Immerhin 980 Tage hat es gedauert, bis die Bundesregierung endlich einen Entwurf vorgelegt hat, wie sie die Richtlinien der Europäischen Kommission zum Recycling von Solarmodulen umsetzen will. Unter dem Titel „Waste Electrical and Electronic Equipment Directive“ (WEEE) legt Brüssel fest, dass in Zukunft die in Europa verbauten Solarmodule getrennt vom Haushaltsmüll eingesammelt und verwertet werden müssen.
Mit dem jetzigen Gesetzentwurf zur Änderung des Elektro- und Elektronikgerätegesetzes hat Berlin die vorgegebene Frist zur Umsetzung des Kommissionsbeschlusses in nationales Recht um gut ein Jahr überschritten. Sie hat es aber immer noch nicht bis zu einem gültigen Gesetz geschafft.
Die Hängepartie geht noch ein paar Monate weiter. So lange ist weiterhin nicht abgesichert, wie die gut 150 Millionen installierten Solarmodule, die in absehbarer Zeit als Elektroschrott anfallen, eingesammelt und recycelt werden müssen. Zwar geben die Hersteller für die Module eine Lebensdauer von mindestens 20 Jahren an. Doch dass inzwischen trotzdem schon Modulschrott anfällt, zeigen die Zahlen der Recycler.
Die Initiative der Photovoltaikhersteller PV Cycle hat seit ihrer Gründung im Jahr 2007 immerhin schon 11.000 Tonnen an Altmodulen in ganz Europa eingesammelt – auch ohne Elektroschrottrichtlinie. Das sind immerhin etwa 500.000 Module mit einer Gesamtleistung von annähernd 125 Megawatt. Angesichts des in Europa installierten Modulgewichts von fünf Millionen Tonnen ist die eingesammelte Menge immer noch ein Tropfen auf dem heißen Stein. Doch steigt die Zahl der anfallenden Altmodule rapide an. Im Jahr 2007 waren es gerade mal 80 Tonnen, die PV Cycle eingesammelt hat. „Seit 2010 übertreffen unsere Sammel- und Recyclingerfolge schon die Ziele, die in der WEEE-Richtlinie von 2012 enthalten sind“, rechnet Jan Clyncke, Geschäftsführer von PV Cycle, vor. „Der Photovoltaikabfall wird in den kommenden Jahren erheblich steigen“, warnt er.
Endlich rechtliche Klarheit schaffen
Mit dem jetzt verabschiedeten Gesetzentwurf sollen die Solarmodule endlich auch im bisher größten Solarmarkt der Welt Teil der Recyclingvorschriften werden. „Der Entwurf bedeutet einen wichtigen Schritt hin zu rechtlicher Klarheit für das Photovoltaikabfallmanagement in Deutschland“, erklärt Pia Alina Lange, Sprecherin von PV Cycle. „Bisher haben alle wesentlichen Photovoltaikmärkte in Europa ein neues WEEE-Gesetz erlassen und damit Klarheit für die heimischen Akteure geschaffen. Wir arbeiten hin zu mehr Konsistenz und Vollständigkeit bei der WEEE-Einhaltung und möchten sicherstellen, dass Photovoltaikmodulabfall in Zukunft nicht zum Problem wird. Ein guter, klarer rechtlicher Rahmen ist daher unabdingbar.“
Im Klartext: PV Cycle ist froh, dass nun bald für alle Akteure in Deutschland gleiche Rahmenbedingungen bestehen. Damit wird verhindert, dass die Zahl der Trittbrettfahrer ansteigt, die hierzulande Module verkaufen, sich aber um die Entsorgung nicht kümmern.
Außerdem haben sich nach Jahren der Konsolidierung die Reihen der Hersteller gelichtet. Viele von ihnen sind nicht mehr am Markt. So müssen diejenigen Hersteller und Händler, die weiterhin in Deutschland Module verkaufen, eine immer größere Last auf immer weniger Schultern verteilen – und das auch noch bei derzeit rückläufigen Verkaufszahlen. „Wir möchten nicht das erleben, womit andere Branchen konfrontiert waren, als Gesetze erstmals für sie galten: zu viele Jahre der Nichteinhaltung und unfairer Wettbewerb, der die benachteiligt, die ihre Verpflichtungen erfüllen“, warnt Jan Clyncke vor weiteren Monaten rechtlicher Unsicherheit.
Ein zweites Argument zur Beschleunigung der Gesetzgebung ist die Entsorgung von sogenannten historischen Altmodulen. Schließlich sieht der Gesetzentwurf vor, dass alle vor Inkrafttreten der Regelungen verkauften Module als historische Altgeräte gelten. So steigt mit jedem Monat Verzögerung die Menge dieser Module weiter an.
Riesiger Berg von Altmodulen
Jeder Hersteller, der jetzt Marktanteile hinzugewinnt, muss mit diesem Anteil auch das Recycling dieser Module mit finanzieren. Um diese Schieflage für die Hersteller nicht zum Problem werden zu lassen, müssen Solarparkbetreiber mit sogenannten historischen Altmodulen ihre ausgedienten Paneele selbst entsorgen. Die Entsorgung und das Recyling aller anderen historischen Altmodule hingegen müssen die Hersteller übernehmen, die jetzt noch am deutschen Markt Module verkaufen.
