Experten für das Stromnetz diskutieren auf einer Konferenz in Berlin. Die gute Nachricht: Bisher ist es kein Nadelöhr für den Ausbau der Erneuerbaren. Doch eine große Herausforderung wartet. Mit weiter steigendem Ökostromanteil muss sich das gesamte System evolutionär mitentwickeln.
Rund 120 Experten haben im Berliner Hilton Hotel über den Aus- und Umbau des deutschen Stromnetzes diskutiert. Unter den Teilnehmern befanden sich Netzbetreiber, Stadtwerke und Energieversorger sowie Wissenschaftler von Hochschulen und Forschungsinstituten. Gut die Hälfte der Besucher kam aus der Wirtschaft, teilte der Veranstalter mit, das Ostbayerisches Technologie-Transfer-Institut (OTTI). Vertreter von Vereinen und Verbänden kamen auf 22 Prozent, Hochschulen auf 20 Prozent.
Doch wichtiger: Es trafen Vertreter der klassischen Energiewirtschaft wie RWE, ABB und Siemens auf Vertreter der neuen Akteure wie SMA Solar und Windkraftpionier Enercon. „Das zeichnet gerade die Veranstaltung aus“, sagt der fachliche Leiter der OTTI-Konferenz, Professor Jochen Kreusel. Er leitet das weltweite Smart-Grids-Programm des ABB-Konzerns. Es ginge nicht darum, sich die eigene Meinung zu bestätigen, sondern anderen Argumenten zuzuhören. Bislang würden die Erneuerbaren nach „alter Philosophie“ in das bestehende System integriert, erklärt Kreusel.
Zieldreieck der Energieversorgung
„Netz- und Systemdesign sollten künftig zwar nicht exklusiv auf erneuerbare Energien ausgerichtet sein sollen“, sagte Kreusel, „aber sie sollten als inzwischen sehr großer und weiter wachsenden Systembestandteil berücksichtigt werden." Nur so lasse sich „ein Gesamtoptimum“ mit einer bezahlbaren, zuverlässigen und nachhaltiger Energieversorgung erreichen. Das klassische Zieldreieck der elektrischen Energieversorgung bestehe weiterhin und unverändert.
In Deutschland wurden in den zurückliegenden 15 Jahren mehr als 70 Gigawatt Leistung aus Wind- und Sonnenenergie installiert. „Und das praktisch störungsfrei“, kommentiert Kreusel. Allerdings lägen die „wirklichen Herausforderungen der Systemintegration“ noch vor uns, wenn es darum gehe, das nächste Viertel der Erneuerbaren zu integrieren, also den derzeitigen Anteil von Ökostrom am gesamten Strommix von 25 auf 50 Prozent zu steigern. Immerhin ist das Ziel der Bundesregierung, diesen Anteil bis 2050 auf 80 Prozent hochzufahren. Denn nur so wird das vereinbarte Klimaziel erreicht. Niedrige Auslastungsdauer und hohe Einspeisespitzen werden also weiter zunehmen.
Bis zu 120.000 Kilometer mehr
Die im September 2014 vorgestellte Verteilernetzstudie im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie zeigt, dass ein Ausbaubedarf der Verteilnetze von mindestens 23 Milliarden Euro bis 2032 besteht. Die Stromnetz auf der Niederspanungsebene müssten demnach um 50.000 bis 120.000 Kilometer ausgebaut werden. Jedenfalls wenn das Netz weiter traditionell geplant und betrieben werde. Das bedeutet, wenn weiter alle Lastspitzen – also Extremfälle – integriert werden sollen. Innovative Betriebsmittel und neue Betriebsführungsprinzipien könnten Kosten und Ausbau sparen, wie der Mitverfasser der Studie Jens Büchner erläutert. Er ist Geschäftsführer von E-Bridge Consulting aus Bonn. Um den Netzausbau zu reduzieren, gebe es vier Maßnahmen: Erzeugungs- sowie Lastmanagement, Maßnahmen zur Spannungshaltung und regelbare Ortsnetztransformatoren.
Klar ist auch: Der Ausbau erneuerbarer Energien führt zu einer wachsenden Bedeutung der Netze auf allen Ebenen. Der Grund liegt in der Synchronität lokaler Einspeisespitzen. Eine bessere Abstimmung innerhalb des Systems zwischen Erzeugung, Netzen und Verbrauchern werde künftig immer wichtiger. Die bisherige Praxis, dass die Netze dem durch Erzeugung und Verbrauch vorgegeben Bedarf folgen, wird dem nicht gerecht. Das zeigt einerseits, dass es noch Forschungsbedarf bei den verschiedenen Themen gibt. Andererseits spielt der Aus- und Umbau des Stromnetzes für viele verschiedene Akteure eine Rolle. Die Energieversorgung der Zukunft ist dezentral und sollte auch im europäischen Kontext gedacht werden. (Niels H. Petersen)