Siebzehn, achtzehn, neunzehn, zwanzig und mehr Prozent: Das Wettrennen um die höchsten Wirkungsgrade in der Photovoltaik ist längst nicht zu Ende. Bisher konzentrierten sich die Ingenieure auf Silizium, den Halbleiter, der Elektronen erzeugt, wenn Licht auf die Zelle fällt. Nun erforschen die Wissenschaftler, ob sie das Licht selbst – sprich: die Photonen – besser ausnutzen können.
Die Wafer sind nur hauchdünn, auch in Dünnschichtmodulen ist der Halbleiter nur wenige Mikrometer dick. Um die Solarenergie noch besser zu verstehen und auszureizen, tauchen die Forscher nun in den Nanokosmos ein. Dort zeigt das Photon erstaunliche Eigenschaften: Es ist elektromagnetische Welle und Lichtteilchen zugleich, pendelt zwischen den Atomen und Elektronen. Mikroelektronik war früher, jetzt haben die Quantenmechaniker das Sagen. Sie versprechen Wirkungsgrade von bis zu vierzig Prozent.
Eine Expedition im Dschungel
Das dauert aber noch ein bisschen. Derzeit wabern viele Ideen durch die Labore. Ein Ausgangspunkt sind die Siliziumwafer der kristallinen Solarzellen. Fällt Sonnenlicht auf die Zelle, werden in der Emitterschicht auf ihrer Oberfläche Elektronen in Gang gesetzt. Für sie ist der Weg durch die Scheibe wie eine Expedition durch dichten Dschungel: Überall stoßen sie an Atome oder werden von so genannten Leerstellen kurzerhand geschluckt. Das nennt man Rekombination, der Feind aller Solartechniker. Denn nur wenige Elektronen schaffen es bis zur Elektrode, wo sie sich sammeln und als elektrischer Strom nutzbar sind.
Um mehr Elektronen an ihr Ziel zu bringen, bauen die Forscher am Hamburger Centrum für Angewandte Nanotechnologie (CAN) an winzigen Tunneln aus Grafit. Die Röhrchen habeneinen Durchmesser von etwa einem Nanometer. Das ist der Milliardste Teil eines Meters oder ein Millionstel Millimeter. Im Nanokosmos liegen die Atome dann wie Billardkugeln nebeneinander. Die Distanzen sind viel kleiner als die Wellenlänge des Lichts. Die Nanoröhren sind mehrere Mikrometer lang, also das Tausendfache ihres Durchmessers. Durch diesen Tunnel können die Elektronen nahezu ungehindert ihren Weg finden.
Grafit als Tunnelzement
Das Problem: Normalerweise hat Grafit einen zu hohen spezifischen Widerstand, um die Elektronen möglichst verlustfrei durchzuschleusen. Immerhin acht Ohm je Meter. Weil der Nanotunnel aber so klein ist – nur wenige Mikrometer lang – gelten andere physikalische Gesetze als in der makroskopischen Welt. Die Röhre wird zum Wellenleiter, der eingequetscht zwischen den Kohlenstoffatomen der Röhrenwandung liegt. Ihr Widerstand gegen den Elektronentransport geht nun gegen Null. Entlang der Röhre verläuft der Ladungstransport nahezu verlustfrei. Verluste treten nur auf, wenn die Elektronen an den Kontakten einströmen und auf der anderen Seite wieder austreten.
Die Wissenschaftler am CAN nutzen die chemische Gasphasenabscheidung, um die Nanoröhrchen zu züchten. Sie bringen einen Metallkatalysator in ein kohlenstoffhaltiges Reaktionsgas. Der Kohlenstoff lagert sich an den Katalysator an, „die Nanoröhrchen wachsen wie ein Wald auf der Oberfläche“, erklärt Fabian Werner, Nanoforscher am CAN. Rollt man ein solches Nanoröhrchen ab, würde man unterm Mikroskop ein Grafittuch aus Atomen sehen, die wie Bienenwaben zusammenhängen. „Durch diese Struktur erhoffen wir uns einen verbesserten Ladungstransport“, sagt Werner. „Inzwischen lassen wir die Nanoröhrchen gezielt aufwachsen.“ Dafür optimieren die Wissenschaftler die Abscheidung, probieren verschiedene Reaktionsparameter aus.
In diesem Projekt setzen die Hamburger Forscher auf Grafit, dessen Gitterstruktur dem Silizium sehr ähnlich ist. Eine andere Gruppe analysiert Nanokristalle aus Bleisulfid, gleichfalls ein Halbleiter. Mit diesen so genann
ten Quantum Dots kann man die Bandlücke der Solarzellen so einstellen, dass der Halbleiter möglichst viele Photonen mit unterschiedlicher Energie, sprich: Wellenlänge, ausnutzt und in Strom wandelt. „Die Größe der Quantenpunkte entscheidet über das Lichtspektrum, das die Solarzelle absorbiert“, erläutert Fabian Werner.
