Bescheidenheit hört sich anders an. „Ich habe neue wissenschaftliche Gebiete erschlossen, die von vielen anderen weiter betrieben werden“, sagt Stanford Ovshinsky. Er hat allen Grund dazu, so zu reden. Denn er hat die Technologie entwickelt, die den heutigen Boom der Dünnschichttechnologie erst ermöglichte. Und seine Firma Energy Conversion Devices (ECD), die die Uni-Solar- Module herstellt, mischt an vorderer Position mit (siehe auch photovoltaik09/2008, Seite 64).
Mehr als zehn Jahre Erfahrung
Zu einer Zeit, als andere Dünnschichtfirmen noch ihre ersten Produktionslinien hochfahren, kann ECD schon auf mehr als zehn Jahre Erfahrung zurückblicken. Und die Dünnschichtlaminate der Firma haben nicht nur mit 8,3 Prozent mit die höchsten Wirkungsgrade unter den Silizium-Dünnschichtmodulen, sie sind außerdem noch flexibel, was für die Entwickler eine Schwierigkeitsstufe mehr darstellt. Seit 1997 werden sie auf den Dächern installiert. Da sie als flexible Module kein Glas enthalten, wiegen sie viel weniger und lassen sich auch auf Dächern installieren, die nicht so viel Gewicht tragen können. Außerdem ist der Versand billiger, und die Laminate sind unzerbrechlich.
Ovshinskys Erfolgsgeschichte ist jedoch weder typisch noch einfach. Sie begann in den 1950er Jahren mit einer Ankündigung, die das wissenschaftliche Establishment in Erstaunen versetzte. Damals waren Physiker, angeregt durch die Entdeckung der Quantentheorie, fokussiert auf die Erforschung geordneter Strukturen in kristallinem Material. In diese Umgebung hinein platzte Ovshinsky mit einer neuen wissenschaftlichen Richtung. Auch die amorphen Materialien, in denen die Atome nicht geordnet sind wie in kristallinen Materialien, sondern ungeordnet, seien es wert, untersucht zu werden.
„Viele Theoretiker waren der Meinung, dass diese Materialien keinesfalls als Halbleiter funktionieren können“, erinnert sich Hellmut Fritzsche, emeritierter Professor der Physik der Universität von Chicago. Bedenkt man, dass erst ein paar Jahre vorher im Jahr 1947 der Transistor auf Basis von kristallinen Strukturen erfunden worden war, versteht man vielleicht besser, warum das wissenschaftliche Establishment Ovshinsky zunächst großen Widerstand entgegensetzte. „Stan erschloss ein neues Gebiet der Materialwissenschaften“, erklärt Fritzsche. „Wirklich neu daran war die Erforschung, wie sich die Elektronen der nichtkristallinen Materialien verhalten.“ Innerhalb weniger Jahre schloss sich Ovshinsky einer Gruppe bekannter Wissenschaftler an, darunter die Nobelpreisträger Isadore I. Rabi und Sir Nevil Mott sowie auch Fritzsche. Gemeinsam erforschten sie diese neue Richtung der Physik, die es Ovshinsky später in den 1970ern ermöglichte, amorphe Siliziumlegierungen für die Dünnschicht-Solarzellen von ECD zu entwickeln.
Ein Prinzip – viele Anwendungen
Ovshinsky stand nicht umsonst im Mittelpunkt dieser von Neugier getriebenen Forschergemeinschaft, erklärt die Historikerin Lillian Hoddeson. Sie beschreibt seine Denkweise als eine bemerkenswert intuitive Art, „Probleme durch Analogie zu lösen, indem er unglaubliche Analogien über die Disziplinen hinweg zog, wie es sich die meisten Leute nicht trauen würden“. Die Geschichtsprofessorin der Universität von Illinois schreibt derzeit an einer Biografie Ovshinskys.
So war es denn auch eine Analogie, die in den späten 1940er und in den 1950er Jahren Ovshinskys Interesse an amorphen Materialien geweckt hatte: Die Analogie zwischen der Neurologie und der Elektronik wies ihm den Weg zu Materialien, die sich für Dünnschicht-Photovoltaik eignen.
