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Die Chancen des Umstiegs

Was ist Politik? Ein Basar, wie in einer arabischen Kasbah. Es geht darum, das Volksvermögen zu verteilen. Wer bekommt den größten Brocken ab? Das ist beim Ausstieg aus der Atomkraft so, das war beim Ende der Steinkohle ebenso.

Schon Anfang der 1960er-Jahre wurde die deutsche Steinkohle unwirtschaftlich, begann das Zechensterben an Saar und Ruhr. Nun, Ende 2018, schließt die letzte deutsche Zeche Prosper-Haniel in Bottrop. Sechs Jahrzehnte hat das Siechtum dieser Branche gedauert, die Deutschlands Ruf als Industrienation begründete.

Jetzt ist die Braunkohle dran. Längst sind die Kraftwerke keinen Pfifferling mehr wert. Nur weil sie abgeschrieben sind, können sie ihren schmutzigen Strom noch in den Markt bringen. Deutschlands größter Braunkohlekonzern, RWE, verdient damit aber lediglich das Geld für den Unterhalt der Belegschaft. Neue Kraftwerke lassen sich nicht mehr finanzieren. Und längst auch keine Renditen mehr erzielen.

An der Saar und an der Ruhr hat sich bereits gezeigt, dass vor allem die Photovoltaik beim Strukturwandel eine wichtige Rolle spielen kann. Freilich, das ist kein Geschäft der großen Konzerne, das ist das Geschäft kleiner Unternehmen und des Mittelstands.

Die Ratte schlägt den Saurier

So gilt in der Strombranche, was andere Industrien bereits lernen durften: Schnelle, smarte Unternehmen schlagen die Riesen. Die intelligente Ratte macht das Rennen, nicht der Saurier.

Doch Politik ist nicht nur Feilschen. Sie ist vor allem die Ausgestaltung des Strukturwandels. Besser: Sollte sie sein. Aber weil RWE so mächtig ist, weil RWE über seine Anteilsscheine so eng mit den Kommunen am Rhein verbandelt ist, wurde der Strukturwandel schlichtweg verschlafen. Bis die Kommunen am Rand des Ruins stehen, ihre RWE-Anteile faktisch in den Rauch schreiben können. Größter kommunaler Eigner ist die Stadt Dortmund. Die fetten Jahre sind vorbei, schon lange. RWE hat an der Börse mittlerweile den Status einer Bad Bank. Und der Stadtkämmerer von Dortmund geht am Bettelstab.

So viele haben geschlafen

Das gleiche Bild im Osten, in der Lausitz: Schon Ende der 1980er-Jahre regte sich Widerstand gegen die Tagebaue, die blühende Fluren und altehrwürdige Dörfer zur Wüste machten. Nach der Wende stieg der Bund ein, um die Hinterlassenschaften zu verwalten. Die Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft wurde gegründet, ein Staatsunternehmen mit Mitteln des Bundes und aus Brandenburg.

Die SPD-geführte Regierung in Potsdam und alle wechselnden Kabinette in Berlin seit der Wende ließen es zu, dass die Lausitz knapp drei Jahrzehnte ohne Zukunftskonzept blieb. Ebenso wie es die Regierungen in Düsseldorf (früher SPD, heute CDU) verpennten, Alternativen zu entwickeln. Oder die CDU in Sachsen (Mitteldeutsches Revier).

Der Wandel zeigt sich bereits

Als im Saarland und im Ruhrgebiet die Lichter ausgingen, gab es wenig Alternativen. Heute werden die Zechen als touristische Attraktionen gepriesen. Die Gegend um Bochum, Gelsenkirchen, Bottrop und Duisburg hingegen ist bei den sozialen Standards mittlerweile das Schlusslicht in Deutschland. Dabei war das Ruhrgebiet einst die reichste Region Deutschlands.

Erst seit ungefähr zehn Jahren bringen die erneuerbaren Energien neue Jobs in die toten Reviere. Montan Solar, eine gemeinsame Tochter der saarländischen RAG und von Wirsol, baut Solargeneratoren, wo es nur geht.

Und in NRW tragen viele Handwerksbetriebe dazu bei, neuen Wohlstand in die Regionen zu bringen. Dort gehört die Photovoltaik längst zum Standard. Das bevölkerungsreichste Bundesland hat im Vergleich zu anderen Ländern hohe Zubauraten.

