Das Jahr 2021 war ein merkwürdiges Jahr, wie alle Jahre, seit es die Solarbranche – und ihr EEG – gibt. Klar: Die Coronapandemie hat den Ausbau der erneuerbaren Energien vielerorts behindert und verzögert, wie alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens beeinträchtigt wurden.
Das Virus hat vielen Menschen die Augen geöffnet
Aber Corona – ausgerechnet ein Virus – hat vielen Menschen die Augen geöffnet: Wie wichtig ist eine krisenfeste und saubere Energieversorgung? Wie wichtig ist Unabhängigkeit von den überkommenen Strukturen der Stromnetzversorgung? Im Segment der privaten Solaranlagen lag der Zuwachs bei rund 50 Prozent gegenüber den Vorjahr. Die Installateure gerieten an die Grenzen ihrer Montagekapazität, ebenso die Produzenten.
Corona hat auch gezeigt: Regionale Kreisläufe der Wertschöpfung sind robuster als globale Lieferketten. Die Solarbranche in Europa baut ihre Marktanteile aus, immer mehr Menschen finden interessante und lukrative Jobs bei den Herstellern von Solarmodulen, Wechselrichtern, Speicherbatterien und E-Autos.
Zukunftssicherung für den Sozialstaat
Die Energiewende ist nicht nur ein gigantisches Modernisierungsprojekt für die Versorgung mit Strom, Wärme und Mobilität. Sie bietet zudem eine enorme Modernisierung für die Industrie in Europa, in Deutschland, in Österreich und der Schweiz.
Sie ist Zukunftssicherung für den Sozialstaat! Sogar die erzkonservative Gewerkschaft für Bergbau hat dies erkannt und stellt sich dem Kohleausstieg nicht mehr in den Weg. Auch dieser Umschwung in der Haltung der Gewerkschafter war 2021 deutlich zu spüren.
Der Wahlsieg der Grünen
Politisch wurde diese Erkenntnis flankiert durch den Wahlsieg der Grünen in Deutschland. Zwar spielen sie in der Ampelkoalition formal nur die zweite Geige, aber sie haben als einzige der drei Regierungsparteien bei den Wählern zugelegt, und zwar deutlich.
Unmissverständlich haben die Grünen die Modernisierung Deutschlands eingefordert zum Thema ihres Wahlkampfes gemacht. Nun besetzen sie die wichtigsten – für die Energiewende wichtigsten – Bundesministerien. Der Weg ist frei, das dringend notwendige EEG 2.0 endlich in die Welt zu bringen.
Vorgaben der EU endlich umsetzen!
Die größte Ausbaubremse für die erneuerbaren Energien ist nicht die fehlende Förderung. Es sind die bürokratischen Hürden, die schwarze Bremser im Laufe der vergangenen 16 Jahre aufgetürmt haben. Bis heute werden die Vorgaben der Europäischen Union ignoriert, vor allem bezüglich des Eigenverbrauchs von Sonnenstrom.
Bis heute gibt es die unsinnige EEG-Umlage, gibt es die vertrackten und verkomplizierten Regelungen zur Anmeldung und zum Betrieb von Solaranlagen. Es sind die Begehrlichkeiten des Fiskus von der Stromsteuer, über Mehrwertsteuer bis hin zur Einkommenssteuer. Es sind die überfrachteten Verfahren zur Genehmigung und den Anschluss durch die Netzbetreiber.
Das Monstrum der Bürokratie
Es ist das von regelwütigen Beamten verunstaltete – mehr als 300 Seiten starke – EEG, das eine Bundesnetzagentur und eine Clearingstelle braucht, um praktisch halbwegs umsetzbar zu sein. Hier füttert die Bürokratie sich selbst, tritt dem Bürger als Monstrum gegenüber.
Niemand blickt mehr durch, überall lauern Haken und Ösen, clever einfädelt von den Lobbyisten der großen Energiekonzerne und ihren Lakaien in den schwarz-roten Bundesministerien. Nun muss sich beweisen, ob die Grünen den Auftrag der Wähler politisch umsetzen wollen – und können.
Weniger Papiertiger, mehr Engagement der Bürger
Im EEG 2.0, das umgehend auf den Tisch muss, kann es nicht darum gehen, die bisherige Praxis der Förderung durch Einspeisevergütung bloß fortzuschreiben. Es kann nur darum gehen, den Ausbau auf möglichst einfache Weise zu beschleunigen. Es geht nicht darum, noch mehr Papiertiger zu züchten.