Neurologie und Elektronik
Ovshinsky sah: Wenn ein Neuron, eine einzelne Nervenzelle, mit einem Stromstoß stimuliert wird, verändert sich die semipermeable Membran, die außen positiv und innen negativ geladen ist, und wird leitfähig. „Die Nervenzelle und die Synapse sind ungeordnete Oberflächen mit aktiven Stellen, die eine kooperative Kommunikation ermöglichen“, sagt Ovshinsky. Er begann damit, ein Neuron zu modellieren. Dazu produzierte er sehr dünne amorphe Schichten aus Übergangsmetalloxiden wie Schwefel, Selen und Tellur, sogenannte Chalkogenide, und baute einen amorphen Dünnschichtschalter, den er Ovitron nannte. Ausgelöst durch einen schwachen Stromimpuls wechselt der Schalter, wie die Nervenzelle, zwischen leitenden und nicht leitenden Zuständen, wodurch Wechselstromkreise geschaltet und moduliert werden können. Der deutsche Physiker Klaus Thiessen, Berliner Pionier der Solartechnologie und ein langjähriger Freund von Ovshinsky, sagt: „Sein Genie liegt darin, nicht nur zu verstehen, sondern zu fühlen, wie dieser Schalteffekt auf einen anderen Bereich übertragen werden kann, nämlich auf Solarzellen und Speicherzellen.“
Ovshinsky entdeckte also, dass er spezielle glasartige Materialschichten in neuartige Halbleiter verwandeln konnte, wenn er ihnen eine niedrige Spannung zuführte. Dieses Phänomen wurde als Ovshinsky-Effekt bekannt. Er setzte seine Arbeit mit Chalkogeniden fort und entwickelte weitere elektronische und optische Schalter, zum Beispiel das Ovonic Phase Change Memory (PCM), die Grundlage für wiederbeschreibbare CDs und DVDs.
Ovshinsky kombinierte viele verschiedene Elemente, nicht nur mit Chalkogeniden, sondern auch mit Silizium und Germanium, und entwickelte daraus amorphe, nanostrukturierte Materialien. Indem er diese mit einem leichten und flexiblen Metallsubstrat verband, entwickelte er einen Prozess zur Herstel lung von flexiblen Dünnschichtzellen am Fließband.
Das Erstaunliche ist: Ovshinsky hat nicht einmal eine formale Ausbildung absolviert. Er ist Autodidakt. Seine Freunde und Kollegen führen seine Leistungen und seine Fähigkeit, die Natur und die Merkmale der Elemente zu verstehen, genau auf diese fehlende akademische Ausbildung zurück. Lillian Hoddeson liefert eine Erklärung für diesen außergewöhnlichen Geist: „Er ist nicht durch die Maschinerie der Fachdisziplin eingeengt, da ihm nie beigebracht wurde, sich Probleme so anzuschauen, wie Leute in ihrem Fachgebiet sie normalerweise anschauen.”
Schon als Ovshinsky nach der Highschool als Werkzeugmechaniker arbeitete, habe er über gute wissenschaftliche Kenntnisse verfügt, und zwar nur weil er mit großer Energie und Faszination ein Buch nach dem anderen verschlungen habe. „Die autodidaktische Ausbildung befreit ihn von der Angewohnheit konventionell ausgebildeter Personen, das, was sie wissen, in verschiedene Schubladen zu stecken“, sagt Hoddeson.
Prägende Arbeiterbewegung
Die wissenschaftliche Kreativität ist der eine Faktor seines Erfolgs. Die andere Seite ist sein soziales Engagement, das sich bereits während seiner Kindheit ausbildete. Seine Eltern emigrierten aus dem Russland der Zarenzeit nach Akron, Ohio, die Hochburg der amerikanischen Gummiindustrie. Stanford Ovshinsky wurde 1922 geboren, und seine Jugend fiel in eine Zeit der Arbeiterbewegungen. „Die Ereignisse in der Welt der 1930er Jahre, vor allem in den Straßen und Fabriken von Akron, interessierten mich viel mehr als die Schule“, erinnert er sich. Sein Vater ernährte die Familie als Metallschrott-Sammler und arbeitete am Aufbau einer Ortsgruppe des Workmen’s Circle mit, einer Organisation von jüdischen Einwanderern, die großen Wert auf Gemeinschaft und soziale Gerechtigkeit legten, um Problemen der Arbeiterausbeutung, der Mietskasernen und der kulturellen Assimilierung zu begegnen.
Das, was Ovshinsky im Workmen’s Circle lernte, formte sein soziales Bewusstsein und seine sozialen Werte nachhaltig, und er ist bis heute Mitglied des Landesvorstands dieser Organisation geblieben. „Ich begann, aktiv zu werden, als es in den Vereinigten Staaten wirklich einen Klassenkampf gab. Ich glaubte daran, dass man die Welt zum Besseren verändern könnte, und kämpfte für die Arbeiter, die Bürgerrechte, die bürgerlichen Freiheiten und alles andere, was das Leben der arbeitenden Menschen verändern könnte“, sagt Ovshinsky.
