Was haben Polohemden, lackierte Kotflügel und Fensterrahmen mit Photovoltaikmodulen gemein? Sie stellen Andreas Riedl alle vor das gleiche Problem. Er untersucht bei dem Unternehmen Atlas Material Testing Technology seit zwölf Jahren diese und andere Produkte, um vorherzusagen, wie lange sie halten.
Was bei Kleidungsstücken eher als ein geringes Risiko erscheint, kann bei den Modulen die Produzenten und in Folge die Investoren in den Ruin treiben. Produzenten geben 20 bis 30 Jahre Garantie auf eine bestimmte Leistung, und Investoren rechnen fest mit der Rendite, die die Anlage bei der garantierten Leistung einfahren müsste. Laut Andreas Riedl wird sich die Photovoltaikindustrie deshalb etwas einfallen lassen müssen. Denn er ist der Auffassung, dass „die bisher üblichen Tests nichts über die Lebensdauer der Module aussagen“.
„Am besten würde man die Module 20 Jahre beobachten und dann untersuchen, ob sie noch die garantierte Leistung bringen“, sagt Riedl. Das werden bestimmt sowohl Hersteller als auch Anlagenbetreiber machen. Doch die Ergebnisse kommen zu spät. Man muss die Ergebnisse im besten Fall schon kennen, wenn ein Modul auf den Markt kommt. Bei der Lebensdaueranalyse geht es um den Blick in die Zukunft. Ihre Methode ist die künstliche Beschleunigung der Alterung.
Bekannte Schwierigkeit
Das ist an sich nichts Neues. Schon seit Jahrzehnten unterziehen Experten Module Stresstests. Ganz am Anfang mit dabei waren die Wissenschaftler des Europäischen Forschungslabors in Ispra. Auf ihre Arbeiten gehen auch die Standards der IEC-Tests zurück. Nach ihnen lassen Hersteller, die etwas auf sich halten, Module zertifizieren. Michael Köhl, Physiker am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE), führt die Instrumente gerne vor. So schwitzen die Module für die Zertifizierung in Klimakammern beim Damp-Heat-Test mit 85 Grad und 85 Prozent Luftfeuchtigkeit, sie müssen 200 Temperaturwechsel von minus 40 zu plus 85 Grad und zurück aushalten und einen Stresstest mit ultravioletter Strahlung bestehen. Das alles beschleunigt die Alterung. Trotzdem bereitet die Interpretation der Messwerte den Experten Kopfzerbrechen. „Die Modulhersteller machen gerne glauben, dass die Ergebnisse etwas mit der Lebensdauer zu tun haben“, sagt Michael Köhl. Doch das stimmt nicht. Er gibt Riedl zumindest in diesem Punkt Recht.
In dem Konzept von Atlas gelten deshalb etwas andere Regeln. Andreas Riedl, für den die Tests nach IEC mit den Atlas-Bewitterungstests überhaupt nicht vergleichbar sind, erzählt dazu ein Beispiel aus der Autoindustrie. Dort haben Hersteller teilweise noch bis vor kurzem mit sehr starken Dosen ultravioletter Strahlung getestet, ob eine Lackierung geeignet ist. Dahinter steht die Idee, dass das ultraviolette Licht sehr energiereich ist und eine höhere Dosis die Alterung beschleunigt. Deshalb mischte man sogar so energiereiches ultraviolettes Licht darunter, wie es im realen Sonnenlicht überhaupt nicht vorkommt. „Man hat dann tatsächlich bei vielen Lacken eine schnelle Alterung entdeckt, die ungefähr mit der korrelierte, die man im freien Einsatz gefunden hat“, erklärt Riedl. Doch dann habe man die Lacksysteme geändert. Sie wurden besonders empfindlich auf das ultraviolette Licht, das im Sonnenlicht nicht enthalten ist. Aber gegenüber dem Teil des Lichtspektrums, das in viel größerer Intensität von der Sonne zu uns kommt, wurden sie widerstandsfähiger. Es waren also eigentlich gute Lacke. „Plötzlich stimmten die Messungen nicht mehr“, sagt Riedl. Da die Alterung mit ultraviolettem Licht getestet wurde, fielen die neuen Lacke bei den Prüfungen durch. „Man hat aufgrund schlechter Messergebnisse gute Lacke weggeworfen und schlechte Lacke ausgewählt.“
