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Das neue Öl

Das Zeitalter der Elektroautos hat begonnen. Noch sind die Fahrzeuge mit dem kraftstofffreien Antrieb auf den Straßen der Welt zwar selten zu sehen; die Zahl der elektrischen und der modernen Steckdosenhybrid-Fahrzeuge (PHEV), die aktuell unterwegs sind, dürfte kaum mehr als fünfstellig sein. Doch in der Werbung sind sie umso präsenter – ein Zeichen, dass die Autoindustrie bei den neuen Antrieben Gas gibt. Auch das U.S. Department of Energy (DOE) geht davon aus, dass sich das Straßenbild in den kommenden Jahren drastisch verändern wird. Bis zum Jahr 2025 könnten weltweit fast 30 Millionen emissionsfreier oder -armer Elektroautos und PHEV zugelassen sein, heißt es in der Studie „Critical Materials Strategy“ vom Dezember 2011. Das auf E-Mobility spezialisierte Argonne National Laboratory (ANL) aus Illinois hat ein Szenario entworfen, nach dem 2025 rund zehn Prozent aller in den USA verkauften Fahrzeuge über einen Elektroantrieb verfügen könnten. 2050 seien 70 Prozent denkbar.

Gründe für den erwarteten E-Mobility-Boom gibt es viele: Neben dem Klimaschutz sind es vor allem die steigenden Spritpreise, die vielen die Nutzung ihrer Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor verleiden. Zudem verändert sich das Mobilitätsverhalten. „Das Gros der Strecken, die heute mit dem Auto zurückgelegt werden, ist kürzer als 50 Kilometer“, sagt Volkswagen-Sprecher Harthmuth Hoffmann. Das ergebe ein enormes Marktpotenzial für Elektroautos, relativiere sich dadurch doch die Tatsache, dass batteriebetriebene E-Fahrzeuge aktuell nur eine Reichweite von 100 bis 200 Kilometer haben. VW will beim erwarteten Boom vorneweg fahren: „Unser Ziel ist es, bis 2018 Marktführer im Bereich E-Mobility zu sein“, umreißt VW-Vorstandschef Martin Winterkorn die Ambitionen. 2013 startet die Serienfertigung reiner Elektrofahrzeuge, 2014 die von PHEV. Andere Anbieter wie Toyota oder Renault geben noch mehr Gas.

Der Run auf die Elektroautos bleibt nicht ohne Folgen für die weltweite Ressourcenversorgung. Denn auch wenn die neue Autowelt ohne fossiles Erdöl als Kraftstoff auskommt – verzichten kann sie auf Energierohstoffe nicht. Wichtigster Stoff der elektromobilen Zukunft ist Lithium, das die Fortbewegung aus den Batterien sichern soll. Nach Auskunft der U.S. Geological Survey (USGS), einer wissenschaftlichen Behörde des US-Innenministeriums, die Zahlenmaterial für die DOE-Studie lieferte, hat sich der Bedarf an Lithium im Zeitraum von 1980 bis 2009 auch ohne die Nachfrage der Autoindustrie bereits verdreifacht; vor allem wegen des ständig wachsenden Bedarfs für Batterien von Elektronikartikeln wie Laptops, Smartphones und schnurlosen Werkzeugen. Nach Auskunft des weltgrößten Lithiumproduzenten, der chilenischen Sociedad Quimica y Minera de Chile (SQM), wandert ein Drittel des jährlich geförderten Rohstoffs in die Fabriken der Batteriehersteller. Die Keramik- und Glasindustrie ist mit 30 Prozent der nächstgrößte Nachfrager. Die weltweite Produktion von Lithiumkarbonat-Äquivalenten betrug 2010 rund 150.000 Tonnen. Das entspricht in etwa einem reinen Lithiumvolumen von 28.000 Tonnen.

