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Schattenspiele

In Boulder City im US-Bundesstaat Nevada sind Projekte mit erneuerbaren Energien nicht Neues. Vor mehr als 70 Jahren waren viele der Einwohner am Bau des legendären Hoover-Staudamms beteiligt. Mit einer Leistung von mehr als zwei Gigawatt versorgt die Anlage 15 umliegende Städte – darunter Boulder City selbst – und Los Angeles im benachbarten Bundesstaat Kalifornien. Somit wiederholte sich ein Stück weit die Geschichte, als 2010 der Bau der Solaranlage Copper Mountain Solar 1 begann, die ihrem Betreiber Sempra Generation gehört. Mit 48 Megawatt ist die Anlage im Vergleich zum benachbarten Wasserkraft-Giganten zwar ein Zwerg, beeindruckt aber dennoch: Nach Fertigstellung war sie die größte Photovoltaikanlage weltweit. Eine Fläche von 1,58 Quadratkilometern ist mit 775.000 Modulen bedeckt, der erzeugte Strom wird imRahmen eines 20 Jahre laufenden Vertrags an die Pacific Gas and Electric Company verkauft.

„Es handelt sich wirklich um ein riesiges Stück Land“, so Jan Kleissl, Forscher an der University of California in San Diego (UCSD). Und die Solarenergie auf dem Copper Mountain soll noch erweitert werden. Mit Copper Mountain 2 wird in zwei Phasen ein Ausbau um 150 Megawatt stattfinden. Sempra geht davon aus, dass bis 2013 zunächst 92 Megawatt abgeschlossen sein werden, die restlichen 58 Megawatt bis 2015.

Sturm, Wetterfront, Federwolken

Bei solch einem Anlagenausmaß können ein vorbeiziehender Sturm, eine Wetterfront oder sogar Federwolken die Anlagenleistung stark beeinflussen – und für die Netzbetreiber wie zum Beispiel California ISO große Schwierigkeitenbedeuten. Außerdem untermauern sie das Argument, dass die Photovoltaik als Hauptenergiequelle unzuverlässig sei. James Blatchford von California ISO sagt, dass durch Wolken bedingte kurzfristige Ungewissheiten bedeutsam sind: „Das kann erhebliche Auswirkungen haben, und zwar sowohl auf die Kosten für Ersatzstrom als auch auf die Zuverlässigkeit des Systems.“ Sollen zudem Systeme zur Strompreisbildung angewendet werden, die zu höherer Effizienz auf dem Versorgungsmarkt erneuerbarer Energien führen, könnten derartige Schwankungen Sempra in Form von Strafzahlungen wegen nicht vereinbarter Lieferungen teuer zu stehen kommen. Denn bei variablen beziehungsweise dynamischen Preisbildungssystemen auf dem Markt für erneuerbare Energien werden genaue Erzeugungsprognosen belohnt und abweichende bestraft. Bereitsbei fünf Minuten kann eine Schwankung zum Tragen kommen.

Auf den ersten Blick wirken Bußgelder für ungenaue Prognosen als Belastung für die Solarstromerzeuger, bei genauer Betrachtung jedoch sind sie sinnvoll, meint Jan Kleissl von der UCSD. „Je unsicherer die Liefermenge ist, desto mehr Reservestrom müssen die Betreiber bereithalten. Das ist kostspielig und zudem eine Verschwendung, falls der Strom nicht genutzt wird. Und ist nicht genug Ersatzstrom vorhanden, können die Lichter ausgehen.“ Kleissl zufolge wurde ein mit diesen Mechanismen ausgestattetes System zum Stromkauf bereits in Spanien eingeführt: Die Betreiber müssen genaue Prognosen machen, um in den Genuss der Vergütung für den erzeugten Strom zu kommen. Im mittleren Westen der USA, so Kleissl, werden ähnliche Märkte für die kurzfristige Versorgung mit Windstrom aufgebaut.

Fünf Minuten genügen

Das Sunshot-Programm des Department of Energy (DOE) sowie das National Renewable Energy Laboratory (NREL) finanzieren Erwerb und Einsatz der Technik für Kleissls Forschung. Ramamoorthy Ramesh, Manager des SunShot-Programms, erklärt, dass kurzfristige Erzeugungsprognosen es den Versorgern erlauben würden, Schwankungen bei der Stromerzeugung entgegenzuwirken. „Mit einem Handlungsspielraum von fünf Minuten kann ein Stromversorgungsunternehmen beim Herannahen einer Wolke eine Gasturbine anwerfen und entsprechend mehr Strom erzeugen.“ Ist der Zeitraum kürzer, muss auf teuren Reservestrom zurückgegriffen werden.Ziel des Sunshot-Programms ist es, die Kosten für Photovoltaik um 75 Prozent zu senken. Letzten Monat wurde verkündet, dass bereits Projekte mit einem Gesamtwert von 145 Millionen US-Dollar finanziert werden, um dieses Ziel zu erreichen. Das Projekt zur Bewölkungsprognose auf dem Copper Mountain bietet Stromproduzenten zukünftig eventuell die Möglichkeit, mehr für ihren Photovoltaikstrom zu verlangen, wodurch derartige Anlagen profitabler werden und für Investoren an Attraktivität gewinnen könnten. Zudem erhöht sich hierdurch auch die mögliche Größe von Anlagen.

