Was sich in Deutschland seit einigen Jahren schleppend als Geschäftsmodell für Projektierer entwickelt, steht in Österreich noch komplett am Anfang. Mieterstrom war bisher kein Thema in der Alpenrepublik. Bis sich die alte Bundesregierung mit dem Parlament auf die Novelle der Ökostromgesetzgebung einigte. Als eine der letzten Amtshandlungen hat sie das Verbot aufgehoben, dass Österreicher innerhalb eines Gebäudes andere mit Strom beliefern.
Technische Voraussetzungen prüfen
Mit der Änderung des Elektrizitätswirtschafts- und Organisationsgesetzes, kurz Elwog, ist seit Ende Juli 2017 die Errichtung von sogenannten gemeinschaftlichen Erzeugungsanlagen erlaubt. Das bezieht sich ausdrücklich nicht nur auf private Mieter im Mehrfamilienwohnhaus, sondern auch auf gewerbliche Mieter. „Jeder, der eine Netzzugangsberechtigung, also einen Zählpunkt, hat, kann eine solche Gemeinschaftsanlage anmelden“, fasst Reinhold Richtsfeld von Clean Capital den Paragrafen 16a zusammen. „Der der Netzbetreiber ist verpflichtet, die Saldierung zwischen den einzelnen Zählpunkten im Gebäude zu übernehmen. Dabei muss die freie Lieferantenwahl erhalten bleiben.“
Der Systemanbieter, Photovoltaikprojektierer und Energiedienstleister mit Sitz im oberösterreichischen Garsten, drei Kilometer südlich von Steyr, hat auf die neue Möglichkeit reagiert. „Bisher haben wir noch keine Mieterstromanlage realisiert, aber wir planen derzeit mehrere Projekte auf Mehrparteienhäusern“, sagt Richtsfeld. „Die erste dieser Anlagen soll im Mai ans Netz gehen.“
Doch auch wenn das Mieterstromprojekt noch nicht vollständig umgesetzt ist, haben Richtsfeld und seine Kollegen schon sehr viel Erfahrung gesammelt, welche Herausforderungen auf einen Projektierer zukommen, wenn er sich auf das neue Geschäftsmodell einlässt.
Denn es sind nicht nur die technischen Voraussetzungen, die ein Gebäude mitbringen muss, damit eine Mieterstromanlage überhaupt gebaut werden kann. Dabei geht es vor allem darum, ob das Dach die Solaranlage tragen und ob das elektrische System im Gebäude den Solarstrom aufnehmen und verteilen kann. „Viel spannender sind die sozialen Herausforderungen“, weiß Richtsfeld inzwischen.
Erst komplett saniert
Denn das Thema ist komplett neu. „Deshalb wissen die Menschen, die in den Mehrfamilienhäusern wohnen, wenig darüber“, ergänzt Stefan Pirchmoser. Er ist bei den Innsbrucker Kommunalbetrieben (IKB) für die Produktentwicklung und den Bereich Innovation zuständig.
Der Versorger aus der Tiroler Landeshauptstadt hat inzwischen das erste Mieterstromprojekt umgesetzt und ein Energieprodukt entwickelt. Unter dem Namen Sonnenstrom direkt vertreibt das Unternehmen seit einigen Monaten Sonnenstrom vom Dach eines Mehrfamilienhauses an die Mieter der Wohnungen. Das Gebäude mit seinen 48 Wohnungen gehört der Neuen Heimat Tirol, einer Wohnungsbaugesellschaft, die jeweils zur Hälfte dem Bundesland Tirol und der Stadt Innsbruck gehört.
Das Gebäude wurde im vergangenen Jahr komplett saniert. Neben Außendämmung, neuen Türen und Fenstern und kontrollierter Wohnraumlüftung bekam das Haus eine Solaranlage. Doch das stand nicht von Anfang an fest. „Als Mitte des letzten Jahres abzusehen war, dass das Elwog geändert wird, wollten wir nicht lange Geschäftsmodelle wälzen“, erinnert sich Pirchmoser. Ihm ging es darum zu erfahren, was die Menschen von Solarstrom vom Dach des Mietshauses halten und wie sie auf ein solches Angebot reagieren.
