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Das Henne-Ei-Problem

In einem Labor des Freiburger Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE fielen sich Bruno Burger und seine Mitarbeiter im Januar 2008 in die Arme. Sie hatten einen neuen Wechselrichter gebaut, der statt Bauelementen aus dem üblichen Silizium solche aus dem neuen Werkstoff Siliziumkarbid enthielt, und freuten sich nun über einen Rekord. Der Wirkungsgrad stieg von 97,2 Prozent auf sagenhafte 98,8 Prozent, „ein Sprung im Wirkungsgrad, der bis vor kurzem unmöglich schien“, sagt Burger. Trotzdem sollte dieser Rekord nicht lange halten. Auch die Entwickler um Peter Zacharias am Kasseler Institut für Solare Energieversorgungstechnik ISET erreichten mit den gleichen Bauelementen fast 99 Prozent Wirkungsgrad.

Gute Kontakte zu Hersteller Cree

Der Vorteil der beiden Arbeitsgruppen: Sie haben nach ihren eigenen Angaben gute Beziehungen zum amerikanischen Hersteller Cree. „Wir waren die Ersten, die Transistoren aus dem neuen Halbleitermaterial testen konnten“, glaubt Bruno Burger. Rund ein Prozent mehr Wirkungsgrad – das sieht auf den ersten Blick nicht viel aus, doch das täuscht. Bei Wechselrichtern in der Größenordnung zehn Kilowatt würde ein Prozentpunkt Effizienzgewinn über 20 Jahre insgesamt 1.000 Euro zusätzlich in die Kassen des Solaranlagenbetreibers spülen. Das ist die Messlatte, was die neue Technik kosten darf. Wie hoch die Mehrkosten sind, wagen die Experten jedoch in der Öffentlichkeit nicht gerne abzuschätzen.Das Material Siliziumkarbid, eine Verbindung aus Silizium mit Kohlenstoff, ist in der Technik nichts wirklich Neues: Es wird seitJahrhunderten intensiv genutzt. So ist es Schmirgelpapierherstellern eine technische Alternative zu Aluminiumoxid-Schleifmittel, wenn es um blitzblanke, glatt geschliffene Oberflächen geht. Auch dass Siliziumkarbid ein Halbleiter ist, aus dem man Leistungselektronikbauteile herstellen kann, ist seit mehreren Jahrzehnten bekannt. Bisher waren die Probleme damit aber so groß, dass sie nur eingesetzt wurden, wo das Geld nicht zählt: im Weltraum.

