblichen Staubbelastungen ausgesetzt. „Deshalb brauchen wir geschulte Fachkräfte, die den Betrieb und die Wartung der Anlagen erledigen können.“ Wenn der EPC-Projektierer in 2.000 Kilometern Entfernung hockt, ist die sachkundige Betriebsführung kaum möglich.

Catakli und seine Kollegen von der Berliner DGS schulen die türkischen Fachkräfte bewusst neutral, was Produkte und Hersteller betrifft. Mit fünf Universitäten des Landes wurde eine Kooperation vereinbart. Denn in der Türkei betreiben die Hochschulen nebenbei so etwas wie Volkshochschulen. Also durchliefen auch die Dozenten der Fachbereiche für Maschinenbau und Elektrotechnik ein Schulungsprogramm in der Photovoltaik. „So kommt der Markt in Bewegung“, ist Catakli überzeugt. „Und zwar mit langem Atem.“

Für Anlagen unter einem Megawatt braucht man keine Lizenz, keinen Zuschlag in der Ausschreibung. Aber die bürokratischen Hürden hängen hoch. Innerhalb von sechs Monaten (180 Tagen) müssen alle Genehmigungen beisammen und die Anlage errichtet sein.

Bei Dachanlagen beispielsweise redet der regionale Netzbetreiber mit, er bestimmt den Anschlusspunkt. Danach braucht der Investor eine Baugenehmigung, dazu muss unter anderem die Statik berechnet werden. „Die meisten Sachbearbeiter in den Baubehörden wissen noch gar nicht, was Photovoltaik ist“, erzählt der Experte. „Also kriegen sie erst einmal einen Grundkurs im Schnelldurchlauf.“

Jede Photovoltaikanlage gilt in der Türkei als bauliche Veränderung des Daches. Also muss der Architekt zustimmen, der das Dach und das Gebäude ursprünglich geplant hat. Es folgt die Auslegung der Anlage: Modulbelegung, Verkabelung, Kabelverluste, Erdung, Wechselrichter.

Nur sechs Monate Zeit

Dieser Ordner mit allen Genehmigungen und Zustimmungen ist schließlich erneut dem Netzbetreiber einzureichen. Er erteilt den abschließenden Segen. „Bei Dachanlagen geht das mittlerweile ziemlich fix“, meint Murat Catakli. „Bei Freilandanlagen ist zusätzlich das Agrarministerium involviert. Braucht die Anlage mehr als 20.000 Quadratmeter Bodenfläche je Megawatt, ist eine vollständige Umweltverträglichkeitsprüfung notwendig.“

Sie dauert 30 Tage. Auch die Wasserbehörden müssen nicken, auch bei ihnen braucht die Prozedur 30 Tage, weil das Begehren des Investors so lange ausgehängt werden muss, damit eventuelle Bedenken vorgebracht werden können. Zu guter Letzt muss das Straßenbauamt bestätigen, dass auf diesem Grund keine Straßen oder anderen öffentlichen Bauten geplant sind. „Es gibt einige Dienstleister, die diese Verfahren komplett anbieten und übernehmen“, erklärt Murat Catakli. „Das kostet insgesamt rund 10.000 Euro.“

Die Türkei steht an der Schwelle, eine wirtschaftliche Großmacht zu werden. Doch dazu braucht sie vor allem preiswerte und saubere Energie. Der fossile Kraftwerksbestand summiert sich auf 62 Gigawatt, die Netze können ihre Abnehmer nicht ausreichend versorgen.

Seit 2006 stiegen die Strompreise um jährlich rund elf Prozent. In den kommenden fünf Jahren braucht die Türkei zusätzlich rund 29 Gigawatt Kraftwerksleistung. Wer es kann, macht sich von den hohen Strompreisen und der unsicheren Versorgung durch die öffentlichen Netze unabhängig.

Der Energiehunger wächst

Und genau dieser Trend ist es, der den türkischen Photovoltaikmarkt langsam in Fahrt bringt. Denn der Zubau konzentriert sich auf Dachanlagen mit weniger als einem Megawatt Leistung. Seit Ende 2013 gilt ein Einspeisetarif von 13,3 US-Cent (9,5 Eurocent), der sich als attraktiv erweist. Er wird dem Anlagenbetreiber für zehn Jahre garantiert, damit sind zwischen acht und neun Prozent Rendite möglich.

Viel spannender ist jedoch der Eigenverbrauch, der auch in der Türkei zunehmend das Solargeschäft bestimmt. Denn viele türkische Unternehmer haben sich Partner in Deutschland gesucht, die sich bestens in der Materie auskennen.

So hat beispielsweise der Modulhersteller Innotech Solar (ITS) aus Halle mehr als 400 Module an das ökologische Weingut Urla an der türkischen Riviera geliefert. „Die Module produzieren an heißen Tagen deutlich mehr Strom als andere Module auf dem Markt“, erläutert Can Ortaba, Eigentümer und Geschäftsführer des Weinguts. „Das war für uns sehr wichtig, da wir hier häufig Temperaturen von bis zu 45 Grad haben.“ Die kristallinen Module von ITS weisen einen Leistungsabfall von 0,39 Prozent je Kelvin auf, deutlich weniger als andere Anbieter (bis 0,51 Prozent je Kelvin). Also erwirtschaftet die Solaranlage von Urla rund 7,8 Megawattstunden mehr im Jahr. Die Photovoltaikanlage leistet 100 Kilowatt, sie wurde auf einer Freifläche errichtet. Den Auftrag führte der türkische Projektierer Laterna aus Istanbul durch.

