Die Energieversorgung der Menschheit von fossilen und nuklearen Großkraftwerken auf dezentrale und saubere Quellen umzustellen, ist eine Mammutaufgabe. Für Forscher und Ingenieure ist diese Aufgabe eine der großen Herausforderungen unserer Zeit.
Der Umbau der Stromversorgung ist bereits in vollem Gange. Mehr noch: „Die erste Phase liegt bereits hinter uns“, urteilt Hans-Martin Henning, Professor am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg. „Die Basistechnologien sind entwickelt, um erneuerbare Energien auszuschöpfen. Darauf basierende Systeme sind im Markt eingeführt, der Ausbau der regenerativen Energiegewinnung läuft.“
Die Kosten für diese Systeme sind in den vergangenen Jahren bereits deutlich gesunken, diese Talfahrt setzt sich weiter fort. Kurz: Die Nutzung erneuerbarer Energien rechnet sich zunehmend ohne staatliche Subventionen. Das gilt zumindest für die Photovoltaik und Windräder an Land.
Der nächste große Schritt
Jetzt sieht Hans-Martin Henning den nächsten großen Schritt: die Integration grüner Energien in etablierte Versorgungssysteme. Denn bislang habe sich die Nutzung regenerativer Energiequellen weder signifikant auf die Stromnetze ausgewirkt noch die Emission von Treibhausgasen in entscheidendem Maße verringert.
Viele Probleme beim Netzumbau sind bislang ungelöst. Das wirft auch Fragen der Versorgungssicherheit auf. Vor allem das Kapazitätsmanagement für die großflächige Stromversorgung ist von zentraler Bedeutung, da die erneuerbaren Energien volatil liefern. Die Industriegesellschaft braucht zu jeder Tageszeit ausreichende Strommengen in den Netzen. Windkraft und Solarstrom lassen sich nicht beliebig regulieren, ihre Erträge schwanken im Verlauf eines Tages oder eines Jahres sehr stark. Diese Schwankungen auszugleichen zählt zu den Hauptaufgaben der Energiewende.
So groß die Herausforderungen sind, so hoch ist der mögliche Gewinn. Gelingt der Umbau der Netze, werden die erneuerbaren Energien intelligent integriert, lässt sich die Belastung der Atmosphäre mit Kohlendioxid nach Einschätzung von Hans-Martin Henning um mindestens 80 Prozent reduzieren.
Im Zentrum stehen Stromspeicher, die volatile Erträge puffern und die Netzstabilität sicherstellen. Um nicht nur Batteriespeicher mit Bleizellen oder Lithiumzellen weiterzuentwickeln, hat das Fraunhofer ISE im Sommer ein neues Forschungslabor für chemische Speicher und Elektrolyse eingerichtet.
Sein Leiter ist Professor Henning, der in Freiburg den Eröffnungsvortrag hielt. Ihm ging es vor allem um die sogenannte Residuallast. Vereinfacht ausgedrückt ist das diejenige Leistung am Netz, die nicht durch erneuerbare Energien abgedeckt wird.
Das Problem: Die meisten Verbraucher, vor allem die Verbraucher in der Industrie, und fast alle herkömmlichen Großkraftwerke sind wenig flexibel. Je flexibler Verbraucher und Erzeuger sind, desto besser lassen sie sich mit erneuerbaren Energien abdecken. Das vereinfacht die Integration von Sonnengeneratoren oder Windrädern in die Stromnetze.
Wärme aus Strom erzeugen
Dabei wachsen Strom und Wärme zusammen. Um Wärme für Warmwasser, industrielle Prozesse oder die Raumheizung zu erzeugen, braucht man bisher separate Techniken und vor allem: fossile Brennstoffe. Fernwärme benötigt aufwendige Rohrnetze mit hohen Verlusten und Bedarf an elektrischer Hilfsenergie für die Pumpen.
Warum also nicht gleich mit Strom aus erneuerbaren Generatoren heizen, der viel preiswerter erzeugt und transportiert werden kann? Auch liegt der technische Wirkungsgrad von elektrischen Wärmeerzeugern viel höher als beispielsweise von Kesseln mit Gasfeuerung oder Holz als Brennstoff.
Zudem lässt sich Strom viel einfacher regeln und intelligenter vernetzen als Wärme. Klassische Wärmeversorgungssysteme nutzen meist Heizwasser als Trägermedium für die Energie. Die Verluste sind immens, weil wassergeführte Wärmesysteme enorme Mengen an Wasser und Metallen wie Stahl oder Kupfer benötigen: für Rohrsysteme, Pumpen oder Pufferspeicher.
Nicht zu vergessen: Kein modernes Wärmeversorgungssystem läuft gänzlich ohne Strom, der zumindest für die Heizungssteuerung und die Umwälzpumpen benötigt wird. Was für Wärme gilt, gilt auch für Kälte und Kühlung – physikalisch gesehen nichts anderes.