Ohne die Mieter finanziert
Doch ganz am Anfang stand zunächst die Frage, wer die Anlage überhaupt finanzieren soll. Die Innsbrucker hatten zunächst ein Beteiligungsmodell angedacht. Die Mieter im Gebäude hätten Anteile am Generator auf dem Dach erwerben können. Dieses Angebot hat allerdings einen wesentlichen Nachteil. Schließlich wohnen die Menschen zur Miete im Gebäude. Beim Auszug muss geklärt werden, was mit ihren Anteilen passiert. Für die IKB war schnell klar: Wenn das Projekt erfolgreich sein soll, muss sie die Finanzierung der Anlage selbst übernehmen und den Strom in ein eigenes Produkt packen.
Für einen Versorger ist das eigentlich keine große Aufgabe. Schließlich sind die IKB in der Tiroler Hauptstadt nicht nur selbst Betreiber von Photovoltaikanlagen, sondern haben Energiedienstleistungen, den Verteilnetzbetrieb und die Stromlieferung an Endkunden im Portfolio. „Deshalb haben wir die Photovoltaikanlage selbst geplant, gebaut und betreiben sie auch“, sagt Pirchmoser. „Zudem kümmern wir uns um die korrekte Zuteilung der Strommengen und um die Abrechnung.“
Mitte November des vergangenen Jahres wurde das erste Mieterstromprojekt in Innsbruck gestartet. Das war der Tag, an dem sich die Vertreter der IKB mit den Mietern zusammengesetzt und ihnen das Projekt erklärt haben.
75 Prozent der Mieter überzeugt
Jeder, der zur Mieterversammlung kam, hat ein Informationspaket bekommen. Es listete alle Vorteile und enthielt den Stromliefervertrag. „Zwei Mietern hat das Angebot so gut gefallen, dass sie noch an diesem Abend unterschrieben haben“, erinnert sich Pirchmoser. Alle anderen Mieter, die sich nicht innerhalb von zwei Wochen entschieden, wurden noch einmal kontaktiert. „Wir haben ihnen persönliche Einzelgespräche angeboten und das Produkt noch einmal vorgestellt“, sagt Stefan Pirchmoser. „Nach einem Monat haben wir den Vertrieb beendet.“
Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Satte 75 Prozent der Mieter des Mehrfamilienhauses beziehen in Zukunft eine Mischung aus Solarstrom vom Dach und Strom aus dem Netz. Für Pirchmoser ist das ein gutes Signal, dass das Angebot bei den Mietern ankommt. Inzwischen sind auf dem Dach drei Solaranlagen mit jeweils zwölf Kilowatt Leistung installiert. „Das war unsere erste Erkenntnis“, erklärt der Produktentwickler von der IKB. „Drei Hauseingänge, drei Anschlusskästen und drei Steigleitungen bedeutet, dass auch drei getrennte Photovoltaikanlagen installiert werden müssen.“ Schließlich darf der Strom auf keinen Fall das Haus verlassen und durchs öffentliche Netz fließen. Insgesamt haben die Installateure 133 Module auf einer Dachfläche von 223 Quadratmetern installiert, womit fast der gesamte vorhandene Platz ausgefüllt ist.
Etwa 13 Megawattstunden produziert jede dieser Anlagen. Davon soll möglichst viel im Gebäude verbraucht werden. Um die Eigenverbrauchsquote zu erhöhen, hat sich die IKB für ein dynamisches Abrechnungsmodell entschieden. Anders als bei einem statischen Abrechnungsmodell, wo jedem Teilnehmer gleich viel Sonnenstrom zugeteilt wird, profitieren im dynamischen Modell diejenigen Bewohner am meisten, die es schaffen, ihren Verbrauch an die Sonnenstromproduktion anzupassen.
Viertelstündliche Messung
Denn die Energie vom Hausdach ist 15 Prozent billiger als der Strom aus dem Netz. Zudem sparen alle, die Mieterstrom beziehen. Das spricht für das dynamische Abrechnungsmodell. Um dieses umzusetzen, bekommen alle Mieter im Gebäude, die am Mieterstrommodell teilnehmen, einen intelligenten Zähler.