Ein Pilotprojekt in Izmir

In Izmir haben der türkische Installationsbetrieb Solar Enerji Üretim und Q3 Energieelektronik aus Kaufbeuren gemeinsam eine Anlage mit einem Megawatt Leistung aufgebaut. Dort wurden 73 Wechselrichter der Bauserie QX von Q3 sowie 4.000 kristalline Module mit je 250 Watt installiert. Die Anlage wurde auf Sandwichdächern mit insgesamt 8.000 Quadratmetern realisiert. Izmir liegt im Süden der Türkei, im sonnenverwöhnten Teil. Die Anlage kann den Strombedarf von 500 Vier-Personen-Haushalten abdecken.

In einem Pilotprojekt wurde zudem das neue Rathaus von Izmir mit eigens produzierten Solarzellen und QX-Wechselrichtern für den Eigenverbrauch ausgerüstet. Hierbei wurden die Wafer so angeordnet, dass das Sonnenlicht durch die Module scheinen kann. Dadurch sind die Lichtverhältnisse im Rathaus optimal. Die Konvektionskühlung der Wechselrichter gewährleistet auch ohne elektrische Lüfter eine dauerhaft hohe Kühlleistung. Auf diese Weise steigen die Effizienz und die Lebensdauer der Wechselrichter.

Sonnenstrom für eine Molkerei

Der türkische Partner Solar Enerji Izmir ist Spezialhersteller von Solarkabeln, Unterverteilungen nach deutschem Standard, von Tragsystemen und Solarmodulen. Die Firma hat weitere Standorte in Istanbul und an der syrischen Grenze.

In Söke in der südwestlichen Provinz Aydin haben Delta und der einheimische Partner Entegro Photovoltaik Sistemleri einen Generator mit 150 Kilowatt installiert. Verbaut wurden 621 Solarmodule des chinesischen Herstellers BYD mit je 250 Watt. Delta steuerte fünf Wechselrichter Solivia 30 TL (je 30 Kilowatt) bei, die den Sonnenstrom ohne Trafo ans Netz bringen. Die Anlage wurde auf dem Dach der Molkerei Algür errichtet – für den Eigenbedarf. Nur Überschüsse werden ins Stromnetz geleitet. In der Region ist dieses System bisher ein Novum. Entegro gehört den türkischen Solaringenieuren Esref Deniz und Özgür Yagmuroglu. Sie haben 2013 rund ein Megawatt in der Türkei geplant und installiert. 2014 könnten es drei Megawatt werden.

Die Planungen für das 150-Kilowatt-Dachsystem begannen im Juli 2013. Die Auswahl der Wechselrichter war besonders wichtig, da sie robust und dicht sein mussten. Sie stehen außen, dafür haben die Solivia-Geräte ein robustes Aluminiumgehäuse und Schutzgrad IP65. Sie sind sehr gut gegen Staub oder Spritzwasser gesichert. Die Installation der Anlage erfolgte in nur 20 Tagen. Mit einer Nennleistung von 150 Kilowatt kann die Anlage durchschnittlich 245 Megawattstunden Energie pro Jahr produzieren. Etwa 80 Prozent des Sonnenstroms werden in der Molkerei verbraucht.

Zurück zu den Träumen der Touristen: In Antalya im Süden der Türkei reihen sich die Hotels, dorthin zieht es jedes Jahr Zigtausende deutsche Urlauber. Auf den Dächern der Getränkefabrik Süral stromt sein einigen Monaten ein Sonnengenerator, der 500 Kilowatt leistet. Er wurde von der in Nürnberg ansässigen Firma FR-Frankensolar und deren türkischer Tochter Kosifrankensolar errichtet. Partner waren die türkischen Firmen Inform und Dagsan Solon. Frankensolar lieferte die Module. Der Sonnenstrom wird im Werk verbraucht.

http://www.catakli-enerji.com

Blick über den Tellerrand

Neue Märkte für deutsche Profis

In unserer Serie stellen wir interessante Photovoltaikmärkte in Europa vor. Kooperationen mit Partnern in den neuen Wachstumsmärkten bieten auch deutschen Herstellern, Planern und Installateuren eine lohnende Chance. Wir erläutern die Fallstricke und die Möglichkeiten, die sich für eine internationale Zusammenarbeit ergeben.

August 2014: GroßbritannienSeptember 2014: TschechienOktober 2014: UkraineNovember 2014: TürkeiDezember 2014: RusslandJanuar 2015: Frankreich, BeneluxFebruar 2015: Schweiz, Österreich, Ungarn

https://www.photovoltaik.eu/

DGS Berlin

Leitfaden auf Türkisch

Der Planungsleitfaden „Fotovoltaik Sistemler“ erschien erstmals Mitte 2012. Ende Dezember kommt die zweite, aktualisierte Auflage, die auch ein Musterprojekt vorstellen wird. Der Leitfaden bietet umfassende Informationen zu den Grundlagen, zur Technik, zur Planung, zum Anlagenbetrieb, zu wirtschaftlichen Aspekten und Fragen der Genehmigung beziehungsweise zum Netzanschluss.

Basis ist der „Leitfaden Photovoltaische Anlagen“, den die DGS bereits in der fünften Auflage herausgibt. Eine türkische Ausgabe des Leitfadens für Solarthermie ist derzeit nicht geplant.

Der Ringordner „Fotovoltaik Sistemler“ kann bei der DGS in Berlin bestellt werden, auf ihrer Website unter dem Menüpunkt „Publikationen“ und dort unter „internationale Leitfäden“.

http://www.dgs-berlin.de/de/startseite.html

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