Hersteller aus dem Ausland, aber auch Händler und Installateure, die ihre Module im Ausland beziehen und so zum Importeur werden, müssen sich bei der Stiftung Elektro-Altgeräte Register (EAR) anmelden. Sie bekommen dort eine Registrierungsnummer. Diese muss auf jedem Angebot und jeder Rechnung stehen, sodass die Kunden erkennen können, ob sie Module von einem tatsächlich registrierten Hersteller verbauen und am Ende nicht auf den Altmodulen sitzen bleiben.
1.700 Container nötig
Für das Einsammeln und die Abholung der Module legt das Gesetz fest, dass dies entweder über die kommunalen Entsorgungsunternehmen oder über ein eigenes Recyclingsystem organisiert werden kann. Die sogenannten Erstinverkehrbringer – sprich: Hersteller, Importeure und Händler – haben die freie Wahl.
Allerdings wird sich das kaum auf die finanzielle Beteiligung an der Entsorgung der Altmodule auswirken. Denn sowohl die auf den kommunalen Wertstoffhöfen als auch auf dem Betriebsgelände der Hersteller oder Händler aufgestellten Container müssen die gleichen Normen erfüllen und ebenso oft abgeholt werden.
Die Bundesregierung rechnet damit, dass in ganz Deutschland an jeder der 1.700 Übergabestellen jeweils ein Container aufgestellt werden muss. Zusätzlich sollten die Entsorgungssysteme der Hersteller einen Reservebestand von 100 Containern anschaffen. Damit belaufen sich die Anschaffungskosten für die Sammelcontainer bei einem angesetzten Stückpreis von 300 Euro auf 540.000 Euro. Allerdings geht die Bundesregierung davon aus, dass der größte Teil der Altmodule ohnehin nicht auf den Wertstoffhöfen ankommt. Vielmehr werden die Installationsunternehmen alte Anlagen abbauen. Die Module werden dann entweder von den Herstellersystemen wie PV Cycle oder Take-E-Way direkt abgeholt oder über die Händler eingesammelt. Die Bundesregierung schätzt deshalb, dass die Container von den Wertstoffhöfen nur alle drei Jahre abgeholt werden müssen. Daraus ergeben sich etwa 570 Abholungen pro Jahr. Eine Abholung wird mit 70 Euro angesetzt. Damit kommen auf die Hersteller Kosten allein für die Abholung von 39.900 Euro pro Jahr zu.
Dazu addieren sich noch die administrativen Kosten. Denn pro Jahr müssen 570 Container zur Abholung angemeldet werden. Bei einem geschätzten Zeitaufwand für jede Meldung von fünf Minuten und durchschnittlichen Lohnkosten von 31,60 Euro pro Stunde haben die Berliner Beamten jährliche Kosten von 1.501 Euro allein für das Anmelden der Abholung errechnet.
Feste Normen für Container
An die Sammelcontainer stellt Berlin konkrete Anforderungen. Zum einen müssen sie einen Deckel haben. Außerdem dürfen die Altmodule in den Containern während des Transports nicht zerquetscht oder zerstört werden. Das Gesetz gibt der Bundesregierung auf dem Wege einer einfachen Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Möglichkeit, weitere Anforderungen an die Sammelbehälter zu definieren.
Die bisher einzige Freiheit, die Berlin den Entsorgungssystemen der Modulhersteller zugestanden hat, ist, dass die Container nicht zwingend auf ein herkömmliches Abholfahrzeug passen müssen. Dies kann den kommunalen Wertstoffsammlern auch egal sein. Denn für die Abholung sind die Hersteller und Händler verantwortlich.
Wenn eine Abholmenge von mindestens 2,5 Kubikmetern erreicht ist, melden die kommunalen Entsorgungsunternehmen dies bei der Stiftung EAR. Sie veranlasst dann die unverzügliche Abholung des Containers. Dies übernimmt ein auf das Recycling von Verbundmaterialien spezialisiertes Entsorgungsunternehmen. Es bringt die Module zu einem sogenannten Erstbehandler. Dort werden die Schad- und Wertstoffe aus den Altmodulen herausgeholt.
Das Gesetz sieht auch die Vorbereitung zur Wiederverwendung als Erstbehandlung an. Hier stellt das Bundesumweltministerium aber klar, dass das Schreddern von Altmodulen nicht unter diese Regelung fällt. „Beim Schreddern handelt es sich um eine Maßnahme im Rahmen der Verwertung“, erklären die Beamten in Berlin. Dies hat wiederum Einfluss auf die Mengen an Stoffen aus Altmodulen, die wiederverwendet werden sollen.
Inzwischen haben Unternehmen wie Take-E-Way und Netzwerke wie PV Cycle schon einige Erfahrung mit der Behandlung von Altmodulen gesammelt. So betont PV Cycle, dass man schon ausgediente Paneele im industriellen Maßstab verwerte und dabei immerhin je nach Technologie 80 bis 90 Prozent der Rohstoffe zurückgewinne.