Übertragen auf die IEC-Tests würde das heißen: Sie sind zu extrem. „Die 85 Grad und 85 Prozent Luftfeuchte des Damp-Heat-Tests haben die Module in der Praxis nicht“, sagt Riedl. „Diese Bedingungen finden Sie nur in isländischen Geysiren.“ Es könnten chemische Reaktionen beschleunigt werden, die in der Realität überhaupt keine Gefahr für die Lebensdauer darstellen. Wer die Damp-Heat-Testergebnisse zur Lebensdauervorhersage nutze, werde also in die Irre geführt. An einer anderen Stelle sind Riedl die Anforderungen nach IEC-Norm dagegen zu lasch. „Es sind keine realistischen Bedingungen, wenn Module wie bei den Tests nach IEC im Dunkeln getestet werden. In der Realität scheint die Sonne, und die trägt zur Alterung maßgeblich bei.“
Neue, realistische Alterungsbedingungen
Dagegen setzt Riedl das, was seit dem Reinfall der Autoproduzenten mit dem UV-Test dort Einzug gehalten habe. „Wir testen unter realistischen Worst-Case-Bedingungen, auch wenn es auf Kosten der Beschleunigung geht.“ Genau genommen muss es statt realistisch realistischer heißen. Wirklich realistisch ist nur, wenn man gar nicht beschleunigt. Realistischer ist, wenn man weniger beschleunigt als mit sonst vergleichbaren Methoden. Die Atlas-Experten machen dazu die Nacht zum Tag und den Winter zum Sommer. In ihren Bewitterungskammern – der Begriff soll sich von dem der Klimakammern unterscheiden – herrscht rund um die Uhr eine Situation, die der in der Mittagszeit an einem bestimmten Standort entspricht – in Bezug auf Feuchtigkeit, Temperatur- und Lichtverhältnisse. Riedl erwartet, dass sich dadurch die der Witterung geschuldete Alterung um den Faktor zehn bis 20 beschleunigt. Um den Faktor genau zu bestimmen, muss man kontinuierlich die Module in den Bewitterungskammern mit solchen vergleichen, die im Freien auf einem Testfeld aufgestellt, sind und die Unterschiede in der Degradation analysieren.
Besonders wichtig ist bei der Atlas-Methode, dass die Module allen Stressfaktoren aus der Umgebung gleichzeitig und zyklisch unterzogen werden müssen. Tests im Dunkeln wie bei den IEC-Tests soll es deshalb nicht geben.
Es gilt noch eine eiserne Regel: Die in der Realität auftretenden Extremtemperaturen überschreiten die Tests nie. „Wir wollen das Modul in einen Zustand versetzen, in dem es nach einigen Jahren sein kann. Wenn sie extremere Bedingungen wählen, erzeugen sie Zustände, die in der Realität eventuell nie auftreten. Das ist ein großer Unterschied zu den IEC-Prüfungen, wo genau das passieren kann.“ Der Preis ist, dass Riedl die Temperatur mit maximal 65 Grad niedriger als bei IEC-Tests halten muss und dadurch auf Beschleunigung verzichtet.
Unter Experten herrscht Einigkeit darüber, dass das im Prinzip nicht schadet. Nur streiten sie sich, wie viel man mit Versuchen mit dieser vergleichsweise geringen Beschleunigung anfangen kann. Wenn ein Hersteller ein neues Modul konzipiert, muss er vermutlich ein bis drei Jahre warten, bis er von der Bewitterung auf die Lebensdauer seines Produkts schließen kann. Das hilft nicht immer weiter. Außerdem hat Atlas noch keine experimentelle Bestätigung über die exakte Höhe der Beschleunigungsfaktoren bei Modulen, da noch keines der Bewitterungsprogramme, die im Sommer 2010 gestartet sind, zu Ende ist. Um sie am Ende zu erhalten, müssen seine Kunden Module aus Bewitterungskammern mit solchen vergleichen, die ganz normal aufgebaut sind.