Die Sandia National Laboratories der US-Regierung führen viele Photovoltaik-Forschungsprojekte im Namen der Energiesicherheit durch, sind an diesem Prognoseprojekt aber nicht beteiligt. Joshua Stein, Forscher bei Sandia, ist jedoch überzeugt, dass die genaue kurzfristige Prognose zusätzliche Vorteile bringen kann. „Wenn wir in der Lage sind, kurzfristige Prognosen zu treffen, wird es womöglich leichter, andere Technologien wie die Energiespeicherung zu integrieren, um die starken Anstiegsraten abzuschwächen, die einigen Versorgungsunternehmen Sorgen bereiten.“ Gegenwärtig basieren Prognosen hauptsächlich auf Satellitendaten. Bei kurzfristigen Prognosen für große Solaranlagen sind die Satellitendaten jedoch unzureichend. In Bezug auf große Solaranlagen erklärt Ramesh von Sunshot: „Stellen Sie sich eine Million Solarmodule vor, also eine riesige Anlage, sagen wir 200 Megawatt. Während sich die Wolke über das Solarmodul ganz links schiebt, produziert das Solarmodul ganz rechts noch Strom.“ Um eine Vorhersage für die Leistung einer so großen Anlage treffen zu können, müssen raumzeitliche Daten an verschiedenen Stellen der Anlage gesammelt und ausgewertet werden. Satellitenbilder bieten nicht die nötige Auflösung – viele Photovoltaikanlagen nehmen gerade mal ein Pixel ein. Kleissl von UCSD sagt: „Satelliten bieten einen Bewölkungswert für die gesamte Anlage, weshalb eine genaue Bestimmung der Wolken nicht möglich ist.“

Satelliten und Sensoren

Der von Kleissl entwickelte Ansatz wird als Ergänzung zur Satellitentechnik gesehen. „Satelliten messen von oben, wir messen unten. Satelliten habeneinen größeren Überblick, wir erfassen mehr Details.“ Die andere ergänzende Technologie sind Punktsensoren, die die genaue Leistung berechnen. Jedoch bezieht sich diese Berechnung nur auf den Installationspunkt des Sensors. Beim Forschungsprojekt auf dem Copper Mountain werden die Multifilter Rotating Shadowband Radiometers (MFR-7) von Yankee Environmental Systems (YES) zum Einsatz kommen, die Messwerte für die drei Komponenten der Sonnenstrahlung liefern: für die gesamte, die normale und die diffuse Strahlung. Als einzigartiger Ansatz im Rahmen des Projekts wird YES zwei weitere Instrumente einsetzen, die Informationen über die Bewölkung für einen weit größeren Bereich liefern. Die sogenannten Total Sky Imagers (TSI) werden an verschiedenen Stellen der Anlage auf dem Copper Mountain positioniert. Sie liefern alle 20 bis 30 Sekunden Bilder vom Himmel.YES-Mitgründer Mark Beaubien beschreibt die Imager: „Im Wesentlichen handelt es sich um einen Web-Imager für den industriellen Einsatz im Freien. Er ist auf die Wolkenuntergrenze fixiert, die atmosphärische Grenzschicht, an der die Wolken beginnen. Der andere Teil des TSI ist ein Bildverarbeitungscomputer, der aus jedem Bild ein ausgefeiltes parametrisches Modell erstellt.“ Der TSI umfasst zwei weitere Komponenten, und zwar einen beheizten Spiegel, auf den das Bild reflektiert wird, und ein rotierendes Schattenband, um sicherzustellen, dass blendendes Sonnenlicht nicht die Bildqualität senkt.