Preiswerter Strom aus Windrädern und Sonnengeneratoren wird sehr bald zu allen Tageszeiten verfügbar sein. Mithilfe von Batterien kann man Sonnenstrom bereits heute schon auch in der Nacht nutzen. Deshalb steht der saubere Strom auch dann zur Verfügung, wenn die Generatoren aktuell vielleicht keine Erträge liefern.
Deshalb will das Fraunhofer ISE neue Stromspeicher und effiziente Verfahren zur Bereitstellung von Wärme und Kälte entwickeln. Das neue Labor in der Auerstraße in Freiburg soll die Projekte bündeln und ausweiten. Anfang Juli wurde das neue Zentrum für Speicher- und Wärmetransformationstechnologien eingeweiht.
Anstieg bei den Wärmepumpen
Zu den Grundlagen der Arbeiten in Freiburg gehört die „Modellierung einer kostenoptimalen Transformation des deutschen Energiesystems entlang der politischen Klimaschutzziele“, wie es der Wissenschaftler Henning ausdrückte.
Dieses Modell definiert unter anderem die Technologien, die für die Energiewende in den kommenden Jahrzehnten benötigt werden: elektrisch betriebene Wärmepumpen, stationäre Batteriespeicher und Elektrolyseure, um Sonnenstrom und Windstrom in Form von Wasserstoff zu speichern.
Eine große Bedeutung kommt der elektrischen Wärmepumpe zu. Derzeit sind in Deutschland rund eine Million Geräte installiert. In den kommenden zehn Jahren erwarten die Forscher einen starken Anstieg, sowohl bei privaten Anwendungen als auch im Gewerbe und in der Industrie.
Auch stationäre Batteriespeicher gewinnen rasch an Bedeutung. Bereits 2025 werden sie in Deutschland rund zehn Millionen Kilowattstunden speichern, so das Szenario der Freiburger Forscher. Zugleich kommen wahrscheinlich vermehrt Gas-Wärmepumpen und erste Elektrolyseure zum Einsatz, wenn auch noch nicht in hoher Zahl.
Chemische Speicher legen zu
In der dritten Phase, die zwischen 2025 und 2030 beginnt, werden nach den Berechnungen der Forscher zunehmend erneuerbare Energien genutzt, um synthetische Brennstoffe und Sprit zu produzieren.
In dieser Phase rechnet Hans-Martin Henning mit negativen Residuallasten. Das heißt, die mit erneuerbaren Energiequellen erzeugte Strommenge übersteigt die Nachfrage bei den Verbrauchern. Strom wird faktisch überall verfügbar.
Bis 2040 sollten nach dem Fraunhofer-Modell elektrische und Gas-Wärmepumpen in Deutschland einen Großteil der benötigten Raumwärme liefern. Die Kapazität stationärer Batteriespeicher kann zu diesem Zeitpunkt bei mehr als 25 Gigawattstunden liegen, während Elektrolyseure nach den Berechnungen dann bereits eine Anschlussleistung zwischen 30 und 45 Gigawatt haben können.
Für die letzte Phase ab etwa 2040 stellen die Freiburger Forscher die vollständige Verdrängung fossiler Stromerzeuger und die Reduktion der Emissionen von Kohlendioxid auf nahezu null in Aussicht. Außerdem gehen sie davon aus, dass auch der Import von erneuerbarem Strom zum Beispiel aus sonnenreichen Regionen eine signifikante Größe erreicht. Zugleich müssten die installierten Batteriespeicher mehr als 40 Gigawattstunden Strom speichern.
Massiv steigen könnte bis Mitte des Jahrhunderts vor allem der Einsatz von Elektrolyseuren. Sie setzen Strom ein, um Wasserstoff zu erzeugen. Diese Technik könnte eine Gesamtkapazität von bis zu 70 Gigawatt erreichen. „Wenn wir diese Klimaschutzziele ernst nehmen, werden wir eine signifikante Konvertierung von Strom in chemische Energieträger durch Elektrolyse brauchen“, ist Hans-Martin Henning überzeugt.
Welche chemischen Substanzen am Ende das Rennen machen werden, darauf mag sich der Wissenschaftler zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht festlegen.
Chemische Energieträger haben das Potenzial, sehr große Energiemengen über lange Zeit in chemischer Form zu speichern. Wasserstoff kann als Kraftstoff für Brennstoffzellen dienen, etwa in Autos. Oder er wird zur Rückverstromung in stationären Systemen oder in abgasfreien Gasmotoren genutzt.
4.000 Ampere für den Prüfstand
Seit nunmehr 25 Jahren erforschen die Wissenschaftler am Fraunhofer ISE die PEM-Elektrolyse. Bei diesem Verfahren wird mittels Austausch von Protonen an einer Membran (PEM: Proton Exchange Membrane) destilliertes Wasser durch elektrischen Strom in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten. Die Prüfstände im neuen Labor liefern Stromstärken bis zu 4.000 Ampere.