Zwar arbeitet PV Cycle vor allem mit Entsorgungsunternehmen und Erstbehandlern in Deutschland zusammen. Doch die Erstbehandlung kann auch in einem anderen Staat der EU oder sogar außerhalb Europas durchgeführt werden. Hierbei gelten aber die strengen Vorschriften des Müllexports aus der EU in Drittländer.
Außerdem müssen die Erstbehandler sicherstellen, dass durch die Inhaltsstoffe der Altmodule weder die menschliche Gesundheit noch die Umwelt gefährdet werden. Dazu prüft ein Sachverständiger, ob die Erstbehandler technisch auf dem neuesten Stand sind und die Anforderungen auch einhalten können. Der Sachverständige stellt ein entsprechendes Zertifikat aus, das jedes Jahr erneuert werden muss.
Marktanteil entscheidet über Kosten
Danach müssen die Altmodule so weiterbehandelt werden, dass der Anteil der Verwertung mindestens 75 Prozent beträgt. Mindestens 65 Prozent des eingesammelten Gewichts muss dabei recycelt oder wiederverwendet werden. Die Angaben gelten allerdings für komplette Produktkategorien. Damit wirft der Gesetzgeber MP3-Player und Fernseher mit Photovoltaikmodulen in einen Topf, auch wenn sie in getrennten Containern gesammelt werden. Da die Photovoltaikrecycler nach eigenen Angaben diese Quoten längst schaffen, bleibt die Gesamtbilanz davon abhängig, welche Quoten die Recycler der Unterhaltungselektronikbranchen erreichen.
Die Finanzierung des gesamten Prozesses – vom Einsammeln der Altmodule über die Erstbehandlung bis hin zur Verwertung oder zum Recycling – müssen die Hersteller, Händler und Importeure tragen. Wie viel der einzelne Hersteller und Händler dabei bezahlen muss, hängt von dessen Marktanteil ab, den die Stiftung EAR auf Basis der gemeldeten Verkaufsmengen berechnet.
Für diese jährliche Grundmenge, die das betroffene Unternehmen bei der Stiftung EAR angibt, muss die nachgewiesene Garantie über die gesamte durchschnittliche Lebensdauer des Moduls erhalten bleiben, wenn der sogenannte Garantiefall nicht eintritt, also ein Unternehmen innerhalb der 20 Jahre Modullebensdauer nicht pleitegeht. Wenn das Unternehmen allerdings innerhalb dieser voraussichtlichen mittleren Lebensdauer der Module vom Markt verschwindet, tritt der Garantiefall ein. Dann muss die Haftung des Unternehmens auf die durchschnittliche maximale Lebensdauer der Module verlängert werden. Innerhalb dieser Zeit sind die verkauften Module weitestgehend als Elektroschrott bei den Sammelstellen angekommen. Für die Solarmodule geht die Stiftung EAR von einer durchschnittlichen maximalen Lebensdauer von 480 Monaten aus. Das bedeutet, die eingezahlten Garantiesummen bleiben 40 Jahre lang als Haftungsbetrag erhalten.
Die Stiftung EAR auch hat die Berechnungsgrundlagen für die finanzielle Absicherung des Modulrecyclings schon festgelegt. Diese setzen sich aus der Menge, die ein Hersteller oder Importeur in Deutschland verkauft, den voraussichtlichen Entsorgungskosten und der voraussichtlichen Rücklaufquote zusammen.
Jede Tonne kostet 200 Euro
Die Rücklaufquote ist der Anteil an Modulen, die über die gesamte Lebensdauer als Elektroschrott auf den Wertstoffhöfen ankommen werden. PV Cycle schätzt, dass dies nur eine geringe Menge sein wird, da nur ein kleiner Teil der in Deutschland verbauten Anlagen als Hausanlagen gelten. In der ersten Berechnung geht die Stiftung EAR davon aus, dass dieser Anteil an Altmodulen bei 30 Prozent aller in Deutschland verbauten Solarmodule liegt.
Für die Berechnung der Entsorgungskosten setzt die Stiftung eine mittlere Lebensdauer der Module von 20 Jahren an. Innerhalb dieser Zeit fallen die in Deutschland verkauften Module voraussichtlich als Elektroschrott an.
Die Kosten für das Einsammeln und Recycling der Altmodule setzt die Stiftung bei 200 Euro pro Tonne an. Bei der angegebenen Rücklaufquote von 30 Prozent ergibt sich so eine Summe von 60 Euro pro Tonne, die ein Hersteller, Importeur oder Händler als Garantie hinterlegen muss, damit die Entsorgung finanziell abgesichert ist.
Noch ist das Gesetz nicht gültig. Denn sowohl der Bundestag als auch der Bundesrat müssen erst zustimmen. Voraussichtlich im Mai wird die Länderkammer das Gesetz beraten. Ende Juni oder Anfang Juli wird der Bundestag beraten. Er soll das Gesetz aber erst im September dieses Jahres beschließen.