Dieser zeichnet alle 15 Minuten den durchschnittlichen Stromverbrauch auf und schickt die Daten zum Verteilnetzbetreiber. Der ermittelt daraus individuell den Solarstrom- und den Netzstromanteil für jede Wohneinheit und rechnet entsprechend ab. Zumindest haben es die IKB bei ihrem Innsbrucker Projekt so umgesetzt.
Ökologie zieht stärker als Preis
Doch Stefan Pirchmoser von den IKB weiß, dass es noch nicht einmal das Preissignal ist, das viele Bewohner dazu veranlasst, in Zukunft Mieterstrom zu beziehen. „Das Thema Ökologie war das stärkste Argument“, berichtet er aus seiner Erfahrung bei der Umsetzung des Projekts in Innsbruck. „Wir haben mit vielen Kunden gesprochen. Dabei ist herausgekommen, dass bei diesen vor allem angekommen ist, dass der Strom ökologisch sauber produziert wird und auf kurzem Weg zu ihnen gelangt.“
Ganz so weit ist Clean Capital noch nicht. Die Mieterversammlung, auf der das neue Projekt vorgestellt wird, findet demnächst statt. Danach wird auf das Gebäude in Oberösterreich eine Photovoltaikanlage mit einer Leistung von zwölf Kilowatt errichtet – ein Kilowatt pro Wohnung. „Wir gehen von einer Eigenverbrauchsquote von 60 Prozent aus“, sagt Reinhold Richtsfeld. „Wir denken, dass sich die Verbrauchsprofile der zwölf Haushalte gut überlagern, sodass der Eigenverbrauch mit der gemeinschaftlichen Anlage im Vergleich zu zwölf Einzelanlagen mit jeweils einem Kilowatt höher ist.“
Verbrauchsverhalten analysieren
Wie viel die einzelnen Mietparteien tatsächlich einsparen, ist noch nicht klar. Dafür sind die Projekte noch nicht lang genug am Netz. „Die Ersparnisse können bei ungünstigen Verhältnissen ein einstelliger Eurobetrag sein“, sagt Stefan Pirchmoser. „Sie können aber auch bis zu 20 oder 30 Euro betragen. Größere Dimensionen sind mit solchen Modellen und den aktuellen Strompreisen aber nicht realisierbar.“
Zudem werden die IKB jetzt erst einmal das tatsächliche Verbrauchsverhalten analysieren und Mindestteilnehmerqouten errechnen. Immerhin akzeptiert der Markt das Angebot.
PV Austria
Infoportal für Mieterstrom veröffentlicht
Der Branchenverband PV Austria hat ein Portal für gemeinschaftliche Erzeugungsanlagen gestartet. Damit reagiert er auf die Novelle der Ökostromgesetze. „Das Gesetz wurde relativ offen geschrieben“, erklärte Vera Liebl, Generalsekretärin von PV Austria, auf dem diesjährigen Frühjahrskongress der Branche. „Einerseits möchte man damit viele Umsetzungsmöglichkeiten und Anwendungsbeispiele abdecken. Andererseits ist diese Offenheit nachteilig, weil viele Fragen entstehen.“
Schritt für Schritt
Auf der neuen Internetseite finden Planer, Hauseigentümer und Mieter alle Informationen, die wichtig sind. Herzstück ist eine Schritt-für-Schritt-Anleitung, wie solche Gemeinschaftsprojekte umgesetzt werden. „Wir haben es geschafft, das auf zehn Punkte herunterzubrechen“, sagte Liebl. „Angefangen von den ersten Gesprächen mit den Gebäudebesitzern und den Bewohnern über die Musterverträge bis zur Installation und zum Betrieb der Anlage.“ Ergänzt wird die Anleitung durch Links, wo der Nutzer weitere Informationen findet.
Immer auf dem aktuellen Stand
Neben den Musterverträgen, die kostenlos zur Verfügung stehen, hat PV Austria zusammen mit Netz Oberösterreich eine Grafik erstellt, wie die Kommunikation zwischen den einzelnen Beteiligten an dem Projekt ablaufen sollte. Dazu kommen einige Beispielprojekte, die bereits umgesetzt wurden. An ihnen können sich Planer orientieren. Außerdem wird die Webseite ständig aktuell gehalten.