Technische Vorteile

Durch den Siegeszug der Lithium-Ionen-Technologie wurde eine Reihe von technischen Vorgängerkonzepten wie etwa Akkumulatoren auf Basis von Nickel-Metallhydrid (NiMH) zurückgedrängt.Speicher,Elektromobilität,RohstoffeAnders als NiMH-Batterien kennen Lithium-Ionen-Batterien keinen Memory Effect; sie verlieren beim Ladevorgang also nicht an Kapazität, auch wenn sie zuvor nicht vollständig entleert wurden. Weitere Vorteile, die vor allem die Automobilindustrie schätzt: Sie sind deutlich leichter als zum Beispiel Bleibatterien und verfügen über eine höhere Energiedichte, was den Platzbedarf reduziert. „Lithium-Ionen ist aktuell und mittelfristig die beste Batterietechnologie“, sagt VW-Sprecher Hoffmann. VW rechnet mit einem Lithiumanteil von 100 bis 300 Gramm je Kilowattstunde Leistung. Die für das Modell e-Golf als Energielieferant dienende 26,5-kWh-Batterie wird zwischen 2,7 und acht Kilogramm Lithium benötigen.

Mit der absehbaren Ausbreitung der Elektromobilität wird das Lithium zu einer Art „Öl von morgen“ (VW). „Die Nachfrage nach Lithium und anderen Materialien, die mit der Produktion von Lithium-Ionen-Batterien zusammenhängen, wird mit der wachsenden Verbreitung von Elektrofahrzeugen deutlich steigen”, heißt es in der Studie des U.S. Department of Energy. Das DOE lässt untersuchen, welche Metalle durch das Wachstum sauberer, CO2 -freier Energietechnologien kurz- bis mittelfristig knapp werden könnten. Fazit: Die Versorgung mit Lithium ist aktuell und in den kommenden Jahren zwar kein Problem. Doch ab 2015/2020 wird sich das nach dem derzeitigen Stand ändern: „Sowohl die Bedeutung sauberer Energie als auch die Angebotssituation von Lithium lassen die Versorgung mittelfristig kritisch erscheinen”, so die Studie. Kein Wunder: Sollten die optimistischen Szenarien des Argonne National Laboratory zum Boom der Batterieautos in den USA wahr werden, stiege der Lithiumbedarf allein nur für die US-Elektromobilität bis 2030 auf 22.000 Tonnen und bis 2050 auf 54.000 Tonnen – das Doppelte der derzeitigen Jahresproduktion.

Schnell wachsende Nachfrage

Laut der Risikoanalyse der U.S. Geological Survey dürften die Kapazitäten durch die Expansionspläne der aktuellen Lithiumproduzenten bis 2015 um 100.000 auf 250.000 Tonnen Lithium Carbonate Equivalent (LCE) ansteigen. Das reicht zwar noch aus, um den erwarteten weltweiten Bedarf von dann 200.000 Tonnen problemlos zu decken – allerdings nicht sehr lange. Denn der eigentliche Run auf die E-Mobile wird erst ab 2015, vor allem aber ab 2020 erwartet. Kommt es so und bleibt Lithium dafür der zentrale Rohstoff, werden schon 2017 die genannten Kapazitäten nicht mehr ausreichen. Der Bedarf der sauberen Energien könnte bis 2025 von derzeit rund 10.000 auf 400.000 bis 900.000 Tonnen LCE ansteigen. Selbst bei einem moderat optimistischen Szenario würde 2025 mehr als die Hälfte des weltweit nachgefragten Lithiums für grüne Energietechnologien verbraucht werden, extrapoliert die USGS. Noch nehmen diese kaum mehr als ein Prozent des jährlich geförderten weißen Metalls ab.

„Die Verfügbarkeit von Lithium ist grundsätzlich kein Problem“, sagt Benjamin Schott vom Zentrum für Solarenergie- und Wasserstoffforschung in Stuttgart und verweist auf Erhebungen der USGS zu den weltweiten Rohstoffreserven und -ressourcen. „Die identifizierten Lithiumreserven betragen vier Millionen Tonnen in den USA und etwa 30 Millionen Tonnen in anderen Ländern”, heißt es in deren Mineral Commodity Summaries vom Januar 2012. Davon könnten rund 13 Millionen Tonnen an Reserven wirtschaftlich gefördert werden.