Komplizierte Analyse

Kleissl ist nicht überschwänglich bezüglich der TSI selbst: „Das ist eine alte Technologie, die sich nicht von einer Kamera unterscheidet.“ Komplizierter seien die folgenden Schritte: „Zur Verarbeitungder Bilder werden zunächst die Wolken lokalisiert, was mit bloßem Auge leicht ist, für einen Computer jedoch eine Herausforderung darstellt, da dunkle Wolken von einem Computer als blauer Himmel wahrgenommen werden können.“ Das UCSD-Team versucht dann, Geschwindigkeit und Bewegungsrichtung der Wolken zu analysieren. Das geschieht durch Überlagerungen von Bildern. Dabei zeigt sich die Bewegung der Wolken in Pixeln, was einer bestimmten Strecke entspricht. Auf die Erfassung und Auswertung der Daten folgt als nächster Schritt die eigentliche Prognose der Photovoltaikleistung. Hierbei dient die letzte Aufnahme als Referenz. Geschwindigkeit und Bewegungsrichtung der Wolken werden zur Berechnung herangezogen. Unter der Annahme, dass es hier für den Prognosezeitraum keine Veränderungen geben wird, findet als letzter Schritt die Projektion der durch die Bewölkung hervorgerufenen Schatten statt. Hierbei ist der Sonnenstand von entscheidender Bedeutung. „In Abhängigkeit von der Wolkenhöhe und der Tageszeit können die Schatten einige Kilometer von den über der Anlage befindlichen Wolken entfernt fallen“, so Kleissl.

Sunshot und NREL haben bereits 35.000 beziehungsweise 126.000 US-Dollar in Erwerb und Installation der TSI gesteckt. Die Entscheidung zum Projektstart fiel im Juli 2010, als der Netzbetreiber California ISO den Wissenschaftler Jan Kleissl beim Einsatz von TSI und der damit einhergehenden verbessertenPrognose beobachtete. „ISO hat die Aktivitäten zwischen UCSD, Sempra Energy und der Copper Mountain Facility bezüglich der Installation und des Datenaustauschs koordiniert“, so James Blatchford von ISO. Die Installation der TSI wurde im Juli 2011 abgeschlossen. Die California Energy Commission stellte 450.000 US-Dollar für die Integration von Produkten zur Prognose zur Verfügung.

Inzwischen wurden erste Bilder des Projekts an California ISO gesendet. Das wahre Ziel des Forschungsprojekts sind jedoch, wie Kleissl es beschreibt, „schöne Bilder“ – und genaue Prognosen für die Anlage. „Bis zur Einsatzfähigkeit werden wahrscheinlich noch zwei bis drei Monate vergehen. Während der verbleibenden zwei Jahre des Projekts wird außerdem noch an der Integration verschiedener Prognoseprodukte gearbeitet.“

Viele Variablen berücksichtigt

Die UCSD-Forscher berücksichtigen bei ihrem Ansatz viele Variablen. Die Vorhersage des Bewölkungsverlaufs bleibt jedoch eine komplizierte Angelegenheit. Joshua Stein von den Sandia National Laboratories fasst zusammen: „Wolken sind nicht statisch. Sie entstehen als Funktion von Konvektionsströmungen in der Atmosphäre, und wir haben Aufnahmen in Sandia gemacht, die zeigen, wie Wolken unter bestimmten Bedingungen einfach auftauchen und dann verschwinden, während wir versuchen, ihre Bewegung zu verfolgen. Das ist eine der Herausforderungen.“ Stein ist zudemüberzeugt, dass TSI für Prognosen von mehr als 30 Minuten die Genauigkeit wohl nicht entscheidend erhöhen können. Und Kleissl führt an, dass ab einer bestimmten Anlagengröße – mehr als 500 Megawatt – die Satelliten-Auflösung zur Prognose bezüglich der verschiedenen Bereiche der Anlage ausreicht.

Die Form der Anlage selbst stellt eine weitere Variable dar. Die Installation findet in einer natürlichen Umgebung statt, wo um Hindernisse auf dem Boden herumgebaut werden muss. Somit können größere Anlagen eine vom Standard abweichende Form annehmen, was die Prognose noch schwieriger macht. „Die Anlage hat eine seltsame Form und die Wolkendecke ein seltsames Loch“, beschreibt Mark Beaubien von YES das Problem. Ob die vom Forschungsteamam Copper Mountain entwickelten Algorithmen es mit diesen Herausforderungen aufnehmen können, bleibt abzuwarten. Stein von Sandia hat einiges Vertrauen in das Forschungsteam: „Ich glaube, dass das Team den Einsatz von TSI demonstriert hat und das Konzept funktioniert.“ Wenn sich die ausgefeilte kurzfristige Photovoltaikprognose bewährt und ausbreitet, wird ein weiteres Argument gegen die Photovoltaik seine Schlagkraft verlieren – und die Versorgungsunternehmen werden mehr Vertrauen in die Photovoltaik haben. Und genau darum geht es, wie Sunshot-Programmmanager Ramamoorthy Ramesh zusammenfasst: „Deshalb machen wir es schließlich: Weil wir wissen wollen, welche Auswirkungen Wolken auf das Versorgungsnetz haben.“

Jonathan Gifford

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