Wir brauchen eine Entfesselung des Bürgers – als privaten Investor, als Unternehmer, als Entscheider in der Kommune. Das Gemeinwohl ist mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien zu verbinden, dann klappt es auch mit neuen Windrädern.
Die Vorteile der Energiewende für die Bürger und für das Gemeinwesen gleichermaßen sind in den Mittelpunkt des EEG 2.0 zu rücken. Die Schonfrist für RWE, Eon, EnBW und Vattenfall ist abgelaufen. Auch das Stromnetz in seiner aktuellen Ausprägung ist nicht länger sakrosankt.
Stromtrassen stützen französische Atommeiler
Denn die Stromtrassen für den Ausgleich großer Energiemengen von Nord nach Süd oder von Ost nach West dienen immer mehr dazu, Kohlestrom oder Windstrom ins Ausland zu exportieren. So stehen die französischen Atommeiler – wie mittlerweile jeden Winter – vor dem Zusammenbruch, weil sie marode sind und den hohen Strombedarf der elektrischen Heizungen im Winter nicht mehr abdecken können. Einige Meiler wurden abgeschaltet, weil der Betrieb durch Störfälle und Leckagen nicht aufrechterhalten werden kann.
Deshalb kauft die EDF im großen Stil Kohlestrom aus Nordrhein-Westfalen, gelegentlich Windstrom aus Norddeutschland. Deutschland ist Nettoexporteur von elektrischer Energie, obwohl zum Jahresende 2021 drei weitere AKW vom Netz gingen – Grundremmingen C, Brokdorf und Grohnde. So subventioniert der deutsche Stromkunde die französische Atomwirtschaft, deren Meiler teilweise noch älter und maroder sind als die genannten AKW in Deutschland.
Die Kosten steigen, weil die Energiewende stockt
Der steile Anstieg der Strompreise zum Jahresende 2021 ist – zumindest teilweise - darauf zurückzuführen, dass die französische Atomwirtschaft ihre Engpässe aus Deutschland deckt – und die Modernisierung der Stromversorgung daheim weiterhin verschläft. Nun will Monsieur Macron in Brüssel erreichen, dass Atomkraft von der Europäischen Kommission als saubere Energieform eingestuft wird.
Dringend braucht er billiges Geld, denn er ist der Boss der EDF, ein marodes und schwer angeschlagenes Staatsunternehmen – ähnlich Vattenfall, das dem schwedischen Staat gehört. Es wird eine zentrale Aufgabe für die grüne Außenministerin sein, diesem Wahnsinn einen Riegel vorzuschieben.
Jeden Tag 70 Kilogramm Atommüll – pro Reaktor
Ein Atomreaktor wie Grundremmingen C hat jeden Betriebstag rund 70 Kilogramm Atommüll mit höchster Strahlung erzeugt, darunter etwa 0,7 Kilogramm extrem giftiges Plutonium. Atmet der Mensch ein Millionstel Gramm davon ein, wird er aller Wahrscheinlichkeit nach an Lungenkrebs erkranken.
Insgesamt fielen aus den drei – inzwischen stillgelegten – Reaktoren in Grundremmingen rund 2.091 Tonnen hochradioaktives Material aus den Spaltelementen an. Sie verursachen 95 Prozent der radioaktiven Gefährdung. Hinzu kommen tausende Tonnen mittelaktiver und schwach kontaminierter Müll, der rund fünf Prozent der Strahlenbelastung darstellt.
Jeden Tag produziert ein Atomreaktor dieser Bauart und Größe das Eineinhalbfache der Radioaktivität, die in allen 126.000 Atommüllfässern in der Asse zusammen eingelagert ist. Das gilt auch für die 56 Meiler, die in Frankreich laufen.
Tausend Windräder für drei AKW
In Deutschland bleiben bis Ende 2022 nur drei Atommeiler in Betrieb: Emsland, Neckarwestheim 2 und Isar 2. Drei abgeschaltete Atomkraftwerke brauchen – rein rechnerisch – tausend Windräder, um dieselbe Strommenge zu erzeugen. Bisher haben die Generatoren mit Wind und Sonne nicht nur den Atomausstieg kompensiert, sondern auch den Ausstieg aus der Kohleverstromung.