„Die Frage wird sein, ob die künftigen Produktionskapazitäten schnell genug hochgefahren werden können, um den zusätzlichen Bedarf zu bedienen“, sagt Schott. Denn bisher wird Lithium vor allem als Nebenprodukt bei der Düngemittelgewinnung von Kaliumkarbonaten in oberflächennahen Solen gewonnen. Seine Extrahierung ist damit direkt von dem Bedarf einer fremden Branche abhängig, die bisher nicht mehr Lithium fördert, als mit dem nachgefragten Kalibedarf zu Tage tritt. Damit sich das ändert, müssen die Preise steigen oder Investitionen in Primärminen fließen. Eine weitere Quelle für die künftige Versorgung ist das Recycling, das aber weltweit erst am Anfang steht. Alle diese möglichen und wahrscheinlichen Maßnahmen könnten nach den Prognosendes DOE länger brauchen, so dass sie für den Nachfrageboom ab 2015/2020 nicht rechtzeitig zur Verfügung stehen würden. Diese Frage ist auch für die Photovoltaikindustrie von Belang, denn Lithiumbatterien sind bei Lösungen zu Stromspeichern ebenfalls das Maß der Dinge. Bisher nutzt die Industrie den Rohstoff wenig.

„Noch werden solche stationären Systeme in Europa erst in Einzelfällen verwendet“, sagt ZSW-Systemanalytiker Schott. In Japan, Südamerika und den USA sind sie häufiger zu finden, weniger für regenerative Anwendungen, sondern als dezentrale Back-Up-Lösungen, um die Netzstabilität zu sichern. Doch die regenerativen Geschäfte nehmen zu. Dies zeigt ein Blick auf den Marktführer in den USA, A123 Systems, der auch große Speicherlösungen liefert, so etwa vor kurzem einen Lithiumbatteriespeicher mit zwölf Megawatt Leistung an den US-Wind- und Solarparkentwickler Sempra für einen Windpark auf Hawaii.

Dass die Lithiumbatterien auch für den solar versorgten Einzelhaushalt zunehmend attraktiv werden könnten, zeigen Ergebnisse des deutsch-französischen Forschungsprojektes Sol-Ion an einem Testgebäude des ZSW im Süden Deutschlands. Im Zusammenspiel mit einer 5,1-Kilowatt-Photovoltaikanlage habe eine Sechs-kWh-Lithium-Ionen-Batterie für eine Erhöhung des solaren Eigenverbrauchs von 26 Prozent im sonnenschwachen Frühjahr gesorgt, heißt es in einer Mitteilung. In den Monaten Februar und März „konnte der Speicher im Schnitt täglich mit vier Kilowattstunden Sonnenenergie beladen werden, oft war er auch voll“, erklärt ZSW-Vorstand Michael Powalla.

Ökonomisch aber ist die Batterie in vielen Fällen noch keine Alternative. „Die Batterien müssen noch deutlich im Preis sinken“, fordert VW-Sprecher Hoffmann. Aktuell beziffert der Wolfsburger Autobauer die Kosten auf 500 bis 700 Euro je Kilowattstunde Leistung. Bei solchen Preisen, räumt er ein, wäre eine Serienfertigung nicht wirtschaftlich. Sonst kostete die für den e-Golf geplante 26,5-kWh-Batterie alleine über 13.000 Euro. Bei den stationären Energiespeichern etwa für Photovoltaiksysteme liegen die Preise laut ZSW-Mann Schott bei teils über 1.000 Euro.

Kein Kostentreiber

Immerhin muss die Entwicklung der Rohstoffpreise in diesem Fall weder der Auto- noch der Photovoltaikbranche allzu viel Kopfzerbrechen bereiten. „Lithium ist eines der billigsten Bestandteile einer Lithium-Ionen-Batterie“, sagt USGS-Geologe Brian Jaskula. „Der Anteil des Lithiums am Batteriepreis macht bei heutigen Kostenstrukturen lediglich ein bis drei Prozent aus”, hat Benjamin Schott errechnet.