Er übertrug seine sozialen Überzeugungen auch auf die Rolle, die Wissenschaft und Technologie seiner Meinung nach spielen sollten. Er glaubt fest daran, dass sie ein untrennbarer und wesentlicher Teil der Zivilisation sind, dass jede Nation Industrie braucht, um ihre Probleme zu bewältigen. Er widmete sich Erfindungen, die irgendwann einmal den weltweiten Energiebedarf decken sollten – durch Photovoltaiksysteme, die weniger als 40 US-Cent pro Watt kosten. Ovshinsky formuliert es praktisch: „Wenn die Kosten nicht sinken, dann wird daraus keine Industrie. Und man braucht Volumen, um die Kosten zu senken.“
Iris und die ECD-Jahre
Vermutlich wäre der Erfolg nicht möglich gewesen, wenn er nicht 1955 Iris Ovshinsky kennen gelernt hätte, mit der er von 1959 bis zu ihrem tragischen Tod beim Schwimmen im Jahre 2006 verheiratet war. Hoddeson beschreibt sie als Ovshinskys eigentlichen Ansporn. Sie war in einer anarchistisch-sozialistischen Siedlung in Peekskill, New York, aufgewachsen – und ihre leidenschaftlichen sozialen Überzeugungen schweißten die beiden untrennbar zusammen.
Iris verfügte mit einem Doktortitel in Biochemie über das Wissen, wie man wissenschaftliche Arbeiten schreibt; er hatte den genialen Kopf. 1960 gründeten sie die Firma Energy Conversion Laboratory (ECL) in einer Ladenfront in Detroit, ein Unternehmen, das sich der Erforschung der amorphen Materialien widmete und der Umsetzung in Energie- und Informationstechnologien.
Sie finanzierten die Firma mit ihren eigenen Ersparnissen, während er weiter an den Schaltern arbeitete, die auf Neuronen-Emulation basierten. Gegen 1963 waren die Ersparnisse fast aufgebraucht. Um öffentliche Förderung für das Unternehmen zu erhalten, rief Ovshinsky John Bardeen an, den Miterfinder des Transistors und zweimaligen Physik-Nobelpreisträger (1956, 1972), und bat ihn, seine Arbeit zu validieren. Bardeen konnte selbst nicht kommen, aber er schickte Fritzsche, der den Halbleiter aus ungeordneten Materialien untersuchen sollte – zu einer Zeit, als alle Halbleiter aus völlig anderen Materialien waren. Das, was Fritzsche sah, als er auf das Oszilloskop schaute – den Wechsel zwischen extrem hohem Widerstand und extrem hoher Leitfähigkeit – erstaunte ihn ungemein. Von da an animierte er auch andere Wissenschaftler, doch einmal bei ECL vorbeizuschauen.
Die Lizenzeinnahmen, die schließlich von verschiedenen Firmen hereinkamen, investierte Ovshinsky sofort wieder in die Forschung. Heute hält er über 400 Patente. Im Jahre 1964 benannten die Ovshinskys die Firma in Energy Conversion Devices (ECD) um und verlagerten sie nach Troy, Michigan, wo in größeren Räumen weiter entwickelt und produziert wurde: elektronische Datenspeicher, Solarzellen und eine umweltfreundliche Nickel-Metallhydrid-Batterie, die in Laptops, Digitalkameras, Mobiltelefonen sowie in Elektro- und Hybridautos breite Verwendung fand.
In den 1970er Jahren entwickelte Ovshinsky neuartige amorphe Silizium-Dünnschicht-Solarzellen, die schließlich zum Goldesel von ECD wurden. Ovshinsky setzte sich für die Fließbandproduktion von flexiblen Solarmodulen ein, und genau das erreichte er auch. Der erste Prototyp einer Anlage für die Herstellung durchlaufender Bahnen wurde 1981 gebaut. Sie produzierte Dünnschichtzellen für solarbetriebene Taschenrechner in einem Joint Venture mit Sharp sowie diverse Batterieladegeräte. 1986 gab es schon eine Ein-Kilowatt-Maschine, zehn Jahre später eine Zwei-Megawatt-Anlage. 1990 wurde United Solar Ovonic gegründet, die Photovoltaiktochter von ECD. Ende der 1990er Jahre reagierte United Solar Ovonic auf den wachsenden US-amerikanischen Photovoltaikmarkt mit einer Fünf-Megawatt-Anlage. Doch der größer werdende Markt verlangte auch nach einer höher entwickelten Generation an Solarzellen.