Doch der Zubau braucht mehr Dynamik. Vor uns liegt die entscheidende Phase der Energiewende – wirklich grün bis 2030! Dabei geht es nicht vordergründig darum, ältere und marode Kraftwerke durch neue Technik zu ersetzen. Es geht darum, die Energieversorgung – und damit die menschliche Zivilisation überhaupt – zukunftsfähig zu machen. Der rapide steigende Stromhunger der Welt lässt sich nur mit wirklich sauberen Technologien decken – ohne Atommüll, ohne schädliche Strahlen oder Emissionen.
Über Atommüll und Kohlendioxid
Wer die Debatte um die Energiewende allein auf den Ausstoß von Kohlendioxid reduziert, kann nichts gewinnen. Auch Atomkraftwerke erzeugen zwischen 3,7 und 110 Gramm Kohlendioxid pro Kilowattstunde, mit zwölf Gramm als Mittelwert. Der technische Aufwand für den Uranbergbau, für die Aufbereitung und Anreicherung bis zum Brennstab, für den Transport der Brennelemente, für den Kraftwerksbau, für den Betrieb und die Lagerung des Atommülls gehen in diese Rechnung (carbon foot print) ein.
Nicht aber die Kosten, die durch die Radioaktivität entstehen. Zwei Zahlen sollen diese Risiken verdeutlichen: Der Reaktor-GAU in Tschernobyl hat nach vorsichtigen Schätzungen rund 300 Milliarden US-Dollar verschlungen – und längst ist er nicht ausgeheilt. Der Reaktor ist weiterhin aktiv, nach wie vor frisst sich nukleare Lava durch den Sarkophag. Die Katastrophe von Fukushima hat nach Angaben der japanischen Regierung bis heute rund 170 Milliarden Euro verschlungen.
Nicht mehr finanzierbar
Auch ohne Super-GAU und Katastrophen ist die Atomkraft faktisch nicht finanzierbar, nicht im Rahmen sinnvoller ökonomischer Konzepte. Auch hier ein Beispiel: Allein die Sanierung der ehemaligen Uranerzgruben der DDR im Erzgebirge und in Thüringen hat bis heute rund acht Milliarden Euro verschlungen – fast so viel wie die Renaturierung der Braunkohletagebaue in Mitteldeutschland und der Lausitz.
Dreißig Jahre nach der letzten Einfahrt der Wismut-Bergleute sind viele Halden, Gruben, Schächte und Absetzbecken noch immer nicht wirklich abgesichert. Eigentlich eine unlösbare Aufgabe: Uran hat eine Halbwertszeit von knapp 4,5 Milliarden Jahren.
Im Süden und Westen Deutschlands – der früheren Bundesrepublik – gab es solche Erzlager nicht. Doch dort strahlen Uran und Plutonium aus abgebrannten Brennstäben, für die es bislang kein sicheres Endlager – und keine sichere Technologie für die endgültige Lagerung – gibt.
Das Ende der großen Kraftwerke
Es geht um das Ende der großen, zentralistischen Kraftwerke an sich, egal ob sie Uran, Kohle oder Erdgas verstromen. Das muss ein EEG 2.0 ins Zentrum rücken: örtliche und regionale Eigenstromversorgung in lokalen Bilanzkreisen, Ausgleichsenergie durch Biogas oder Wasserstoff in regionalem Maßstab, bürgerfreundliche Investitionen, intelligente Verteilnetze und eine starke einheimische Industrie für Solartechnik und Windräder, für Gasturbinen, Brennstoffzellen, E-Autos und Wasserstoffspeicher – und die Vermeidung von Müll, Versiegelung oder Emissionen.
2022 – Ein weiteres, spannendes Sonnenjahr!
Das Jahr 2022 liegt vor uns. Wieder wird es ein spannendes Sonnenjahr, dessen dürfen wir gewiss sein! Viel Arbeit wartet auf alle, die in unserer Branche tätig sind. Ich freue mich auf die Herausforderungen und wünsche Ihnen allen dafür Kraft, Langmut und vor allem: beste Gesundheit!
Ihr
Heiko Schwarzburger
Chefredakteur der photovoltaik
Hier finden Sie alle Blogs des Chefredakteurs und seiner Gäste.
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