Umsteigen statt aussteigen!

Und NRW ist bereits heute ein Schwergewicht in der Elektromobilität: Ford baut in Köln den Street Scooter, in Düren ist ein zweites Werk geplant. In Aachen entsteht eine Fabrik für den neuen e.GO.

Mit Photovoltaik, Windrotoren und der E-Mobilität stehen heute wirtschaftliche Alternativen bereit, um den unvermeidlichen Strukturwandel in der Braunkohle zu stemmen. Umsteigen statt aussteigen! Die frei werdenden Flächen lassen sich sehr gut für erneuerbare Energien nutzen.

Auf diese Weise kommt mehr Arbeit in die Regionen, als der Bergbau und die Kraftwerke bisher bieten. Im Projektbericht „Erneuerbare Energien – Vorhaben in den Tagebauregionen“ des Bundeswirtschaftsministeriums werden diese Potenziale untersucht. Für die Solarbranche waren die Experten der Solarpraxis AG aus Berlin beteiligt, namentlich Karl-Heinz Remmers und Fabian Krömke. Die Studie untersucht die vier deutschen Braunkohlereviere – Rheinland, Lausitz, Mitteldeutschland und Helmstedt – auf ihre Eignung für Windkraft, Photovoltaik und Hybridkraftwerke.

Denn diese vier Reviere haben nicht nur ein enormes Flächenpotenzial. Dort gibt es rund 20.000 Experten für die Stromwirtschaft, alles gut ausgebildete Leute. Es gibt eine historische Kultur der Energie, bis ins Mittelalter gründet sich der Stolz des Bergmanns – Glück auf! Und Grevenbroich bezeichnet sich als Energiehauptstadt Deutschlands.

4,5 Gigawatt im Leipziger Revier

Nach den Autoren der detailreichen Studie bietet das Mitteldeutsche Revier um Leipzig rund 41.000 Hektar früherer oder aktiver Bergbaufläche. Rechnet man anderweitige Nutzungen und nicht geeignete Flächen heraus, könnte man in dieser windschwachen Gegend immerhin rund ein Gigawatt Windrotoren bauen oder zusätzlich zum Bestand ertüchtigen.

Für die Photovoltaik ließen sich rund 21.760 Hektar nutzen, davon 12.340 Hektar in bereits stillgelegten Gruben und 9.400 Hektar in aktiven Tagebauen. Die Böden sind mittelprächtig, nicht so fett wie in der Schwemmebene des Rheins. In der Summe könnte man allein in Mitteldeutschland rund 4,5 Gigawatt Photovoltaik installieren. Etwa drei Gigawatt könnten Hybridanlagen bringen, aus der Kombination aus Wind und Sonne.

1,4 Gigawatt am Rhein

Im Rheinischen Revier sieht es etwas anders aus. Dort herrscht mehr Wind und die Böden sind besser für die Landwirtschaft geeignet. Allerdings werden auch am Rhein seit Jahrzehnten viele – einst ergiebige Äcker – stillgelegt. Der Grund: Die EU-Agrarsubventionen sind lohnender als die bäuerliche Bewirtschaftung.

Die Autoren der Studie kommen zu dem Schluss, dass am Rhein rund 39.500 Hektar aus der Braunkohle anfallen. In der windigen Rheinebene könnten bis zu 1,2 Gigawatt Windkraft installiert werden. Das Potenzial für die Photovoltaik beträgt rund 12.700 Hektar, wovon rund 10.700 Hektar noch aktiv durch den Kohlebergbau genutzt werden.

Insgesamt könnten rund 1,4 Gigawatt Solarleistung installiert werden. Im Unterschied zur Lausitz und zu Sachsen gibt es am Rhein keine Übungsareale der Bundeswehr, alle Flächen werden zivil verwertet. Für die großen Braunkohlereviere an Spree und Oder haben die Experten ein Solarpotenzial von knapp zwölf Gigawatt errechnet. Windkraft könnte 2,2 Gigawatt beisteuern.

Zwölf Gigawatt für die Lausitz

Für rund 9,5 Gigawatt könnte man Hybridkraftwerke bauen, die die vorhandenen Netzanschlüsse – freilich modernisiert – nutzen. Die regional ansässigen Hersteller von Komponenten für Windrotoren oder Solargeneratoren beschäftigen bereits heute rund 1.250 Mitarbeiter. Dagegen stehen noch 1.000 Kohlekumpel und Kraftwerker. Baut man die berechneten Solarparks tatsächlich auf, müsste man die Werke der Zulieferer in Frankfurt/Oder, Prenzlau oder Wismar ausbauen. Das würde zusätzliche Jobs schaffen.