Schließlich muss die Wellenlänge zur Größe des Nanopartikels passen. Je kleiner die Dots, desto größer ist die Hürde für das Photon. Kurzwellige, energiereiche Photonen passen in kleinere Dots, langwellige Infrarotphotonen brauchen mehr Platz.
Sprung über die Bandlücke
Damit das Elektron durch ein Photon in Marsch gesetzt wird, muss es die Bandlücke überwinden. Makrokristallines Bleisulfid hat eine Bandlücke von 0,37 Elektronenvolt. Das entspricht einer Wellenlänge von etwa 3.300 Nanometern. Im Nanokosmos beträgt die Bandlücke jedoch 1,2 Elektronenvolt. Zellen aus nanostrukturiertem Bleisulfid absorbieren das Lichtspektrum bis zu einer Wellenlänge von etwa 1.000 Nanometern. Dieser Abschnitt im Spektrum versammelt die besonders energiereichen Photonen. „Das Optimum für Solarzellen liegt zwischen 1,1 und 1,3 Elektronenvolt“, sagt Fabian Werner. „Deshalb versuchen wir auch, auf diese Größe zu kommen. Wir können das genau und relativ einfach einstellen.“
Blei in Nanokapseln
Die Bleisulfidkristalle sind zwischen drei und 20 Nanometer groß. Weil Blei als Schwermetall ins Gerede gekommen ist, kapseln es die Wissenschaftler ein. Dieses Bulk-Material bildet den negativen Kontakt. Woraus die Hüllen bestehen, will Werner nicht verraten. Denkbar ist, diese Idee auch auf Kupfer-Indium-Halbleiter (CIGS) zu übertragen. Bisher steckt die Technologie noch in den Kinderschuhen, was die Effizienz angeht.
Forscher der University of Toronto haben Mitte 2012 mit sieben Prozent den bisherigen Wirkungsgradrekord mit Bleisulfid-Quantum-Dots aufgestellt. „Ich sehe aber keinen Grund, warum wir in Zukunft nicht an die Effizienz von Dünnschichtmodulen herankommen sollten“, ist Fabian Werner optimistisch. Schließlich werde die Technologie erst seit sechs Jahren erforscht. Irgendwann wollen die Hamburger einen Wirkungsgrad von über 40 Prozent erreichen.
Solche Wirkungsgrade versprechen zurzeit nur die konzentrierenden Solarzellen, die beispielsweise Fresnellinsen nutzen, um die Sonne 500-fach oder gar tausendfach auf eine fingernagelgroße Zelle aus Galliumarsenid zu brennen. Wenn es nach den Forschern am CAN geht, wäre diese Effizienz auch mit Dünnschichtzellen aus nanostrukturiertem Bleisulfid möglich. Bisher sind Dünnschichtzellen aus Silizium oder CIGS meilenweit davon entfernt. CIGS-Zellen erreichen im Labor der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) in Zürich 20,4 Prozent Wirkungsgrad, Siliziumdünnschicht liegt bei etwa elf Prozent. Speziell Siliziumdünnschicht verspricht aber sehr geringe Fertigungskosten, weil das Ausgangsmaterial Silizium so häufig vorhanden ist, wie der sprichwörtliche Sand am Meer. Es ist das häufigste Element der Erdkruste.
Limits überwinden
Allerdings gilt für Dünnschichtzellen aus Silizium bisher eine undurchlässige Grenze: das Schockley-Queisser-Limit. Jede Solarzelle kann nur einen Ausschnitt des gesamten Lichtspektrums der Sonne absorbieren und in elektri
schen Strom umwandeln. Alle übrigen Frequenzen tun nichts anderes, als den Wafer mehr oder weniger aufzuheizen, wodurch sein elektrischer Widerstand steigt. Das macht es den Elektronen noch schwerer, den richtigen Pfad zu finden. Die Physiker William Schockley und Hans Joachim Queisser haben die theoretische Grenze für Siliziumsolarzellen mit nur einem p-n-Übergang sogar berechnet. Seit 1961 gilt unter Photovoltaikern als ehernes Gesetz: Bei 31 Prozent Wirkungsgrad ist definitiv Schluss.
