Erfahrung schützt vor Fehlern nicht: Obwohl die Installateure nicht mehr im Akkord früherer Jahre schuften, wird die elektrische Sicherheit auf der Baustelle oft vernachlässigt. Das ist keine Eigenheit der Solarteure, sondern ein schleichender Prozess. Nach dem Motto: Bin lange genug im Geschäft, ich kenne mich aus. Und genau deshalb passieren immer wieder gefährliche Unfälle, einige sogar mit schweren Verletzungen oder Todesfolge. Denn elektrischer Strom ist unsichtbar, man kann ihn nicht riechen. Deshalb gilt als oberste Regel: Freischaltung immer wieder prüfen und großzügige Sicherheitsabstände zu Teilen halten, die Spannung führen können, auch wenn sie scheinbar zugänglich und spannungsfrei sind. Nur eine erschreckende Zahl: Rund 85 Prozent aller Elektrounfälle, die bei den Berufsgenossenschaften gemeldet werden, gehen auf sogenannte Elektrofachkräfte zurück.
Mit der Komplexität der elektrischen Einbindung von Photovoltaikanlagen und Sonnenstrom in die Hausnetze oder Verteilnetze wird das Geschäft immer unübersichtlicher. Sogar erfahrene Elektriker und Techniker laufen Gefahr, lebenswichtige Details zu übersehen. So geschehen im Fall eines Betriebsmeisters, der eine Umspannanlage für 20 Kilovolt reinigen sollte. Der Mann war im Auftrag eines Netzbetreibers unterwegs, er verfügte über 20 Jahre Erfahrung.
Weil er über die Schaltberechtigungen verfügte, übte er alle Schalthandlungen selbst aus. Zunächst beachtete er die fünf Grundregeln der gefährdungsfreien Bedienung (siehe Kasten), um an den Sammelschienen S2 zu arbeiten. Anschließend legte er S2 wieder aufs Netz und schaltete S1 frei. Aus ungeklärter Ursache begab er sich von S1 jedoch erneut ins Schaltfeld S2. Eigentlich hätte er bei 20 Kilovolt mindestens 22 Zentimeter Abstand halten müssen. Die Spannung schlug auf die Kleidung über, ein Lichtbogen aus drei Phasen erfasste seinen Körper. Verbrennungen an Kopf und Hals waren die Folge.
Die Berufsgenossenschaften sammeln solche Fälle und werten sie regelmäßig aus. Im Internet stehen diese Berichte zur Verfügung, und gelegentlich lohnt es sich, darauf ein oder zwei müßige Minuten zu verwenden. Vor allem bei der Schulung der Mitarbeiter sind solche Fallstudien hilfreich, um die Sinne für das Risiko beim Umgang mit elektrischen Betriebsmitteln und stromführenden Systemen zu schärfen. Sie beweisen, dass Nachlässigkeit und ein frappierender Mangel an Sorgfalt die wesentlichen Ursachen für schwere Unfälle sind.
Lichtbogen überspannt Schutzabstand
So geschehen im Fall von zwei Monteuren, die an einer 20-Kilovolt-Schaltanlage mechanische Verriegelungen anbringen sollten. Die Riegel waren gedacht, um Fehlschaltungen zu verhindern. Um die Zellen einzeln umzurüsten, wurde bei dem Doppelschienensystem eine Sammelschiene freigeschaltet. Die zweite Schiene blieb unter Spannung, um die Stromversorgung weiterhin zu sichern.
Während der Arbeiten überwand einer der Monteure das Schutzgitter zur spannungsführenden Sammelschiene, indem er auf eine kleine Leiter in einer Schaltzelle stieg. Die Folge: Ein Lichtbogen schlug über, auch dieser Monteur erlitt schwere Verletzungen.
Oft grobe Fahrlässigkeit
Einige der hier beschriebenen Unfälle liegen bereits Jahre und Jahrzehnte zurück. Sie gehören ins kollektive Gedächtnis der Branche, damit sich ähnliche Fahrlässigkeiten nicht wiederholen.