Skepsis am Fraunhofer ISE
Das kann allein deshalb ziemlich lange dauern, da man Veränderungen an Modulen finden muss, um Aussagen zu treffen. Und das sieht gerade nicht danach aus. Das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme betreibt bereits seit vier Jahren in einem vom Bundesumweltministerium geförderten Forschungsvorhaben zusammen mit dem TÜV Rheinland und anderen Instituten Teststände in vier Klimazonen. „Auch in den Tropen sehen wir bisher kaum, dass sich durch die Bewitterung etwas geändert hat“, sagt Michael Köhl.
Andreas Riedl weiß, dass einige Jahre ins Land gehen können, bis die Bewitterungstests eindeutige Ergebnisse liefern. Er rät dazu, Module eines Typs auf jeden Fall frühzeitig im Freien aufzubauen, eine Bewitterungs- und Alterungsdatenbank zu erstellen und so Wissen anzusammeln über Komponenten und Konzepte, mit denen man schneller über
neue Modultechnologien oder Materialien entscheiden kann. Eine Alternative sieht er nicht. Testet man stattdessen nach IEC, helfe das nur bedingt. „Man kommt unter Umständen zu einer falschen Rangfolge“, erklärt er. Sprich: Man entscheidet sich etwa für Einbettfolie A, obwohl Einbettfolie B besser wäre.
Ob Atlas und Riedl im konkreten Fall die Frage besser beantworten können, muss sich aber erst noch zeigen. „Letztlich geht es bei den Prüfungen nicht darum, ein Produkt abzunicken, sondern Innovationen zu fördern“, gibt Köhl zu bedenken. Wenn Innovationen im Spiel sind, sind meist auch neue Materialien oder Prozesstechniken im Einsatz. „Dazu gibt es dann keine Erfahrungsschätze.“ Die Beschleunigungsfaktoren muss man jedes Mal wieder neu bestimmen, was wieder einige Jahre dauern kann. Oder man wertet eine Innovation nur als geringfügige Veränderung des Moduls und schätzt die Beschleunigungsfaktoren im Vergleich zum vorherigen Stand der Technik ab – was auch nicht besonders sicher ist. Dieses Problem haben alle, ob sie nun Extrembedingungen nutzen oder wie Atlas nur die „Worst-Case-Bedingungen“.
Auch Michael Köhl will die Probleme, wie sie etwa in dem Lackbeispiel aufgetreten sind, lösen. Die Tests könnten seines Erachtens wie gehabt unter verschärften Bedingungen ablaufen, damit die Beschleunigung möglichst groß ist, aber sie müssen Sicherheitsschleifen enthalten. Wenn man zum Beispiel die Degradation nicht nur durch eine Messung vor der künstlichen Alterung und eine nach der künstlichen Alterung untersucht, sondern kontinuierlich während der Alterung analysiert und Vergleichsproben mit definiert geringerer Bestrahlung altert, könne man schon viele Fehler ausschließen.
Probleme der jungen Branche
Andreas Riedl weiß, dass er in der Photovoltaikbranche für sein Programm noch viel Überzeugungsarbeit wird leisten müssen. „Viele Unternehmen aus anderen Branchen, die es auch noch nicht so lange gibt, wie zum Beispiel aus der Elektronikindustrie, haben auch Jahre gebraucht, mit Bewitterungstests anzufangen.“ Inzwischen hätten sie sich in vielen Branchen durchgesetzt, zum Beispiel auch bei den Folienherstellern, die die Modulproduzenten beliefern.
Dafür, dass es in der Photovoltaikindustrie noch nicht so weit ist, sieht er drei Gründe. Bisher habe die Branche größere Probleme gehabt als die genaue Vorhersage der Lebensdauern. Zweitens kämen viele Experten aus Branchen, in denen die Produkte nicht im Freien eingesetzt würden, so dass ihnen erst einmal die Erfahrung fehle. Drittens seien die Tests technisch sehr aufwändig. Die Tests nach IEC sind für Riedl übrigens keine Konkurrenz. Sie seien mit der Bewitterung sogar sehr gut kompatibel. Ein Test nach IEC vor und nach der Bewitterung zeige, ob auch ein gealtertes Modul den Stresstests standhalte oder ob es sich verändert hat.
Immerhin hat Atlas nach eigenen Aussagen bereits eine gute Handvoll Kunden. Diese kommen hauptsächlich aus Asien. Europäische Hersteller sind noch nicht dabei.