Materialherstellung nun im Griff

Siliziumkarbid ist im Vergleich zu Silizium viel schwieriger zu handhaben. Es schmilzt erst bei hohen Temperaturen, und dabei sammeln sich viele unerwünschte Stickstoffatome in der Schmelze. „Beim Erstarren bilden sich viele Defekte“, sagt Martin Hundhausen, Physiker an der Universität Erlangen, der an einem der ersten Sonderforschungsbereiche mitgearbeitet hat, in dem die Materialeigenschaften bereits vor 15 Jahren systematisch untersucht wurden. „Bei der Kristallzucht kann Siliziumkarbid außerdem in verschiedenen Kristallstrukturen wachsen“, sagt Hundhausen. „Man muss beim Erkaltungsprozess darauf achten, dass das Material nur in einer Form vorliegt“, erklärt er. Denn sonst taugt es nicht als Halbleiter.Die Firma Cree scheint die Probleme jetzt in den Griff bekommen zu haben. Sie meldet Fortschritte im Bereich der Waferqualität, Verbesserungen im Bereich der Epitaxie und dem Bauelemente-Design. Von ihr haben die beiden Arbeitsgruppen die Transistoren für die Rekord-Wechselrichter. Siliziumkarbid hat mehrere entscheidende Vorteile: Es verträgt im Betrieb höhere Temperaturen besser und hält 300 Grad Celsius aus. Silizium macht schon bei 150 Grad schlapp. Das bedeutet, dass bei identischer erlaubter Verlustleistung je Bauelement, die ja zu dessen Erwärmung führt, ein Siliziumkarbidtransistor, damit er nicht überhitzt, nur einen halb so großen und daher auch halb so schweren Kühlkörper wie ein Siliziumschaltelement benötigt. Das ist auch einer der Gründe für die Verwendung des Materials im Weltraum. Weil in der Raumfahrt bekanntlich jedes Gramm Gewicht zählt, wiegt ein Gerät mit Siliziumkarbidtransistoren die Mehrkosten der Bauelemente bereits beim Start durch weniger Treibstoffverbrauch auf. Doch auch für irdische Wechselrichter bietet Siliziumkarbid Vorteile, weshalb es nicht überrascht, dass die beiden Institute damit den Wirkungsgrad steigern können. Wechselrichter werden heute oft als sogenannte dreiphasige Vollbrücke gebaut (siehe Grafik). Auch die beiden Weltrekord-Forschergruppen setzten bei ihren Weltrekord-Tests auf das Prinzip. Im Wesentlichen besteht der Leistungsteil eines solchen Wechselrichters, der aus Gleichstrom dreiphasigen Drehstrom produziert, aus sechs Transistoren, ebenso vielen Freilaufdioden und den Spulen. Abwechselnd schalten die einen oder anderen Schalter auf und zu, so dass eine Wechselspannung an den Anschlüssen der drei Phasen des Drehstroms entsteht. Die Schaltung muss so erfolgen, dass dahinter geschaltete Spulen die Wechselspannung so glätten, dass einsinusförmiger Spannungsverlauf entsteht. Als Transistoren werden bisher in der Regel sogenannte IGBTs (Insulated Gate Bipolar Transistors) verwendet. Zu Verlusten kommt es, weil die Dioden und die schaltenden Transistoren auch bei Durchlass einen zwar geringen, aber immer noch spürbaren Widerstand haben. Aber auch die Schnelligkeit, mit der die Transistoren schalten, spielt eine Rolle. Die Transistoren schalten die Gleichspannung mehrmals während einer Periode ein und aus. Dabei entsteht ein eckiger pulsförmiger Spannungsverlauf, den die Spulen im nächsten Schritt glätten. Je länger die Ein- im Vergleich zu den Auszuständen sind, umso höher ist die resultierende Spannung. Die Regelung gleicht dadurch die Spannung einer Sinuskurve an. Je schneller die Transistoren schalten, umso kleiner die Verluste.

Schrittweiser Wechsel

Im ersten Schritt haben Wechselrichterhersteller die Siliziumdioden gegen Siliziumkarbiddioden ausgetauscht, die schon seit einigen Jahren kommerziell erhältlich sind. Seit sieben Jahren produziert beispielsweise Infineon solche Bauelemente, und einige Solarwechselrichterproduzenten setzen sie bereits an Stelle von Siliziumdioden ein. Die Siliziumkarbiddioden sind verlustärmer als ihre Pendants aus Silizium, und allein dieser Tausch habe den Wechselrichterwirkungsgrad um 0,3 Prozent angehoben, sagt Bruno Burger.Insofern war es nur eine Frage der Zeit, bis auch die Siliziumkarbidtransistoren zum Zuge kamen. Sie schalten schneller Strom ein und aus als die heute meist verwendeten Transistoren auf Siliziumbasis und reduzieren die Verluste zusätzlich dadurch, dass ihr Durchlasswiderstand relativ klein ist. Allerdings kann man nicht einfach die Bauteile austauschen, sondern muss die ganze Schaltung an die veränderten elektrischen Eigenschaften anpassen. Nach Meinung der Fraunhofer-Forscher muss man bei Siliziumkarbidtransistoren keine Freilaufdioden parallel schalten, da sie in den neuen Bauelementen integriert sind. Am ISET sieht man das scheinbar anders: Auch wenn es von dort keinen Schaltplan, sondern nur Bilder eines echten Versuchsaufbaus vom Weltrekord-Wechselrichtertest gibt, zuckt Peter Zacharias zusammen, wenn er auf die Fraunhofer-Schaltung ohne Freilaufdioden angesprochen wird. Ob mit Dioden oder ohne – die Ergebnisse der beiden Institute sind vielversprechend.Trotzdem wird es noch dauern, bis sich auch Anlagenbetreiber über den höheren Wirkungsgrad freuen können. Das sieht man schon daran, dass die Institute lange warten mussten, bis sie an genügend Bauteile herankamen, und dass das auch noch von guten Beziehungen abhängt. Und selbst dann waren es nicht viele. „Wir hatten nur ein paar Siliziumkarbidschalter mehr, als wir für den Versuchsaufbau brauchten“, sagt ISET-Forscher Zacharias. Das heißt natürlich nicht, dass die Situation so bleibt, da man „die Lernkurve bei Siliziumkarbid erst noch durchlaufen muss“. Wann die Knappheit ein Ende hat, ist jedoch die Gretchenfrage. Denn davon hängen entscheidend die Kosten ab. Die relativ hohen Kosten von Siliziumkarbid werden vermutlich keine so große Rolle spielen. „Auf den ersten Blick ist Siliziumkarbid zwar teurer, doch die aktiven Siliziumkarbidschichten sind wesentlich dünner als die von Silizium“, sagt Peter Friedrichs, der bei der Siemens-Tochter Siced neue Halbleiter entwickelt. Das spart einen Teil der Mehrkosten für ein Bauelement gleich wieder ein. Für eine Sperrspannung von 6.000 Volt sei die Siliziumkarbidschicht mit 30 bis 50 Mikrometer nur halb so dick wie bei Siliziumdioden. Für 1.200 Volt reichten sogar 15 Mikrometer. Die Siliziumkarbiddioden kosten schon heute nur etwa dreimal so viel wie vergleichbare Siliziumdioden. Für Bauelemente mit zehn Ampere Nennstrom beträgt der Listenpreis etwa zwei Euro. Sechs davon werden pro Wechselrichter gebraucht. Insofern ist es kein Wunder, dass die Siliziumkarbiddioden bereits verbaut werden. Denn diese Mehrkosten können nach Angaben von Infineon in der Regel durch höhere Schaltfrequenzen, daraus resultierende kleinere Spulen und kleinere Kühlkörper und Lüfter – es fällt weniger Verlustwärme an – wieder ausgeglichen werden. Was die Transistoren angeht, sollte die Rechnung ähnlich aufgehen. Auf gar keinen Fall würden die neuartigen Bauelemente den oben erwähnten Zehn-Kilowatt-Beispiel-Wechselrichter um 1.000 Euro teurer machen, ist von Halbleiter- und Leistungselektronikherstellern zu hören. Die Leistungselektronik spielt im Gesamt-Wechselrichterpreis sowieso nur eine untergeordnete Rolle, Insider sprechen von 20 Prozent. Und dadurch, dass in einer Drehstrombrücken-Schaltung nach ISE-Meinung die sechs Freilaufdioden nicht mehr gebraucht würden, sei der Transistormehrpreis schon ziemlich ausgeglichen – Massenproduktion vorausgesetzt.