Oft sind die Fachkräfte zu zweit zugange, vor allem in größeren Schaltanlagen mit Mittelspannung. Dann ist der Monteur nicht nur für die eigene Sicherheit verantwortlich, er muss auch mit seinem Kollegen kommunizieren, um die Risiken zu minimieren.
So war das Spezialistenduo einer Installationsfirma beauftragt, die interne 20-Kilovolt-Versorgung eines Industriebetriebs zu erneuern. Die Anschlüsse der alten Station sollten auf eine neue Anlage umgeklemmt werden. Die Monteure besaßen die erforderliche Schaltberechtigung. Zu Beginn wurde die Station der alten Anschlussstelle im oberen Bereich freigeschaltet, kurzgeschlossen und geerdet. Der untere Bereich stand weiterhin unter Spannung, wurde jedoch mit einer Plexiglasplatte mit Aufschrift „nicht schalten“ versehen. Der Arbeitsleiter öffnete die Türen der Station und begab sich auf die Rückseite. Plötzlich bemerkte er Funken und Blitze. Offensichtlich war der zweite Monteur in der Zwischenzeit in die Station gekrochen und hatte einen Kurzschluss erzeugt. Die Kleidung brannte, der Körper des Kollegen wurde durchströmt. Obwohl sein Kollege sofort den Feuerlöscher einsetzte, starb der schwer verletzte Monteur am Unfallort aufgrund der Körperdurchströmung. Die Schutzblende auf den spannungsführenden Teilen hatte er unmittelbar vor dem Unfall zur Seite gelegt, um sich freier bewegen zu können.
Weitere häufige Fehler sind Verwechslungen von freigeschalteten und spannungsführenden Baugruppen oder unzureichende Einweisungen in die Arbeitsaufgabe sowie die damit verbundenen Risiken. Sogar der einfache Tritt auf ein Kabel kann dem Monteur zum Verhängnis werden. In einem Fall trat ein Monteur beim Verlegen eines Zehn-Kilovolt-Kabels im Graben auf ein Niederspannungskabel, das dort gleichfalls verlief. Er verbrannte sich den linken Arm und die linke Hand, kam also noch vergleichsweise glimpflich davon.
Dabei gehört es zum Grundwissen jedes Lehrlings, dass freigelegte Kabel nicht in ihrer Lage verändert werden dürfen. Auch darf man sie nicht als Standplatz oder Aufstiegshilfe benutzen. Ist es unerlässlich, ein Kabel zu betreten, sollte zumindest eine Isoliermatte aufliegen, um den Monteur zu schützen.
Niederspannung nicht unterschätzen
Die Liste der lehrreichen Unfälle lässt sich beliebig fortsetzen. Sie reicht von Kollegen, die um Haaresbreite einem Lichtbogen entkamen, bis zu jenem Monteur, der eine Kabelabzweigmuffe auf die spanungsführende Hauptleitung im Verteilnetz installierte. Weder schaltete er das Kabel frei, noch nahm er Kontakt zur Schaltwarte auf. Auch nutzte er ungeeignetes, unzureichend isoliertes Werkzeug. Da er allein in der Baugrube arbeitete, blieb der Unfall unbemerkt. Erst später wurde er leblos geborgen.
Doch nicht nur höhere Spannungen sind gefährlich. Sehr oft unterschätzt wird die Niederspannung. So verwechselten die Monteure in einem Gewerbegebiet das Kabel, das sie in der Trafostation soeben freigeschaltet hatten, mit dem Kabel, das ein Bagger zerrissen hatte. Ein Netzplan existierte nicht, das Grundstück unterstand früher den Alliierten. In vermeintlicher Sicherheit zog einer der Monteure an dem beschädigten Kabel. Ein innerer Kurzschluss entstand, es folgte ein Lichtbogen. Der Monteur verbrannte sich die Hand. Hier wäre es besser gewesen, die Lage der Kabel eindeutig durch Kabelsuchgeräte oder Auslesegeräte festzustellen.