Wallstreet statt Deutschland
ECD weist immer wieder darauf hin, dass der alles entscheidende Schritt in der Entwicklung seiner Dünnschichttechnologie die Einführung der Triple-Junction-Solarzellen im Jahr 1997 war, die aus mehreren gestapelten Solarzellenschichten besteht. Die unterste Zelle absorbiert rotes Licht, die mittlere grün-gelbes und die oberste Zelle blaues Licht – ein wesentlicher Grund für den relativ hohen Wirkungsgrad von 8,0 bis 8,5 Prozent.
Produziert werden die Uni-Solar-Module in einem Rolle-zu-Rolle-Vakuum-Abscheidungsprozess auf einer rostfreien Stahlblechrolle. Zwei Produktionsanlagen befinden sich in Auburn Hills in Michigan, zwei in Greenville, Michigan, eine in Tijuana in Mexiko, ein neues Werk wird gerade in Tianjin in China gebaut. Die Nachfrage ist vorhanden, Anfang Februar erhielt ECD zum Beispiel vom italienischen Energieversorger Enel Green Power den Auftrag, Solaranlagen mit einer Kapazität von 25 Mega watt für Gebäude von CIS-Interporto di Nola zu liefern.
Fast wäre ECD damit auch nach Deutschland gekommen. Eine Pressemitteilung von United Solar Ovonic erweckte das Interesse von Horst-Dieter Brähmig – zu diesem Zeitpunkt Bürgermeister der deutschen Stadt Hoyerswerda – gerade als er beschlossen hatte, sich um Solarindustrie zu bemühen. Seine Berater schauten sich mehrere Photovoltaikfirmen an und entschieden sich dann für ECD. Brähmig reiste 2004 nach Detroit, für die endgültige Entscheidung wollte er Ovshinsky kennen lernen: „Die Chemie zwischen uns hat gestimmt“, erzählt Brähmig. „Ihn kennen zu lernen war wie ein Blick in die Zukunft.“ Ovshinsky kam Anfang 2005 nach Hoyerswerda; dort wurde eine Absichtserklärung mit dem Staatsrat unterzeichnet. Brähmig fing sofort mit den Vorbereitungen an und kümmerte um alles bis ins Detail. Von deutscher Seite wurden verbindlich 30 Millionen US-Dollar an Fördermitteln zugesagt.
Doch als dann eigentlich alles geklärt war, stimmte der Vorstand von United Solar Ovonic gegen die Investition in Deutschland. Nach Ovshinskys Einschätzung „war der Vorstand allein an der Wall Street orientiert“. Nach Brähmigs Analyse spiegelte die Entscheidung eine neue Ausrichtung der Energiepoli tik unter der Bush-Regierung wider, die da lautete: Die USA müssen sich verstärkt selbst helfen. Ovshinsky bezeichnet die Geschichte als seine größte Enttäuschung: „Ich wollte, dass Sonnenenergie als Instrument eingesetzt wird, das die Arbeitslosigkeit abbaut, neue Industrien aufbaut, Gebiete wieder industrialisiert, so dass wissenschaftliche Jobs entstehen, von denen eine positive Rückwirkung auf das Bildungssystem ausgehen kann.”
Die neue Ein-Gigawatt-Anlage
Ovshinsky zog sich im Spätsommer 2007, etwa ein Jahr nach dem Tod seiner Frau, aus ECD zurück und gründete eine neue Firma, Ovshinsky Innovation LLC (OI), mit Sitz in einer alten Schule hinter seinem Haus. Seine Arbeit konzentriert sich immer noch auf die Nutzung von amorphen Materialien für Multi-Junction-Solarzellen. Sein Ziel ist es immer noch, Solarenergie billiger zu machen als Kohlestrom. Seine Methode: Eine Ein-Gigawatt-Fabrik soll die Produktionskosten senken. Wie in der Vergangenheit stößt Ovshinskys Idee von einer Gigawatt-Anlage auf viel Unglauben, aber das war bei seinen Visionen schon immer so. Es hat etwa 20 Jahre gedauert, bis sie umgesetzt wurden in den Informationsspeichern, Wasserstoffspeichern und Batterien für Elektroautos, die heute unser Leben begleiten.