Massenproduktion absehbar

Dass es noch keine Massenproduktion gibt, ist noch das größte Hindernis. Sie werden noch nicht in Großserie gefertigt. „Jetzt gibt es schon mal zehn oder 50 Transistoren für Tests zu kaufen, größere Mengen sollen erst ab Mitte 2009 auf den Markt kommen“, sagt Burger. Die großen Forschungsinstitute und die großen Firmen experimentieren auch schon damit. Peter Friedrich vom Halbleiterentwickler Siced warnt aber vor zu hohen Erwartungen. „Von einer Presseinfo bis zur Serie dauert es lange“, sagt er. Auch wenn die Bauteile endlich erhältlich sein werden, wird es nicht über Nacht gehen.„Wenn uns heute jemand mit der Entwicklung eines Siliziumkarbid-Wechselrichters beauftragt, dann ist die Entwicklung frühestens in zwei Jahren abgeschlossen. Diesen Auftrag gibt’s aber noch nicht“, sagt Burger. Peter Zacharias vom ISET sieht das ähnlich: „Die Qualifizierung von Halbleiterbauelementen dauert recht lange. Denn die Bauelemente müssen es ja 20 Jahre lang tun – da lehnt sich keiner so leicht aus dem Fenster. “Einige Halbleiterhersteller wollen nun Siliziumkarbidbauelemente einführen, wobei sie auf unterschiedliche Transistortypen setzen. „Infineon kommt mit selbstleitenden Junction-Feldeffekt-Transistoren (JFETs) auf den Markt, Cree mit MOSFETs, Semisouth mit selbstsperrenden JFETs und Transic setzt auf Bipolar-Transistoren“, sagt Burger. Alle sind wechselrichtergeeignet. Doch die Frage ist, ob sie in ausreichend großer Stückzahl gefertigt werden. Für Burger verhält es sich mit der Einführung von Siliziumkarbidtransistoren in Wechselrichtern wie mit dem Henne-Ei-Problem. „Die Halbleiter hersteller sagen: Wenn jemand uns eine Million Siliziumkarbidtransistoren abkauft, könnten wir sie ähnlich günstig wie Siliziumbauelemente anbieten.“ Doch das Institut kann natürlich keine so großen Mengen abnehmen.

Heinz Wraneschitz

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