Nicht eingerechnet sind die unzähligen Dachanlagen, die in den Wohnsiedlungen und den Immobilien der Kohlewirtschaft entstehen könnten. Die Installation und Wartung der Solarparks könnte rund 1.000 Jobs bringen.

Abschied vom alten Geschäft

Die Hindernisse für eine fruchtbare Energiewende in den früheren Kohlerevieren sind also nicht technischer Natur. Die Politik und die mit den ehemaligen Volksparteien verbandelten Gewerkschaften tun sich schwer, sich vom alten Geschäftsmodell der Energiewirtschaft zu verabschieden.

An die Stelle der Großkonzerne und der staatlichen Großbürokratie zur Verwaltung der Bergbaufolgeprobleme müsste die bürgernahe Energiewende treten, die weder Staat noch Gewerkschaften braucht. Das passiert bereits an Mulde, Rhein und Spree.

Um die Chancen des Umstiegs zu nutzen, muss sich vor allem in den Köpfen etwas bewegen. Beispiel Lausitz: Dort ist die vom Bund getragene LMBV damit befasst, die früheren Kohleflächen zu sanieren und zu veräußern. Der Bund hat in die Sanierung des früheren DDR-Braunkohleabbaus bereits zweistellige Milliardensummen investiert, der Job läuft seit dem Einigungsvertrag.

Die konkreten Flächenpläne und Sanierungsaufgaben wurden bereits vor einem Vierteljahrhundert beschlossen. Seitdem werden die Flächen genauso rekultiviert wie in den sogenannten Abschlussbetriebsplänen vorgesehen.

Diese Pläne haben zum Ziel, den durch den Bergbau verursachten Eingriff in die Natur weitgehend auszugleichen. Blühende Landschaften im Osten, um Altkanzler Helmut Kohl zu bemühen: Die alten Verhältnisse aus der Zeit vor dem Bergbau sollen so exakt wie möglich wiederhergestellt werden.

Deshalb wird in der Logik der LMBV kein einstmaliger Acker zum Solarpark umgewidmet. Denn faktisch geht es nur darum, den Zustand vom Ende des 19. Jahrhunderts zu rekultivieren. Oder aus den 60er-Jahren.

Die Uhren zurückdrehen?

Im 19. Jahrhundert galt die Lausitz als arme Hungerödnis zwischen Preußens Glanzstadt Berlin und dem reichen Revier Schlesiens – heute die wichtigste Kohleregion in Polen. Die Lausitzer Böden sind sandig, da kam und kommt kaum was vom Acker. Kein Vergleich zur Schwarzerde in der Magdeburger Börde oder den fetten Schlägen am Rhein. Auch in der DDR gab es in der Lausitz nur sehr kümmerliche Agrargenossenschaften. Dafür sehr viel Militär, russisch und deutsch.

Sinnlose Anrufe in der Zentrale

Die Aufgabe der LMBV ist es, die Flächen zu sanieren und anschließend zu vermarkten. Ein Anruf dort – etwa um sich Brachland für Solarparks zu sichern – ist völlig sinnlos. Solche Anrufe von Projektentwicklern gehen in der Zentrale der LMBV in Senftenberg jede Woche mehrfach ein, wie ein Sprecher berichtet. Alle Anrufer bekommen die gleiche Antwort: Solche Flächen sind nicht vorgesehen.

Wenn doch einmal eine kleinere Gewerbefläche zum Verkauf steht, wird sie wie alle anderen Flächen über Ausschreibung veräußert. Jedoch sind die Gewerbeflächen nicht automatisch Konversionsflächen nach dem EEG. Dieser Status wird im Einzelfall festgestellt und vom Energieversorger bestätigt. Oft sind die Flächen aufgrund ihrer Vornutzung, die noch nachwirkt, tatsächlich als Konversionsflächen anerkannt.

Ausschreibung von Flächen

Dennoch gibt es in der Lausitz schon einige Solarparks auf ehemaligen Sanierungsflächen aus dem Bergbau. Meist gingen sie nach der LMBV durch mehrere Hände, etwa über Landwirte. Denn so sehr es sich die Sanierer auch wünschen: Von den Bergbauflächen ist noch weniger zu ernten als vor der Kohle.

