Man stelle sich ein Auto vor, das pro Jahr ein halbes Prozent Leistung verliert. Nach zehn Jahren hätte es dann statt 100 nur noch 95 PS. Das würden selbst Autoliebhaber wohl kaum merken. Anders bei Photovoltaikanlagen. Fünf Prozent weniger Leistung bedeuten in etwa fünf Prozent weniger Einnahmen. Und das schmerzt Investoren sehr. Damit der Verlust nicht überraschend auftritt, rechnet man die Degradation oft mit bis zu einem Prozent pro Jahr in die Ertragsgutachten ein.
Die Experten am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE um Klaus Kiefer haben die Daten, mit denen sich überprüfen lässt, ob diese schlechtere Wirtschaftlichkeit wirklich der Realität entspricht – und sie haben sie zur letzten EU PVSEC ausgewertet (Klaus Kiefer, Daniela Dirnberger, Björn Müller, Wolfgang Heydenreich, Anselm Kröger-Vodde: A Degradation Analysis of PV Power Plants, EU PVSEC 2010). Das Institut überwacht inzwischen Anlagen mit insgesamt mehr als 75 Megawatt Leistung. 17 Anlagen, die länger als fünf Jahre laufen und zusammen eine Nennleistung von rund zehn Megawatt haben, gehen in die Studie ein.
Die statistische Auswertung über diese große Zahl an Anlagen ist nötig, um den störenden Einfluss der Messunsicherheiten zu verringern. Wer allerdings denkt, das ginge einfach dadurch, dass man Erträge auflistet und daraus auf die Leistung der Anlage zurückschließt, irrt. Denn um diesen Rückschluss zu machen, muss man die Energie genau messen, die die Sonne auf die einzelnen Anlagen einstrahlt. Multipliziert man die Strahlungsenergie mit dem Modulwirkungsgrad, erhält man die elektrische Energie, die die Anlage liefern müsste, wenn sie perfekt funktionieren würde und die Module konstant eine Temperatur von 25 Grad hätten. Mit diesem Wert setzen die Wissenschaftler den realen Ertrag ins Verhältnis. So errechnen sie die Performance Ratio, die in der Regel zwischen 80 und 90 Prozent liegt. Sie ist ein Maß dafür, wie gut die Anlage die lokal verfügbare Einstrahlung im Rahmen des Wirkungsgrades der verwendeten Module tatsächlich nutzt. Wer überprüfen will, ob die Degradation, die sich in der Performance Ratio niederschlägt, pro Jahr unter einem halben Prozent und damit nach fünf Jahren unter 2,5 Prozent liegt, muss die Performance Ratio entsprechend genau messen. Schon einige Prozent Messunsicherheit machen die Messung für diesen Zweck unbrauchbar.
Sonneneinstrahlung genau messen
Eine der problematischsten Größen ist dabei die Sonnenstrahlung, die permanent mit Sensoren aufgezeichnet wird. Man stelle sich vor, zu Beginn und zu Ende des Messzeitraumes scheint zu einem bestimmten Moment die Sonne mit der gleichen Intensität. Wenn in dieser Zeit der Strahlungssensor um – sagen wir – vier Prozent degradiert, taucht in den Messprotokollen der um vier Prozent geringere Wert auf. Ist die Leistung der Anlage in dieser Zeit nicht gesunken, würde der gleich bleibende Ertrag mit einer scheinbar vier Prozent niedrigeren Einstrahlung korreliert. Es sähe also so aus, als ob die Anlage vier Prozent besser geworden wäre, was aber nicht stimmt.
Um solche Fehler zu vermeiden, haben Kiefer und seine Kollegen fast alle Strahlungssensoren, die neben den Anlagen montiert sind, alle zwei Jahre neu kalibriert. Allerdings haben auch kalibrierte Sensoren nur eine bestimmte Genauigkeit. Die exakten Strahlungswerte können um bis zu zwei Prozent von den gemessenen abweichen. Diese Unsicherheit alleine ist zwar schon so groß wie die 2,5 Prozent Degradation, die die Autoren mit der Studie möglichst ausschließen wollen. Da es bei der Untersuchung aber nicht darum geht, verschiedene Anlagen, die unterschiedliche Sensoren haben, miteinander zu vergleichen, sondern nur innerhalb einer Anlage festzustellen, ob die Leistung mit der Zeit abnimmt, spielt diese Zwei-Prozent-Unsicherheit keine so große Rolle. Es zählt vor allem, wie stabil der Sensor ist.