Mehr als 40 Prozent
Damals gab es jedoch die Nanotechnik noch nicht. Nun wollen zwei Teams vom Institut für Photonische Technologien (IPHT) in Jena und vom Max-Planck-Institut für Physik des Lichts in Erlangen diese Grenze knacken. Statt Grafit oder Bleisulfid wie die Hamburger Kollegen wählen sie Silizium als Baumaterial. Doch es geht nicht um Röhren oder Kristalle, sondern um Drähte, um einen fein gewebten Teppich aus eng stehenden Nanodrähten. Er ist etwa zehn Mikrometern dick. Die einzelnen Drähte haben einen Durchmesser von einigen hundert Nanometern. Wichtig ist, diesen Nanoteppich möglichst schnell und preiswert zu weben und dabei einen möglichst hohen Wirkungsgrad herauszukitzeln. Noch sind die Wissenschaftler mit Prognosen sehr vorsichtig. Dünnschichtzellen aus dem Nanoteppich erreichen bereits annähernd 15 Prozent Wirkungsgrad, deutlich mehr als mit der Standardtechnologie. 20 Prozent sind in Reichweite. Da die Nanotechnologie eine sehr junge Wissenschaft ist, ist noch einiges zu erwarten. Ob die Forscher in Jena und Erlangen tatsächlich Erfolg haben, ist noch nicht sicher. Forschung ist ein riskantes Geschäft.
Ihr Ansatz – immerhin – spricht für sich: Die Nanodrähte sind ideale Lichtfallen. Sie fangen die Photonen ein. Mit Hilfe ihrer Energie werden Elektronen aus dem Siliziumdraht in Gang gesetzt. Die Oberfläche dieser Teppichzelle ist nanotechnologisch gesehen sehr rau: Die Reflexionsverluste sinken auf ein Minimum, etwa 90 Prozent des einfallenden Lichts wird von den Drähten geschluckt.
Nun experimentieren die Forscher mit längeren und dünneren Drähten, weben dichtere oder lockere Teppiche. Auch simulieren sie die optoelektronischen Vorgänge in den Siliziumdrähten, um den Wirkungsgrad systematisch hoch zu schrauben. Eine Idee ist, die Oberfläche der Drähte zu passivieren, um die Zahl der Schlaglöcher für die Elektronen deutlich zu senken. Denn die Gefahr von Rekombination ist bei jedem Halbleiter gegeben, und mag es nur ein dünner Draht sein. „Trotz der ermutigenden Ergebnisse liegt vor der Kommerzialisierung der Nanodrahtzellen noch ein langer Weg der Forschung“, sagt Sabine Christiansen, die beide Wissenschaftlerteams in Jena und Erlangen leitet. Einige Unternehmen wittern die Chance, die sich aus diesen Forschungen möglicherweise ergibt. So sind der Modulhersteller Bisol aus dem slowenischen Prebold, der Herzogenrather Anlagenbauer Aixtron und Picoun, ein Hersteller von Abscheidungsanlagen aus Finnland, beteiligt.
Ein neues Zeitalter dämmert
Solarzellen dünner zu machen und den Elektronen den Weg zu ebnen, dieses Ziel verfolgen auch die Wissenschaftler der Universität in Konstanz am Bodensee. Sie haben sich einen ganz anderen Trick einfallen lassen: In ihrem Labor experimentieren sie mit nanostrukturierten Hybridsolarzellen. Dahinter verbergen sich Nanodrähte oder Nanoröhren aus Metalloxiden,beispielsweise Titanoxid. Diese Nanostrukturen sind in eine Matrix aus organischen Halbleitern, sprich: Polymere, eingebettet. Eigentlich sind die Polymere ziemlich schlechte Leiter. In diesem Material haben es die Elektronen besonders schwer, sich frei zu bewegen.
Mehr Strom aus Polymeren
Das ist der Grund, warum beispielsweise organische Solarzellen nur dünn wie Folien sind. Der Konstanzer Nanoprofessor Lukas Schmidt-Mende will jedoch aus solchen Polymerzellen mehr Strom herausholen.
Die Polymere liegen in molekularen Schichten übereinander. Die Grenzen zwischen diesen Schichten machen den Elektronen das Leben besonders schwer. Lukas Schmidt-Mende will diese Grenzschichten nanotechnologisch strukturieren, damit sie die Elektronen besser durchlassen. Bisher arbeiten die Hersteller der organischen Solarzellen mit chemischen Lösungen, um die Übergänge zwischen den Polymerlagen durchlässig zu machen. Jeweils ein Elektronenspender (Donor) und ein Elektronensammler (Akzeptor) liegen übereinander. Das chemische Verfahren klappt aber nur bedingt, denn manchmal bilden sich hinderliche Inseln im Material. Die Struktur der Grenzschicht ist gestört. Deshalb möchte Schmidt-Mende die Schichten aufdrucken. Überhaupt will er erst einmal verstehen, was in den Polymeren wirklich passiert. „Das ist wichtig, da in organischen Materialien die Anregung nur sehr kurzlebig ist“, erläutert er. „Die Elektronen können sich nur kurz im Material bewegen. Bisher haben wir die Nanostrukturen kaum unter Kontrolle.“ Der Anfang ist gemacht. Auch in der Photovoltaik dämmert das Nanozeitalter herauf.