Stadtwerke oder Netzbetreiber werden nach Einschätzung der Wissenschaftler in Zukunft solche Wasserelektrolyseure einsetzen, um ihre Stromproduktion flexibler zu gestalten. Denn mit ihnen lässt sich die Erzeugung zeitnah an den Verbrauch anpassen und die Netzfrequenz stabilisieren.
Hans-Martin Henning geht davon aus, dass im Laufe der Jahre ein mehr oder minder engmaschiges Netz an Tankstellen für Wasserstoff entstehen wird. „Auf fast 1.000 Bar verdichtet ist Wasserstoff problemlos transportierbar“, meint er. „Und Tanksysteme für Autos sind zum Beispiel mit 700 Bar durchaus praktikabel und bereits heute im Einsatz.“
Batterien statt Knallgas
Allerdings sind solche Systeme aufgrund der Flüchtigkeit von Wasserstoff sehr teuer, sie erfordern einen hohen Aufwand, um Knallgas zu vermeiden. Auch sind bisher keine Fahrzeugtypen in Sicht, die so sicher konstruiert sind, dass sie auch bei Unfällen keine Explosionsgefahr bilden.
Bislang gibt es keinen Versicherer, der Wasserstoff im Tank eines Autos akzeptiert, zumindest nicht zu erschwinglichen Prämien. Rein batterieelektrische Fahrzeuge werden das Rennen machen, zumindest beim Gros des Straßenverkehrs. Für spezielle Anwendungen wie der Schifffahrt oder mit flüssigem Wasserstoff getriebenen Flugzeugen sieht die Sache möglicherweise anders aus.
Methanol für Kunststoffe
Nicht nur Wasserstoff bietet sich als chemischer Speicher an. Auch Methan ist denkbar oder Methanol, Polymere oder spezielle Ester. Allerdings läuft ihre Herstellung stets im ersten Schritt über den Wasserstoff.
Für die Herstellung von Methan benötigt man Wasserstoff und Kohlendioxid, das langfristig aus der Luft gewonnen werden könnte. „Für Methan könnten wir die bereits vorhandenen Speicher in Kavernen nutzen“, meint Henning. Das entspricht physikalisch der Verpressung von Kohlendioxid unter Tage und unter hohem Druck, wie es von Vattenfall erprobt, propagiert und mittlerweile wieder verworfen wurde. Technisch denkbar, aber kaum nachhaltig.
Möglichst hoher Durchsatz
Methanol als flüssiger Energieträger ist dagegen durchaus eine Alternative. Allerdings ist seine Herstellung teurer. Zumindest als Basisstoff für die chemische Industrie sei Methanol geeignet. „Bei den synthetischen Energieträgern wird es die Aufgabe der Forscher sein, verschiedene Optionen zu prüfen und die Potenziale zur Kostensenkung auszuloten“, sagt Professor Henning. „Wichtig ist, dass die Erzeugung stark dynamisch sein muss, um die Volatilität der erneuerbaren Energien auszugleichen.“
Das neue Zentrum für Speicher- und Wärmetransformationstechnologien am Fraunhofer ISE wird die industrielle Erzeugung von großen Mengen an Wasserstoff untersuchen. „Bei unseren Untersuchungen geht es zum Beispiel darum, die Reinheit des Gases sicherzustellen und zu erforschen, wie der Alterungsprozess der Elektrolyte verläuft.“
Neben den Elektrolyseuren werden auch Batteriesysteme in den nächsten Jahren und Jahrzehnten viele Einsatzgebiete erobern. Sie halten Einzug im Individualverkehr oder als stationäre Speicher in Privathaushalten, Gewerbebetrieben und in der Industrie.
Variable Stromtarife kommen
Große Batteriespeicher wird man in Windparks und Solarkraftwerken einsetzen, um das Netz zu stabilisieren. „Mittelfristig werden solche Kraftwerke große Batteriespeicher einsetzen“, ist sich Henning sicher. „Hinzu kommt, dass wir künftig variable Stromtarife, abhängig von der Lastsituation in den Netzen, bekommen. Das fördert den Einsatz von Batterien. Man speichert Strom, wenn er günstig ist, und nutzt ihn, wenn der Strom aus dem Netz teurer ist.“
Die Kombination verschiedener Speicher sei eine realistische Option. „Solche Systeme können die unterschiedlichen Anforderungen abdecken – kostengünstig und robust, schnell aufladbar und effizient“, urteilt der Experte. Anforderungen, die eine einzige Technologie nicht erfüllen kann. Ganz klar: Die wissenschaftlichen Probleme der Energiewende sind weitgehend bekannt. Offenbar sind sie durchaus lösbar.