Bei 70 Prozent aller Sensoren zeigte sich bei den wiederholten Kalibrierungen, dass die Abweichungen im Rahmen der Messunsicherheit von zwei Prozent liegen (siehe Grafik Seite 71). Die meisten Werte der Rekalibrierung lagen nämlich zwischen minus eins und plus 1,5 Prozent. Mit ihnen haben die ISE-Experten die Monitoringwerte kontinuierlich korrigiert. Im Mittel lagen die Abweichungen sogar nur bei 0,2 Prozent. Mittelt man über viele Strahlungssensoren, gibt dieser Wert nach Ansicht der Autoren eine Größenordnung an, wie stabil die Sensoren zusammen genommen über den betrachteten Zeitraum arbeiten.
Unbekannte Temperatur
Außer der Sonnenstrahlung spielt als Umwelteinfluss, den man berücksichtigen muss, die Temperatur eine große Rolle. Die Temperatursensoren werden dazu auf die Rückseite einiger Module aufgeklebt. Die Messung ist in der Regel mit einer Unsicherheit von bis zu 1,2 Prozent behaftet. Bei einigen älteren Anlagen, die in der Studie berücksichtigt wurden, haben sich die Sensoren bereits wieder gelöst, so dass die Autoren die gemessenen Werte korrigieren mussten und die Unsicherheit bei den entsprechenden Messwerten größer ist. Auch die Spannung des Solargenerators, die man zur Berechnung der Leistung benötigt, und die erzeugte Energie auf der Wechselstromseite lassen sich nur auf ein bis zwei Prozent genau bestimmen. Alle diese Fehler summieren sich zusammen auf eine Messunsicherheit von 3,2 bis 4,3 Prozent. Die Spanne kommt dadurch zustande, dass die Anlagen mit unterschiedlich guter Messtechnik ausgestattet sind. Allerdings gilt für diese Gesamtunsicherheit das Gleiche wie für die Unsicherheit der Strahlungsmessung. Sie enthält systematische Anteile, die nur eine Rolle spielen, wenn man die Performance Ratio absolut bestimmen will. Wenn man mit der gleichen Messtechnik die Veränderung der Performance Ratio einer Anlage misst, fallen diese Anteile nicht ins Gewicht. Wichtig ist vor allem, dass die Messtechnik stabil bleibt.
Ein ähnliches Argument gilt für das Problem, dass die Anlagen verschmutzen. Solange Solarmodule und Einstrahlungssensor gleichzeitig dreckiger werden, misst man die gleiche Performance Ratio, es sei denn, die Anlage degradiert.
Eine weitere Messunsicherheit vermeiden Klaus Kiefer und seine Kollegen, indem sie nur Messwerte berücksichtigen, bei denen die Sonne mit hoher Intensität strahlt und der Einstrahlungssensor Werte zwischen 800 und 1.000 Watt pro Quadratmeter misst. Das schließt automatisch Werte aus, bei denen die Sonne in einem flachen Winkel auf die Module trifft und bei denen die Unsicherheiten groß sind. Genauso gehen die Wissenschaftler mit den Temperaturmesswerten um. In die Auswertung flossen nur Daten, bei denen die Temperaturwerte in einem fünf Grad breiten Bereich lagen. Das vermeidet Fehler, die dadurch entstehen, dass die Performance Ratio auch von der mittleren Temperatur der einzelnen Jahre abhängt.