Damit sind die grünen Energietechnologien weniger empfindlich, sollte es tatsächlich mittelfristig zu einer Rohstoffverknappung kommen. In der Vergangenheit gingen solche Konstellationen beim Lithium wie bei allen Rohstoffen mit Preissprüngen einher, etwa als sich die Gewinnung des weißen Metalls zwischen 1995 und 2004 von den USA nach Lateinamerika verlagerte. Folge war eine zeitweise Unterversorgung, die die Preise je Tonne Lithiumkarbonate zwischen 2005 und 2009 von 4.000 Dollar auf 6.000 Dollar in die Höhe trieb. Da Lithium weder an der Börse noch auf anderen Handelsplätzen, sondern ausschließlich bilateral gehandelt wird, sind die Preise kaum transparent. Ein Blick in die Bilanz des weltgrößten Produzenten SQM zeigt, dass die Preise seit 2009 offenbar wieder gefallen sind. 2011 setzte SQM weltweit bei einem Umsatz von 183,4 Millionen Dollar 40.700 Tonnen LCE ab. Das entspricht einem Preis von rund 4.000 Dollar je Tonne. Für 2012 rechnet die Firma wieder mit einem Preisanstieg. Die Nachfrage werde in den kommenden fünf Jahren um sechs bis sieben Prozent wachsen, heißt es in ihrem Ausblick. Chile ist der weltweit größte Förderer, vor Australien, China und Argentinien.

Künftig könnte die Photovoltaikbranche sich zudem vom Direktrohstoff unabhängiger machen. „Die Automobilindustrie wird die Autobatterien nach rund zehn Jahren austauschen, wenn die Speicherfähigkeit auf 80 Prozent gesunken ist“, sagt Schott. Denn dieser Ladestand sei zu gering, um die versprochenen Reichweiten der Automobilhersteller noch zu gewährleisten. Diese Batterien könnten eine Option für Solar- und Windkraftanlagen werden. Denn ein Ladezustand von 80 Prozent wäre für regenerative Speichersysteme noch ausreichend. Zudem dürfte der Preis für die Second-Hand-Ware attraktiv sein. Noch ist das Zukunftsmusik, denn vor 2025 dürften die notwendigen Stückzahlen an Second-Hand-Batterien kaum zur Verfügung stehen. Bisher halten sie mit rund 2.000 Lade- und Entladungszyklen nur fünf Jahre, erklärt Schott. Erst wenn das Ziel einer zehnjährigen Nutzungsdauer (4.000 Zyklen) erreicht sei, dürften die Autobauer sie überhaupt erst in nennenswerter Zahl einsetzen.

Eine spannende Frage ist, wie lange Lithiumtechnologien bei den Batterien führend bleiben. „Wir forschen an Alternativen“, heißt es nicht nur bei VW. „Ob die Lithium-Ionen-Technologie beim stationären Einsatz als Energiespeicher etwa für Sonnen- und Windstrom langfristig das Rennen macht, ist nicht entschieden“, sagt ZSW-Wissenschaftler Schott. Die hohe Energiedichte sei bei den Stromspeicherbatterien gar nicht unbedingt notwendig. „In den Kellern von Haushalten steht meist mehr Platz zur Verfügung. Da kann auch eine weniger platzeffiziente Technologie zum Einsatz kommen“, nennt er einen Grund. Doch das sind langfristige Überlegungen. Bis dahin führt kein Weg an Lithium vorbei, wenn Elektroautos in den kommenden Jahren ihren Weg von der Werbung auf die Straße finden sollen.

Lithiumproduzenten und Reserven
Förderung (t)Reserven (t)
20112010
Chile12.60010.5107.500.000
Australien11.3009.260970.000
China5.2003.9503.500.000
Argentinien3.2002.950850.000
Portugal82080010.000
Zimbabwe47047023.000
Welt gesamt34.00028.10013.000.000
Quelle: USGS, 2012

Oliver Ristau

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