Gerade in der Lausitz sind die Böden durch saure Minerale im Abraum geschwächt, die auch Flüsse und Seen versäuern. Die ohnehin geringen Bodenzahlen rutschen noch weiter ab, das lohnt den Aufwand nicht. Das ist auch der Grund, warum die Gruben in der Lausitz oder in Mitteldeutschland geflutet werden. Sie lassen sich nämlich überhaupt nicht rekultivieren, das würde Hunderte Milliarden Euro kosten.

Und so viel Ackerland braucht heute kein Mensch mehr. Also werden sie mit Wasser gefüllt – obwohl es in diesen Regionen vor dem Bergbau gar keine Seen gab. Die Lausitz war und ist knochentrocken. Und in Leipzig ist von „Neuseenland“ die Rede: Immerhin eine hübsche Aufwertung der Immobilien im ehemaligen Drecksloch von Sachsen.

Die Krux mit der Photovoltaik

Derzeit ist es einfacher, einen Solarpark auf Flächen zu errichten, die erst noch abgebaggert werden sollen. Am Tagebau Welzow-Süd bei Cottbus beispielsweise wurden Solarflächen ausgewiesen. Die frisst der Bagger erst in 20 Jahren. In diesem Fall wurde das Land an einen Betreiber verpachtet, der tatsächlich eine Photovoltaikanlage errichtet hat.

Vor 100 oder 50 Jahren gab es noch keine Photovoltaik, das ist die Krux. Worum es jetzt geht: den Beamten und den Politikern vor Ort auf die Sprünge zu helfen. Die Gesetze der Bundesländer und die Vorgaben des Bundes brauchen dringend einen modernen, zeitgemäßen Ansatz. In der Studie des BMWi machen die Autoren konkrete Vorschläge, um diese politische und juristische Gemengelage zu ändern.

Der Bürger muss ran!

Doch das alles wird nichts bringen, wenn nicht der wichtigste Faktor ins Spiel kommt: Der Bürger, der die Energiewende in seiner Region als Chance begreift. Der Kohleausstieg wird zum Umstieg, wenn man die Menschen machen lässt.

Spanien macht es vor. Im November kündigte Madrid ein Programm an, um Bergleute auf erneuerbare Energien umzuschulen. Volkswagen und BMW haben ähnliche Initiativen für ihre Mitarbeiter aufgelegt, die bald Elektroautos bauen.

Von den Ministerpräsidenten in NRW, Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Brandenburg hat man bislang nichts dergleichen gehört. Auch nicht von Michael Vassiliadis, dem Boss der IG Bergbau. Ihnen geht es offenbar nur darum, sich möglichst große Happen aus den deutschen Steuertöpfen zu sichern. Aber Geld ersetzt keine Ideen. Womit wir wieder beim Anfang unserer Geschichte wären:

Noch immer warten die Kohlereviere auf ihre große Stunde – auf ihre Auferstehung als Deutschlands saubere Energieregionen.

Für Schnelle Leser

Hier erfahren Sie:

  • Auftritt als Experte: Der Solarteur Sebastian Pönsgen wurde vor die Kohlekommission gebeten.
  • Solarer Kohlepfennig: Greenpeace Energy zeigt, wie die Energiewende im Revier gelingen kann.
  • Spielraum der Rechtslage: Rechtsanwalt Siegfried de Witt erläutert notwendige Anpassungen der Gesetze.
  • Sonne folgt Steinkohle: Montan Solar baut Freilandparks im Saarland.

BMWi

Studie zu den Chancen der erneuerbaren Energien im Revier

Die aktuelle Studie „Erneuerbare Energievorhaben in den Tagebauregionen“ wurde im Oktober 2018 auf der Website des Bundeswirtschaftsministeriums veröffentlicht.

Sie gibt einen Überblick über die Flächenpotenziale des Braunkohlebergbaus, über die Chancen und die Grenzen für Photovoltaik, Windkraft, Hybridsysteme und Power-to-Gas.

Die Studie steht kostenfrei zum Downlod bereit und ist für jedermann nutzbar.

www.erneuerbare-energien.de/EE/Redaktion/DE/Downloads/Berichte/erneuerbare-energien-vorhaben-in-den-tagebauregionen.html