Heraus kommen für jedes Jahr und für jede Anlage Werte für die Performance Ratio, die um einen Mittelwert verteilt sind. Bei einer Anlage variierten sie zum Beispiel in einem Bereich von 81 bis 83 Prozent. Mit statistischen Methoden errechneten die ISE-Autoren bei dieser Anlage einen Trend für die Degradation von minus 0,14 Prozent, also 0,1 Prozentpunkten pro Jahr.
Keine nennenswerte Degradation
Nehmen die ISE-Forscher alle untersuchten Anlagen mit mono- und polykristallinen Modulen zusammen, ergibt sich im Mittel eine Degradation von minus 0,1 Prozent pro Jahr (siehe Grafik Seite 72). „Das zeigt, dass es nicht grundsätzlich nötig ist, eine Degradation der Anlage von einem halben Prozent in den Ertragsgutachten zu berücksichtigen“, sagt Klaus Kiefers Mitarbeiterin Daniela Dirnberger.
Bei den drei Anlagen, in denen Zellen aus EFG-Silizium verbaut sind, zeigt sich dagegen beim Mittelwert eine Degradation von 0,6 Prozent pro Jahr. Das ist nach Einschätzung der Forscher plausibel, da sie solch ein Verhalten bei diesem Zellmaterial erwartet hatten. „Deshalb sollte man bei solchen Anlagen eine Degradation auf jeden Fall berücksichtigen“, sagt Dirnberger.
Wer allerdings versucht, die Degradationswerte an einer einzelnen Anlage nachzumessen, sollte sich nicht erschrecken, wenn er einen größeren Alterungseffekt misst – der eventuell sogar positiv sein kann. Zur Erinnerung: Der Clou der Arbeit liegt in der Analyse der Messunsicherheiten. Auch die ISE-Experten haben bei den Degradationswerten an Anlagen aus mono- und polykristallinem Silizium eine Varianz von minus 1,8 bis plus 1,3 Prozent festgestellt. Das verwundert nicht, da die Rekalibrierungen der Strahlungssensoren ähnliche Abweichungen zeigten und Abweichungen in der Strahlungsmessung direkt auf die Abweichungen der Degradationsanalyse überschlagen. Dadurch erklären sich auch die scheinbar positiven Alterungsergebnisse, die real nicht stimmen können. Die Messunsicherheiten mitteln sich aber bei der Degradationsanalyse genauso heraus wie bei der Rekalibrierung der Strahlungssensoren. Erst dadurch wird die Aussage, dass man bei mono- und polykristallinen Modulen keine Alterung in Ertragsprognosen berücksichtigen muss, nach Ansicht der ISE-Forscher signifikant.
Messunsicherheit der verschiedenen Messgrößen | ||
---|---|---|
schlechtester Fall | bester Fall | |
Gemessene Einstrahlung bei 45 Grad Celsius | 2,0% | 2,0% |
Modultemperatur | 1,2% | 1,2% |
DC-Stromstärke | 0,6% | 0,6% |
DC-Spannung | 1,6% | 0,3% |
AC-Energie | 2,0% | 1,0% |
Daraus folgt eine Unsicherheit für die Performance Ratio von | 4,3% | 3,2% |
Ohne die Messunsicherheiten zu kennen, kann man eine Messung nicht richtig interpretieren. Die ISE-Experten haben deshalb die Messunsicherheiten bei einer Strahlungsintensität von 800 Watt pro Quadratmeter und einer Modultemperatur von 45 Grad Celsius abgeschätzt. Da sich die Messausstattungen an den Anlagen unterscheiden, gibt es jeweils einen Wert für den „besten“ und den „schlechtesten Fall“. Ein Teil der Messunsicherheit ist systematischen Messfehlern geschuldet. Wenn ein Sensor etwa durchgehend zwei Prozent mehr Strahlung anzeigt, als wirklich scheint, verfälscht dieser Messfehler zwar die Messung der Performance Ratio. Er verfälscht aber nicht die Messung der zeitlichen Entwicklung der Performance Ratio. Deshalb kann man nach Ansicht der ISE-Experten mit den Messungen trotz der Unsicherheit von im besten Fall 3,2 Prozent eine Abschätzung der tatsächlichen Degradation machen.