Ein unscheinbarer Draht
Prinzipiell lauern die Unfälle überall. Nicht selten bohren die Monteure in bestehende Kabelkanäle, die unter Putz verlegt sind, beispielsweise Steigleitungen. Oder herabfallende Werkzeuge oder Teile verursachen Kurzschlüsse. Das geschieht in Schaltschränken, in Verteilungen und Sicherungskästen. Schon eine fallende Mutter kann einen Lichtbogen auslösen. Sogar harmlos wirkender Plombendraht ist nicht zu unterschätzen: In einem aktenkundigen Fall wurde ein Monteur beauftragt, einen Zähler beim Kunden auszubauen und durch Datenfernübertragung zu ersetzen. Nach Abschluss der Installation deckte der Mann die Baugruppen ordnungsgemäß ab. Nun fädelte er den Plombendraht durch die Ösen der Verschraubung. Der Draht bestand aus einer Kunststoffsehne, mit 0,4 Millimeter starkem Kupferdraht umwickelt. Dabei berührte der Draht die unabgedeckte Schraubsicherung des Messwandlers, ein Störlichtbogen entstand.
Sorgfalt ist geboten
Weitere Gefahrenherde sind die Abgreifklemmen in Kabelverteilern oder beschädigte Isolierungen an Kabeln in der Niederspannung. Sogar bei Reinigungsarbeiten in Kabelverteilern sind Unfälle passiert, obwohl die Monteure dafür Industriestaubsauger mit aufgesteckten, isolierten Kunststoffrohren verwendeten. Selbst dann ist davon auszugehen, dass frei liegende Drähte oder herumliegende Teile einen Lichtbogen erzeugen können. Zu guter Letzt dieser Hinweis: Selbst die kurzfristig installierten Baustromverteiler einer Baustelle sind mit der gebotenen Sorgfalt zu behandeln. Persönliche Schutzausrüstung, isoliertes Werkzeug und Matten zur Abdeckung beziehungsweise für die Trittsicherheit sollten zur minimalen Ausstattung der Monteure gehören.
Im Überblick
Die Serie zum Arbeitsschutz
Teil 1: Sicherheit auf dem Dach: Januar 2014
Teil 2: Aufbau des Montagesystems und Modultransport: Februar 2014
Teil 3: Arbeitskleidung und Witterungsschutz: März 2014
Teil 4: Elektrische Sicherheit: April 2014
Teil 5: Sicherheit bei Wartung und Reinigung: Mai 2014
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Elektrischer Arbeitsschutz
Fünf Sicherheitsregeln
Gemäß VDE 0105-100 gelten für die elektrische Sicherheit bei Arbeiten an stromführenden Systemen fünf Grundregeln,auf die auch die Berufsgenossenschaften immer wieder hinweisen:
Die Berufsgenossenschaft bietet auf ihrer Website zahlreiche Hinweise zur Arbeitssicherheit an. Dort sind etliche sehrlehrreiche Unfälle dokumentiert.
Themendossier
Mehr Praxis: Arbeitsschutz
Für unsere Abonnenten haben wir auf unserer Homepage ein neues Themendossier aufgebaut. Dort finden Sie weitere Informationen, die wir seit Mai 2013 über die Arbeitssicherheit bei der Installation von Photovoltaikanlagen gesammelt haben. Das Dossier wird kontinuierlich gepflegt und erweitert. Außerdem stehen Ihnen zum kostenlosen Download einige Broschüren der Berufsgenossenschaft bereit. Der Zugang ist nur für Abonnenten möglich, die sich über ihre Zugangsdaten einloggen können. Die Daten finden Sie auf dem Adressaufkleber auf Ihrem persönlichen Exemplar der photovoltaik.